Beihilfe für medizinische Behandlung durch Angestellte in der Praxis eines nahen Angehörigen; Angewiesenheit auf die Behandlung durch den nahen Angehörigen
Leitsatz
1. § 5 Abs. 4 Nr. 6 Satz 1 BhV schließt Aufwendungen für die persönliche Tätigkeit eines nahen Angehörigen bei einer Heilmaßnahme auch dann von der Beihilfe aus, wenn diese nicht der Angehörige selbst, sondern dessen Angestellter durchgeführt hat.
2. Der Beihilfeausschluss gilt nicht für Fallkonstellationen, in denen die erforderliche medizinische Behandlung nur in der Praxis des nahen Angehörigen durchgeführt werden konnte oder es dem Berechtigten aus tatsächlichen Gründen nicht möglich oder zumutbar war, eine andere Praxis aufzusuchen, und der Umfang der Behandlung das Maß dessen deutlich übersteigt, was üblicherweise noch unentgeltlich geleistet wird.
Gesetze: § 87c Abs 1 BG ND vom , § 5 Abs 4 Nr 6 S 1 BhV vom , Art 3 Abs 1 GG
Instanzenzug: OVG Lüneburg Az: 5 LB 388/08 Urteilvorgehend VG Oldenburg (Oldenburg) Az: 6 A 4108/04 Urteil
Tatbestand
1Der Kläger beansprucht eine Beihilfe zu Aufwendungen für physiotherapeutische Behandlungen.
2Dem Kläger, einem Beamten des Landes Niedersachsen, seiner Ehefrau und seiner Tochter wurden im Jahr 2002 ärztlich verschiedene Behandlungen verordnet (u.a. Krankengymnastik und Massage). Sämtliche Behandlungen wurden in der physiotherapeutischen Praxis der Ehefrau des Klägers von einer Angestellten durchgeführt. Die Ehefrau stellte dem Kläger sämtliche Behandlungen in Rechnung.
3Der Beihilfeantrag und der Widerspruch blieben erfolglos. Das Verwaltungsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Oberverwaltungsgericht hat sie abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Der Ausschluss der Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für die persönliche Tätigkeit eines nahen Angehörigen bei einer Heilbehandlung erfasse auch den Fall, dass die Behandlung von einem in der Praxis des Ehegatten angestellten Beschäftigten durchgeführt werde. Auf Aspekte des Vertrauensschutzes könne der Kläger seinen Anspruch auf Beihilfe nicht stützen.
4Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt.
5Der Kläger beantragt,
das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg vom zurückzuweisen.
6Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Gründe
7Die Revision ist unbegründet. Das Oberverwaltungsgericht hat ohne Verletzung revisiblen Rechts entschieden, dass dem Kläger der geltend gemachte Beihilfeanspruch nicht zusteht.
8Maßgeblich für die Gewährung einer Beihilfe ist § 87c Abs. 1 des Niedersächsischen Beamtengesetzes (NBG) in der Fassung des Art. 4 Nr. 4 des Haushaltsbegleitgesetzes 2002 vom (Nds. GVBl S. 806) in Verbindung mit der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift für Beihilfen in Krankheits-, Pflege- und Geburtsfällen (Beihilfevorschriften - BhV) in der Fassung der Bekanntmachung vom (GMBl S. 919).
9Mit der Übernahme der Beihilfevorschriften des Bundes als Landesrecht durch § 87c Abs. 1 NBG in Form einer dynamischen Verweisung haben diese den Charakter von Verwaltungsvorschriften nicht verloren ( BVerwG 2 C 34.03 - Buchholz 270 § 5 BhV Nr. 15 S. 3). Als bloße Verwaltungsvorschriften genügen die Beihilfevorschriften nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Gesetzesvorbehalts. Für eine Übergangszeit ist jedoch grundsätzlich von der Weitergeltung der Beihilfevorschriften als Verwaltungsvorschriften auch im Landesbereich auszugehen ( BVerwG 2 C 50.02 - BVerwGE 121, 103 <111> = Buchholz 232 § 79 BBG Nr. 123 S. 14 und vom a.a.O.). Dabei sind sie weiterhin wie Rechtsnormen auszulegen ( BVerwG 2 C 9.07 - Buchholz 270 § 6 BhV Nr. 15 Rn. 13). Die weitere Anwendbarkeit von Leistungsausschlüssen und -einschränkungen trotz Notwendigkeit der Aufwendungen setzt aber voraus, dass die jeweilige Regelung nicht aus anderen Gründen gegen höherrangiges Recht verstößt ( BVerwG 2 C 24.07 - Buchholz 232 § 79 BBG Nr. 126 Rn. 13 und vom - BVerwG 2 C 2.07 - BVerwGE 131, 234 Rn. 12 = Buchholz 270 § 6 BhV Nr. 17).
