Sonderzahlung - Freiwilligkeitsvorbehalt
Leitsatz
Ein vertraglicher Freiwilligkeitsvorbehalt, der alle zukünftigen Leistungen unabhängig von ihrer Art und ihrem Entstehungsgrund erfasst, benachteiligt den Arbeitnehmer regelmäßig unangemessen iSv. § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 BGB und ist deshalb unwirksam.
Gesetze: § 307 Abs 1 S 2 BGB, § 307 Abs 2 Nr 1 BGB, § 307 Abs 2 Nr 2 BGB, § 306 Abs 2 BGB, § 305c Abs 2 BGB, § 305b BGB, § 133 BGB, § 157 BGB
Instanzenzug: ArbG Hanau Az: 3 Ca 17/09 Urteilvorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht Az: 7 Sa 1881/09 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf eine Sonderzahlung für das Jahr 2008.
Der Kläger ist seit dem als Sozialpädagoge bei dem beklagten Verein beschäftigt. Dem Arbeitsverhältnis liegt ein schriftlicher Vertrag vom zugrunde, der auszugsweise lautet:
3Der Kläger erhielt mehr als 20 Jahre lang jeweils mit dem Entgelt für den Monat November ein 13. Monatsgehalt ausgezahlt. Für das Jahr 2006 erfolgte die Zahlung in zwölf Monatsraten nachträglich im Laufe des Jahres 2007. Für das Jahr 2007 erstritt sich der Kläger die Zahlung durch rechtskräftiges Urteil des Arbeitsgerichts Hanau vom (- 3 Ca 175/08 -).
4Mit Schreiben vom wies der Beklagte auf eine angespannte wirtschaftliche Situation hin und bot dem Kläger drei Modelle über eine verringerte Zahlung und/oder veränderte Auszahlungsmodalitäten an. Der Kläger lehnte dies ab, worauf keine Zahlung für das Jahr 2008 erfolgte. Mit Schreiben vom forderte der Kläger den Beklagten unter Fristsetzung zum zur Zahlung auf.
5Der Kläger hat die Auffassung vertreten, § 4 Abs. 3 des Arbeitsvertrags habe nicht verhindern können, dass ihm ein Anspruch aus dem Gesichtspunkt der betrieblichen Übung erwachsen sei. Die Klausel sei unklar und widersprüchlich.
Der Kläger hat beantragt,
7Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Er hat die Auffassung vertreten, dass in Fällen, in denen eine Leistung in einem Vertrag überhaupt nicht zugesagt und erwähnt werde, § 307 BGB insoweit keine Anwendung finden könne, da es sich nicht um eine vertragliche Leistung handele. § 4 Abs. 3 Satz 2 des Arbeitsvertrags sei ausreichend, um das für die betriebliche Übung erforderliche Vertrauensmoment nicht entstehen zu lassen. Selbst wenn § 4 Abs. 3 Satz 1 des Arbeitsvertrags als in sich widersprüchliche Regelung unwirksam sei, behalte die restliche Regelung nach dem sog. Blue-pencil-Test ihre Bedeutung als wirksamer Vorbehalt.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt der Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage.
Gründe
9Die zulässige Revision des Beklagten ist unbegründet. Der Kläger hat Anspruch auf Zahlung eines 13. Monatsgehalts für das Jahr 2008.
10I. Der Beklagte hat mehr als 20 Jahre lang jeweils mit dem Entgelt für den Monat November ein 13. Monatsgehalt an den Kläger ausgezahlt. Dadurch ist ein vertraglicher Anspruch des Klägers auf diese Leistung entstanden. Dem steht die Regelung in § 4 Abs. 3 des Arbeitsvertrags nicht entgegen.
111. Bei Zahlung einer über das arbeitsvertraglich vereinbarte Gehalt hinausgehenden Vergütung ist durch Auslegung (§§ 133, 157 BGB) zu ermitteln, ob sich der Arbeitgeber nur zu der konkreten Leistung (bspw. Gratifikation im Kalenderjahr) oder darüber hinaus auch für die Zukunft verpflichtet hat.
