BGH Beschluss v. - VI ZB 33/10

Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist für eine mittellose Partei: Vorhersehbarkeit einer Versagung beantragter Prozesskostenhilfe

Leitsatz

Ist dem Berufungskläger, der innerhalb der Berufungsbegründungsfrist lediglich die Gewährung von Prozesskostenhilfe beantragt, aufgrund einer bereits vorliegenden Entscheidung bekannt, dass das Berufungsgericht seine Angaben zur Bedürftigkeit für unzureichend hält, muss er, sofern er dem Mangel nicht abhilft, mit der Verweigerung der Prozesskostenhilfe ernsthaft rechnen. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen schuldloser Versäumung der Berufungsbegründungsfrist kann in diesem Fall nicht bewilligt werden.

Gesetze: § 114 ZPO, § 233 ZPO, § 234 ZPO, § 520 ZPO

Instanzenzug: Hanseatisches Az: 11 U 223/08 Beschlussvorgehend Hanseatisches Az: 11 U 223/08 Beschlussvorgehend Az: 311 O 300/04

Gründe

I.

1Der Kläger nimmt den Beklagten, der zwischen den Jahren 1999 und 2002 Mitglied des Vorstandes des Klägers und verschiedener Gesellschaften der H.      -Gruppe war, aus eigenem und aus abgetretenem Recht auf Schadensersatz in Anspruch.

2Das Landgericht hat dem Beklagten mit Beschluss vom Prozesskostenhilfe gewährt, soweit er sich gegen die den Betrag von 877.377,03 € übersteigende Klageforderung verteidigt, und den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Übrigen zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde des Beklagten hat das Beschwerdegericht durch Beschluss vom mit der Begründung zurückgewiesen, dass der Beklagte trotz mehrfacher Aufforderung seine Vermögensverhältnisse bzw. den Verbleib vorhanden gewesenen Vermögens nicht nachvollziehbar dargelegt habe.

3Mit inzwischen rechtskräftig gewordenem Teilurteil vom hat das Landgericht den Beklagten zur Zahlung von 654.185,89 € nebst Zinsen an den Kläger verurteilt.

4Mit Schlussurteil vom hat das Landgericht den Beklagten zur Zahlung weiterer 893.945,57 € nebst Zinsen verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Der Beklagte hat fristgemäß Berufung gegen das Schlussurteil eingelegt und zugleich beantragt, ihm für das Berufungsverfahren Prozesskostenhilfe zu gewähren. Er hat die Berufung in der Berufungsbegründungsfrist nicht begründet.

5Mit Beschluss vom hat das Berufungsgericht die Parteien darauf hingewiesen, dass es beabsichtige, die Berufung gegen das Schlussurteil als unzulässig zu verwerfen, weil diese nicht fristgerecht begründet worden sei.

6Mit Beschluss vom hat das Berufungsgericht den Prozesskostenhilfeantrag des Beklagten für die zweite Instanz mangels Erfolgsaussicht zurückgewiesen. In dem Beschluss hat das Berufungsgericht ausgeführt, der Beklagte könne die Begründung der Berufung gegen das Schlussurteil nach der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist nachholen. Der Beklagte hat fristgemäß Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung beantragt und zugleich die Berufung begründet.

7Mit dem angefochtenen Beschluss vom hat das Berufungsgericht den Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zurückgewiesen und darauf hingewiesen, dass es beabsichtige, die Berufung des Beklagten gegen das Schlussurteil als unzulässig zu verwerfen.

8Zur Begründung hat das Berufungsgericht ausgeführt, der Beklagte habe die Berufungsbegründungsfrist schuldhaft versäumt. Zu den Voraussetzungen der Wiedereinsetzung gehöre, dass die Partei ein vollständiges Gesuch um Prozesskostenhilfe vorlege und annehmen dürfe, bedürftig im Sinne der Kriterien zur Beurteilung der Prozesskostenhilfe zu sein. Da das Berufungsgericht bereits die sofortige Beschwerde des Beklagten gegen den zum Teil Prozesskostenhilfe versagenden Beschluss des Landgerichts mit der Begründung zurückgewiesen habe, dieser habe trotz mehrfacher Aufforderung den Verbleib vorhanden gewesenen Vermögens nicht nachvollziehbar dargelegt, habe der Beklagte nicht davon ausgehen können und dürfen, seine pauschale Angabe zur Existenz eines Kontos genüge den Anforderungen, die an einen vollständigen Prozesskostenhilfeantrag zu stellen seien.

