Vergütungsanspruch bei Saisonkurzarbeit
Gesetze: § 615 BGB, § 4 Nr 6.1 BauRTV, § 11 Nr 1 BauRTV
Instanzenzug: Az: 13 Ca 9943/09 Urteilvorgehend LArbG Berlin-Brandenburg Az: 20 Sa 2565/09 Urteilnachgehend LArbG Berlin-Brandenburg Az: 20 Sa 703/12 20 Sa 2565/09 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten über die Vergütung von Ausfallzeiten wegen Saisonkurzarbeit.
2Der Kläger war bei der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin als Werkpolier/Baumaschinen-Fachmeister zu einem Bruttostundenlohn von 17,58 Euro beschäftigt.
Der allgemeinverbindliche Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe (BRTV-Bau) vom in der Fassung vom lautet auszugsweise:
Eine am für den Beschäftigungsbetrieb des Klägers abgeschlossene Betriebsvereinbarung regelt ua.:
5Die Beklagte zeigte der Agentur für Arbeit den Arbeitsausfall für die Monate Januar bis März 2009 an und zahlte dem Kläger für mehrere Ausfalltage das Saison-Kurzarbeitergeld iHv. 1.517,58 Euro netto.
6Der Kläger hat die Auffassung vertreten, ihm stehe nach § 11 Nr. 1 BRTV-Bau auch während der Saisonkurzarbeit der tarifliche Bruttolohn zu, auf den er sich das empfangene Nettokurzarbeitergeld anrechnen lasse.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
8Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. § 11 BRTV-Bau erfasse nur den Arbeitsausfall aus witterungsbedingten, nicht aber aus wirtschaftlichen Gründen. Im Übrigen habe sie dem Kläger für die Zeit vom 23. bis zum den Lohn gezahlt.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Gründe
10Die Revision des Klägers ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers gegen das die Klage abweisende Urteil des Arbeitsgerichts zu Unrecht zurückgewiesen. Der Kläger hat Anspruch auf Fortzahlung seines Lohnes für den Zeitraum Januar bis März 2009. Aufgrund der bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgericht kann der Senat aber nicht abschließend entscheiden, in welchem Umfang die Klage begründet ist. Das führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
11I. Der Anspruch des Klägers auf Lohnfortzahlung für den Zeitraum Januar bis März 2009 ergibt sich nicht aus § 615 Satz 1 und Satz 3 BGB iVm. § 611 Abs. 1 BGB, denn die Beklagte hat für diese Periode wirksam Kurzarbeit eingeführt.
12II. Der Anspruch des Klägers auf Lohnfortzahlung folgt aber aus § 11 Nr. 1 Satz 2 und Satz 3 BRTV-Bau.
131. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der allgemeinverbindliche BRTV-Bau Anwendung.
142. § 615 BGB wird im Anwendungsbereich des BRTV-Bau durch § 4 Nr. 6.1 BRTV-Bau modifiziert: Wird die Arbeitsleistung entweder aus zwingenden Witterungsgründen oder in der gesetzlichen Schlechtwetterzeit (1. Dezember bis 31. März) aus wirtschaftlichen Gründen unmöglich, entfällt der Lohnanspruch. Bei einer rechtmäßig und wirksam eingeführten Kurzarbeit entfällt die Arbeitspflicht des Arbeitnehmers ganz oder teilweise und Annahmeverzug tritt insoweit nicht ein. Der Arbeitgeber trägt dann nicht mehr das volle Risiko des Arbeitsausfalls iSv. § 615 Satz 3 BGB. Allerdings behält der Arbeitnehmer den Lohnanspruch in Höhe des Kurzarbeitergelds ( - Rn. 11, BAGE 130, 331). Über § 4 Nr. 6.1 BRTV-Bau hinausgehend begründet § 11 Nr. 1 Satz 2 und Satz 3 BRTV-Bau für Werkpoliere, Baumaschinen-Fachmeister und Ofenwärter einen weitergehenden, von den Voraussetzungen des § 615 BGB unabhängigen Lohnanspruch. Danach ist bei völlig ruhender Arbeit der Lohn für die erste Woche in voller Höhe und - im ungekündigten Arbeitsverhältnis - für die nachfolgende Zeit jedenfalls iHv. 70 vH weiterzuzahlen. Im Sinne dieser Vorschrift ruht die Arbeit völlig, wenn individuell dem Werkpolier, Baumaschinen-Fachmeister oder Ofenwärter im Feuerungsbau keine oder nicht ausreichende Arbeit seiner Lohngruppe oder einer anderen Lohngruppe zugewiesen werden kann. Ob dieser Tatbestand auf wirtschaftlichen oder witterungsbedingten Gründen beruht, ist für den tariflichen Lohnfortzahlungsanspruch nicht erheblich.
