BFH Beschluss v. - VI B 147/11

Kein Vertrauensschutz durch Weiterzahlung des Kindergeldes

Gesetze: FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2, AO § 37 Abs. 2, BGB § 242

Instanzenzug:

Gründe

1 Die Beschwerde ist unbegründet und durch Beschluss zurückzuweisen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

2 a) Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Dieser Zulassungsgrund ist nur gegeben, wenn die für bedeutsam gehaltene Rechtsfrage im Allgemeininteresse klärungsbedürftig und im Streitfall klärungsfähig ist. An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es, wenn die Rechtsfrage anhand der gesetzlichen Grundlagen und der bereits vorliegenden Rechtsprechung beantwortet werden kann und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung der Rechtsfrage durch den Bundesfinanzhof (BFH) geboten erscheinen lassen. Ferner darf sich die Bedeutung der Rechtssache nicht in der Entscheidung des konkreten Einzelfalls erschöpfen, sondern muss eine Vielzahl gleichartiger Fälle betreffen und einer Verallgemeinerung zugänglich sein (z.B. , BFH/NV 2010, 73, m.w.N.).

3 In der Rechtsprechung des BFH ist bereits geklärt, dass die Weiterzahlung des Kindergeldes selbst bei Mitteilung der Umstände, die zum Wegfall des Kindergeldanspruchs führen, zur Schaffung eines Vertrauenstatbestandes allein nicht ausreicht. Hinzukommen müssen vielmehr besondere Umstände, die die Geltendmachung des Rückforderungsanspruchs als illoyale Rechtsausübung erscheinen lassen. Bei einem Massenverfahren wie im Kindergeldrecht ist dabei ein besonders eindeutiges Verhalten der Familienkasse zu fordern, dem zu entnehmen ist, dass sie auch nach Prüfung des Falls unter Berücksichtigung veränderter Umstände von einem Fortbestehen des Kindergeldanspruchs ausgeht, und ein anderer Eindruck bei dem Kindergeldempfänger nicht entstehen kann. Dem Verhalten der Familienkasse muss also die konkludente Zusage zu entnehmen sein, dass der Kindergeldempfänger mit einer Rückforderung des Kindergeldes nicht zu rechnen brauche (z.B. , BFHE 203, 472, BStBl II 2004, 123, und vom VIII R 93/03, BFH/NV 2005, 153; BFH-Beschlüsse vom III B 121/06, BFH/NV 2008, 553, und vom III B 37/09, BFH/NV 2010, 837).

4 Danach kommt eine Zulassung der Revision unter dem Gesichtspunkt der grundsätzlichen Bedeutung nicht in Betracht. Ob dem Verhalten der Beklagten und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) die konkludente Zusage zu entnehmen ist, dass der Kindergeldempfänger mit einer Rückforderung des Kindergeldes nicht zu rechnen brauche, und ob ein solches Verhalten dabei auch durch unterlassene Ermittlungen der Familienkasse veranlasst sein kann, lässt sich —auch wenn wie vorliegend die vertrauensschutzbegründende Wirkung einer Bescheinigung über den Bezug von Kindergeld in Rede steht— nur anhand der Umstände des konkreten Einzelfalls beurteilen und ist einer Verallgemeinerung nicht zugänglich.

5 b) Können die entscheidungserheblichen Rechtsfragen —wie hier— nur anhand von einzelfallbezogenen Umständen in einer Gesamtwürdigung beantwortet werden, kommt auch eine Zulassung der Revision unter dem Gesichtspunkt der Rechtsfortbildung nicht in Betracht (vgl. , BFH/NV 2011, 563).

6 c) Schließlich ist im Streitfall auch keine Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO) geboten. Zwar ist die Revision nach der genannten Vorschrift auch zuzulassen, wenn ein Rechtsfehler des Finanzgerichts (FG) zu einer „greifbar gesetzwidrigen” Entscheidung geführt hat. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass die Entscheidung des FG in einem solchen Maße fehlerhaft ist, dass das Vertrauen in die Rechtsprechung nur durch eine höchstrichterliche Korrektur der finanzgerichtlichen Entscheidung wiederhergestellt werden könnte (ständige Rechtsprechung, z.B. , BFH/NV 2011, 1391, m.w.N.). Diese Voraussetzung kann etwa dann vorliegen, wenn das FG eine offensichtlich einschlägige entscheidungserhebliche Vorschrift übersehen hat (vgl. , BFH/NV 2003, 1597) oder wenn das Urteil jeglicher gesetzlichen Grundlage entbehrt oder auf einer offensichtlich Wortlaut und Gesetzeszweck widersprechenden Gesetzesauslegung beruht (vgl. , BFH/NV 2006, 1116). Unterhalb dieser Schwelle liegende erhebliche Rechtsfehler reichen dagegen nicht aus, um eine greifbare Gesetzwidrigkeit oder gar eine Willkürlichkeit der angefochtenen Entscheidung anzunehmen (vgl. , BFH/NV 2005, 2031). Im Streitfall hat die Klägerin und Beschwerdeführerin keinen solch qualifizierten Rechtsanwendungsfehler dargelegt. Die als unzutreffend behaupteten Würdigungen und Wertungen des FG enthalten jedenfalls keine solche willkürliche Entscheidung.

Fundstelle(n):
AO-StB 2012 S. 210 Nr. 7
BFH/NV 2012 S. 944 Nr. 6
AAAAE-06576