BFH Urteil v. - V R 3/07 BStBl 2013 II S. 241

Verkauf von Popcorn und Nachos in Kinos als Lieferung

Leitsatz

1. Die Umsätze aus dem Verkauf von Nachos und Popcorn an Verkaufstheken im Eingangsbereich zu Kinosälen unterliegen als Lieferungen dem ermäßigten Steuersatz.

2. Als Dienstleistungselement ist bereitgestelltes Mobiliar des Leistenden nicht zu berücksichtigen, wenn es nicht ausschließlich dazu bestimmt ist, den Verzehr von Lebensmitteln zu erleichtern (Nachfolgeentscheidung zum , C-499/09, C-501/09, C-502/09, Bog u.a. in UR 2011, 272).

Gesetze: UStG 1999/2005 § 3 Abs. 1 und 9UStG 1999/2005 § 12 Abs. 2 Nr. 1Richtlinie 77/388/EWG Art. 5 Abs. 1Richtlinie 77/388/EWG Art. 6 Abs. 1Richtlinie 77/388/EWG Art. 12 Abs. 3 Buchst. a Anhang H

Instanzenzug: (EFG 2007, 1044),

Gründe

I.

1 Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt an mehreren Standorten in Deutschland Kinos.

2 Neben diversen Süßwaren und Getränken können Kinobesucher in den Foyers auch Popcorn und Tortilla-Chips (Nachos) in verschiedenen Größen erwerben. An den Verkaufsständen selbst sind keine Verzehrtheken angebracht. In den Foyers der Kinos befinden sich jedoch in unterschiedlicher Anzahl jeweils Stehtische, Barhocker, zum Teil Sitzbänke, Stühle, Sitztische und teilweise sog. Stehboards bzw. Wandtresen. Es sind jedoch nicht in allen Kinos sämtliche der genannten Einrichtungsgegenstände vorhanden. In einzelnen Kinosälen sind Getränkehalter an den Kinosesseln angebracht. Sonstige Ablageflächen sind in den Kinosälen nicht vorhanden.

3 Das Popcorn wird in einer Popcornmaschine hergestellt und in einem Tresenwärmer warmgehalten, der bei Bedarf wieder nachgefüllt wird. Die Nachos bezieht die Klägerin in kleineren Packungen von anderen Unternehmern, erwärmt sie im Tresenwärmer und bietet als Ergänzung hierzu Saucen in kleinen Portionen an, die sie in größeren Mengen von anderen Unternehmern bezieht und zum Teil erwärmt.

4 In der Umsatzsteuervoranmeldung für Juni 2005 erklärte die Klägerin die Umsätze aus dem Verkauf des Popcorns und der Nachos mit dem ermäßigten Steuersatz. Abweichend davon setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) im Vorauszahlungsbescheid für den Monat Juni 2005 vom die Umsatzsteuer mit dem Regelsteuersatz fest.

5 Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Zur Begründung seines in „Entscheidungen der Finanzgerichte” (EFG) 2007, 1044 veröffentlichten Urteils führte das Finanzgericht (FG) im Wesentlichen aus, das FA habe zu Recht die streitigen Umsätze als sonstige Leistung erfasst und mit dem Regelsteuersatz besteuert. Zwar würden die Waren von der laufenden Nr. 31 der Anlage 2 erfasst, da sie dem Kapitel 19 des Zolltarifs (ZT) zuzuordnen seien. Es lägen aber nicht, wie nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes 2005 (UStG) i.V.m. der Anlage 2 erforderlich, Lieferungen, sondern sonstige Leistungen i.S. von § 3 Abs. 9 Sätze 4 und 5 UStG vor, weil die Klägerin keine „Nahrungsmittel zum Mitnehmen”, sondern Speisen zum Verzehr an Ort und Stelle abgegeben habe.

6 Mit der Revision macht die Klägerin Verletzung materiellen Rechts geltend. Bei Berücksichtigung der Grundsätze des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) zur Abgrenzung von Lieferungen und Dienstleistungen liege eine Dienstleistung nur vor, wenn im Zusammenhang mit der Abgabe von Speisen ein Dienstleistungsanteil mit überwiegender Bedeutung erbracht werde. Auf das Warmhalten des Popcorns und der Nachos komme es nicht an, weil es sich dabei lediglich um eine lebensmittelgerechte Lagerung bzw. die Gewährleistung einer für den Verkauf optimalen Temperatur gehandelt habe. Auch die Reinigung der Kinosäle dürfe nicht zu ihren Lasten berücksichtigt werden. Die Stehtische, Barhocker usw. seien nicht zum Verzehr des Popcorns und der Nachos bestimmt gewesen, weil die Kinobesucher diese Lebensmittel ganz überwiegend nicht im Foyer, sondern im Kinosaal verzehrt hätten. Dienstleistungen im Darreichungsbereich, wie Bedienung am Platz, erbringe sie nicht.

