BSG Urteil v. - B 11 AL 23/10 R

Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren - Erstattung von Vorverfahrenskosten - Erfolg des Widerspruchs - Änderung einer vorläufigen Entscheidung über eine Leistungsbewilligung in eine endgültige Entscheidung durch Widerspruchsbescheid - ursächlicher Zusammenhang

Leitsatz

Der Widerspruch ist auch dann erfolgreich iS des § 63 Abs 1 SGB 10, wenn er sich gegen eine vorläufige Leistungsablehnung richtet und im Widerspruchsbescheid eine endgültige Leistungsbewilligung erfolgt (Anschluss an = SozR 4-1300 § 63 Nr 16).

Gesetze: § 63 Abs 1 S 1 SGB 10, § 328 Abs 1 S 1 Nr 3 SGB 3 vom

Instanzenzug: SG Konstanz Az: S 1 AL 566/09 Urteilvorgehend Landessozialgericht Baden-Württemberg Az: L 12 AL 4265/09 Urteil

Tatbestand

1Der Kläger begehrt Erstattung der in einem Widerspruchsverfahren entstandenen notwendigen Aufwendungen.

2Der Kläger, dem sein Arbeitgeber am zum gekündigt hatte, meldete sich am zum arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld (Alg). In der Arbeitsbescheinigung vom gab der Arbeitgeber an, die Kündigung sei wegen unentschuldigten Fehlens am Arbeitsplatz erfolgt. Auf Nachfrage der Beklagten übersandte der Arbeitgeber mit Schreiben vom die Kopie eines beim Arbeitsgericht eingereichten Schriftsatzes und die Mitteilung des Arbeitsgerichts, wonach Termin auf den bestimmt war.

3Mit Bescheid vom bewilligte die Beklagte dem Kläger vorläufig gemäß § 328 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) Alg für die Zeit vom 1.6. bis "in Höhe von 0 Euro" und für die Zeit ab bis in Höhe von 39,65 Euro täglich. Sie teilte mit, über den Auszahlungsanspruch für die Zeit vom 1.6. bis werde gesondert entschieden. Mit zwei weiteren Bescheiden vom wurde dem Kläger Alg für die Zeit vom 1.9. bis und vom bis in gleicher Höhe von 39,65 Euro täglich bewilligt.

4Der Kläger erhob mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom Widerspruch gegen die drei Bescheide. Der Bevollmächtigte führte ua aus, es sei unklar, weshalb drei unterschiedliche Bescheide erlassen worden seien. Die Vorgehensweise, für den Zeitraum 1.6. bis keinerlei Leistung zu erbringen, sei unzulässig.

5Nachdem der Kläger vor dem Arbeitsgericht am mit dem Arbeitgeber einen Vergleich geschlossen hatte, wonach das Arbeitsverhältnis aufgrund ordentlicher Kündigung zum endete und der Kläger eine Abfindung von 8000 Euro erhielt, bewilligte die Beklagte dem Kläger unter Aufhebung des Ausgangsbescheids vom Alg für die Zeit vom 1.6. bis in Höhe von 39,65 Euro täglich (Bescheid vom ).

6Eine Erstattung der dem Kläger im Widerspruchsverfahren entstandenen notwendigen Aufwendungen lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, es habe sich zunächst nur um eine vorläufige Bewilligung gehandelt (Bescheid vom ; Widerspruchsbescheid vom ).

7Das Sozialgericht (SG) hat den Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom abgeändert, die Beklagte zur Tragung der außergerichtlichen Kosten für den Widerspruch gegen den Bescheid vom verurteilt und im Übrigen die Klage abgewiesen (Urteil vom ). Das SG hat angenommen, der Bescheid vom sei vom Kläger erfolgreich angefochten worden; die Widersprüche gegen die Bescheide vom seien dagegen nicht erfolgreich gewesen.

8Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung des Klägers das Urteil des SG abgeändert und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom verurteilt, die außergerichtlichen Kosten des Klägers für den Widerspruch gemäß Schreiben vom zu tragen; im Übrigen hat es die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom ). In den Entscheidungsgründen hat das LSG ua ausgeführt: Das SG sei zu Recht davon ausgegangen, dass der Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom erfolgreich iS des § 63 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) gewesen sei. § 328 SGB III stelle keine Rechtsgrundlage für die vorläufige Versagung von Leistungen dar. Die Zuziehung eines Rechtsanwalts sei notwendig gewesen. Dem SG könne nicht gefolgt werden, soweit dieses angenommen habe, der Kläger habe drei Widerspruchsverfahren geführt, von denen lediglich eines erfolgreich gewesen sei. Der Bevollmächtigte des Klägers habe im Schreiben vom klargestellt, dass es nur um die Leistungsablehnung für den Zeitraum 1.6. bis gehe. Auch die Beklagte sei offensichtlich von nur einem Widerspruchsverfahren ausgegangen.

9Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 63 Abs 1 S 1 SGB X und sinngemäß des § 328 Abs 1 S 1 Nr 3 SGB III. Ein Widerspruch sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nur dann erfolgreich iS des § 63 Abs 1 S 1 SGB X, wenn zwischen dem Rechtsbehelf und der begünstigenden Entscheidung der Behörde eine ursächliche Verknüpfung im Rechtssinne bestehe. Allein der Umstand der Klaglosstellung führe noch nicht zum Erfolg. Nach diesen Maßstäben sei der Widerspruch des Klägers nicht erfolgreich gewesen, weil der angefochtene Bescheid über die vorläufige Ablehnung rechtmäßig gewesen sei. Der Wortlaut des § 328 SGB III schließe die Möglichkeit einer negativen Entscheidung nicht definitiv aus. Eine negative vorläufige Entscheidung diene dem Interessenausgleich zwischen Bürger und Behörde und zugleich der Minimierung des Verwaltungsaufwands. Da die Abhilfeentscheidung auf die Vorlage des arbeitsgerichtlichen Vergleichs zurückgehe, sei die vorliegende Sachverhaltsgestaltung mit den Fällen der nachträglichen Erfüllung von Mitwirkungspflichten vergleichbar, in denen das BSG eine Kausalität zwischen Rechtsbehelf und dessen Erfolg verneint habe.

10Die Beklagte beantragt,das aufzuheben, das zu ändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

11Der Kläger beantragt,die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

12Er hält das angefochtene Urteil des LSG für zutreffend und tritt dem Revisionsvorbringen entgegen.

Gründe

13Die Revision der Beklagten ist unbegründet (§ 170 Abs 1 S 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG>).

141. Von Amts wegen zu beachtende Verfahrensfehler liegen nicht vor. Die Revision und die Berufung sind jeweils zugelassen und damit statthaft. Sie sind auch nicht nach § 144 Abs 4 iVm § 165 S 1 SGG ausgeschlossen, weil in der Hauptsache über die Kosten eines isolierten Vorverfahrens gestritten wird (vgl BSGE 106, 21 = SozR 4-1300 § 63 Nr 12, RdNr 11 mwN).

152. Das LSG hat zu Recht entschieden, dass die Beklagte dem Kläger die für den Widerspruch vom entstandenen notwendigen Aufwendungen zu erstatten hat.

16Anspruchsgrundlage für die begehrte Erstattung ist § 63 Abs 1 S 1 SGB X. Nach dieser Vorschrift hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, soweit der Widerspruch erfolgreich ist. Dies war bei dem Widerspruch des Klägers vom der Fall.

17a) Der Senat geht mit dem LSG davon aus, dass der Widerspruch vom nur gegen die im Bescheid vom zum Ausdruck kommende Leistungsablehnung gerichtet war und dass deshalb entgegen der Auffassung des SG nicht angenommen werden kann, es lägen auch "Widersprüche" gegen die weiteren Bescheide vom vor und diese seien nicht erfolgreich gewesen. Das LSG hat insoweit das Widerspruchsschreiben vom zutreffend ausgelegt.

18b) Ein Erfolg des Widerspruchs iS des § 63 Abs 1 S 1 SGB X liegt bereits deshalb vor, weil die Beklagte die im Bescheid vom getroffene Entscheidung, dem Kläger für die Zeit vom 1.6. bis vorläufig Alg "in Höhe von 0 Euro" zu gewähren, durch den späteren, die Leistung bewilligenden Bescheid vom ersetzt und damit dem Widerspruch abgeholfen hat. Ein Widerspruch hat im Regelfall immer dann Erfolg im Sinne des Gesetzes, wenn ihm die Behörde stattgibt (vgl BSG SozR 3-1300 § 63 Nr 3 S 13, ua mit Hinweis auf BVerwG Buchholz 316 § 18 VwVfG Nr 12).

19Gegen einen Erfolg in dem vorbezeichneten Sinn spricht entgegen der Auffassung der Beklagten nicht der Umstand, dass die Beklagte im Ausgangsbescheid vom nur eine vorläufige Entscheidung getroffen hat. Denn es ist dem Adressaten eines Verwaltungsakts nicht verwehrt, auch gegen eine vorläufige Regelung Widerspruch einzulegen (vgl , zur Veröffentlichung in SozR 4-1300 § 63 Nr 16 vorgesehen). Der Kläger war nach den getroffenen Feststellungen durch den vorläufigen Bescheid der Beklagten, mit dem ihm Entgeltersatzleistungen verweigert worden sind, beschwert und er war deshalb nicht gehindert, auf eine Änderung dieser Entscheidung mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln hinzuwirken (vgl aaO RdNr 18).

