BVerwG Urteil v. - 7 C 20/11

Vorlage zur Vorabentscheidung; Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz; Umsetzung der Richtlinie 2003/35/EG (juris: EGRL 35/2003); Fehler der Umweltverträglichkeitsprüfung

Gesetze: Art 6 Abs 1 EGRL 35/2003, Art 10a S 1 EWGRL 337/85, § 5 UmwRG, § 1 Abs 1 UmwRG, § 4 Abs 1 UmwRG, § 2 Abs 1 UVPG, § 2 Abs 3 UVPG, § 61 VwGO

Instanzenzug: Az: 7 B 26/09 Beschlussvorgehend Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz Az: 1 A 10722/08 Urteilnachgehend Az: C-72/12 Urteilnachgehend Az: 7 C 15/13 Urteil

Gründe

I.

1Die Kläger wenden sich gegen einen wasserrechtlichen Planfeststellungsbeschluss des beklagten Landes, der die Errichtung der Wasserrückhaltung Waldsee/Altrip/Neuhofen zum Gegenstand hat. Die geplante Hochwasserrückhaltung hat eine Fläche von ca. 327 ha und soll in einem früheren Überschwemmungsgebiet des Rheins gebaut werden. Das Vorhaben beinhaltet die Errichtung eines Rückhalteraums, der aus zwei getrennten Teilen besteht. Der ungesteuerte Teil (Rückhaltevolumen ca. 1,2 Mio. m3) soll in Abhängigkeit von den Rheinwasserständen regelmäßig überschwemmt und an die natürliche Dynamik des Rheins angeschlossen werden. Der gesteuerte Teil des Rückhalteraums (Rückhaltevolumen ca. 7,8 Mio. m3) soll bei extremen Hochwasserereignissen geflutet werden, um Überflutungen in den unterliegenden Siedlungs-, Gewerbe- und Infrastrukturflächen der Rheinniederung zu verhindern. Im Zusammenhang mit der Errichtung der Rückhalteräume sind zahlreiche bauliche Maßnahmen geplant.

2Von der Planung betroffen sind in erster Linie landwirtschaftlich genutzte Grundstücke und Waldflächen. Der ungesteuerte Teil der Rückhaltung liegt in dem im Mai 2004 gemeldeten FFH-Gebiet "Rheinniederung Speyer-Ludwigshafen". In der Nähe des Vorhabens befinden sich ein weiteres FFH-Gebiet sowie zwei Europäische Vogelschutzgebiete.

3Die Klägerin zu 1 ist eine Gemeinde. Die geplanten Rückhalteräume erfassen ca. 12 % ihres Gemeindegebiets. Auch mehrere in ihrem Eigentum stehende Grundstücke befinden sich im Bereich des planfestgestellten Vorhabens.

4Die Klägerin zu 2 ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die Obst und Gemüse anbaut. Die beiden Gesellschafter sind u.a. Eigentümer und Pächter von innerhalb der geplanten Rückhaltung gelegenen Flächen. Von dem planfestgestellten Vorhaben sind außerdem zahlreiche weitere in ihrem Eigentum stehende oder von ihnen gepachtete Flächen betroffen, die für die Herstellung von Deichen in Anspruch genommen werden sollen.

5Der Kläger zu 3 ist Eigentümer eines nahe der geplanten Hochwasserrückhaltung liegenden Wohngrundstücks und mehrerer - ebenfalls in der Nähe des geplanten Vorhabens liegender - Grundstücke in einem Naherholungsgebiet, die für einen Campingplatz genutzt werden.

6Mit Schreiben vom beantragte der Träger des Vorhabens (die Regionalstelle Wasserwirtschaft, Abfallwirtschaft und Bodenschutz - Neubaugruppe Hochwasserschutz Oberrhein - der Struktur- und Genehmigungsdirektion Süd des beklagten Landes) bei der Struktur- und Genehmigungsdirektion Süd als Oberer Wasserbehörde die Feststellung des Plans für den Bau der Hochwasserrückhaltung.

7Der Plan wurde mit Beschluss der Struktur- und Genehmigungsdirektion Süd vom festgestellt.

8Die dagegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen.

9Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zurückgewiesen und zur Begründung u.a. ausgeführt: Das zwischenzeitlich in Kraft getretene Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz, das die Richtlinie 2003/35/EG umsetze, führe nicht dazu, dass die Kläger Mängel der Umweltverträglichkeitsprüfung gerichtlich geltend machen könnten. Nach der Übergangsvorschrift des § 5 UmweltRG finde das Gesetz nur auf solche Verfahren Anwendung, die nach dem eingeleitet worden seien. Unionsrechtliche Bedenken gegen diese Übergangsvorschrift bestünden nicht. Stehe mithin bereits § 5 UmweltRG der Anwendung dieses Gesetzes entgegen, könne dahinstehen, ob sich aus § 4 Abs. 1 UmweltRG überhaupt ein Anspruch auf Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses ergeben könne. Falls § 4 Abs. 1 UmweltRG anwendbar wäre, bestünden Bedenken, ob der nach dessen Wortlaut geregelte "Totalausfall" einer Umweltverträglichkeitsprüfung auch den von den Klägern geltend gemachten Fehlertyp des "Defizits" einer Umweltverträglichkeitsprüfung umfasse. Selbst wenn dies der Fall wäre, spräche vieles dafür, dass ein Anspruch der Kläger an dem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten Kausalitätserfordernis scheitern würde.

10Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Kläger. Sie machen insbesondere geltend, das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz setze die unionsrechtlichen Vorgaben nur unzureichend um. Bei einer richtigen Umsetzung könnten die Kläger bei Fehlern der Umweltverträglichkeitsprüfung eine Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses verlangen. Deshalb hätte das Oberverwaltungsgericht nicht offenlassen dürfen, ob solche Fehler vorliegen.

11Der Beklagte verteidigt das Berufungsurteil.

II.

12Die maßgeblichen Vorschriften des Unionsrechts finden sich

- in der Richtlinie 2003/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung der Richtlinien 85/337/EWG und 96/61/EG des Rates in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu den Gerichten (ABl EG Nr. L 156 S. 17 vom ; im Folgenden abgekürzt: Richtlinie 2003/35/EG) und

- in der Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl EWG Nr. L 175 vom ; im Folgenden abgekürzt: Richtlinie 85/337/EWG).

13Die maßgeblichen Vorschriften des nationalen Rechts finden sich im Gesetz über ergänzende Vorschriften zu Rechtsbehelfen in Umweltangelegenheiten nach der EG-Richtlinie 2003/35/EG (Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz, UmwRG) vom (BGBl I S. 2816).

14Von Bedeutung sind ferner

- das Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung (im Folgenden abgekürzt: UVPG) in der Fassung der Bekanntmachung vom (BGBl I S. 94 ) und

- die Verwaltungsgerichtsordnung (im Folgenden abgekürzt: VwGO) in der Fassung der Bekanntmachung vom (BGBl I S. 686).

III

151. Für die unter 1 gestellte Frage ist einschlägige Vorschrift des Unionsrechts Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2003/35/EG. Dieser lautet:

Die Mitgliedstaaten setzen die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie bis zum nachzukommen.

162. Die insoweit einschlägige Vorschrift des nationalen Rechts ist § 5 Halbs. 1 UmwRG, der wie folgt lautet:

Dieses Gesetz gilt für Verfahren nach § 1 Abs. 1 Satz 1, die nach dem eingeleitet worden sind oder hätten eingeleitet werden müssen.

17§ 1 Abs. 1 Satz 1 UmwRG lautet, soweit er hier von Interesse ist:

Dieses Gesetz findet Anwendung für Rechtsbehelfe gegen

1. Entscheidungen im Sinne von § 2 Abs. 3 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung über die Zulässigkeit von Vorhaben, für die nach

a) dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung ... eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung bestehen kann.

18Die einschlägigen Bestimmungen des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung lauten wie folgt:

Die Umweltverträglichkeitsprüfung ist ein unselbstständiger Teil verwaltungsbehördlicher Verfahren, die der Entscheidung über die Zulässigkeit von Vorhaben dienen (§ 2 Abs. 1 Satz 1 UVPG) und

Entscheidungen im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 sind 1. ... Planfeststellungsbeschluss ... (§ 2 Abs. 3 UVPG).

19Die Entscheidung im Revisionsverfahren hängt von der Antwort auf die gestellten Fragen ab.

20Allein auf der Grundlage des nationalen Rechts ist die Revision der Kläger schon deswegen zurückzuweisen, weil das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz für das vorliegende Verfahren (noch) nicht anwendbar ist:

Die Auslegung von § 5 UmwRG nach dessen Wortlaut ergibt eindeutig, dass das Gesetz nicht anwendbar ist für Verwaltungsverfahren, die bis zum eingeleitet worden sind. Dies gilt auch dann, wenn eine behördliche Entscheidung erst später ergangen ist und folglich Überprüfungsverfahren vor Gerichten, in denen die Rechtmäßigkeit der Entscheidung angefochten wird, erst einige Jahre nach Ablauf der in Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/35/EG gesetzten Frist eingeleitet worden sind.

