BGH Beschluss v. - VIII ZR 158/11

Verfahrensaussetzung: Zulässigkeit bei Anhängigkeit eines dieselbe Frage betreffenden Vorabentscheidungsverfahrens beim Europäischen Gerichtshof; Aussetzung im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren

Gesetze: § 148 ZPO, Art 267 AEUV

Instanzenzug: Az: VI-2 U (Kart) 3/09 Urteilvorgehend Az: 34 O (Kart) 112/08nachgehend Az: C-359/11 und C-400/11 Urteilnachgehend Az: VIII ZR 158/11 Urteil

Gründe

I.

1Die Klägerin, ein regionales Gasversorgungsunternehmen, beliefert den Beklagten seit 2002 leitungsgebunden mit Erdgas. Sie änderte den Arbeitspreis für das von ihr gelieferte Gas zwischen Oktober 2004 und April 2007 mehrfach; der Beklagte erhob hiergegen Widerspruch. Mit ihrer Klage hat die Klägerin unter anderem die Zahlung des rückständigen Betrags aus den Jahresabrechnungen für die Jahre 2004 bis 2008 begehrt. Das Landgericht hat der Klage insoweit stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben.

2Das Berufungsgericht hat - ebenso wie das Landgericht - den Beklagten als Tarifkunden qualifiziert und vor diesem Hintergrund angenommen, dass der Klägerin ein einseitiges Preisänderungsrecht gemäß § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV beziehungsweise § 5 Abs. 2 GasGVV zugestanden habe. Die von der Klägerin vorgenommenen Preiserhöhungen hat das Berufungsgericht nach Durchführung einer Beweisaufnahme als billig im Sinne des § 315 BGB angesehen.

3Mit seiner Revision wendet sich der Beklagte gegen die Qualifikation des Vertragsverhältnisses als Tarifkundenvertrag und bezweifelt ferner, ob die im Tarifkundenverhältnis geltenden gesetzlichen Preisänderungsrechte des § 4 AVBGasV (beziehungsweise § 5 GasGVV) den europarechtlichen Transparenzvorgaben genügen. Letztlich erhebt der Beklagte Einwände gegen die vom Berufungsgericht vorgenommene Billigkeitsprüfung.

II.

4Das vorliegende Verfahren ist gemäß § 148 ZPO analog bis zu der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in dem dort anhängigen Verfahren C-359/11 auszusetzen.

51. Der Senat hat durch Beschluss vom in dem Verfahren VIII ZR 71/10 (ZIP 2011, 1620 ff.) dem Gerichtshof der Europäischen Union (im Folgenden: Gerichtshof) folgende Frage zur Vorabentscheidung gemäß Art. 267 AEUV vorgelegt:

6Ist Art. 3 Abs. 3 in Verbindung mit Anhang A Buchst. b und/oder c der Richtlinie 2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30/EG dahin auszulegen, dass eine nationale gesetzliche Regelung über Preisänderungen in Erdgaslieferungsverträgen mit Haushalts-Kunden, die im Rahmen der allgemeinen Versorgungspflicht beliefert werden (Tarifkunden), den Anforderungen an das erforderliche Maß an Transparenz genügt, wenn in ihr Anlass, Voraussetzungen und Umfang einer Preisänderung zwar nicht wiedergegeben sind, jedoch sichergestellt ist, dass das Gasversorgungsunternehmen seinen Kunden jede Preiserhöhung mit angemessener Frist im Voraus mitteilt und den Kunden das Recht zusteht, sich durch Kündigung vom Vertrag zu lösen, wenn sie die ihnen mitgeteilten geänderten Bedingungen nicht akzeptieren wollen?

72. Diese Frage ist auch im vorliegenden Fall entscheidungserheblich.

83. Der Senat kann daher unter Beachtung seiner in Art. 267 Abs. 3 AEUV enthaltenen Vorlageverpflichtung keine abschließende Sachentscheidung treffen. Eine Vorlage auch dieses Verfahrens an den Gerichtshof würde jedoch dort nicht zu einer schnelleren Beantwortung der maßgeblichen Rechtsfrage führen (vgl. hierzu BAG, NJW 2011, 1836, 1837). Hieran ändert nichts, dass der Gerichtshof seinerseits das Verfahren C-359/11 bis nach der Urteilsverkündung in den Rechtssachen C-8/11 und C-92/11 ausgesetzt hat.

9Im Gegenteil würde die Funktion des Gerichtshofs im Vorabentscheidungsverfahren beeinträchtigt, wenn die gleiche Rechtsfrage mehrfach vorgelegt würde (vgl. , BGHZ 162, 373, 378). Das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV stellt ein grundlegendes Instrument dar, um den Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts vor nationalem Recht zu verwirklichen und die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts in allen Mitgliedstaaten zu gewährleisten (BPatG, GRUR 2002, 734, 735). Die verbindliche Auslegung des Gemeinschaftsrechts ist dem Gerichtshof vorbehalten. Da der Gerichtshof aber kein Rechtsmittelgericht für sämtliche mitgliedschaftlichen Verfahren darstellt (, aaO), genügt es, wenn dort über eine klärungsbedürftige Rechtsfrage lediglich in einem Verfahren verhandelt und entschieden wird.

104. Der Senat hält es daher für angemessen, das vorliegende Verfahren gemäß § 148 ZPO analog wegen Vorgreiflichkeit des beim Gerichtshof anhängigen Rechtsstreits auszusetzen (zur Zulässigkeit dieser Vorgehensweise vgl. auch BAG, aaO S. 1836 f.; BAG, Beschlüsse vom - 3 AZR 168/81, juris; vom - 5 AZR 279/01 (A), juris; BPatG, aaO S. 734 ff.; noch offen gelassen von , aaO).

Ball                                          Dr. Milger                                        Dr. Hessel

Dr. Fetzer                                           Dr. Bünger

Fundstelle(n):
CAAAE-03149