BGH Urteil v. - X ZR 161/11

Zivilrechtlicher Anspruch eines potenziellen Bieters in einem künftigen Vergabeverfahren auf Unterlassung vergaberechtswidriger Vergabebedingungen

Leitsatz

Einem (potenziellen) Bieter steht gegen den öffentlichen Auftraggeber kein aus bürgerlich-rechtlichen Vorschriften herzuleitender Anspruch darauf zu, die Verwendung bestimmter als vergaberechtswidrig erachteter Vergabebedingungen in etwaigen zukünftigen Vergabeverfahren zu unterlassen (Fortführung von , BGHZ 178, 63 - bundesligakarten.de).

Gesetze: § 241 Abs 2 BGB, § 280 Abs 1 BGB, § 311 Abs 2 BGB

Instanzenzug: Az: U (K) 2872/10vorgehend LG München I Az: 37 O 17734/09

Tatbestand

1Die Klägerin verlangt Schadensersatz und Unterlassung im Zusammenhang mit der Nichtberücksichtigung ihres Angebots in einer Jahresausschreibung der Beklagten zur Lieferung von StVO-Hinweisschildern und Zubehörteilen sowie Demontage, Montage und Änderung von Transparenten, Großschildern und Aufstellvorrichtungen zur Unterhaltung und Erneuerung auf den Betriebsstrecken einer Dienststelle der Autobahndirektion Südbayern. Zu den Vergabeunterlagen gehörte die Klausel 32 "Fachpersonal", die, soweit hier von Interesse, lautet:

"Die Bieter müssen als Herstellerfirma gelten und der Güteschutz-gemeinschaft Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen e.V. angehören …"

2Das Angebot der Klägerin war zwar das wirtschaftlich günstigste, wurde von der Beklagten aber von der Wertung ausgeschlossen, weil die Klägerin die Fachpersonalklausel nicht erfüllt. Diese hat daraufhin begehrt festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr den aus der Nichtberücksichtigung ihres Angebots entstandenen Schaden, die im Falle der Auftragsdurchführung erzielten Deckungsbeiträge für allgemeine Geschäftskosten und den erzielten Gewinn, zu erstatten. Des Weiteren hat sie beantragt, die Beklagte zu verurteilen, es zukünftig zu unterlassen, bei öffentlichen Ausschreibungen von Beschilderungsarbeiten nach der VOB/A als zwingende Bieterqualifikation vorzugeben, dass die Bieter Herstellerunternehmen sein und der Güteschutzgemeinschaft Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtung e.V. angehören müssten. Dazu hat sie vorgetragen, die Ausschreibung habe sich in ihrem Schwerpunkt an Bauunternehmen gerichtet, die Beschilderungsarbeiten durchführten und typischerweise nicht zugleich Hersteller von Verkehrsschildern und dementsprechend auch nicht Mitglieder der Gütegemeinschaft Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtung seien. Hersteller und Lieferanten von Verkehrsschildern seien - da keine Bauunternehmen im Sinne der VOB/A - gar nicht in der Lage, die ausgeschriebenen Bauleistungen auszuführen. Die Klausel 32 der Baubeschreibung verstoße insoweit gegen das aus § 8 Nr. 2 Satz 1 VOB/A 2006 herzuleitende Selbstausführungsgebot. Demgemäß erweise sich die Forderung, dass die Bieter jener Gütergemeinschaft angehören müssten, als ein nicht sachgerechtes Ausschreibungskriterium, das die Bauunternehmen, die für die Erbringung der den Kernbereich der Ausschreibung bildenden Bauarbeiten qualifiziert seien, auf unbillige Weise von der Auftragsvergabe ausschließe. Den Belangen der Beklagten hätte angemessen durch Einbeziehung von qualifizierten Herstellerunternehmen als Subunternehmen für die Lieferung der Schilder und Erbringung bestimmter Leistungen (Verarbeitung von Reflexfolien) entsprochen werden können.

3Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Das Landgericht hat ihr stattgegeben, das Oberlandesgericht hat sie abgewiesen und die Revision zugelassen.