21Dies entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers. In der Gesetzesbegründung (BTDrucks 16/2495 S. 14) heißt es:

"Für Zulassungsentscheidungen, die vor dem bereits erteilt worden sind, oder deren laufende Verwaltungsverfahren am genannten Stichtag noch nicht abgeschlossen sind, richtet sich der Rechtsschutz ausschließlich nach den Bestimmungen der Verwaltungsgerichtsordnung ..."

22Eine andere Auslegung von § 5 UmwRG ist dem Bundesverwaltungsgericht deshalb verwehrt.

23Fraglich ist dagegen, ob das nationale Recht mit dem Unionsrecht übereinstimmt. Aufgrund der vorliegenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs lässt sich diese Frage nicht mit der gebotenen Eindeutigkeit beantworten. Daran vermögen auch die Ausführungen in dessen Urteilen vom (- Rs. C-81/96, Gedeputeerde Staten van Noord-Holland - Slg. 1998, I-3923 Rn. 23 und 24) und vom (- Rs. C-201/02, Wells - NVwZ 2004, 593 <595>) nichts zu ändern; denn die dort zur Zulässigkeit von Übergangsvorschriften gemachten Ausführungen lassen sich nicht ohne Weiteres auf die vorliegende Fallkonstellation übertragen: Wäre das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz auch für Verwaltungsverfahren anwendbar, die bis zum eingeleitet worden sind, wenn eine behördliche Entscheidung erst nach diesem Tag ergangen ist, würde dies weder behördliche noch gerichtliche Verfahren verzögern. Für das Verwaltungsverfahren begründet das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz ohnehin keine neuen Anforderungen. Auf das gerichtliche Verfahren wäre von Anfang an das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz anwendbar, so dass auch dieses auf Grund der Übergangsregelung nicht verzögert werden könnte.

24Falls die Frage 1 zu bejahen ist, könnte deshalb die Revision nicht mit der Begründung zurückgewiesen werden, dass Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz sei für das vorliegende Verfahren nicht anwendbar. Vielmehr würden sich dann die Fragen 2 und ggf. 3 stellen, deren Beantwortung - wie unten näher ausgeführt wird - der Revision zum Erfolg verhelfen könnte.

IV

251. Für die unter 2 gestellte Frage ist einschlägige Vorschrift des Unionsrechts Art. 10a Satz 1 der Richtlinie 85/337/EWG in der durch die Richtlinie 2003/35/EG geänderten Fassung. Dieser lautet - soweit hier von Bedeutung -:

Die Mitgliedstaaten stellen im Rahmen ihrer innerstaatlichen Rechtsvorschriften sicher, dass Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit, die

a) ein ausreichendes Interesse haben oder alternativ

b) eine Rechtsverletzung geltend machen, sofern das Verwaltungsverfahrensrecht bzw. Verwaltungsprozessrecht eines Mitgliedstaats dies als Voraussetzung erfordert,

Zugang zu einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht ... haben, um die materiellrechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit von Entscheidungen ... anzufechten, für die die Bestimmungen dieser Richtlinie über die Öffentlichkeitsbeteiligung gelten.

26Die hier einschlägige Vorschrift des nationalen Rechts ist § 4 Abs. 1 Satz 1 UmwRG, der folgenden Wortlaut hat:

Die Aufhebung einer Entscheidung über die Zulässigkeit eines Vorhabens nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 kann verlangt werden, wenn eine nach den Bestimmungen des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung ...

1. erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung oder

2. erforderliche Vorprüfung des Einzelfalls über die UVP-Pflichtigkeit

nicht durchgeführt worden und nicht nachgeholt worden ist.

27Erheblich ist weiter die Vorschrift des § 4 Abs. 3 UmwRG, der wie folgt lautet:

Die Absätze 1 und 2 gelten entsprechend für Rechtsbehelfe von Beteiligten nach § 61 Nr. 1 und 2 der Verwaltungsgerichtsordnung.