9Weiter hat das Berufungsgericht ausgeführt, selbst wenn man eine Bedürftigkeit und deren Darlegung unterstelle, sei diese für die Fristversäumung nicht kausal gewesen. In dem gegen das Schlussurteil gerichteten Verfahren seien infolge der Berufungseinlegung des Beklagten die Verfahrensgebühren für den Rechtsanwalt und für das Gericht bereits angefallen. Da der Beklagte die Berufung gegen das Teilurteil fristgerecht begründet habe, hätte er näher darlegen müssen, warum in dem Berufungsverfahren gegen das Schlussurteil nun aufgrund Bedürftigkeit innerhalb der Berufungsbegründungsfrist keine Begründung habe eingereicht werden können.

10Mit dem weiteren angefochtenen Beschluss vom hat das Berufungsgericht die Berufung des Beklagten gegen das Schlussurteil als unzulässig verworfen.

11Gegen die Beschlüsse vom und vom wendet sich der Beklagte mit seinen Rechtsbeschwerden, mit denen er die Aufhebung der angefochtenen Beschlüsse und die Zurückverweisung der Sache zur erneuten Entscheidung anstrebt. Er beantragt die Gewährung von Prozesskostenhilfe für die Rechtsbeschwerden.

II.

121. Die Rechtsbeschwerden sind statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO), aber unzulässig. Der von dem Beklagten geltend gemachte Zulässigkeitsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) liegt nicht vor; insbesondere verstoßen die angefochtenen Beschlüsse nicht gegen das Willkürverbot.

13a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Rechtsmittelführer, der vor Ablauf der Rechtsmittelfrist Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt hat, bis zur Entscheidung über den Antrag als ohne sein Verschulden an der Einlegung des Rechtsmittels verhindert anzusehen, wenn er nicht nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise mit der Ablehnung seines Antrags wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen musste; ihm ist nach der Entscheidung über die Prozesskostenhilfe regelmäßig wegen der Versäumung der Frist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (vgl. Senatsbeschluss vom - VI ZB 81/06, FamRZ 2008, 400 Rn. 14; BGH, Beschlüsse vom - VIII ZB 80/03, NJW-RR 2004, 1218, 1219; vom - VIII ZB 113/06, AnwBl. 2007, 625, 626; vom - VIII ZB 55/10, NJW-RR 2011, 230 Rn. 16; Musielak/Grandel, ZPO, 8. Aufl., § 233 Rn. 30; Zöller/Greger, ZPO, 28. Aufl., § 233 Rn. 23 "Prozesskostenhilfe"). Nichts anderes gilt, wenn der Rechtsmittelführer trotz seiner Mittellosigkeit einen Rechtsanwalt findet, der zwar bereit ist, schon vor der Bewilligung von Prozesskostenhilfe das Rechtsmittel - formularmäßig - einzulegen, nicht aber, auch eine Berufungsbegründung zu fertigen (vgl. BGH, Beschlüsse vom - VIII ZB 80/03, NJW-RR 2004, 1218, 1219; vom - VIII ZB 113/06, AnwBl. 2007, 625, 626).

14Wenn dem Rechtsmittelkläger bereits für den ersten Rechtszug Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, kann er bei im Wesentlichen gleichen Angaben zu den Vermögensverhältnissen erwarten, dass auch das Gericht des zweiten Rechtszuges ihn als bedürftig ansieht. Die Partei braucht nicht damit zu rechnen, dass das Rechtsmittelgericht strengere Anforderungen an den Nachweis der Bedürftigkeit stellt als das Erstgericht (vgl. , NJW-RR 2000, 1387; Musielak/Grandel, ZPO, 8. Aufl., § 233 Rn. 30; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 22. Aufl., § 234 Rn. 9).