Gründe

4Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

5I. Das Berufungsgericht hat kartellrechtliche Ansprüche der Klägerin mit der Begründung verneint, die Beklagte sei auf der Grundlage der Rechtsprechung des Gerichts und des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht als Normadressat von § 20 Abs. 1 GWB anzusehen. Wie Art. 102 AEUV (vormals Art. 82 EG) sei die Vorschrift im Interesse eines einheitlichen kartellrechtlichen Unternehmensbegriffs auf die Beschaffungstätigkeit der öffentlichen Hand nicht anzuwenden, wenn die erworbenen Güter - wie hier - im Rahmen der Erledigung des öffentlichen Auftrags Verwendung fänden.

6Einen Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1, § 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2 BGB wegen Verletzung eines vorvertraglichen Vertrauensverhältnisses hat das Berufungsgericht mit der Begründung verneint, die Klägerin habe nicht in schutzwürdiger Weise auf die Vergaberechtskonformität des Vorgehens der Beklagten vertraut. Die Klägerin müsse sich der im Rechtsstreit geltend gemachten Vergaberechtswidrigkeit der Verwendung von Klausel 32 bereits im Vergabeverfahren bewusst gewesen sein. Da sie es gleichwohl unterlassen habe, die Vergabestelle hierauf hinzuweisen, fehle es im Streitfall an einem die Haftung der Beklagten begründenden Vertrauenstatbestand. Erkenne der Bieter oder habe er - wovon im Streitfall jedenfalls auszugehen sei - erkennen müssen, dass die Leistung nicht ordnungsgemäß ausgeschrieben worden sei, handele er bei der Abgabe seines Angebots nicht im Vertrauen darauf, dass das Vergabeverfahren insoweit nach den einschlägigen Vorschriften des Vergaberechts abgewickelt wird, und sei deshalb nicht schutzwürdig.

7II. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben Erfolg. Die vom Berufungsgericht gegebene Begründung trägt die ausgesprochene Abweisung der Klage nicht.

8Die Verneinung eines durch einen Vergaberechtsverstoß der Beklagten ausgelösten Schadensersatzanspruchs der Klägerin wegen fehlenden Vertrauens in die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens ist mit der neueren, allerdings erst nach Verkündung des Berufungsurteils ergangenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht vereinbar. Danach ist der auf Verstöße des öffentlichen Auftraggebers gegen Vergabevorschriften gestützte Schadensersatzanspruch des Bieters nicht daran geknüpft, dass der klagende Bieter auf die Einhaltung dieser Regelungen durch den Auftraggeber vertraut hat. Maßgeblich ist vielmehr, ob der Auftraggeber durch Missachtung von Vergabevorschriften seine Verpflichtung zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen der Bieter und potenziellen Bieter verletzt und einem durch diese Vorschriften geschützten Unternehmen hierdurch Schaden zugefügt hat (, BGHZ 190, 89 - Rettungsdienstleistungen II). Dies hat das Berufungsgericht - nach seinem Ausgangspunkt folgerichtig - nicht geprüft.

9III. Eine abschließende Entscheidung in der Sache ist dem Senat mangels tatsächlicher Feststellungen des Berufungsgerichts, die eine Beurteilung der Zulässigkeit der Fachpersonalklausel erlaubten, verwehrt. Der Rechtsstreit ist vielmehr unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

101. Das Berufungsgericht wird im wiedereröffneten Berufungsrechtszug zu prüfen haben, ob es als eine Verletzung ihrer Rücksichtnahmepflichten aus § 241 Abs. 2 BGB anzusehen ist, wenn die Beklagte die Angebote von Bietern, die nach allgemeinen Grundsätzen (vgl. dazu , VergabeR 2008, 641 Rn. 11 - Sporthallenbau) für die Ausführung des als Bauleistung ausgeschriebenen Auftrags geeignet wären und nur die Voraussetzungen der Fachpersonalklausel nicht erfüllen, unter Berufung auf diese Bedingung aus der Wertung nimmt.

