BGH Beschluss v. - 2 StR 383/11

Verständigung im Strafverfahren: Anforderungen an die Beweiswürdigung und Umfang der richterlichen Sachverhaltsaufklärungspflicht bei einer Verfahrensabsprache; Erstreckung der Urteilsaufhebung auf weitere Mitangeklagte

Gesetze: § 244 Abs 2 StPO, § 257c StPO, § 261 StPO, § 267 Abs 1 StPO, § 357 StPO

Instanzenzug: Az: 113 KLs 28/10 - 108 Js 5/09 Urteil

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten D.         sowie die nichtrevidierenden Mitangeklagten P.     und M.        wegen versuchten schweren Raubes (Fall B. 2), den Mitangeklagten M.        ferner wegen versuchten Betruges (Fall B. 1), zu Freiheitsstrafen von zwei Jahren und sechs Monaten (D.        ), von zwei Jahren (P.     ) und zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten (M.       ) verurteilt. Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten D.       hat mit der Sachrüge Erfolg. Die Aufhebung des Urteils erstreckt sich in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang auf die nichtrevidierenden Mitangeklagten.

21. Das Urteil ist, soweit es den Angeklagten D.          betrifft, bereits deswegen aufzuheben, weil es eine Beweiswürdigung im Sinne des § 261 StPO vermissen lässt. Ausweislich der Urteilsgründe beruhen die Feststellungen zur Sache allein "auf der Anklageschrift", welcher der Angeklagte D.        sowie die Mitangeklagten P.     und M.        "nach Maßgabe" der getroffenen Verständigung "nicht entgegengetreten" sind (UA S. 26).

3Das Urteil genügt damit nicht den Mindestanforderungen, die an die richterliche Überzeugungsbildung auch dann zu stellen sind, wenn die Entscheidung, wie hier, nach einer Verständigung ergangen ist. Auch bei einer Verständigung hat das Gericht von Amts wegen den wahren Sachverhalt aufzuklären (§ 257c Abs. 1 S. 2, § 244 Abs. 2 StPO). Die Bereitschaft eines Angeklagten, wegen eines bestimmten Sachverhalts eine Strafe hinzunehmen, die das gerichtlich zugesagte Höchstmaß nicht überschreitet, entbindet nicht von dieser Pflicht (vgl. BGH, NStZ 2009, 467; NStZ-RR 2010, 54; Senat, NStZ-RR 2010, 336; Beschluss vom - 2 StR 428/10). Nur ein Sachverhalt, der auf einer Überzeugungsbildung des Gerichts unter vollständiger Ausschöpfung des Beweismaterials beruht, kann die Grundlage einer Verurteilung bilden. Eine Anklageschrift kann auch dann nicht Grundlage sein, wenn ihr neben dem Angeklagten, wie vorliegend, seine wegen gemeinschaftlichem Handelns angeklagten Mittäter ebenfalls nicht entgegengetreten sind. Diesem Einlassungsverhalten lässt sich ein irgendwie geartetes - auch nur "schlankes" - Geständnis, das einen als glaubhaft bewertbaren inhaltlichen Gehalt hätte, auf den einen Schuldspruch tragende Feststellungen gestützt werden könnten, nicht entnehmen (vgl. BGH, NStZ 2004, 509, 510). Es fehlt schon an einem tatsächlichen Einräumen des dem Anklagevorwurf zu Grunde liegenden Sachverhalts.

42. Die Aufhebung ist gemäß § 357 StPO auf die nichtrevidierenden Angeklagten P.     und M.       zu erstrecken, soweit sie wegen der nämlichen Tat verurteilt worden sind. Der materiell-rechtliche Fehler der nicht vorgenommenen Beweiswürdigung, der der Verurteilung des Angeklagten D.           im Fall B. 2 der Urteilsgründe zu Grunde liegt, betrifft die Mitangeklagten P.     und M.         in gleicher Weise.

5Dass sich die Anforderungen an die Urteilsgründe hinsichtlich der nichtrevidierenden Mitangeklagten nur nach dem Maßstab des § 267 Abs. 4 StPO bestimmen, steht einer Erstreckung nicht entgegen, denn es handelt sich hier nicht nur um einen Erörterungsmangel (vgl. BGH, NStZ 2005, 223; Beschluss vom - 5 StR 12/97) oder eine sonst fehlerhafte Beweiswürdigung, sondern um das Fehlen einer Beweiswürdigung, wovon auch § 267 Abs. 4 StPO, der nur Darstellungspflichten betrifft, nicht befreien kann.

6Das Urteil hinsichtlich des Angeklagten P.      war daher insgesamt aufzuheben. Betreffend den Mitangeklagten M.          erstreckt sich die Aufhebung nur auf Fall B. 2 der Urteilsgründe, was zum Wegfall der dazugehörigen Einzelstrafe sowie des Gesamtstrafenausspruchs führt.

Fischer                                   Appl                            Berger

                     Krehl                                   Ott

Fundstelle(n):
ZAAAD-95958