7 Die Klägerin beantragt,

das Urteil des FG und die Einspruchsentscheidung vom aufzuheben und die im Umsatzsteuerbescheid für 2005 vom festgesetzte Umsatzsteuer um 142.912,16 € auf ./. 404.318,55 € herabzusetzen.

8 Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

9 Der Senat hat das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

„1. Handelt es sich um eine Lieferung i.S. von Art. 5 der Richtlinie 77/388/EWG, wenn zum sofortigen Verzehr zubereitete Speisen oder Mahlzeiten abgegeben werden?

2. Kommt es für die Beantwortung der Frage 1 darauf an, ob zusätzliche Dienstleistungselemente erbracht werden (Nutzungsüberlassung von Tischen, Stühlen, sonstigen Verzehrvorrichtungen, Präsentation eines Kinoerlebnisses)?

3. Falls die Frage zu 1 bejaht wird: Ist der Begriff 'Nahrungsmittel' im Anhang H Kategorie 1 der Richtlinie 77/388/EWG dahin auszulegen, dass darunter nur Nahrungsmittel 'zum Mitnehmen' fallen, wie sie typischerweise im Lebensmittelhandel verkauft werden, oder fallen darunter auch Speisen oder Mahlzeiten, die —durch Kochen, Braten, Backen oder auf sonstige Weise— zum sofortigen Verzehr zubereitet worden sind?”

10 Der , C-499/09, C-501/09, C-502/09, Bog u.a. (Umsatzsteuer-Rundschau —UR— 2011, 272) die Fragen wie folgt beantwortet:

„1. Die Art. 5 und 6 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage in der durch die Richtlinie 92/111/EWG des Rates vom geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass

– die Abgabe frisch zubereiteter Speisen oder Nahrungsmittel zum sofortigen Verzehr an Imbissständen oder -wagen oder in Kino-Foyers eine Lieferung von Gegenständen im Sinne des genannten Art. 5 ist, wenn eine qualitative Prüfung des gesamten Umsatzes ergibt, dass die Dienstleistungselemente, die der Lieferung der Nahrungsmittel voraus- und mit ihr einhergehen, nicht überwiegen;

...

2. Bei Lieferung von Gegenständen ist der Begriff 'Nahrungsmittel' in Anhang H Kategorie 1 der durch die Richtlinie 92/111 geänderten Sechsten Richtlinie 77/388 dahin auszulegen, dass er auch Speisen oder Mahlzeiten umfasst, die durch Kochen, Braten, Backen oder auf sonstige Weise zum sofortigen Verzehr zubereitet worden sind.”

11 Das FA vertritt hierzu die Auffassung, der EuGH gehe zu Unrecht davon aus, dass —ebenso wie in den Verfahren C-497/09 und C-501/09— auch im vorliegenden Verfahren nur behelfsmäßige Verzehrvorrichtungen vorgehalten würden. Es handele sich vielmehr um in ausreichender Anzahl vorhandene Tische, Stühle, Barhocker, Sessel und Bänke, die in der Regel allen Kinobesuchern den Verzehr von Popcorn und Nachos erlaubten. Das Urteil des EuGH führe außerdem zu unbefriedigenden Ergebnissen, wenn darin auf eine standardisierte Zubereitung abgestellt werde. Auch in sog. Fast-Food-Restaurants würden standardisiert zubereitete Speisen verkauft, ohne dass hierbei von steuerbegünstigten Lieferungen auszugehen sei. Das Ergebnis des EuGH, dass das Bereitstellen einer organisatorischen Gesamtheit bestehend aus klimatisierten Räumen, einer ausreichenden Anzahl von für den Verzehr geeigneten Sitzgelegenheiten sowie von Toiletten als in einem Fall wie dem vorliegenden als untergeordnete Nebenleistung anzusehen sei, müsse in Zweifel gezogen werden.

12 Während des Revisionsverfahrens hat das FA am den Umsatzsteuerjahresbescheid für 2005 erlassen.

II.