11Dabei wird das Berufungsgericht zu bedenken haben, dass der sparsame Einsatz der Haushaltsmittel, dessen Verwirklichung das Vergaberecht infolge seiner herkömmlich haushaltsrechtlichen Prägung verpflichtet ist, durch eine wettbewerbsbetonte Gestaltung der Vergabeverfahren gefördert werden soll. Für den Bereich der Vergabe öffentlicher Aufträge oberhalb der vom Sekundärrecht der Europäischen Union vorgegebenen Schwellenwerte ergibt sich die Verpflichtung zur Beschaffung von Waren sowie Bau- und Dienstleistungen im Wettbewerb aus § 97 Abs. 1 GWB. Aber auch außerhalb des Geltungsbereichs dieser Norm sind öffentliche Auftraggeber bei der Auftragsvergabe dem Wettbewerbsprinzip verpflichtet (vgl. , VergabeR 2011, 709 - Ortbetonschacht). In § 2 Nr. 1 Satz 2 der im Streitfall anzuwendenden Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Ausgabe 2006 (VOB/A 2006) ist für die Vergabe öffentlicher Aufträge bestimmt, dass der Wettbewerb die Regel sein soll. Das erlegt den Vergabestellen die Verpflichtung auf, die Auftragsvergabe nach Möglichkeit wettbewerbsintensiv auszugestalten. Außerdem hat die Beklagte ihren Bedarf als Bauauftrag ausgeschrieben, womit bei öffentlicher Ausschreibung grundsätzlich einhergeht, dass sich alle Unternehmen bewerben können, die sich gewerbsmäßig mit der Ausführung von Leistungen der ausgeschriebenen Art befassen und die erforderliche Eignung aufweisen (§ 8 Nr. 1 Abs. 1, Nr. 3 VOB/A 2006).

12Das Vergabeverfahren ist zwar im Streitfall in der an sich wettbewerbsfreundlichen Vergabeart der öffentlichen Ausschreibung (§ Nr. 1 Abs. 1 VOB/A 2006) durchgeführt worden, die Beklagte hat den Wettbewerb jedoch durch die eine zusätzliche Anforderung an die Eignung der Bewerber beinhaltende Fachpersonalklausel von vornherein in einer Weise beschränkt, die auf die Durchführung einer beschränkten Ausschreibung (§ 3 Nr. 1 Abs. 2 VOB/A 2006) hinausläuft. Insoweit wird das Berufungsgericht zu erwägen haben, ob eine den Belangen der Vergabestelle genügende Ausführung auch zu gewährleisten war, indem Bauunternehmen sich als Bieter beteiligen, welche die Schilder und gegebenenfalls bestimmte Spezialarbeiten über qualifizierte Herstellerunternehmen als Nachunternehmer beschaffen. Ob in der Beschränkung des Wettbewerbs auf Unternehmen im Sinne der Fachpersonalklausel eine Verletzung von Rücksichtnahmepflichten gegenüber Unternehmen liegt, die nicht in dieser Weise qualifiziert sind, hängt danach maßgeblich davon ab, ob für die Beschränkung auf qualifizierte Herstellerunternehmen Gründe vorlagen, die denen vergleichbar sind, unter denen eine beschränkte Ausschreibung zulässig ist (vgl. § 3 Nr. 3 VOB/A 2006) oder die die Verengung des Wettbewerbs sonst als rechtmäßig erscheinen lassen. Diese Abwägung vorzunehmen obliegt grundsätzlich dem Tatrichter.

132. Sollte das Berufungsgericht infolge der vorgenannten Abwägung eine Verletzung der Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB gegenüber der Klägerin bejahen, so steht nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der auf das positive Interesse gerichtete Schadensersatzanspruch einem bei der Zuschlagserteilung übergangenen Bieter unter Kausalitätsgesichtspunkten zu, wenn ihm bei ordnungsgemäßem Verlauf des Vergabeverfahrens der Auftrag hätte erteilt werden müssen (vgl. , VergabeR 2010, 855 Rn. 16 - Abfallentsorgung). Diese Anforderung ist nicht dahin zu verstehen, dass die Vergabestelle sich in Fällen wie dem vorliegenden gegenüber dem übergangenen Bieter darauf berufen könnte, ihm hätte wegen der vergaberechtswidrigen Ausgestaltung der Vergabeunterlagen der Zuschlag in einem ordnungsgemäßen Vergabeverfahren gar nicht erteilt werden können. Bei dieser Sichtweise wäre der öffentliche Auftraggeber von jeglicher Haftung für die Verwendung vergaberechtswidriger Vergabeunterlagen freigestellt. Mit dem Vorbehalt, dass dem übergangenen Bieter bei ordnungsgemäßem Verlauf des Vergabeverfahrens der Zuschlag zu erteilen gewesen wäre, soll vielmehr in erster Linie verhindert werden, dass ein Bieter, dessen Angebot selbst nicht ausschreibungskonform ist und dem deshalb der Auftrag nicht hätte erteilt werden dürfen, Schadensersatz erhält (vgl. , VergabeR 2007, 73 Rn. 11). Ob ein auf das positive Interesse gerichteter Schadensersatzanspruch trotz Zuschlagserteilung an einen anderen Bieter im Einzelfall deshalb ausscheidet, weil bei Wegfall einer in den Vergabeunterlagen enthaltenen vergaberechtswidrigen Klausel eine vergaberechtskonforme Auftragsvergabe nicht mehr möglich erscheint, bedarf hier nicht der Entscheidung. Denn die Nichtberücksichtigung der Fachpersonalklausel bedeutet lediglich, dass die Eignungsprüfung unter Anwendung der allgemeinen Eignungskriterien (§ 2 Nr. 1 Satz 1, § 8 Nr. 3 Abs. 1 VOB/A 2006) vorzunehmen ist.

