Strafverfahren: Zuständigkeit für eine Verfahrenseinstellung wegen des Todes des Angeklagten zwischen den Instanzen
Gesetze: § 206a StPO, § 344 Abs 1 StPO, § 347 Abs 2 StPO
Instanzenzug: LG München II Az: 115 Js 12496/08 - 1 Ks
Gründe
1I. Das Landgericht München II hat den Angeklagten am wegen 16 Fällen der Beihilfe zum Mord zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Nach den Feststellungen hatte er sich an der Ermordung von über 28.000 Opfern beteiligt, die 1943 in 16 Transporten in das Vernichtungslager Sobibór gebracht worden waren.
2Gegen dieses Urteil hatte der Verteidiger Revision eingelegt. Am ist der Angeklagte verstorben. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Verteidiger bereits die Revisionsanträge angebracht und begründet (§ 344 Abs. 1 StPO), die Sache war dem Senat aber noch nicht vorgelegt worden. Das Landgericht hat das Verfahren durch Beschluss vom gemäß § 206a StPO eingestellt und davon abgesehen, die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse aufzuerlegen; eine Entscheidung nach dem StrEG unterblieb. Gegen diesen Beschluss hat der Verteidiger des verstorbenen Angeklagten am sofortige Beschwerde eingelegt und näher begründet beantragt, diesen Beschluss aufzuheben und die Sache dem Bundesgerichtshof vorzulegen. Mit Schriftsatz vom legte der Verteidiger dem Senat ihm von der Generalstaatsanwaltschaft München überlassene Teilakten des Verfahrens vor. Zur Verhinderung von Straftaten wie Strafvereitelung oder Verfolgung Unschuldiger solle vorliegend der Senat nach Beiziehung weiterer Akten über die Erledigung des Verfahrens, dessen Kosten, die notwendigen Auslagen des Angeklagten sowie über Entschädigung nach Maßgabe des StrEG entscheiden.
3Der Generalbundesanwalt sieht für solche Entscheidungen des Senats in der StPO keine Stütze.
4II. Der Senat teilt die Auffassung des Generalbundesanwalts.
51. Stirbt der Angeklagte vor dem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens, so gilt ein Beschluss gemäß § 206a StPO zum ordnungsgemäßen Abschluss des Verfahrens als geboten (st. Rspr. seit , BGHSt 45, 108 ff. mwN, auch zur gegenteiligen Auffassung, die im Tod des Angeklagten eine genügende "Selbstbeendigung" des Verfahrens sieht; vgl. zusammenfassend Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 206a Rn. 8 mwN).
62. Zuständig hierfür ist das Gericht, bei dem die Sache anhängig ist. Das ist das Tatgericht auch dann, wenn zum Zeitpunkt des Todes des Angeklagten zwar das Urteil schon ergangen, die Sache aber noch nicht beim Revisionsgericht anhängig geworden ist (vgl. , BGHSt 22, 213, 217 f.; Seidl in KMR, § 206a Rn. 9, 11, 12; Stuckenberg in LR, 26. Aufl., § 206a Rn. 12). Dies ist erst dann der Fall, wenn sie ihm gemäß § 347 Abs. 2 StPO zur Entscheidung über eine Revision vorgelegt worden ist (, BGHSt 38, 307, 308; Kuckein in KK, 6. Aufl., § 347 Rn. 10 mwN). Erst ab diesem Zeitpunkt ist das Revisionsgericht zu der hier in Rede stehenden Entscheidung berufen (BGHSt 22, 213, 218; Momsen in KMR, § 347 Rn. 10; Kuckein aaO Rn. 11 mwN). Es kommt dabei nicht darauf an, ob die Revision bereits begründet worden ist; auch sind hypothetische Überlegungen darüber bedeutungslos, ob die Sache zum Todeszeitpunkt schon beim Revisionsgericht hätte anhängig sein können.
73. Die Auffassung, Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ergebe, dass - dennoch - hier anstelle des Landgerichts der Senat zu entscheiden hätte, trifft nicht zu:
8Die genannte Entscheidung des , BGHSt 48, 108) betrifft ein in der Revisions- bzw. Rechtsbeschwerdeinstanz anhängiges Verfahren (aaO 108, 109, 111), in den nachfolgend ergangenen Entscheidungen verhielt es sich ebenso. Dies ergibt sich wiederholt aus den Ausführungen zum Stand des Revisionsverfahrens (vgl. z.B. Beschlüsse vom - 4 StR 640/98, vom - 5 StR 659/99, vom - 1 StR 553/01, vom - 4 StR 198/05), im Übrigen in der Regel aus der Bezugnahme auf die Entscheidung BGHSt 45, 108. Demgegenüber ist nicht ersichtlich, dass der Bundesgerichtshof je ausdrücklich oder ausweislich des Verfahrensstandes seine Zuständigkeit deshalb bejaht hätte, weil eine Revision bei ihm anhängig zu machen gewesen wäre, wäre der Angeklagte nicht verstorben.
94. Hat, wie hier, das Landgericht in einer bei ihm anhängigen Sache entschieden, hat über eine hiergegen gerichtete (sofortige) Beschwerde mangels abweichender gesetzlicher Regelung gemäß § 121 Abs. 1 Nr. 2 GVG allein das Oberlandesgericht zu entscheiden.
Nack Wahl Hebenstreit
Jäger Cirener
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
NJW 2012 S. 2822 Nr. 38
NJW 2012 S. 8 Nr. 36
GAAAE-15646