12a) Eine dauerhafte Verpflichtung kann sich insbesondere aus einem Verhalten mit Erklärungswert, wie einer betrieblichen Übung ergeben. Unter einer betrieblichen Übung versteht man die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers, aus denen die Arbeitnehmer schließen können, ihnen solle eine Leistung oder Vergünstigung auf Dauer gewährt werden. Aus diesem als Vertragsangebot zu wertenden Verhalten des Arbeitgebers, das von den Arbeitnehmern regelmäßig stillschweigend angenommen wird (§ 151 BGB), erwachsen vertragliche Ansprüche auf die üblich gewordenen Leistungen für die Zukunft. Entscheidend ist dabei nicht, ob der Erklärende einen Verpflichtungswillen hatte, sondern ob der Erklärungsempfänger die Erklärung oder das Verhalten des Arbeitgebers nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung aller Begleitumstände (§§ 133, 157 BGB) dahin verstehen konnte und durfte, der Arbeitgeber wolle sich zu einer über seine gesetzlichen, tarifvertraglichen und vertraglichen Pflichten hinausgehenden Leistung verpflichten (st. Rspr., bspw. - Rn. 11, EzA BGB 2002 § 307 Nr. 51; - 10 AZR 43/09 - Rn. 16, AP BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 90 = EzA BGB 2002 § 242 Betriebliche Übung Nr. 13). Dies ist im Wege der Auslegung des Verhaltens des Arbeitgebers zu ermitteln. Die Anforderungen an den Erklärungswert bestimmen sich nach der Art des Verhaltens des Vertragspartners, das eine betriebliche Übung begründen soll. Eine vertragliche Bindung wird regelmäßig anzunehmen sein, wenn besondere Umstände ein schutzwürdiges Vertrauen der Arbeitnehmer begründen (vgl. - Rn. 15, AP BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 78). Dabei kommt dem konkreten Verhalten des Arbeitgebers, insbesondere dessen Intensität und Regelmäßigkeit, entscheidendes Gewicht zu. Zwar hat der Senat bisher keine verbindliche Regel aufgestellt, ab welcher Anzahl von Leistungen der Arbeitnehmer darauf vertrauen darf, er werde die Leistung auch zukünftig erhalten. Allerdings ist für jährlich an die gesamte Belegschaft geleistete Gratifikationen die Regel aufgestellt worden, nach der eine zumindest dreimalige vorbehaltlose Gewährung zur Verbindlichkeit erstarkt, falls nicht besondere Umstände hiergegen sprechen oder der Arbeitgeber bei der Zahlung einen Bindungswillen für die Zukunft ausgeschlossen hat (vgl. - Rn. 13, BAGE 129, 164).
13b) Auch wenn es an einer betrieblichen Übung fehlt, weil beispielsweise der Arbeitgeber eine Zahlung nur an einen Arbeitnehmer vorgenommen hat und damit das kollektive Element fehlt, kann für diesen ein Anspruch entstanden sein. Dies ist der Fall, wenn der Arbeitnehmer aus einem tatsächlichen Verhalten des Arbeitgebers auf ein Angebot schließen konnte, das er gemäß § 151 BGB durch schlüssiges Verhalten angenommen hat ( - Rn. 11, 17, AP BGB § 151 Nr. 5).
142. Der Anspruch auf ein 13. Monatsgehalt ist - abgesehen von der Frage des arbeitsvertraglichen Vorbehalts (dazu unter I 3) - Bestandteil der arbeitsvertraglichen Regelungen der Parteien geworden.
15a) Die seit mehr als 20 Jahren im November erfolgte Zahlung einer als 13. Monatsgehalt bezeichneten Zuwendung konnte der Kläger unter Berücksichtigung der konkreten Einzelfallumstände, wie der Häufigkeit der Leistung, der Art der kommentarlosen Auszahlung und der Höhe der Sonderzahlung (ein Monatsgehalt), sowie unter Beachtung von Treu und Glauben nur so auffassen, dass der Beklagte sich auch zur zukünftigen dauerhaften Leistung verpflichten wollte (vgl. zur Auslegung der Erklärungen insoweit: JbArbR Bd. 47 S. 93, 112). Da der Beklagte bei den Zahlungen weder einen ausdrücklichen Freiwilligkeitsvorbehalt erklärt noch auf den vertraglich formulierten Vorbehalt Bezug genommen hatte, musste der Kläger auch nicht annehmen, die Sonderzahlung erfolge lediglich für das konkrete Jahr und ohne Rechtsbindungswillen für die Zukunft. Er durfte vielmehr berechtigterweise auf eine fortdauernde Leistungsgewährung für die Folgejahre vertrauen (zu diesem Vertrauensaspekt: vgl. Annuß FS Picker S. 861, 865). Vom Bestehen eines entsprechenden Anspruchs ging offensichtlich auch der Beklagte aus; anders kann der Inhalt des Schreibens vom kaum gedeutet werden. Ein Angebot auf Vertragsänderung zur teilweisen Beseitigung oder Umgestaltung eines Anspruchs ist nur dann erforderlich, wenn ein solcher Anspruch besteht. Auch die Bezeichnung als „13. Gehalt“ spricht für einen Anspruch.
