BGH Beschluss v. - XII ZB 263/11

Betreuung: Geschlossene Unterbringung des psychisch kranken Betroffenen zur Sicherung der regelmäßigen Einnahme verordneter Medikamente

Leitsatz

Eine Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist unzulässig, wenn durch sie lediglich die regelmäßige Einnahme verordneter Medikamente sichergestellt werden soll, anstelle der Unterbringung jedoch auch eine Überwachung der Einnahme im häuslichen Umfeld durch einen ambulanten Pflegedienst möglich wäre .

Gesetze: § 26 FamFG, § 1906 Abs 1 Nr 1 BGB, Art 1 GG, Art 2 Abs 2 S 2 GG, Art 103 GG, Art 104 GG

Instanzenzug: LG Rostock Az: 3 T 76/11 (3) Beschlussvorgehend AG Rostock Az: 6 XVII 333/10

Gründe

I.

1Der Betroffene leidet seit 1989 unter einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie mit fortschreitendem Residuum, wegen derer er mehrfach stationär in der Universitätsnervenklinik Rostock behandelt wurde. Nachdem der Betroffene die ihm verordnete Medikation eigenmächtig abgesetzt hatte, genehmigte das auf Antrag des Betreuers die geschlossene Unterbringung des Betroffenen längstens bis zum , um auf diese Weise die Medikamenteneinnahme sicherzustellen.

2Auf nachfolgenden Antrag des Betroffenen, die Genehmigung seiner Unterbringung vorzeitig aufzuheben, hat das Amtsgericht sich in der Einrichtung über den Sachstand unterrichten lassen, den Betroffenen persönlich angehört und ein fachpsychiatrisches Gutachten eingeholt. Der Sachverständige hat ausgeführt, dass zu befürchten sei, dass der Betroffene die ihm verordneten Medikamente bei fehlender Beaufsichtigung nicht oder nicht regelmäßig einnehme. Daraus resultiere die Gefahr einer deutlichen Verschlechterung des Krankheitsbildes mit Eigen- und Fremdgefährdung sowie weiterer Chronifizierung. Daher sei zu empfehlen, die Unterbringung beschlussgemäß fortzuführen.

3Durch Beschluss vom hat das Amtsgericht den Antrag des Betroffenen abgelehnt; das Landgericht hat die Beschwerde des Betroffenen zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich seine Rechtsbeschwerde.

II.

4Die zulässig eingelegte Rechtsbeschwerde ist in der Sache begründet. Der angefochtene Beschluss hat den Betroffenen in seinen Rechten verletzt.

51. Hat sich die angefochtene Entscheidung - wie hier - durch Fristablauf in der Hauptsache erledigt, kann das Beschwerdegericht gemäß § 62 Abs. 1 FamFG aussprechen, dass die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszugs den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt hat. Diese Vorschrift ist im Rechtsbeschwerdeverfahren entsprechend anzuwenden (Senatsbeschluss vom - XII ZB 245/10 - MDR 2011, 935 Rn. 8; - FGPrax 2010, 150 Rn. 9). Voraussetzung ist - neben einem auf die Feststellung gerichteten Antrag -, dass ein berechtigtes Interesse an der Feststellung vorliegt.

6Das Feststellungsinteresse ist in der Regel anzunehmen, wenn ein schwerwiegender Grundrechtseingriff vorliegt (§ 62 Abs. 2 Nr. 1 FamFG) oder eine konkrete Wiederholungsgefahr (§ 62 Abs. 2 Nr. 2 FamFG) besteht. Die gerichtliche Anordnung oder Genehmigung einer freiheitsentziehenden Maßnahme bedeutet stets einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff (vgl. BVerfG NJW 2011, 1931 Rn. 98). Dasselbe gilt für einen Beschluss, der die vorzeitige Aufhebung einer solchen Maßnahme ablehnt und dadurch die Fortdauer des Grundrechtseingriffs bewirkt.

72. Das Landgericht hat seine Entscheidung auf Eigengefährdung gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB gestützt und sie wie folgt begründet:

8Nach den fachärztlichen Gutachten leide der Betroffene unter einer chronifizierten paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie. Er sei weder krankheits- noch therapieeinsichtig. In der Vergangenheit habe der Betroffene seine Medikation mehrfach eigenmächtig abgesetzt und sowohl mündlich wie schriftlich zum Ausdruck gebracht, dass er die Medikamente nicht mehr nehmen möchte. Die Erkrankung erfordere jedoch eine langjährige medikamentöse Behandlung. Aktuell sei eine ausreichende Stabilität der Befindlichkeit des Betroffenen nicht gegeben, weshalb bei fehlender Beaufsichtigung zu befürchten sei, dass er die Medikation absetze und es zu weiteren Schäden komme. Der Nutzen der Unterbringung überwiege daher die negativen Auswirkungen, weshalb die Freiheitsbeschränkung hinzunehmen sei.