15a) Indem § 11 Nr. 1 Satz 1 BRTV-Bau den Fall regelt, dass dem Werkpolier, Baumaschinen-Fachmeister oder Ofenwärter keine oder nicht ausreichende Arbeit als Werkpolier, Baumaschinen-Fachmeister oder Ofenwärter zugewiesen werden kann, erweitert diese Tarifnorm das Direktionsrecht des Arbeitgebers. Hieran knüpft Satz 2 des § 11 Nr. 1 BRTV-Bau an. Ist die Beschäftigung auch durch Zuweisung nicht vertragsgerechter Arbeit nicht möglich, ruht die Arbeit für diesen Werkpolier, Baumaschinen-Fachmeister oder Ofenwärter völlig (so auch - AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 118 zum insoweit vergleichbaren § 6 Nr. 1.3 Satz 2 bis Satz 4 des Rahmentarifvertrags für Poliere und Schachtmeister des Baugewerbes vom idF vom ).
16b) Der Wortlaut der Tarifnorm schränkt die Lohnfortzahlungspflicht nicht auf Fälle des witterungsbedingten Arbeitsausfalls ein, sondern normiert keine weiteren Anspruchsvoraussetzungen. Dementsprechend hat das Bundesarbeitsgericht zu der im Wortlaut gleichen Regelung des § 6 Nr. 1.3 Rahmentarifvertrag für die Poliere und Schachtmeister des Baugewerbes im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland idF vom erkannt, dass dieser Tatbestand auch bei Kurzarbeit erfüllt sein kann. Die Tarifnorm sei nicht auf bestimmte Fälle des Betriebsrisikos zu beschränken ( - AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 29 = EzA TVG § 4 Bauindustrie Nr. 24). Eine derartige Einschränkung des Lohnfortzahlungsanspruchs der Werkpoliere, Baumaschinen-Fachmeister und Ofenwärter folgt auch nicht aus anderen Auslegungsgesichtspunkten als dem Wortlaut der Norm.
17aa) Die gemeinsame Erklärung des Zentralverbands des Deutschen Baugewerbes, des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie und der Industriegewerkschaft Bau-Steine-Erden vom , wonach § 6 Nr. 1.3 des Rahmentarifvertrags für die Poliere und Schachtmeister des Baugewerbes im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vom lediglich bei witterungsbedingtem Arbeitsausfall gelte, vermag keine vom Wortlaut abweichende Auslegung der Tarifnorm zu rechtfertigen. Sollte ein entsprechender Wille der Tarifvertragsparteien vorhanden gewesen sein, wäre dieser vom Rechtsanwender nur zu berücksichtigen, wenn und soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Dies ist bei der gemeinsamen Erklärung vom nicht der Fall. Ebenso unerheblich für die Tarifauslegung ist die Praxis der am Tarifabschluss unbeteiligten Bundesagentur für Arbeit.
18bb) Systematische Erwägungen bestätigen die Wortauslegung. § 11 BRTV-Bau beinhaltet angesichts seiner Stellung im Tarifvertrag Sonderregelungen für ganz unterschiedliche Sachverhalte wie das Direktionsrecht, die Entlohnung und die Kündigungsfrist. Diese Sonderregelungen betreffen allein Werkpoliere, Baumaschinen-Fachmeister und Ofenwärter. Hingegen sind die allgemeinen Regelungen für vergütungsrelevante Sachverhalte in § 4 BRTV-Bau zu finden. Aus der allgemeinen Regelung ist zu schließen, dass die beiden unterschiedlichen Gründe des Arbeitsausfalls (nämlich witterungsbedingte und wirtschaftliche Gründe, vgl. die Überschrift des § 4 Nr. 6.1 BRTV-Bau) den Tarifvertragsparteien bekannt waren und in ihren Regelungsplan aufgenommen wurden. In § 11 BRTV-Bau haben sie gleichwohl diese Differenzierung nicht aufgegriffen und eine einheitliche Regelung niedergelegt.