15War die Erwartung der Gewährung von Prozesskostenhilfe nicht gerechtfertigt, weil die Partei selbst oder ihr Prozessbevollmächtigter erkennen konnte, dass die Voraussetzungen für eine Bewilligung der Prozesskostenhilfe nicht erfüllt oder nicht ausreichend dargetan waren, so kann die Wiedereinsetzung nicht erteilt werden (vgl. Senatsbeschluss vom - VI ZB 81/06, FamRZ 2008, 400 Rn. 14; BGH, Beschlüsse vom - VIII ZB 14/57, BGHZ 26, 99, 101; vom - XII ZB 49/91, NJW-RR 1991, 1532, 1533; Musielak/Grandel, ZPO, 8. Aufl., § 233 Rn. 30). Mit einer Verweigerung der Prozesskostenhilfe ist bereits dann zu rechnen, wenn das Rechtsmittelgericht auf Zweifel hinsichtlich der Bedürftigkeit der Prozesspartei hingewiesen hat und diese vernünftigerweise davon ausgehen musste, dass sie die Zweifel nicht ausräumen kann (vgl. , NJW-RR 2010, 424 Rn. 5).

16b) Nach diesen Grundsätzen stellen die angefochtenen Entscheidungen sich nicht als fehlerhaft dar. Das Berufungsgericht hat in dem angefochtenen Beschluss vom anhand der Umstände des Streitfalls begründet, warum die Erwartung der Gewährung von Prozesskostenhilfe für die Berufung gegen das Schlussurteil nicht gerechtfertigt und der Wiedereinsetzungsantrag unbegründet waren; die Verwerfung der Berufung als unzulässig im Beschluss vom war die Konsequenz daraus.

17Das Berufungsgericht hat darauf abgestellt, dass es die sofortige Beschwerde des Beklagten gegen den Prozesskostenhilfe zum Teil versagenden mit Beschluss vom (vgl. die Fassung im Prozesskostenhilfe-Heft) mit der Begründung zurückgewiesen habe, der Beklagte habe trotz mehrfacher Aufforderung den Verbleib vorhanden gewesenen Vermögens nicht nachvollziehbar dargelegt. Dennoch habe der Beklagte in seiner Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nur erklärt, dass er über ein Bank-, Giro- oder Sparkonto verfüge, ohne nähere Einzelheiten mitzuteilen. Unter diesen Umständen konnte der Beklagte trotz teilweiser Bewilligung von Prozesskostenhilfe im ersten Rechtszug nicht erwarten, dass das Gericht des zweiten Rechtszugs ihn als bedürftig ansehen würde.

18Auf Vorgänge nach dem Ablauf der Berufungsbegründungsfrist kann der Beklagte einen Vertrauenstatbestand nicht mit Erfolg stützen. Diese Vorgänge können für die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist nicht ursächlich gewesen sein.

192. Ob das Berufungsgericht zu Recht angenommen hat, für den Fall, dass man eine Bedürftigkeit und deren Darlegung unterstelle, sei diese für die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist nicht ursächlich gewesen, kann dahinstehen. Da diese Erwägung eine Hilfsbegründung darstellt und nicht entscheidungserheblich ist, kann der Beklagte die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde nicht auf diese Frage stützen (vgl. MünchKommZPO/Wenzel, 3. Aufl., § 543 Rn. 15, 27; Musielak/Ball, ZPO, 8. Aufl., § 543 Rn. 9k; Zöller/Heßler, ZPO, 28. Aufl., § 574 Rn. 13a, § 543 Rn. 6a).

203. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Rechtsbeschwerden ist zurückzuweisen. Die Voraussetzungen dafür liegen nicht vor. Die Rechtsbeschwerden sind unzulässig. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 114 ZPO).

Galke                                  Zoll                                  Wellner

                 Diederichsen                           Stöhr

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
NJW 2012 S. 8 Nr. 3
NJW-RR 2012 S. 383 Nr. 6
PAAAD-98763