BGH Beschluss v. - 4 StR 455/11

Gefährliche Körperverletzung: Vorliegen einer das Leben gefährdenden Behandlung

Gesetze: § 224 Abs 1 Nr 5 StGB

Instanzenzug: LG Magdeburg Az: 22 Ks 164 Js 33263/08 (8/09)

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Mit seiner hiergegen gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel führt mit der Sachrüge zur Aufhebung des gesamten Rechtsfolgenausspruchs; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

21. Der Schuldspruch weist im Ergebnis keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.

3Das Landgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Angeklagte einer gefährlichen Körperverletzung im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB (gemeinschaftlich mit einem anderen Beteiligten begangen) schuldig ist. Dagegen wird seine Annahme, dass der Angeklagte auch eine gefährliche Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB begangen hat, von den Feststellungen nicht getragen.

4a) Eine Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung liegt vor, wenn das als Körperverletzung zu beurteilende Verhalten nach den konkreten Umständen des Einzelfalls generell geeignet war, das Leben des Opfers zu gefährden. Nicht erforderlich ist es, dass das Opfer auch tatsächlich in Lebensgefahr geraten ist (, NStZ-RR 2010, 176; Urteil vom – 2 StR 320/96, NStZ-RR 1997, 67 m.w.N.).

5Nach den Feststellungen zwang der Angeklagte an einem Septemberabend den mit Jeans, Pullover und Schuhen bekleideten 21jährigen Geschädigten in die Elbe zu steigen und sich stromabwärts treiben zu lassen. Der Geschädigte war ein guter Schwimmer, ortskundig und trotz der vorhandenen Dunkelheit räumlich orientiert. Nach etwa 700 m vermochte er an einem Buhnenkopf aus dem Wasser zu steigen und zeitnah ärztliche Hilfe zu erlangen. Er erlitt eine leichte Unterkühlung (Untertemperatur von einem Grad Celsius) und wurde über Nacht im Krankenhaus mit vorgewärmten Infusionen versorgt. Die Elbe hatte zum fraglichen Zeitpunkt eine Temperatur von 15 Grad Celsius, einen Pegelstand von 92 cm über Pegel – was Niedrigwasser entspricht – und eine Fließgeschwindigkeit von 0,81 m/s. Strudelbildungen gab es in dem betreffenden Flussabschnitt nicht. Zur Wassertiefe und zum Schiffsverkehr hat das Landgericht keine Feststellungen getroffen.

6Daraus ergibt sich nicht, dass der von dem Angeklagten erzwungene und auf Grund der eingetretenen Unterkühlung als Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) zu beurteilende Aufenthalt des Geschädigten in der Elbe unter Bedingungen erfolgt ist, die dessen Leben zumindest abstrakt in Gefahr gebracht haben. Das Wasser war mit 15 Grad Celsius noch nicht so kalt, dass eine tödliche Unterkühlung zu befürchten war (vgl. LG Saarbrücken, NStZ 1983, 414). Auch Umstände, die geeignet waren, den Geschädigten in die Gefahr des Ertrinkens zu bringen, sind nicht festgestellt. In dem gleichmäßig und eher langsam fließenden Wasser war eine körperliche Überforderung des Geschädigten nicht zu befürchten. Allein aus dem Umstand, dass der Geschädigte beim Schwimmen wegen der mit Wasser vollgesogenen Kleidung mehr Kraft als erwartet aufwenden musste, kann noch keine abstrakte Lebensgefährdung abgeleitet werden. Als sich der Geschädigte ins Wasser sinken ließ und zu schwimmen begann, konnte er noch gefahrlos stehen. Panikreaktionen oder ein Orientierungsverlust waren mit Rücksicht auf die Ortskunde des Geschädigten und sein beherrschtes Reagieren offenkundig nicht zu befürchten. Andere in der konkreten Situation angelegte, aber letztlich nicht wirksam gewordene Gefahrenquellen (vgl. RG Urteil vom 8. April 1884 – II. StrafS 783/84, RGR 6, 282) sind nicht erkennbar.