16Dabei kann dahinstehen, ob der Anspruch aufgrund betrieblicher Übung entstanden ist - wovon das Landesarbeitsgericht ausgegangen ist, ohne allerdings entsprechende Feststellungen zu treffen - oder aufgrund konkludenten Verhaltens ausschließlich im Verhältnis der Parteien.
17b) Dem Anspruch steht die arbeitsvertraglich vereinbarte Schriftformklausel nicht entgegen. Eine einfache Schriftformklausel, nach der Änderungen und Ergänzungen des Vertrags der Schriftform bedürfen, verhindert eine konkludente Vertragsänderung oder das Entstehen einer betrieblichen Übung nicht. Die Vertragsparteien können das für eine Vertragsänderung vereinbarte Schriftformerfordernis jederzeit schlüssig und formlos aufheben. Das ist sogar dann möglich, wenn die Vertragsparteien bei ihrer mündlichen Abrede an die Schriftform überhaupt nicht gedacht haben ( - Rn. 17, BAGE 126, 364 [betriebliche Übung]; vgl. - 9 AZR 819/06 - Rn. 25, AP ZPO § 50 Nr. 17 = EzA TzBfG § 8 Nr. 17 [konkludente Vertragsänderung]).
183. Ebenso wenig steht dem Anspruch der Vorbehalt aus § 4 Abs. 3 des Arbeitsvertrags entgegen. Das Landesarbeitsgericht geht zu Recht davon aus, dass die vertragliche Formulierung das Entstehen eines zukünftigen Anspruchs auf Zahlung eines 13. Monatsgehalts nicht ausschließen konnte. Sie ist nicht geeignet, den Wert der späteren Erklärungen des Beklagten im Zusammenhang mit den mehrfach geleisteten Zahlungen hinreichend zu entwerten. Die Klausel ist wegen der Kombination von Freiwilligkeits- und Widerrufsvorbehalt intransparent und verstößt gegen § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Darüber hinaus benachteiligt ein derartig weit gefasster Freiwilligkeitsvorbehalt den Arbeitnehmer unangemessen iSv. § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 BGB.
19a) Bei der vom Beklagten in § 4 Abs. 3 des Arbeitsvertrags vorformulierten Vertragsbedingung handelt es sich um eine Allgemeine Geschäftsbedingung iSv. § 305 Abs. 1 BGB. Die Auslegung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen durch das Berufungsgericht unterliegt einer vollen revisionsrechtlichen Nachprüfung ( - Rn. 15, EzA BGB 2002 § 307 Nr. 51). Allgemeine Vertragsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei nicht die Verständnismöglichkeiten des konkreten, sondern die des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind. Ansatzpunkt für die nicht am Willen der jeweiligen Vertragspartner zu orientierende Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist in erster Linie der Vertragswortlaut. Ist dieser nicht eindeutig, kommt es für die Auslegung entscheidend darauf an, wie der Vertragstext aus Sicht der typischerweise an Geschäften dieser Art beteiligten Verkehrskreise zu verstehen ist, wobei der Vertragswille verständiger und redlicher Vertragspartner beachtet werden muss. Soweit auch der mit dem Vertrag verfolgte Zweck einzubeziehen ist, kann das nur in Bezug auf typische und von redlichen Geschäftspartnern verfolgte Ziele gelten ( - Rn. 15, aaO).