10§ 87c Abs. 1 NBG i.V.m. § 5 Abs. 4 Nr. 6 Satz 1 BhV bewirkt einen Leistungsausschluss (1). Dieser verstößt unter den hier gegebenen Umständen nicht gegen höherrangiges Recht (2).
111. Nach § 87c Abs. 1 NBG i.V.m. § 5 Abs. 4 Nr. 6 Satz 1 BhV sind die Aufwendungen für eine persönliche Tätigkeit eines nahen Angehörigen bei einer Heilbehandlung nicht beihilfefähig; als nahe Angehörige gelten Ehegatten, Eltern und Kinder der jeweils behandelten Person.
12Maßgeblich für die Auslegung des Merkmals der persönlichen Tätigkeit ist nicht, wer die Behandlung des Beihilfeberechtigten tatsächlich durchgeführt hat. Entscheidend ist, wer Inhaber der Forderung aus dem Behandlungsvertrag ist und deshalb letztlich über ihre Geltendmachung entscheidet (vgl. ebenso - Schütz/Maiwald, Beamtenrecht des Bundes und der Länder, Entscheidungssammlung, Ordner 8, 5. Auflage, ES/C IV 2 Nr. 155 S. 548; Mildenberger, Beihilferecht in Bund, Ländern und Kommunen, Bd. 1, Stand: , § 8 BBhV, Anm. 8.1; ebenso - NJW 2001, 3406 <3407> zur Auslegung einer Klausel eines privaten Krankenversicherungsvertrages). Dies folgt aus dem für die Auslegung des Merkmals der persönlichen Tätigkeit ausschlaggebenden Zweck des Beihilfeausschlusses.
13Ausgangspunkt ist die Einschätzung des Vorschriftengebers, es bestehe die naheliegende Möglichkeit, dass im Verhältnis zwischen unterhaltspflichtigen Angehörigen der Behandelnde auf sein Honorar verzichtet oder seine Forderung auf das beschränkt, was als Versicherungsleistung und/oder Beihilfe erstattet wird; im letzteren Fall würden Honorarforderungen nur deshalb erhoben und nur deshalb erfüllt, weil letztlich Dienstherr und Krankenversicherung die Aufwendungen zu tragen haben ( - NVwZ 1993, 560).
14Der Ausschluss soll die Beihilfestelle von der Verpflichtung freistellen, die Ernsthaftigkeit von Honorarforderungen unter nahen Angehörigen zu überprüfen. Die Stelle müsste ansonsten kontrollieren, ob die vom Beihilfeberechtigten eingereichte Rechnung als ausreichende Grundlage für eine unabhängig von Erstattungsansprüchen gestellte Honorarforderung des behandelnden nahen Angehörigen anzusehen ist oder ob sie nur als eine fingierte Unterlage für eine Beihilfefestsetzung dienen soll. Dies würde die Behörde entgegen den Grundsätzen und Zielen des Beihilferechts selbst in Bagatellfällen dazu zwingen, in den persönlichen Bereich des Beamten einzudringen und dessen Verhältnis zum nahen Angehörigen zu klären ( BVerwG 6 C 5.71 - BVerwGE 41, 101 <103> = Buchholz 238.91 Nr. 3 BhV Nr. 16 S. 28 und vom - BVerwG 2 C 23.81 - Buchholz 238.911 Nr. 3 BhV Nr. 19).
15Nach den nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts hat die Ehefrau des Klägers als Inhaberin der Praxis dem Kläger die Behandlungen in Rechnung gestellt. Damit sind diese Aufwendungen des Klägers nach § 87c Abs. 1 NBG i.V.m. § 5 Abs. 4 Nr. 6 Satz 1 BhV nicht beihilfefähig.
16Auf den Umstand, dass die Beklagte ihm bisher bei Behandlungen in der Praxis seiner Ehefrau Beihilfen gewährt hat, kann der Kläger seinen Anspruch nicht stützen, weil dies mit § 87c Abs. 1 NBG i.V.m. § 5 Abs. 4 Nr. 6 Satz 1 BhV nicht in Einklang stand. Die vorschriftenkonforme Handhabung einer Vorschrift für die Zukunft verletzt keine schützenswerte, das Vertrauen auf ihren Bestand rechtfertigende Rechtsposition des Betroffenen ( BVerwG 2 C 17.06 - Buchholz 240 § 57 BBesG Nr. 4 Rn. 19 und vom - BVerwG 2 A 4.07 - Buchholz 232 § 26 BBG Nr. 42 Rn. 25).
17Der Kläger kann sich auch nicht darauf berufen, die Beklagte hätte ihn zuvor auf die neue Handhabung des Ausschlusstatbestandes hinweisen müssen. Der aus der Fürsorgepflicht abgeleitete Gedanke der Schutzbedürftigkeit eines Beihilfeberechtigten bei einer zweifelhaften Auslegung von Bestimmungen der Gebührenordnungen für Ärzte oder Zahnärzte (vgl. zuletzt BVerwG 2 C 79.08 - Buchholz 270 § 5 BhV Nr. 20 S. 12) greift vorliegend nicht. Hier ist die Berechtigung des zivilrechtlichen Anspruchs des Behandelnden nicht bestritten.