13 Die Revision der Klägerin ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur antragsgemäßen Änderung des Umsatzsteuerbescheides 2005 (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Entgegen der Auffassung des FG handelt es sich bei den streitigen Umsätzen um Lieferungen, die nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. Anlage 2 dem ermäßigten Steuersatz unterliegen.

14 1. Das Urteil des FG ist nicht deshalb gemäß § 127 FGO aufzuheben und an das FG zurückzuverweisen, weil das FA nach Ergehen des finanzgerichtlichen Urteils einen Umsatzsteuerjahresbescheid für 2005 erlassen hat.

15 Wird der angefochtene Verwaltungsakt nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung geändert oder ersetzt, so wird nach § 68 Satz 1 FGO der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens. Nach ständiger Rechtsprechung verlieren Umsatzsteuervorauszahlungsbescheide durch den Umsatzsteuerjahresbescheid ihre Wirksamkeit, wobei der Jahresbescheid die Vorauszahlungsbescheide in seinen Regelungsgehalt aufnimmt (vgl. z.B. , BFHE 210, 167, BStBl II 2005, 671; , BFH/NV 2010, 1866, m.w.N.). Wird daher während des Verfahrens der angefochtene Vorauszahlungsbescheid ersetzt, wird dieser in entsprechender Anwendung des § 68 FGO Gegenstand des Verfahrens, mit der Folge, dass dem FG-Urteil ein nicht mehr existierender Bescheid zugrunde liegt und deshalb das Urteil keinen Bestand mehr haben kann (z.B. , BFHE 224, 467, BStBl II 2009, 828).

16 Einer Zurückverweisung an das FG nach § 127 FGO bedarf es nicht, weil sich durch den Änderungsbescheid der bisherige Streitstoff nicht verändert hat. Der erkennende Senat entscheidet deshalb gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO in der Sache selbst.

17 2. Die Leistungen der Klägerin unterliegen entgegen der Auffassung des FG dem ermäßigten Steuersatz.

18 a) Nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG ermäßigt sich die Steuer auf 7 v.H. für die Lieferung der in der Anlage 2 bezeichneten Gegenstände. Dazu gehören u.a. „Zubereitungen aus Getreide, Mehl, Stärke oder Milch; Backwaren” (Nr. 31) sowie „verschiedene Lebensmittelzubereitungen” (Nr. 33). Damit hat der nationale Gesetzgeber von dem ihm in Art. 12 Abs. 3 Buchst. a Unterabs. 3, Anhang H Nr. 1 der Sechsten Richtlinie des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) eingeräumten Ermessen hinsichtlich der Anwendung eines ermäßigten Steuersatzes Gebrauch gemacht. Nach Art. 12 Abs. 3 Buchst. a Unterabs. 3 der Richtlinie 77/388/EWG können die Mitgliedstaaten einen oder zwei ermäßigte Steuersätze anwenden. Diese ermäßigten Steuersätze „... sind nur auf Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen der in Anhang H genannten Kategorien anwendbar”. In Anhang H Nr. 1 der Richtlinie 77/388/EWG sind genannt:

„Nahrungs- und Futtermittel (einschließlich Getränke, alkoholische Getränke jedoch ausgenommen), lebende Tiere, Saatgut, Pflanzen und üblicherweise für die Zubereitung von Nahrungs- und Futtermitteln verwendete Zutaten, üblicherweise als Zusatz oder Ersatz für Nahrungs- und Futtermittel verwendete Erzeugnisse.”

19 b) Lieferungen sind nach § 3 Abs. 1 UStG Leistungen, durch die der Unternehmer den Abnehmer befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen (Verschaffung der Verfügungsmacht). Nicht begünstigt sind sonstige Leistungen. Eine sonstige Leistung ist nach § 3 Abs. 9 Satz 4 UStG die Abgabe von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle. Speisen und Getränke werden zum Verzehr an Ort und Stelle abgegeben, wenn sie nach den Umständen der Abgabe dazu bestimmt sind, an einem Ort verzehrt zu werden, der mit dem Abgabeort in einem räumlichen Zusammenhang steht, und besondere Vorrichtungen für den Verzehr an Ort und Stelle bereitgehalten werden (§ 3 Abs. 9 Satz 5 UStG).

20 c) Die Abgabe von verzehrfertig erwärmtem Popcorn und zusammen mit Saucen abgegebenen erwärmten Nachos in einem Kino ist auch dann eine Lieferung, die gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. Nr. 31 und 33 der Anlage 2 zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG dem ermäßigten Steuersatz unterliegt, wenn zusätzlich behelfsmäßige Verzehrvorrichtungen bereitgehalten werden.