20b) Nach der Rechtsprechung des Senats kann ein Freiwilligkeitsvorbehalt das Entstehen eines Rechtsanspruchs auf eine künftige Sonderzahlung wirksam verhindern ( - Rn. 16 mwN, EzA BGB 2002 § 307 Nr. 51). Der Arbeitgeber kann - außer bei laufendem Arbeitsentgelt (vgl. - BAGE 122, 182) - einen Rechtsanspruch des Arbeitnehmers grundsätzlich ausschließen und sich eine Entscheidung vorbehalten, ob und in welcher Höhe er zukünftig Sonderzahlungen gewährt. Er bleibt grundsätzlich in seiner Entscheidung frei, ob und unter welchen Voraussetzungen er zum laufenden Arbeitsentgelt eine zusätzliche Leistung erbringen will. Gibt es einen klar und verständlich formulierten Freiwilligkeitsvorbehalt, der jeden Rechtsanspruch des Arbeitnehmers auf eine Sonderzahlung ausschließt, fehlt es an einer versprochenen Leistung iSd. § 308 Nr. 4 BGB. In diesen Fällen wird eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Leistung der Sonderzahlung unabhängig von dem mit der Sonderzuwendung verfolgten Zweck von vornherein nicht begründet. Allerdings muss ein solcher Freiwilligkeitsvorbehalt klar und verständlich iSd. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB formuliert worden sein, um den Rechtsanspruch des Arbeitnehmers auf eine Sonderzahlung eindeutig auszuschließen ( - Rn. 16, aaO). Er darf insbesondere nicht in Widerspruch zu anderen Vereinbarungen der Arbeitsvertragsparteien stehen ( - Rn. 39, BAGE 127, 185; vgl. - 10 AZR 825/06 - Rn. 18, BAGE 124, 259; Preis NZA 2009, 281, 285).
21c) Die im Streitfall formulierte Kombination von Freiwilligkeits- und Widerrufsvorbehalt verstößt gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB.
22aa) Nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB kann sich eine unangemessene Benachteiligung auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist. Sinn des Transparenzgebots ist es, der Gefahr vorzubeugen, dass der Vertragspartner des Klauselverwenders von der Durchsetzung bestehender Rechte abgehalten wird. Ein Verstoß gegen das Transparenzgebot liegt deshalb nicht schon dann vor, wenn der Arbeitnehmer keine oder nur eine erschwerte Möglichkeit hat, die betreffende Regelung zu verstehen. Erst in der Gefahr, dass der Vertragspartner des Klauselverwenders wegen unklar abgefasster Allgemeiner Vertragsbedingungen seine Rechte nicht wahrnimmt, liegt eine unangemessene Benachteiligung iSv. § 307 Abs. 1 BGB ( - Rn. 29, ZTR 2011, 547; - 10 AZR 1/08 - Rn. 15, AP BGB § 307 Nr. 40 = EzA BGB 2002 § 307 Nr. 40). Eine solche Situation ist bei der Kombination eines Freiwilligkeits- mit einem Widerrufsvorbehalt regelmäßig gegeben.
23bb) § 4 Abs. 3 Satz 1 des Arbeitsvertrags formuliert, dass im (schriftlichen) Vertrag nicht vereinbarte Leistungen freiwillig sind. Eine solche Bestimmung ist im Zweifel nur als Hinweis zu verstehen, dass der Arbeitgeber Leistungen erbringt, ohne dazu durch andere Regelungen gezwungen zu sein (vgl. - Rn. 17, BAGE 124, 259; - 5 AZR 363/05 - Rn. 24 f., BAGE 117, 155). Allerdings enthält § 4 Abs. 3 Satz 2 des Arbeitsvertrags darüber hinaus den für sich genommen klaren Hinweis, dass auch bei einer mehrmaligen und regelmäßigen Zahlung der Arbeitnehmer keinen Rechtsanspruch für die Zukunft erwerben solle. Einen solchen Vorbehalt hat der Senat als ausreichend angesehen, um einen Anspruch auf eine zukünftige Leistung auszuschließen (vgl. - EzA BGB 2002 § 307 Nr. 43 [Vorbehalt bei Zahlung]; - 10 AZR 219/08 - BAGE 129, 164 [Vorbehalt im Formulararbeitsvertrag]).