28§ 61 VwGO hat folgenden Wortlaut:

Fähig am Verfahren beteiligt zu sein, sind

1. natürliche und juristische Personen,

2. Vereinigungen, soweit ihnen ein Recht zustehen kann, ...

29Falls die Frage 1 zu bejahen ist, hängt die Entscheidung im Revisionsverfahren von der Antwort auf die Frage 2 ab:

Nach dem nationalen Recht ist § 4 Abs. 1 UmwRG zwar entsprechend anwendbar für die Rechtsbehelfe von natürlichen und juristischen Personen (§ 4 Abs. 3 UmwRG i.V.m. § 61 Nr. 1 VwGO). Dies würde der Revision aber nicht zum Erfolg verhelfen, weil die erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt worden ist; denn gemäß § 4 Abs. 1 UmwRG kann die Aufhebung einer Entscheidung - vorbehaltlich der Ausführungen unter Ziffer V zur dritten Frage (vgl. Rn. 39 ff.) - nur verlangt werden, wenn die erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung überhaupt nicht durchgeführt worden ist.

30Könnte ein Aufhebungsanspruch dagegen auch bei einer fehlerhaften Umweltverträglichkeitsprüfung bestehen, hätte die Revision der Kläger Erfolg. Das angefochtene Urteil des Oberverwaltungsgerichts wäre aufzuheben und die Sache wäre an dieses zurückzuverweisen. Das Oberverwaltungsgericht müsste dann prüfen, ob die Umweltverträglichkeitsprüfung an einem entscheidungserheblichen Fehler leidet, wie die Kläger behaupten, was aber im gerichtlichen Verfahren bisher nicht geprüft worden ist.

31Die Bestimmung des § 4 Abs. 1 UmwRG ist nach ihrem Wortlaut eindeutig. Der Wortlaut entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers. Im (ursprünglichen) Gesetzentwurf der Bundesregierung war - "zur vollständigen Umsetzung der UVP-Richtlinie, insbesondere von Artikel 10a" (BTDrucks 16/2495 S. 13) - noch eine weitergehende Beachtlichkeit von Verfahrensfehlern in diesem Sinne vorgesehen. Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 UmwRG in der Fassung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung sollte die Aufhebung einer Entscheidung über die Zulässigkeit eines Vorhabens nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwRG verlangt werden können, wenn wesentliche Verfahrensvorschriften verletzt worden sind und der Verfahrensfehler nicht geheilt werden kann (BTDrucks 16/2495 S. 6). Die fehlende Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung bzw. die fehlende Vorprüfung im Einzelfall wurde dabei in § 4 Abs. 1 Satz 2 UmwRG lediglich als "Regelbeispiel" für die Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften genannt. Dies wurde von der Bundesregierung zu Umsetzung des Art. 10a UVP-Richtlinie vor dem Hintergrund der "Wells"-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom - Rs. C-201/02 - NVwZ 2004, 593) als zwingend notwendig erachtet (BTDrucks 16/2495 S. 6, 13/14). Im weiteren Verlauf ist dann aber der Gesetzgeber dem Vorschlag der Bundesregierung bewusst nicht gefolgt, sondern hat den Aufhebungsanspruch gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 UmwRG ausdrücklich auf den Fall der nicht durchgeführten Umweltverträglichkeitsprüfung beschränkt.

32Angesichts dessen ist dem Bundesverwaltungsgericht eine andere Auslegung von § 4 Abs. 1 Satz 1 UmwRG verwehrt.

33Ob § 4 Abs. 1 Satz 1 UmwRG - hiernach - zur Umsetzung von Art. 10a UVP-Richtlinie genügt, ist fraglich. Nach dieser Bestimmung stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit Zugang zu einem gerichtlichen Überprüfungsverfahren haben, "um die ... verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit von Entscheidungen ... anzufechten". Die Bundesregierung hielt deshalb - wie dargelegt - zunächst zur vollständigen Umsetzung des Art. 10a UVP-Richtlinie eine weitergehende Regelung für erforderlich.

34Es mag zwar einiges dafür sprechen, die Frage 2 zu bejahen und damit anzunehmen, dass § 4 Abs. 1 Satz 1 UmwRG Art. 10a Abs. 1 der Richtlinie 85/337/EWG in der durch die Richtlinie 2003/35/EG geänderten Fassung nur unzureichend umsetzt. Die aufgeworfene Frage lässt sich aber - nach der Überzeugung des Senats - aufgrund der vorliegenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht mit der gebotenen Klarheit beantworten.

35Dies gilt auch nach dessen Urteil vom (Rs. C-115/09). Darin wird - gemäß dem Wortlaut der Richtlinie - zwischen den Mitgliedern der betroffenen Öffentlichkeit, die Zugang zu einem gerichtlichen Überprüfungsverfahren haben (die also ein ausreichendes Interesse haben oder alternativ eine Rechtsverletzung geltend machen), und der Anfechtung der materiellrechtlichen und verfahrensrechtlichen Rechtmäßigkeit von Entscheidungen unterschieden. Die Bestimmung des § 4 Abs. 1 Satz 1 UmwRG setzt allein das zweitgenannte Tatbestandsmerkmal der Richtlinie um.

