BFH Beschluss v. - VIII B 66/11

Anscheinsbeweis spricht für die private Nutzung eines dienstlichen Fahrzeugs; Erschütterung des Anscheinsbeweises

Gesetze: FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1EStG § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2

Instanzenzug:

Gründe

1 Die Beschwerde ist unbegründet; Revisionszulassungsgründe i.S. des § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) sind nicht gegeben. Weder handelt es sich um eine Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung, noch ist eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung erforderlich; ebenso wenig ist der vom Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) geltend gemachte Verfahrensmangel gegeben.

2 1. Zum einen ist höchstrichterlich geklärt, dass —wie sich aus dem Beweis des ersten Anscheins ergibt— dienstliche Fahrzeuge, die zu privaten Zwecken zur Verfügung stehen, auch tatsächlich privat genutzt werden (vgl. , BFH/NV 1999, 1330). Etwas anderes gilt, wenn es sich um ein Fahrzeug handelt, das typischerweise zum privaten Gebrauch nicht geeignet ist (vgl. , BFHE 224, 108, BStBl II 2009, 381). Soweit keine besonderen Umstände hinzutreten, kann das Finanzgericht (FG) aufgrund des Anscheinsbeweises regelmäßig davon ausgehen, dass eine private Nutzung stattgefunden hat (Senatsurteil vom VIII R 60/06, BFH/NV 2009, 1974).

3 Der Beweis des ersten Anscheins kann durch den sog. Gegenbeweis entkräftet oder erschüttert werden. Hierzu ist der Vollbeweis des Gegenteils nicht erforderlich. Der Kläger muss also nicht beweisen, dass eine private Nutzung nicht stattgefunden hat. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass vom Kläger ein Sachverhalt dargelegt (und im Zweifelsfall nachgewiesen) wird, der die ernsthafte Möglichkeit eines anderen als des der allgemeinen Erfahrung entsprechenden Geschehens ergibt (vgl. , BStBl II 2007, 116, m.w.N.). Es ist ferner geklärt, dass der Anscheinsbeweis im Regelfall noch nicht erschüttert wird, wenn der Kläger lediglich behauptet, für privat veranlasste Fahrten hätten private Fahrzeuge zur Verfügung gestanden (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 1999, 1330).

4 Über die Frage, ob der Kläger den für eine Privatnutzung sprechenden Beweis des ersten Anscheins erschüttert hat, entscheidet das FG unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Dabei hat es nicht nur den vom Kläger vorgetragenen Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären, sondern es muss auch zusätzliche, für die Privatnutzung sprechende Umstände aufklären und berücksichtigen. An die Würdigung des FG ist der BFH revisionsrechtlich gebunden (§ 118 Abs. 2 FGO), soweit sie verfahrensrechtlich einwandfrei zustande gekommen und nicht durch Denkfehler oder die Verletzung von Erfahrungsgrundsätzen beeinflusst ist (vgl. Senatsbeschluss vom VIII B 212/06, BFH/NV 2008, 210); d.h. die Schlussfolgerungen des FG müssen nur möglich, d.h. vertretbar sein, nicht aber zwingend (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. , BFHE 177, 95, BStBl II 1995, 462; , BFHE 209, 211, BStBl II 2005, 488).

5 Die Grundsätze der BFH-Rechtsprechung hat das FG der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegt und nach gründlicher Abwägung der Umstände des Streitfalls den Schluss gezogen, der Anscheinsbeweis für eine Privatnutzung des PKW Audi sei nicht erschüttert. Dabei hat es nicht nur die Unterschiedlichkeit der beiden vom Kläger genutzten Fahrzeuge gewichtet, sondern auch den Umstand, dass der rechtskundige Kläger kein Fahrtenbuch geführt hat. An diese Würdigung ist der Senat —wie vorstehend ausgeführt— gebunden.

6 Die Beschwerdeschrift lässt nicht erkennen, welche über den Einzelfall des Klägers hinausgehenden Fragen Anlass geben könnten, sich mit dieser Thematik nochmals grundlegend auseinanderzusetzen, sondern erschöpft sich im Ergebnis in Einwendungen gegen die materielle Richtigkeit des finanzgerichtlichen Urteils. Die Zulassung der Revision kann darauf nicht gestützt werden (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Senatsbeschluss vom VIII B 260/02, BFH/NV 2003, 1336; , BFH/NV 2003, 1289).

7 Sofern der Kläger eine fehlerhafte Anwendung der Rechtsprechungsgrundsätze auf die Besonderheiten des Streitfalls rügt, lässt er außer Acht, dass das für eine Gefährdung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung nicht ausreicht, denn Anhaltspunkte dafür, dass das FG willkürlich oder grob gesetzeswidrig entschieden hat, sind nicht gegeben.

8 2. Unbegründet ist auch die Rüge eines Verfahrensfehlers i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO. Zwar kann eine Überraschungsentscheidung des FG einen Verfahrensmangel aufgrund einer Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO) darstellen. Eine solche ist anzunehmen, wenn das Gericht seine Entscheidung auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt gestützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben hat, mit der auch ein kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht rechnen musste (, BVerfGE 84, 188; , BFHE 186, 29, BStBl II 1998, 505; vom VIII R 80/98, BFH/NV 2000, 978; BFH-Beschlüsse vom IV B 152/97, BFH/NV 1998, 1511; vom I B 127/98, BFH/NV 1999, 1609). Im Streitfall ist eine Überraschungsentscheidung bereits deshalb zu verneinen, weil das FG ausweislich der Sitzungsniederschrift vom die Streitsache mit den Beteiligten tatsächlich und rechtlich erörtert hat und gerade dieser Problemkreis einschließlich der vom Kläger erhobenen Einwendungen sowohl im Vorverfahren als auch im finanzgerichtlichen Verfahren zwischen den Beteiligten zur Sprache gekommen ist. Das FG ist nach ständiger BFH-Rechtsprechung nicht verpflichtet, die für seine Entscheidung erheblichen Gesichtspunkte im Voraus anzudeuten, vielmehr müssen die Beteiligten alle vertretbaren Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 119 Rz 10a, m.w.N.). Das gilt umso mehr, wenn diese durch einen Angehörigen der steuerberatenden Berufe vertreten sind oder —wie hier der Kläger— selbst rechtskundig ist.

9 Die weiteren in diesem Zusammenhang vorgebrachten Einwendungen des Klägers richten sich wiederum gegen die materielle Richtigkeit des finanzgerichtlichen Urteils. Die Zulassung der Revision kann darauf nicht gestützt werden.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
BFH/NV 2012 S. 988 Nr. 6
VAAAE-07593