24cc) Die Klausel in § 4 Abs. 3 des Arbeitsvertrags ist aber deshalb unklar und missverständlich, weil Satz 1 darüber hinaus eine Widerrufsmöglichkeit vorsieht. Der Beklagte hat eine freiwillige Leistung unter einen Widerrufsvorbehalt gestellt. Bei einem Freiwilligkeitsvorbehalt entsteht schon kein Anspruch auf die Leistung, bei einem Widerrufsvorbehalt hingegen hat der Arbeitnehmer einen Anspruch, der Arbeitgeber behält sich aber vor, die versprochene Leistung einseitig zu ändern (vgl. bspw. - Rn. 10, EzA BGB 2002 § 308 Nr. 12; - 5 AZR 364/04 - zu B I 3 der Gründe, BAGE 113, 140).
25Dem Landesarbeitsgericht ist in der Annahme zu folgen, dass in einer solchen Kombination von Freiwilligkeits- und Widerrufsvorbehalt regelmäßig ein zur Unwirksamkeit der Klausel führender Verstoß gegen das Transparenzgebot liegt, sodass der Arbeitgeber sich auf den Freiwilligkeitsvorbehalt nicht berufen kann (noch offengelassen in - Rn. 20, EzA BGB 2002 § 307 Nr. 51). Der Begriff des Widerrufsvorbehalts hat eine bestimmte arbeitsrechtliche Bedeutung. Nutzt der Verwender Allgemeiner Geschäftsbedingungen einen solchen Begriff, so darf sein Vertragspartner diesem eine entsprechende Bedeutung zumessen. Im Widerrufsvorbehalt liegt damit nicht nur eine „Verstärkung“ des Freiwilligkeitsvorbehalts. Bei der Kombination von Freiwilligkeits- und Widerrufsvorbehalt wird vielmehr schon nach dem Vertragstext auch für den um Verständnis bemühten Vertragspartner nicht deutlich, ob nun jegliche zukünftige Bindung ausgeschlossen oder lediglich eine Möglichkeit eröffnet werden soll, sich später wieder von einer vertraglichen Bindung loszusagen. Erfolgen dann noch mehrfache Zahlungen einer bestimmten Leistung ohne weitere Vorbehalte, so ist erst recht nicht mehr erkennbar, ob ein Rechtsbindungswille für die Zukunft ausgeschlossen bleiben soll.
26dd) Entgegen der Auffassung des Beklagten kann die Klausel nicht so geteilt werden, dass lediglich ein wirksamer Freiwilligkeitsvorbehalt aufrechterhalten bliebe.
27Handelt es sich um eine teilbare Klausel, ist die Inhaltskontrolle jeweils für die verschiedenen, nur formal verbundenen Bestimmungen vorzunehmen ( - Rn. 32, BAGE 118, 36). Maßgeblich ist, ob die Klausel mehrere sachliche Regelungen enthält und der unzulässige Teil sprachlich eindeutig abtrennbar ist. Ist die verbleibende Regelung weiterhin verständlich, bleibt sie bestehen. Die Teilbarkeit einer Klausel ist durch Streichung des unwirksamen Teils zu ermitteln (vgl. - Rn. 11, AP BGB § 307 Nr. 43 = EzA BGB 2002 § 307 Nr. 44).
28Die Aufrechterhaltung eines zulässigen Teils der Klausel kommt hier grundsätzlich nicht in Betracht. Die Intransparenz der vertraglichen Regelung und damit ihre Unwirksamkeit nach § 307 Abs. 1 Satz 2 iVm. Satz 1 BGB folgt gerade aus der Kombination zweier Klauselteile, die jeweils für sich genommen ausreichend transparent sein mögen. Dies unterscheidet die Fallgestaltung von den Fällen, in denen ein abgrenzbarer Teil der Vertragsklausel unwirksam ist. Nur in solchen Fällen ist eine Streichung des unwirksamen Teils möglich, ohne gegen das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion (§ 306 Abs. 2 BGB) zu verstoßen (vgl. dazu - Rn. 37 f., AP BGB § 307 Nr. 48 = EzA BGB § 309 Nr. 6).