19Auch § 12 Nr. 2 BRTV-Bau spricht gegen eine einschränkende Interpretation des § 11 Nr. 1 BRTV-Bau. Nach § 12 Nr. 2 BRTV-Bau darf das Arbeitsverhältnis in der Zeit vom 1. Dezember bis zum 31. März (Schlechtwetterzeit) aus Witterungsgründen nicht gekündigt werden. Nach § 11 Nr. 1 Satz 4 BRTV-Bau hat der Polier aber während der Kündigungsfrist Anspruch auf Zahlung des vollen Lohns, wenn ihm aus „vorstehenden Gründen“ gekündigt wird. Das könnten vor dem Hintergrund eines eingeschränkten Verständnisses des § 11 Nr. 1 BRTV-Bau - zumindest innerhalb der Schlechtwetterzeit - wegen § 12 Nr. 2 BRTV-Bau nur andere als witterungsbedingte Gründe sein. Außerhalb der Schlechtwetterzeit wäre zwar auch aus witterungsbedingten Ausfallgründen eine Kündigung möglich, für die nach § 11 Nr. 1 Satz 4 BRTV-Bau nur ein sehr kleiner Anwendungsbereich verbliebe, denn witterungsbedingte Kündigungen werden im Baugewerbe außerhalb der Schlechtwetterzeit kaum praktisch.
cc) Die Tarifgeschichte bestätigt das Ergebnis der Wortlautinterpretation. § 4 Nr. 6.1 BRTV-Bau wurde mit der Einführung des Saison-Kurzarbeitergelds nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Förderung der ganzjährigen Beschäftigung (BGBl. I 2006, 926 ff.) mit Wirkung vom geändert. Dabei wurde der Arbeitsausfall in der Schlechtwetterzeit aus wirtschaftlichen Gründen gerade im Hinblick auf die Gesetzesänderung zusätzlich aufgenommen. Davor lautete § 4 Nr. 6.1 BRTV-Bau idF vom noch:
21Ungeachtet dieser Anpassung des § 4 BRTV-Bau an die veränderte Gesetzeslage, blieb § 11 Nr. 1 BRTV-Bau unverändert. Es wurden weder Ausfallgründe in den Tatbestand aufgenommen, noch andere Korrekturen vorgenommen.
22 dd) Der Zweck der Norm zwingt zu keiner teleologischen Reduktion. Die unterschiedliche Behandlung des in § 11 Nr. 1 BRTV-Bau genannten Personenkreises im Vergleich zu den übrigen gewerblichen Arbeitnehmern des Baugewerbes ist beabsichtigt. Das gegenüber Werkpolieren, Baumaschinen-Fachmeistern und Ofenwärtern nach § 11 Nr. 1 Satz 1 BRTV-Bau erweiterte Direktionsrecht des Arbeitgebers besteht in allen Fällen, in denen diesen keine tarifgerechte Arbeit zugewiesen werden kann. Die Gründe hierfür sind nach dem Tarifvertrag unerheblich. Diesem erweiterten Direktionsrecht korrespondiert der in § 11 Nr. 1 Satz 2 und Satz 3 BRTV-Bau normierte Lohnfortzahlungsanspruch, der zugleich einen Ausgleich für den Nachteil der bemerkenswert umfassend erweiterten Arbeitspflicht darstellt. Mit dieser tariflichen Gestaltung bewegen sich die Tarifvertragsparteien noch innerhalb des ihnen nach Art. 9 Abs. 3 GG zustehenden Spielraums und knüpfen an unterschiedliche Sachverhalte an, ohne den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu verletzen (zu den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 GG, vgl. - Rn. 19 mwN, AP TVG § 1 Tarifverträge: Verkehrsgewerbe Nr. 18).
23III. Damit steht dem Kläger für den Zeitraum Januar bis März 2009 dem Grunde nach ein Lohnfortzahlungsanspruch zu, denn für ihn hat die Arbeit völlig geruht. Deshalb hat das Landesarbeitsgericht Feststellungen zur Höhe des Klageanspruchs zu treffen. Dazu ist aufzuklären, welche Arbeitsstunden der Kläger erbracht hätte, wenn die Arbeit nicht geruht hätte. Besonderes Augenmerk wird das Berufungsgericht den Unterbrechungstatbeständen widmen müssen. Hierzu hat der Kläger seine tatsächlich im Zeitraum Januar bis März 2009 erbrachten Arbeitsleistungen - unter Beweisantritt - vorzutragen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass weder Betriebsratstätigkeiten noch Betriebsversammlungen das Ruhen der Arbeit unterbrochen haben (vgl. - AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 118). Soweit die Beklagte für die Zeit vom 23. bis zum Erfüllung eingewandt hat, muss sich der Kläger hierzu substantiiert erklären.
IV. Hinsichtlich des März-Lohns wird das Landesarbeitsgericht zu berücksichtigen haben, dass auf diesen Zinsen erst ab dem zugesprochen werden können (vgl. § 5 Nr. 7.2 Satz 1, § 4 Nr. 6.1 Satz 3 BRTV-Bau).
Fundstelle(n):
QAAAE-06630