21 aa) Bei der Abgrenzung zwischen Lieferung und Dienstleistung ist auf die Sicht des Durchschnittsverbrauchers abzustellen. Maßgebend ist eine Gesamtbetrachtung aller Umstände, unter denen der Umsatz erfolgt. Im Rahmen dieser Gesamtbetrachtung ist „die qualitative und nicht nur quantitative Bedeutung der Dienstleistungselemente im Vergleich zu den Elementen einer Lieferung von Gegenständen zu bestimmen” (EuGH-Urteil Bog u.a. in UR 2011, 272 Rdnr. 62; , BFHE 225, 210, BFH/NV 2009, 1551; vom V R 59/04, BFHE 215, 360, BStBl II 2007, 487, m.w.N., und vom V R 55/04, BFHE 214, 474, BStBl II 2007, 480, m.w.N.).

22 bb) Zu der Frage, ob die einheitliche Leistung beim Verkauf von Popcorn und Tortilla-Chips (Nachos) in einem Kino als Lieferung oder als Dienstleistung einzustufen ist, hat der EuGH in dem das vorliegende Verfahren (C-499/09) betreffenden Urteil Bog u.a. in UR 2011, 272 ausgeführt:

„...

72   Wie aus der Sachverhaltsschilderung des vorlegenden Gerichts hervorgeht, sind die Zubereitung von Popcorn, die mit dessen Herstellung zusammenfällt, sowie die Abgabe von Popcorn und „Tortilla"-Chips in Verpackungen Bestandteil des Verkaufs dieser Waren und stellen somit keine vom Verkauf unabhängigen Umsätze dar. Zudem erfolgen sowohl die Zubereitung der Nahrungsmittel als auch ihre Warmhaltung gleichmäßig und nicht auf Bestellung eines bestimmten Kunden.

73   Überdies wird das Mobiliar (Stehtische, Hocker, Stühle und Bänke), das es außerdem nicht in allen Kinos gibt, in der Regel unabhängig vom Verkauf von Popcorn und „Tortilla"-Chips zur Verfügung gestellt, und die mit ihm ausgestatteten Bereiche dienen ebenso als Warteraum wie als Treffpunkt. Der Verzehr erfolgt in der Praxis zudem im Kinosaal. Dazu sind manche Kinosäle mit Getränkehaltern ausgestattet, die zugleich dazu dienen, die Säle sauber zu halten. Das bloße Vorhandensein dieses Mobiliars, das nicht ausschließlich dazu bestimmt ist, den Verzehr solcher Lebensmittel möglicherweise zu erleichtern, kann nicht als Dienstleistungselement angesehen werden, das geeignet wäre, dem Umsatz insgesamt die Eigenschaft einer Dienstleistung zu verleihen.

74   Folglich ist bei den Tätigkeiten wie den in den Ausgangsverfahren in den Rechtssachen C-497/09, C-499/09 und C-501/09 fraglichen das überwiegende Element der betreffenden Umsätze bei einer Gesamtbetrachtung die Lieferung von Speisen oder Mahlzeiten zum sofortigen Verzehr, wobei die diesen wesenseigene einfache, standardisierte Zubereitung und die Bereitstellung behelfsmäßiger Vorrichtungen, die einer beschränkten Zahl von Kunden den Verzehr an Ort und Stelle erlaubt, eine rein untergeordnete Nebenleistung ist. Ob die Kunden die genannten behelfsmäßigen Vorrichtungen benutzen, ist ohne Bedeutung, da der sofortige Verzehr an Ort und Stelle, der kein wesentliches Merkmal des betreffenden Umsatzes darstellt, nicht für dessen Natur bestimmend sein kann.”