29d) Darüber hinaus benachteiligt der in § 4 Abs. 3 des Arbeitsvertrags enthaltene Freiwilligkeitsvorbehalt, der alle zukünftigen Leistungen unabhängig von ihrer Art und ihrem Entstehungsgrund erfasst, den Kläger unangemessen iSv. § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 BGB und ist deshalb unwirksam.
30aa) Der Senat ist bisher davon ausgegangen, dass nicht nur Freiwilligkeitsvorbehalte, die bei der jeweiligen Zahlung erklärt werden, sondern auch vertragliche Freiwilligkeitsvorbehalte dazu führen können, dass das spätere konkludente Verhalten des Arbeitgebers entgegen seinem gewöhnlichen Erklärungswert nicht als Angebot zur dauerhaften Leistungserbringung zu verstehen ist. Vertragliche Freiwilligkeitsvorbehalte wurden grundsätzlich als wirksam im Hinblick auf eine Inhaltskontrolle nach § 305 ff. BGB angesehen. In den entschiedenen Fällen ging es jeweils um Ansprüche auf Leistungen, die als „Weihnachtsgeld“ oder „Weihnachtsgratifikation“ bezeichnet waren, auch wenn die Vertragsklauseln teilweise auch andere Leistungen erfassten (zB - Rn. 16, EzA BGB 2002 § 307 Nr. 51; - 10 AZR 914/08 - Rn. 14, AP BGB § 305c Nr. 12 = EzA BGB 2002 § 305c Nr. 18; - 10 AZR 219/08 - Rn. 14 f., BAGE 129, 164 und - 10 AZR 221/08 - Rn. 14 f.; - 10 AZR 1/08 - Rn. 12, AP BGB § 307 Nr. 40 = EzA BGB 2002 § 307 Nr. 40; - 10 AZR 606/07 - Rn. 39, BAGE 127, 185).
31bb) Der Senat hat bereits Bedenken, ob ein solcher vertraglicher Vorbehalt dauerhaft den Erklärungswert einer ohne jeden Vorbehalt und ohne den Hinweis auf die vertragliche Regelung erfolgten Zahlung so erschüttern kann, dass der Arbeitnehmer das spätere konkludente Verhalten des Arbeitgebers entgegen seinem gewöhnlichen Erklärungswert nicht als Angebot zur dauerhaften Leistungserbringung verstehen kann (kritisch auch Däubler/Bonin/Deinert/ Bonin 3. Aufl. § 307 BGB Rn. 200 ff.; ErfK/Preis 11. Aufl. §§ 305 - 310 BGB Rn. 68; Kittner/Zwanziger/Deinert 6. Aufl. § 11 Rn. 135a, 224; aA bei Gratifikationen DFL/Löwisch 4. Aufl. § 308 BGB Rn. 4; Henssler/Moll AGB-Kontrolle vorformulierter Arbeitsbedingungen S. 35; HWK/Thüsing 4. Aufl. § 611 BGB Rn. 508 ff.; MüArbR/Krause 3. Aufl. § 56 Rn. 7; Schaub/Linck ArbR-Hdb. 14. Aufl. § 35 Rn. 67). Die vorliegende Fallgestaltung mit einer mehr als 20 Jahre lang erfolgten vorbehaltlosen Zahlung einer zusätzlichen Vergütung lässt eine entsprechende Annahme als zweifelhaft erscheinen.
32cc) Unabhängig hiervon muss diese Rechtsprechung in den Fällen eingeschränkt werden, in denen ein vertraglicher Freiwilligkeitsvorbehalt alle zukünftigen Leistungen unabhängig von ihrer Art und ihrem Entstehungsgrund erfassen soll. Ein solcher Freiwilligkeitsvorbehalt bezieht unzulässigerweise laufende Leistungen ein und verstößt sowohl gegen den in § 305b BGB bestimmten Vorrang der Individualabrede als auch gegen den allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass vertragliche Regelungen einzuhalten sind.