20Dahinstehen kann deshalb, ob § 328 Abs 1 S 1 SGB III überhaupt Rechtsgrundlage für eine vorläufige Leistungsablehnung sein kann. Dies dürfte allerdings nach dem Gesetzeswortlaut ("Erbringung von Geldleistungen") und nach dem Zweck der Vorschrift, existenznotwendige Leistungen möglichst schnell zur Verfügung zu stellen, zu verneinen sein (in diesem Sinne Eicher in Eicher/Schlegel, SGB III, § 328 RdNr 1, 41, Stand 2011; Schmidt-De Caluwe, NZS 2001, 240, 243). Etwas anderes folgt nicht aus der von der Revision zitierten Rechtsprechung des BSG (ua BSGE 82, 198 = SozR 3-4100 § 242v Nr 1), die nicht § 328 Abs 1 S 1 SGB III betrifft.

21c) Die in der Rechtsprechung zu § 63 Abs 1 S 1 SGB X geforderte ursächliche Verknüpfung zwischen Rechtsbehelf und begünstigender Entscheidung (BSG SozR 3-1300 § 63 Nr 3 S 13 f; SozR 4-1300 § 63 Nr 1 RdNr 9; SozR 4-1300 § 63 Nr 13 RdNr 13 mwN) ist unter den Umständen des vorliegenden Falls ebenfalls zu bejahen. Es genügt insoweit, dass der Abhilfe eine vom Ausgangsbescheid abweichende Beurteilung der Sach- und Rechtslage (hier hinsichtlich Eintritt einer Sperrzeit) zugrunde liegt; einer Kausalität zwischen Widerspruchsbegründung und Aufhebung des angefochtenen Bescheids bedarf es nicht (vgl - RdNr 20).

22Soweit die Revision geltend macht, die Abhilfeentscheidung beruhe auf der Vorlage des arbeitsgerichtlichen Vergleichs und insofern sei die vorliegende Fallgestaltung mit Fällen der nachträglichen Erfüllung von Mitwirkungspflichten vergleichbar, in denen das BSG eine ursächliche Verknüpfung zwischen Rechtsbehelf und begünstigender Entscheidung verneint habe, folgt ihr der Senat nicht. Denn die von der Revision angeführte Rechtsprechung beruht auf der Erwägung, dass ein ursächlicher Zusammenhang dann nicht besteht, wenn dem Widerspruch deswegen stattgegeben wird, weil der Widerspruchsführer während des Widerspruchsverfahrens eine Handlung nachholt, die er bis zur Erteilung des angefochtenen Bescheids pflichtwidrig unterlassen hat (vgl BSG SozR 3-1300 § 63 Nr 3 S 14; BSG USK 2001-61; BSG SozR 4-1300 § 63 Nr 1 RdNr 10). Im vorliegenden Fall, in dem der arbeitsgerichtliche Vergleich erst am zustande gekommen ist, kann keine Rede davon sein, der Kläger habe in der Zeit bis zum Erlass des Bescheids vom eine ihm obliegende Mitwirkungshandlung unterlassen. Dies steht auch nicht im Widerspruch zu der Tatsache, dass die Beklagte ausweislich der vom LSG in Bezug genommenen Verwaltungsakten mit Schreiben vom den Kläger unter Hinweis auf dessen Mitwirkungspflicht um Vorlage des arbeitsgerichtlichen Vergleichs gebeten hatte.

23d) Gegen die Annahme eines Erfolgs iS des § 63 Abs 1 S 1 SGB X spricht auch nicht die von der Revision weiter angeführte Entscheidung des = SozR 4-1300 § 63 Nr 15), in der ein Erfolg des Widerspruchs deshalb verneint worden ist, weil überhaupt kein Verwaltungsakt vorlag und der Widerspruch damit ins Leere ging (zu einer solchen Fallgestaltung vgl bereits BSG SozR 4-1300 § 63 Nr 2). Im vorliegenden Fall wird auch von der Beklagten nicht bezweifelt, dass sie mit dem Bescheid vom einen Verwaltungsakt erlassen hat.

24e) Nach den vom LSG getroffenen Feststellungen war die Zuziehung eines Rechtsanwalts notwendig (vgl § 63 Abs 3 S 2 SGB X). Hiervon ist auch die Beklagte von Anfang an ausgegangen.

253. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2012:020512UB11AL2310R0

Fundstelle(n):
DB 2013 S. 7 Nr. 4
HAAAE-17231