23 cc) Der Anwendung dieser Grundsätze im Streitfall steht die Regelung in § 3 Abs. 9 Sätze 4 und 5 UStG nicht entgegen. Nach ständiger Rechtsprechung hat das innerstaatliche Gericht, das im Rahmen seiner Zuständigkeit die Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts anzuwenden hat, für die volle Wirksamkeit dieser Normen Sorge zu tragen, indem es erforderlichenfalls jede entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewandt lässt (vgl. z.B. , Filipiak, Slg. 2009, I-11049, BFH/NV 2010, 136 Rdnrn. 81, 82, m.w.N.; , BFHE 222, 428, BStBl II 2008, 976, unter II.2.a; vom VIII R 101/02, BFHE 222, 453, BStBl II 2010, 265, unter IV.1.). Für die Anwendung des § 3 Abs. 9 Sätze 4 und 5 UStG bedeutet dies, dass, soweit die Vorschrift nicht richtlinienkonform ist, die unionsrechtlichen Grundsätze zur Abgrenzung Lieferung und sonstige Leistung maßgebend sind (, BFHE 223, 539, BFH/NV 2009, 673, unter II.4.a, m.w.N.) und dabei die vorstehende EuGH-Rechtsprechung zu beachten ist, dessen Auslegung unionsrechtlicher Bestimmungen grundsätzlich verbindlich ist. Dies übersieht das FA, wenn es eine andere Auslegung des Begriffs der Lieferung unter Berücksichtigung des § 3 Abs. 9 Sätze 4 und 5 UStG beansprucht.

24 3. Bei Anwendung der vorstehenden Grundsätze handelt es sich bei der Abgabe von Popcorn und Nachos durch die Klägerin in ihren Kinos um Lieferungen, die dem ermäßigten Steuersatz unterliegen.

25 a) Die mit dem Verkauf im Zusammenhang stehenden Dienstleistungselemente reichen nicht aus, den Umsatz insgesamt als Dienstleistung zu beurteilen. Die Zubereitung hat sich auf die gleichmäßige einfache Herstellung von Popcorn und dessen Warmhaltung sowie der von Nachos beschränkt, und war weiter nicht auf Bestellung eines bestimmten Kunden erfolgt; sie hatte somit standardisierten Charakter.

26 b) Entgegen dem Urteil des FG kann die Bereitstellung von Mobiliar im Streitfall nicht als Dienstleistungselement berücksichtigt werden, weil es nicht ausschließlich dazu bestimmt war, den Verzehr von Lebensmitteln zu erleichtern, sondern die derart ausgestatteten Bereiche zugleich auch als Warteraum und Treffpunkt für Kinobesucher dienten. Dasselbe gilt für das Zurverfügungstellen von Toiletten, weil auch diese in erster Linie den Kinobesuchern, unabhängig vom Verzehr von Speisen, dienten. Soweit sich hinsichtlich der Bedeutung von Verzehrvorrichtungen aus den BFH-Urteilen in BFHE 215, 360, BStBl II 2007, 487 und vom V R 38/05 (BFHE 214, 480, BStBl II 2007, 482), auf die das FG seine Entscheidung gestützt hatte, etwas Anderes ergibt, hält der Senat hieran nicht fest.

27 c) Die streitigen Umsätze der Klägerin unterliegen gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG dem ermäßigten Steuersatz, weil die von ihr gelieferten Lebensmittel in der Anlage 2 zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG bezeichnet sind (Zubereitungen aus Getreide, Mehl, Stärke oder Milch sowie Backwaren —Nr. 31—, Zubereitungen von Gemüse, Früchten usw. —Nr. 32— oder verschiedene Lebensmittelzubereitungen —Nr. 33—). Aus der Antwort zu Leitsatz Nr. 2 des EuGH im Urteil Bog u.a in UR 2011, 272 ergibt sich, dass dies im Einklang mit Anhang H der Richtlinie 77/388/EWG steht, weil Anhang H auch Speisen oder Mahlzeiten umfasst, die durch Kochen, Braten, Backen oder auf sonstige Weise zum sofortigen Verzehr zubereitet worden sind.

Fundstelle(n):
BStBl 2013 II Seite 241
BB 2011 S. 2645 Nr. 43
BFH/NV 2011 S. 2186 Nr. 12
BFH/PR 2012 S. 18 Nr. 1
BStBl II 2013 S. 241 Nr. 6
DB 2011 S. 2356 Nr. 42
DStR 2011 S. 1995 Nr. 42
DStRE 2011 S. 1424 Nr. 22
DStZ 2011 S. 843 Nr. 23
GStB 2012 S. 3 Nr. 1
HFR 2012 S. 187 Nr. 2
KÖSDI 2011 S. 17651 Nr. 11
NJW 2011 S. 10 Nr. 45
NWB-Eilnachricht Nr. 43/2011 S. 3589
StB 2011 S. 419 Nr. 12
StBW 2011 S. 1023 Nr. 23
StC 2012 S. 8 Nr. 1
StuB-Bilanzreport Nr. 22/2011 S. 886
UR 2012 S. 37 Nr. 1
UStB 2011 S. 338 Nr. 11
LAAAD-93770