33(1) Nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB sind Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam, wenn sie den Vertragspartner entgegen Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine formularmäßige Vertragsbestimmung ist unangemessen, wenn der Verwender durch einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornherein auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zu gewähren. Die Feststellung einer unangemessenen Benachteiligung setzt eine wechselseitige Berücksichtigung und Bewertung rechtlich anzuerkennender Interessen der Vertragspartner voraus. Bei diesem Vorgang sind auch grundrechtlich geschützte Rechtspositionen zu beachten. Zur Beurteilung der Unangemessenheit ist ein genereller, typisierender, vom Einzelfall losgelöster Maßstab anzulegen. Im Rahmen der Inhaltskontrolle sind dabei Art und Gegenstand, besonderer Zweck und besondere Eigenart des jeweiligen Geschäfts zu berücksichtigen. Zu prüfen ist, ob der Klauselinhalt bei der in Rede stehenden Art des Rechtsgeschäfts generell unter Berücksichtigung der typischen Interessen der beteiligten Verkehrskreise eine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners ergibt. Die im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten sind gemäß § 310 Abs. 4 Satz 2 angemessen zu berücksichtigen ( - Rn. 39 f., AP BGB § 307 Nr. 26; vgl. - 9 AZR 557/05 - Rn. 33, BAGE 118, 22). Nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB ist eine unangemessene Benachteiligung im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist.
34(2) Der Vorbehalt in § 4 Abs. 3 des Arbeitsvertrags lässt eine Auslegung zu, wonach er alle zukünftigen, im Vertrag nicht unmittelbar vereinbarten Leistungen unabhängig von ihrer Art und ihrem Entstehungsgrund erfassen soll.
35Der Vorbehalt bezieht sich nach seinem Wortlaut auf alle im schriftlichen Arbeitsvertrag vom nicht vereinbarten Leistungen. Es wird nicht danach unterschieden, ob es sich um laufende Leistungen oder einmalige Sonderzahlungen handeln soll; eine Konkretisierung auf bestimmte Leistungen oder zumindest auf eine bestimmte Art von Leistungen ist nicht enthalten. Ebenso wenig wird auf den Entstehungsgrund der Leistung abgestellt. Der Wortlaut erfasst sowohl Fälle der betrieblichen Übung als auch konkludente, zB auf einer Gesamtzusage beruhende Vereinbarungen und sogar ausdrückliche vertragliche Einzelabreden. Entgegen der Auffassung des Beklagten lässt sich der vertragliche Freiwilligkeitsvorbehalt nicht dahingehend auslegen, dass damit allein das Entstehen einer betrieblichen Übung hinsichtlich bestimmter Sonderzahlungen ausgeschlossen werden sollte. Aus dem Wortlaut der Regelung ist eine solche Beschränkung nicht zu entnehmen. Auch aus den übrigen vertraglichen Regelungen lässt sich aus Sicht der typischerweise an Geschäften dieser Art beteiligten Verkehrskreise eine Beschränkung auf die Verhinderung einer betrieblichen Übung nicht erkennen. Zwar ist eine solche Auslegung möglich; ebenso nahe liegend erscheint aber eine dem Wortlaut entsprechende weiter gefasste Auslegung. Bleibt nach Ausschöpfung der Auslegungsmethoden ein nicht behebbarer Zweifel, geht dies gemäß § 305c Abs. 2 BGB zulasten des Verwenders. Der die Allgemeinen Geschäftsbedingungen verwendende Arbeitgeber muss bei Unklarheiten die ihm ungünstigste Auslegungsmöglichkeit gegen sich gelten lassen ( - Rn. 20, AP GewO § 106 Nr. 11 = EzA BGB 2002 § 307 Nr. 49; - 3 AZR 388/05 - Rn. 30, AP BetrAVG § 1 Zusatzversorgungskassen Nr. 67 = EzA BetrAVG § 1 Zusatzversorgung Nr. 18; auch st. Rspr. des BGH, vgl. zB - VIII ZR 246/08 - Rn. 41, BGHZ 186, 180; - VIII ZR 294/09 - Rn. 16, NJW 2010, 2877).
36(3) Der Ausschluss jeden Rechtsanspruchs für außerhalb der früheren vertraglichen Vereinbarungen gezahltes laufendes Arbeitsentgelt benachteiligt den Arbeitnehmer entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen und ist gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam.