7b) Der Bestand des Schuldspruchs wird durch die rechtsfehlerhafte Bejahung einer gefährlichen Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB nicht in Frage gestellt. Der aufgezeigte Rechtsfehler betrifft nur den Schuldumfang und damit den Strafausspruch (vgl. ; KK-StPO/Kuckein, 6. Aufl., § 353 Rn. 13 m.w.N.). Zwischen den Feststellungen zu der den Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung tragenden gemeinschaftlichen Begehungsweise nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB und den Feststellungen zu einer möglichen das Leben gefährdenden Behandlung nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB besteht auch kein innerer Zusammenhang, der eine nochmalige tatrichterliche Entscheidung über den Schuldspruch erforderlich machen würde. Beide Fragen betreffen voneinander abgrenzbare Ausschnitte des Gesamtgeschehens und können daher getrennt beantwortet werden (vgl. , BGHSt 41, 222, 223 f.; Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 353 Rn. 7).

82. Der aufgezeigte Rechtsfehler führt jedoch zur Aufhebung des Strafausspruchs. Obgleich das Landgericht bei der Strafzumessung nicht ausdrücklich zum Nachteil des Angeklagten darauf abgehoben hat, dass zwei Tatbestände des § 224 Abs. 1 StGB verwirklicht worden sind, vermag der Senat nicht auszuschließen, dass die Strafe bei einem reduzierten Schuldumfang auch niedriger bemessen worden wäre. Der neue Tatrichter wird daher - gegebenenfalls auf der Grundlage ergänzender Feststellungen - über die Gefährlichkeit der Körperverletzung und die danach schuldangemessene Strafe neu zu befinden haben.

93. Auch die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB leidet an einem durchgreifenden Rechtsfehler.

10Das Landgericht hat die hierfür erforderlichen Voraussetzungen nicht in einer für das Revisionsgericht nachprüfbaren Weise dargelegt. Schließt sich der Tatrichter bei der Begründung einer Maßregelanordnung den Ausführungen des zu dieser Frage gehörten Sachverständigen ohne zusätzliche eigene Erwägungen an, müssen die Urteilsgründe die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Darlegungen des Sachverständigen so wiedergeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (vgl. ). Hieran fehlt es.

11Die Urteilsgründe enthalten – bis auf die Erwähnung eines stationären Psychiatrieaufenthaltes im Jahre 2005, bei dem u.a. die Diagnose einer Polytoxikomanie vom Prägnanztyp eines Abhängigkeitssyndroms gestellt wurde – keine Feststellungen zum Drogen- und Alkoholkonsum des Angeklagten, sodass nicht nachvollzogen werden kann, aufgrund welcher Tatsachen der Sachverständige auf einen Hang, alkoholische Getränke und andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, geschlossen hat. Ebenso fehlt eine Darstellung der tatsächlichen Anknüpfungspunkte für die Bejahung eines symptomatischen Zusammenhangs zwischen dem Hang und der Tat; insbesondere bleibt unerörtert, ob Alkohol oder Drogen bei den zur Aburteilung gelangten früheren Straftaten des Angeklagten eine Rolle gespielt haben.

12Schließlich wird auch die vom Sachverständigen angenommene Erfolgsaussicht (§ 64 Satz 2 StGB) nicht durch Tatsachen belegt. Angesichts des Umstandes, dass sich das bei dem Angeklagten diagnostizierte Abhängigkeitssyndrom (ICD 10: F 19.2) erst auf der Basis einer kombinierten Persönlichkeitsstörung (ICD 10: F 61.0) entwickelt hat, die durch eine latente Aggressionsbereitschaft, psychosoziale Desintegration und eine zunehmende dissoziale Entwicklung gekennzeichnet ist (UA 27), wären hierzu eingehende Ausführungen erforderlich gewesen (vgl. Schalast in: Kröber/Dölling/Leygraf/Sass, Handbuch der Forensischen Psychiatrie Bd. 3 S. 341).

134. Da sich das Verfahren nur noch gegen einen Erwachsenen richtet, weist der Senat die Sache an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurück (, BGHSt 35, 267).

Ernemann                                    Roggenbuck                                    Cierniak

                        Mutzbauer                                         Quentin

Fundstelle(n):
LAAAD-97911