143. Hingegen kann, wie das Berufungsgericht zu Recht angenommen hat, der geltend gemachte vorbeugende Unterlassungsanspruch nicht aus § 280 Abs. 1 in Verbindung mit § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 BGB hergeleitet werden.

15Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann aus § 280 Abs. 1 BGB aus einem durch Vertrag begründeten Schuldverhältnis zwar neben dem Schadensersatzanspruch grundsätzlich auch ein Unterlassungsanspruch abgeleitet werden. Das gilt aber nur, solange eine Verletzungshandlung im konkreten Vertragsverhältnis noch andauert. Hingegen begründet eine solche Pflichtverletzung keinen Unterlassungsanspruch im Hinblick auf die Verletzung künftiger, noch nicht geschlossener Verträge (, BGHZ 178, 63 Rn. 17 - bundesligakarten.de), wie ihn die Klägerin hier geltend macht.

16Diese Grundsätze gelten gleichermaßen, wenn nicht Ansprüche aus einem vertraglichen Schuldverhältnis in Rede stehen, sondern es sich, wie hier, um ein durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen - als die eine vergaberechtliche Ausschreibung einzuordnen ist (BGHZ 190, 89 Rn. 11 - Rettungsdienstleistungen II) - begründetes Schuldverhältnis handelt. Ein Bieter kann - worum es hier nicht geht - zur Vermeidung einer Verletzung von Rücksichtnahmepflichten im Sinne von § 241 Abs. 2 BGB innerhalb des konkreten Vergabeverfahrens Unterlassung vergaberechtswidriger Ausschreibungsbedingungen verlangen. Wenn aber schon beim geschlossenen Vertrag ein entsprechender Anspruch nicht über die noch andauernde Verletzung hinaus besteht, kann aus § 280 in Verbindung mit § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 BGB erst recht kein Anspruch darauf hergeleitet werden, bestimmte Handlungen in etwaigen künftigen Vertragsverhandlungen (Ausschreibungen) zu unterlassen.

174. Eine - dem Kartellsenat des Bundesgerichtshofs vorbehaltene - Stellungnahme zu der Frage, ob der geltend gemachte Unterlassungsanspruch auf § 33 Abs. 1 GWB gestützt werden kann oder ob dem entgegensteht, dass die Beklagte, auch wenn ihr auf dem relevanten sachlichen und räumlichen Markt eine marktbeherrschende Stellung zukommen sollte, gleichwohl nicht Normadressatin des kartellrechtlichen Diskriminierungsverbots ist, ist beim gegenwärtigen Stand des Verfahrens nicht veranlasst. Unabhängig hiervon dürfte, sollte sich die Verwendung der Fachpersonalklausel als vergaberechtskonform erweisen (oben III 1), für einen kartellrechtlichen Unterlassungsanspruch von vornherein nur Raum sein, wenn die Benutzung der Klausel allein durch den Umstand, dass sich ein Normadressat des Diskriminierungsverbots (§ 20 Abs. 1 und 2 GWB) ihrer bedient, in einem anderen Licht erschiene als bei einem nicht marktbeherrschenden oder marktstarken öffentlichen Auftraggeber. Stellt sich die Anwendung der Fachpersonalklausel umgekehrt als vergaberechtswidrig dar, dürfte darin zugleich eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung im Sinne von § 20 Abs. 1 und 2 GWB zu sehen sein.

Fundstelle(n):
NJW 2012 S. 6 Nr. 35
WM 2013 S. 1140 Nr. 24
TAAAE-15257