37Der Ausschluss jeden Rechtsanspruchs bei laufendem Arbeitsentgelt widerspricht dem Zweck des Arbeitsvertrags. Dem Arbeitgeber soll damit ermöglicht werden, vom Arbeitnehmer die vollständige Erbringung der geschuldeten Leistung zu verlangen und seinerseits über die von ihm geschuldete Gegenleistung zu disponieren. Damit verhindert der Ausschluss des Rechtsanspruchs die Verwirklichung des Prinzips der Vertragsbindung und löst die synallagmatische Verknüpfung der Leistungen beider Vertragsparteien. Die Möglichkeit, eine nach Zeitabschnitten bemessene Vergütung grundlos und noch dazu ohne jegliche Erklärung einzustellen, beeinträchtigt die Interessen des Arbeitnehmers grundlegend. Dies gilt auch dann, wenn es sich bei den unter einem Vorbehalt stehenden Leistungen nicht um die eigentliche Grundvergütung, sondern um eine zusätzliche Abgeltung der Arbeitsleistung in Form einer Zulage oder sonstiger laufender Leistungen handelt ( - Rn. 20, BAGE 122, 182; Schaub/Linck § 35 Rn. 70 f.).
38(4) Eine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers liegt auch darin, dass der vertragliche Vorbehalt spätere Individualabreden iSv. § 305b BGB erfasst.
39Nach § 305b BGB haben individuelle Vertragsabreden Vorrang vor Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Individualabreden können grundsätzlich alle Abreden zwischen den Vertragsparteien außerhalb der einseitig vom Verwender vorgegebenen Geschäftsbedingungen sein. Sie können sowohl ausdrücklich als auch konkludent getroffen werden (vgl. zu § 4 AGBG: - zu II 2 a der Gründe, NJW 1986, 1807). Auch nachträglich getroffene Individualabreden haben Vorrang vor kollidierenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Es kommt nicht darauf an, ob die Parteien eine Änderung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen beabsichtigt haben oder sich der Kollision mit den Allgemeinen Geschäftsbedingungen bewusst geworden sind ( - zu 2 a der Gründe, BGHZ 164, 133). Mit diesem Vorrang der Individualabrede ist ein Freiwilligkeitsvorbehalt nicht zu vereinbaren, der so ausgelegt werden kann, dass er Rechtsansprüche aus späteren Individualabreden ausschließt (vgl. auch zur doppelten Schriftformklausel: - Rn. 39, BAGE 126, 364).
40(5) Darüber hinaus weicht eine solche Regelung von dem allgemeinen Grundsatz „pacta sunt servanda“ (Verträge sind einzuhalten) ab (§ 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB). Jeder Vertrag und die sich aus ihm ergebenden Verpflichtungen sind für jede Seite bindend ( - Rn. 34, BAGE 116, 267; - 5 AZR 364/04 - zu B I 4 a der Gründe, BAGE 113, 140). Dies gilt auch für nach Abschluss des ursprünglichen Vertrags im laufenden Arbeitsverhältnis eingegangene Verpflichtungen. Von diesen kann nicht unter Hinweis auf einen vertraglichen Freiwilligkeitsvorbehalt wieder Abstand genommen werden.
41(6) Es gibt auch keine objektiv feststellbaren Besonderheiten des Arbeitsrechts iSv. § 310 Abs. 4 Satz 2 BGB (vgl. dazu zB - Rn. 22, AP BGB § 611 Kirchendienst Nr. 55 = EzA BGB 2002 § 611 Kirchliche Arbeitnehmer Nr. 15; - 9 AZR 113/09 - Rn. 29, AP BGB § 308 Nr. 8 = EzA BGB 2002 § 308 Nr. 11), die eine abweichende Beurteilung rechtfertigen würden. Dies gilt insbesondere, weil es dem Arbeitgeber unschwer möglich ist, bei der Erbringung der jeweiligen Leistung kontrollfrei zu bestimmen, ob es sich um eine einmalige Leistung handeln soll, und ggf. einen entsprechenden Vorbehalt zu erklären (vgl. Preis/Preis Der Arbeitsvertrag 4. Aufl. II V 70 Rn. 44, 71; Reinhard NJW 2011, 2317).
424. Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 288 Abs. 1, § 286 Abs. 1 BGB.
II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
DB 2012 S. 179 Nr. 3
NJW 2012 S. 8 Nr. 3
ZIP 2012 S. 385 Nr. 8
HAAAD-98705