Bei Zahlung von Sozialleistungen für ein behindertes, volljähriges, in den Haushalt der Eltern eingegliedertes sowie in einer
Behindertenwerkstatt arbeitendes Kind grundsätzlich keine Abzweigung des Kindergelds aufgrund einer typisierenden Vermutung
von finanziellen Unterhaltsleistungen der Eltern mindestens in Höhe des Kindergelds
Leitsatz
1. Eine Abzweigung des Kindergelds an den Sozialleistungsträger, der für ein behindertes Kind Sozialleistungen erbringt, setzt
voraus, dass der Kindergeldberechtigte zivilrechtlich zum Unterhalt verpflichtet ist, aber keinen Unterhalt leisten will,
keinen Unterhalt leisten kann oder als Unterhalt nur einen geringeren Betrag als das Kindergeld zu leisten braucht.
2. Entstehen dem Kindergeldberechtigten Aufwendungen für das volljährige behinderte Kind mindestens in Höhe des Kindergeldes,
kommt eine Abzweigung an den Sozialleistungsträger nicht in Betracht. Bei der im Rahmen des Abzweigungsverfahrens zu treffenden
Ermessensentscheidung der Familienkasse sind grundsätzlich sämtliche Unterhaltsaufwendungen der Eltern zur Deckung des Lebensbedarfes
des Kindes i. S. d. § 1610 Abs. 2 BGB zu berücksichtigen. Als Grenze für eine Berücksichtigung von Aufwendungen des Kindergeldberechtigten
im Rahmen der Abzweigungsentscheidung kann daher nicht auf das sozialhilferechtliche Existenzminimum abgestellt werden, sondern
auf den an den Lebensverhältnissen der Eltern orientierten unterhaltsrechtlichen Lebensbedarf des Kindes i. S. d. § 1610 Abs.
2 BGB (Anschluss an ).
3. Leben volljährige behinderte Kinder mit den Eltern in einem gemeinsamen Haushalt, sind die kindergeldanspruchsberechtigten
Eltern nicht verpflichtet, zur Vermeidung einer Abzweigung ihre Unterhaltsaufwendungen nachzuweisen, etwa indem sie akribisch
eine Art „Haushaltsbuch” führen oder in ähnlicher Weise nachvollziehbar glaubhaft machen, ob und ggf. in welcher Höhe sie
aus welchen Einkünften Aufwendungen für den Unterhalt der Kinder tätigen. Auch eine unter Umständen rechtlich nicht leicht
zutreffende Zuordnung der Aufwendungen nach den einzelnen sozialhilferechtlichen Rubriken ist nicht erforderlich (Anschluss
an FG Sachsen-Anhaltl v. , 5 K 454/11; gegen ).
4. Sind volljährige behinderte Kinder in den Haushalt ihrer Eltern aufgenommen und sind sie außerstande, sich selbst zu unterhalten,
so ist bei nur teilstationärer Unterbringung in einer Werkstatt für behinderte Menschen grundsätzlich ohne Einzelnachweis
typisierend davon auszugehen, dass die Eltern finanziell mindestens in Höhe des Kindergeldes mit Unterhaltsleistungen belastet
sind. Auch das FG ist nicht gehalten, im Rahmen seiner Verpflichtung zur Aufklärung des Sachverhaltes von Amts wegen zur Beurteilung
eines Abzweigungsantrags eine umfassende, aufwändige und tief in die Privatsphäre der Kindergeldberechtigten reichende Ausforschung
der im Einzelfall tatsächlich erbrachten finanziellen Unterhaltsleistungen für das volljährige Kind vorzunehmen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
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