93. Die Entscheidung des Landgerichts hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

10a) Die Genehmigung einer geschlossenen Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB setzt eine ernstliche und konkrete Gefahr für Leib oder Leben des Betreuten voraus (Senatsbeschlüsse vom   XII ZB 47/11 - FamRZ 2011, 1141 Rn. 12 und vom   XII ZB 248/09 - FamRZ 2010, 365 Rn. 14 mwN). Der Grad der Gefahr ist in Relation zum möglichen Schaden ohne Vornahme der freiheitsentziehenden Maßnahme zu bemessen (Bienwald/Sonnenfeld/Hoffmann Betreuungsrecht 4. Aufl. § 1906 Rn. 91).

11Die Genehmigung einer Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB muss zudem erforderlich sein (vgl. Senatsbeschluss vom   XII ZB 185/07 - FamRZ 2008, 866 Rn. 23). Wenn die Gefahr durch andere Mittel als die freiheitsentziehende Unterbringung abgewendet werden kann, kommt eine Unterbringung als unverhältnismäßig nicht in Betracht (Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 47/11 - FamRZ 2011, 1141 Rn. 12 und vom - XII ZB 248/09 - FamRZ 2010, 365 Rn. 14 mwN).

12Die Freiheit der Person nimmt - als Grundlage und Voraussetzung der Entfaltungsmöglichkeiten des Einzelnen - einen hohen Rang unter den Grundrechten ein. Das kommt darin zum Ausdruck, dass Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG sie als "unverletzlich" bezeichnet, Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG ihre Beschränkung nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes zulässt und Art. 104 Abs. 2 bis 4 GG besondere Verfahrensgarantien statuiert. Präventive Eingriffe in das Freiheitsgrundrecht sind daher nur zulässig, wenn der Schutz hochwertiger Rechtsgüter dies unter strikter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erfordert (vgl. BVerfG NJW 2011, 1931 Rn. 98 mwN).

13b) Ob die weitere Unterbringung nach diesen Maßstäben zu rechtfertigen war, hat das Landgericht unzureichend geprüft. Zwar hat das Landgericht in Übereinstimmung mit den Ausführungen des Sachverständigen festgestellt, dass der Betroffene unter einer chronifizierten paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie leidet, und dass diese Erkrankung einer langfristigen Medikation bedarf, um weiteren gesundheitlichen Schaden von ihm abzuwenden. Ebenso fehlerfrei hat das Landgericht festgestellt, dass der Betroffene nicht über die nötige Krankheits- und Therapieeinsicht verfügt, um die notwendigen Medikamente dauerhaft aus eigenem Antrieb einzunehmen, und dass die geschlossene Unterbringung grundsätzlich ein geeignetes Mittel sein kann, um eine medizinisch notwendige Behandlung sicherzustellen.

14Das Landgericht hat jedoch verfahrensfehlerhaft nicht die fortdauernde Erforderlichkeit der Unterbringung überprüft.

15Die befragte Mitarbeiterin der Einrichtung hatte angegeben, nach ihrer Ansicht benötige der Betroffene keine geschlossene Unterbringung, sofern er seine Medikamente nehme. Daher käme eine überwachte Wohnform in Betracht. Der Betroffene selbst hat erklärt, dass er mit einer Überwachung der Medikamenteneinnahme durch den Pflegedienst des Deutschen Roten Kreuzes oder einen anderen Pflegedienst einverstanden sei. Er sehe ein, dass er Medikamente einnehmen müsse.

16Somit hatte der Betroffene erkannt, dass seine Unterbringung dadurch bedingt war, dass außerhalb der Einrichtung die Medikamenteneinnahme nicht gesichert war. Auch hatte er nach eigenem Bekunden in der Zwischenzeit eingesehen, dass er sich der Medikamenteneinnahme nicht würde entziehen können. Auf dieser Einsicht beruht offenbar sein mehrfach vorgebrachter Wunsch, die regelmäßige häusliche Medikamenteneinnahme durch einen Pflegedienst überwachen zu lassen. Zwar mag dieses Ansinnen nicht aus einer inzwischen gewonnenen Krankheits- und Therapieeinsicht, sondern aus dem schlichten Verlangen geboren sein, aus der geschlossenen Unterbringung frei zu kommen. Auf das Motiv für die Kooperationsbereitschaft des Betroffenen kommt es jedoch nicht an, sondern nur darauf, die medizinisch notwendigen Maßnahmen sicherzustellen.

17Das Landgericht hätte daher - gegebenenfalls auf der Grundlage einer ergänzenden Stellungnahme des Sachverständigen - prüfen müssen, ob der neuerliche Vorschlag des Betroffenen, die regelmäßige Medikamenteneinnahme in häuslicher Umgebung durch einen Pflegedienst überwachen zu lassen, hinreichend tragfähig war. Wäre dies der Fall, war die weitere Unterbringung nicht mehr erforderlich und deshalb unzulässig. Indem das Landgericht diese Prüfung unterlassen hat, hat es den Sachverhalt unvollständig aufgeklärt und damit zugleich den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt.

Hahne                                         Weber-Monecke                                                  Klinkhammer

                     Günter                                                        Nedden-Boeger

Fundstelle(n):
NJW 2011 S. 3579 Nr. 49
NJW 2011 S. 6 Nr. 48
ZAAAD-94289