182. Der Beihilfeausschluss in § 87c Abs. 1 NBG i.V.m. § 5 Abs. 4 Nr. 6 Satz 1 BhV verletzt unter den Umständen des vorliegenden Falles nicht höherrangiges Recht.
19Nach dem gegenwärtigen Beihilfensystem wird die Beihilfe als Hilfeleistung, die die Eigenvorsorge der Beamten ergänzt, unabhängig von einer finanziellen Notlage gewährt, um einen bestimmten Vomhundertsatz der Kosten in Krankheits-, Pflege, Geburts- und Todesfällen zu erstatten. Nach dem beihilferechtlichen Leistungsprogramm sind grundsätzlich diejenigen Aufwendungen beihilfefähig, die durch einen konkreten Anlass verursacht werden. So knüpft die Beihilfefähigkeit in Krankheitsfällen nicht an bestimmte Behandlungen oder Arzneimittel an ( BVerwG 2 C 49.07 - BVerwGE 131, 20 Rn. 22 = Buchholz 11 Art. 33 Abs. 5 GG Nr. 94 und vom - BVerwG 2 C 23.08 - Buchholz 270 § 6 BhV Nr. 18 Rn. 14). Diese Anlassbezogenheit kommt in dem Grundsatz zum Ausdruck, dass in Krankheitsfällen die Behandlungskosten im Rahmen der Notwendigkeit und der Angemessenheit beihilfefähig sind. Aufwendungen in Krankheitsfällen sind dem Grunde nach notwendig im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BhV, wenn sie für eine medizinisch gebotene Behandlung entstanden sind, die der Wiedererlangung der Gesundheit oder der Besserung oder Linderung von Leiden dient ( BVerwG 2 C 11.06 - BVerwGE 127, 91 Rn. 13 = Buchholz 237.8 § 90 RhPLBG Nr. 2). Die Aufwendungen sind der Höhe nach angemessen im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BhV, wenn und soweit keine gleich wirksame preisgünstigere Behandlung zur Verfügung steht (Urteil vom a.a.O Rn. 9).
20Von dieser im gegenwärtigen Beihilfensystem angelegten Sachgesetzlichkeit weicht § 5 Abs. 4 Nr. 6 Satz 1 BhV zum Nachteil der Beamten ab. Denn krankheitsbedingte Aufwendungen werden trotz ihrer Notwendigkeit und Angemessenheit von der Beihilfegewährung ausgenommen, wenn der Inhaber der Honorarforderung aus der Heilbehandlung ein naher Angehöriger des Beihilfeberechtigten ist. Die Vereinbarkeit eines derartigen Leistungsausschlusses mit dem allgemeinen Gleichheitssatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG hängt davon ab, ob er durch einen zureichenden Grund sachlich gerechtfertigt ist ( BVerwG 2 C 24.07 - a.a.O. Rn. 25 f. und - BVerwG 2 C 12.07 - Buchholz 271 LBeihilfeR Nr. 30 Rn. 23, vom a.a.O. Rn. 14 und vom - BVerwG 2 C 9.10 - juris Rn. 11).
21Ausgehend von den tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts ist der rechtfertigende Grund im Regelfall darin zu sehen, dass es nicht ganz unüblich ist, unterhaltsberechtigten Angehörigen für eine Behandlung selbst bei der Einschaltung von Mitarbeitern keine Rechnung zu stellen. Die für die Beamten mit der Regelung verbundene Belastung wird ohnehin durch den Umstand erheblich reduziert, dass der Beihilfeberechtigte ihre Anwendung durch eine entsprechende Auswahl des Behandelnden abwenden kann ( a.a.O.).
22Demgegenüber fehlt es in Fallgestaltungen, in denen der Beihilfeberechtigte aus besonderen Gründen auf die Behandlung durch seinen Angehörigen selbst oder in dessen Praxis angewiesen war, an einem den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 GG genügenden sachlichen Grund. Dies kann der Fall sein, wenn die erforderliche medizinische Behandlung nur in der Praxis des nahen Angehörigen durchgeführt werden konnte oder es dem Berechtigten aus tatsächlichen Gründen nicht möglich oder zumutbar war, eine andere Praxis aufzusuchen, und der Umfang der Behandlung das Maß dessen deutlich übersteigt, was üblicherweise noch unentgeltlich geleistet wird (vgl. a.a.O. S. 3407 f.).
23Ein solcher Ausnahmefall ist bei den dem Kläger und seinen Angehörigen ärztlich verordneten Behandlungen offenkundig nicht gegeben.
Fundstelle(n):
VAAAD-98842