Totschlag: Tötungsvorsatz bei lebensbedrohlicher Gewaltanwendung in Form von längerem Würgen; Ablehnung mehrerer Beweisanträge wegen Bedeutungslosigkeit
Gesetze: § 212 StGB, § 244 Abs 3 S 2 StPO, § 261 StPO, § 267 StPO
Instanzenzug: Az: 18 Ks 3/11 - 10 Js 596/10
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die Revision des Angeklagten rügt die Verletzung materiellen Rechts und beanstandet das Verfahren.
21. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg. Der Schuldspruch hat keinen Bestand, denn das Urteil entbehrt einer die Annahme von Tötungsvorsatz tragenden lückenlosen Beweiswürdigung.
3a) Nach den Feststellungen half der Angeklagte am gegen 24.00 Uhr seiner erheblich alkoholisierten Ehefrau von der Toilette hoch, wobei diese niederfiel und im Badezimmer zu liegen kam. Schon zu diesem Zeitpunkt, spätestens aber im Laufe des folgenden Vormittags entschloss er sich, seine (weiterhin) so daliegende Ehefrau zu töten. Hierzu würgte er sie mehrere Minuten mit beiden Händen, so dass sie schließlich erstickte. "Entweder vor oder nach" der Tat legte er ihr ein Kissen unter den Kopf und deckte sie mit einer Decke zu. Nicht sicher ausschließen kann das Landgericht, dass der ebenfalls unter Alkoholeinfluss stehende Angeklagte "aufgebracht und derart enthemmt war, dass seine Steuerungsfähigkeit im Zeitpunkt der Gewaltausübung erheblich eingeschränkt war".
4b) Auf den Vorsatz des Angeklagten, seine Ehefrau zu töten, schließt das Landgericht daraus, dass ihm aufgrund der dauerhaften und massiven Einwirkung auf deren Hals deren "lebensbedrohliche Situation … nicht habe verborgen bleiben können." Die Art der Einwirkung lasse "keinen anderen Rückschluss zu als dass der Angeklagte mit Tötungsabsicht gehandelt hat". Dies begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
5Zwar ist das Würgen eines Menschen über mehrere Minuten eine äußerst gefährliche Gewalthandlung, deren Lebensbedrohlichkeit für gewöhnlich ohne weiteres erkennbar ist und die deshalb grundsätzlich darauf schließen lässt, der Täter habe den Tod des Opfers beabsichtigt oder jedenfalls billigend in Kauf genommen. Rechtsfehlerfrei ist ein solcher Schluss jedoch nur dann, wenn der Tatrichter auch alle nach Sachlage in Betracht kommenden subjektiven und objektiven Umstände in seine Erwägungen einbezieht, die dieses Ergebnis in Frage stellen können; dies gilt insbesondere bei der Annahme direkten Tötungsvorsatzes (). So versteht es sich etwa nicht von selbst, dass ein Täter, der in einem seine Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigenden Maße alkoholisiert ist, noch erkennt, dass seine Gewalthandlung zum Tode des Opfers führen kann (vgl. , NStZ 2004, 51).
6Danach hätte sich das Landgericht bei der Prüfung des Tötungsvorsatzes auch damit auseinandersetzen müssen, dass der Angeklagte zur Tatzeit möglicherweise unter erheblichem, seine Wahrnehmungsfähigkeit beeinträchtigenden Alkoholeinfluss stand. Dies gilt um so mehr, als das Landgericht ein Tatmotiv nicht feststellen und nicht ausschließen kann, dass der Angeklagte seiner Ehefrau nach dem Geschehen noch ein Kissen unter den Kopf legte und sie zudeckte.
7Wegen der bei dieser Sachlage erforderlichen Gesamtwürdigung aller objektiven und subjektiven Tatumstände gibt der Senat dem neuen Tatrichter Gelegenheit, nicht nur zur inneren Tatseite, sondern insgesamt neue Feststellungen zu treffen.
82. Auf die erhobenen Verfahrensrügen kommt es danach nicht mehr an. Gleichwohl bemerkt der Senat:
9Lehnt der Tatrichter eine Mehrzahl von Beweisanträgen deshalb ab, weil er die darin unter Beweis gestellten Indiztatsachen aus tatsächlichen Gründen als für die Entscheidung ohne Bedeutung erachtet (§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO), so darf er die einzelnen Anträge nicht nur für sich betrachten. Vielmehr hat er jeweils auch die weiteren Beweisbehauptungen (erneut) in Bedacht zu nehmen und in dem ablehnenden Beschluss darzulegen, weshalb er selbst bei einer Gesamtwürdigung aller dieser Indiztatsachen einen im Falle ihres Erwiesenseins nur möglichen Schluss nicht ziehen möchte (LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 225 mwN).
Becker von Lienen Schäfer
Mayer Menges
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AAAAD-96519