36Zu der Anfechtung der materiellen und verfahrensrechtlichen Rechtmäßigkeit von Entscheidungen wird in dem Urteil lediglich ausgeführt: Es "ist festzustellen, dass Art. 10a Abs. 1 der Richtlinie 85/337 bestimmt, dass es möglich sein muss, Entscheidungen ... im Sinne dieses Artikels zum Gegenstand eines gerichtlichen Überprüfungsverfahrens zu machen, um die 'materiellrechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit ... anzufechten', ohne dass er in irgendeiner Weise die Gründe beschränkt, die zur Stützung eines entsprechenden Rechtsbehelfs vorgebracht werden können" (vgl. Rn. 37).

V

371. Für die unter 3 gestellte Frage ist einschlägige Vorschrift des Unionsrechts Art. 10a der Richtlinie 85/337/EWG in der durch die Richtlinie 2003/35/EG geänderten Fassung. Die Vorschrift wird oben unter IV zitiert.

382. Die einschlägigen Rechtssätze des nationalen Rechts ergeben sich aus dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung und der hierzu ergangenen ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts.

39Nach dieser Rechtsprechung vermittelt das Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung einem von einem UVP-pflichtigen Vorhaben Betroffenen ebenso wenig selbstständig durchsetzbare Verfahrenspositionen, wie dies Verfahrensvorschriften anderer Fachgesetze tun. Dass das Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung besondere verfahrensrechtliche Anforderungen an die Ermittlung, Darstellung und Bewertung der Umweltauswirkungen eines Vorhabens stellt, vermag daran nichts zu ändern. Die Richtlinie 85/337/EWG - in ihrer ursprünglichen Fassung - enthält nach dieser Rechtsprechung keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der nationale Gesetzgeber verpflichtet gewesen wäre, privaten Dritten eine weitergehende Klagemöglichkeit zu eröffnen, als sie das nationale Recht allgemein bei der Verletzung von Verfahrensvorschriften eröffnet. Eine Rechtsverletzung eines von einem UVP-pflichtigen Vorhaben Betroffenen kann deshalb nur vorliegen, wenn der Verfahrensfehler kausal für das den Kläger belastende Ergebnis der Planfeststellung war. Es muss die konkrete Möglichkeit bestehen, dass die angefochtene Entscheidung ohne den Verfahrensmangel anders ausgefallen wäre (Kausalitätserfordernis, stRspr; vgl. u.a. BVerwG 4 C 4.94 - BVerwGE 98, 339 <361 f.> = Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 102, vom - BVerwG 4 C 5.95 - BVerwGE 100, 238 <251 f.> = Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 107 und vom - BVerwG 4 C 9.06 - BVerwGE 130, 83 <98> = Buchholz 442.40 § 8 LuftVG Nr. 30).

40Fraglich ist aber, ob die ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nach Ablauf der Umsetzungsfrist für die Richtlinie 2003/35/EG fortbestehen kann.

41Falls dies zu verneinen und die Frage 3 damit im Sinne von b) zu beantworten ist, stellt sich die weitere Frage, welche inhaltlichen Anforderungen an Verfahrensfehler zu stellen sind, damit diese bei der gerichtlichen Anfechtung der verfahrensrechtlichen Rechtmäßigkeit der Entscheidung zugunsten eines Klägers Berücksichtigung finden können (vgl. Frage 3, letzter Teil).

42Die Entscheidung im Revisionsverfahren hängt auch von der Beantwortung der Frage 3 ab. Bei Bejahung der Fragen 1 und 2 steht zwar fest, dass das Urteil des Oberverwaltungsgerichts aufzuheben und die Sache an dieses zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen ist. In seinem Urteil muss das Bundesverwaltungsgericht dann aber dem Oberverwaltungsgericht - für die von diesem zu treffende abschließende Entscheidung über die vorliegenden Klagen - eine rechtliche Beurteilung vorgeben, die für dieses bindend ist (vgl. § 144 Abs. 6 VwGO). In dieser rechtlichen Beurteilung wird anzugeben sein, ob an dem geschilderten Kausalitätserfordernis nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts festzuhalten ist oder welche inhaltlichen Anforderungen sonst an Verfahrensfehler zu stellen sind, damit diese zugunsten der Kläger Berücksichtigung finden können.

Fundstelle(n):
GAAAE-01707