BVerwG Beschluss v. - 9 BN 1/11

Überprüfung einer abgabenrechtlichen Tiefenbegrenzung

Gesetze: Art 3 Abs 1 GG

Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht für das Land Mecklenburg-Vorpommern Az: 4 K 12/07 Urteil

Gründe

1Die Beschwerde ist unbegründet.

21. Die Divergenzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) greift nicht durch.

3Die Beschwerde rügt, das angegriffene Urteil stehe deswegen im Gegensatz zu den Beschlüssen des BVerwG 8 N 1.83 - (BVerwGE 68, 36 = Buchholz 401.9 Beiträge Nr. 22) und vom - BVerwG 8 B 31.96 - (Buchholz 401.9 Beiträge Nr. 37), weil es die Anwendung des Grundsatzes der Typengerechtigkeit bei der Festlegung einer Tiefenbegrenzung für unzulässig halte und hierauf seine Entscheidung hinsichtlich der Unwirksamkeit der Beitragssatzung stütze. Das Bundesverwaltungsgericht hingegen halte die Heranziehung des Grundsatzes der Typengerechtigkeit nach Maßgabe des Art. 3 Abs. 1 GG bei der Festlegung einer Tiefenbegrenzung für geboten. Entgegen der Behauptung der Beschwerde hat das Bundesverwaltungsgericht jedoch in keiner der beiden Entscheidungen einen derartigen Rechtssatz aufgestellt. In dem Beschluss vom hat es sich allein zur Zulässigkeit eines für alle Grundstückseinheiten gleichen Grundbetrags bei der Bemessung der Beiträge für die Einrichtung der Oberflächenentwässerung verhalten. Ausführungen zu den Anforderungen, die an eine Tiefenbegrenzung zu stellen sind, finden sich weder in der von der Beschwerde zitierten Passage noch an anderer Stelle der Entscheidung. Entsprechendes gilt für den Beschluss vom , in dem sich das Gericht zur Zulässigkeit des gegenüber wirklichkeitsnäheren Beitragsbemessungsmaßstäben vergröbernden Vollgeschossmaßstabs bei der Erhebung von Kanalanschlussgebühren geäußert und in diesem Zusammenhang eine nach dem gewählten Verteilungsmaßstab bei der Bestimmung des abgabenrechtlichen Vorteils zu berücksichtigende Tiefenbegrenzung der Grundstücke erwähnt hat. Rechtliche Anforderungen an die Festlegung einer Tiefenbegrenzung stellt auch diese Entscheidung nicht auf.

4Als weitere Divergenz rügt die Beschwerde, das Oberverwaltungsgericht weiche mit seiner Forderung, eine Tiefenbegrenzung sei ausschließlich nach der ortsüblichen Bebauung zu bestimmen und dürfe nicht unter zusätzlicher Heranziehung des Grundsatzes der Typengerechtigkeit festgesetzt werden, von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Reichweite der gerichtlichen Überprüfung normgeberischen Ermessens ab. Sie nimmt insoweit zum einen erneut auf die Entscheidung vom (a.a.O.) Bezug, zum anderen auf das BVerwG 9 CN 1.01 - (BVerwGE 116, 188 = Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 155). Auch diese Rüge rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht.

5Den Ausführungen in den genannten Entscheidungen zur weitgehenden Freiheit des Satzungsgebers bei der Gestaltung abgabenrechtlicher Regelungen und zur Einschränkung der gerichtlichen Überprüfbarkeit des normgeberischen Ermessens des Satzungsgebers lässt sich nicht der Rechtssatz entnehmen, dass dem Satzungsgeber bei der Festlegung einer Tiefenbegrenzung ein gerichtlich nur eingeschränkt nachprüfbarer Prognosespielraum zusteht. Dass sich das (a.a.O.) zu den Anforderungen, die an die Festlegung einer Tiefenbegrenzung zu stellen sind, nicht geäußert hat, wurde schon ausgeführt. Gegenstand der Entscheidung des war die gerichtliche Überprüfung einer Kostenkalkulation, die die Grundlage einer nur durch das Verbot unangemessener Gewinnerzielung begrenzten gemeindlichen Benutzungsgebührenregelung darstellte. Vor diesem Hintergrund hat das Bundesverwaltungsgericht betont, dass es mit dem Satzungsermessen der Gemeinde nicht vereinbar sei, "die einzelnen Schritte der inhaltlichen Vorbereitung der Entscheidung des Satzungsgebers nach der Art von (ermessensgeleiteten) Verwaltungsakten" zu überprüfen mit der Folge, dass "jeder - vermeintliche - Kalkulationsirrtum als 'Ermessensfehler' angesehen wird" (Urteil vom a.a.O. S. 194 bzw. S. 82). Zu den Maßstäben für die gerichtliche Überprüfung abgabenrechtlicher Tiefenbegrenzungsregelungen verhält sich die Entscheidung nicht. Diese ergeben sich aus der vom Oberverwaltungsgericht berücksichtigten ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Tiefenbegrenzung; danach ist die Überprüfung einer Tiefenbegrenzungsregelung auf ihre Vereinbarkeit insbesondere mit dem Grundsatz der Abgabengerechtigkeit gerade nicht ausgeschlossen und insbesondere darauf zu richten, ob sich die Tiefenbegrenzung an der ortsüblichen Bebauung orientiert (vgl. BVerwG 9 C 15.03 - BVerwGE 121, 365 <369, 372> = Buchholz 406.11 § 131 BauGB Nr. 116 S. 15 und BVerwG 9 B 1.06 - Buchholz 406.11 § 131 BauGB Nr. 117 Rn. 4 ff. zum Erschließungsbeitragsrecht).

6Ferner macht die Beschwerde eine Abweichung von dem - (BVerfGE 123, 1) geltend, in dem der Rechtssatz aufgestellt worden sei, dass der Ausgestaltung einer Maßstabsregelung durch Art. 3 Abs. 1 GG erst dort eine Grenze gesetzt werde, wo eine gleiche oder ungleiche Behandlung von Sachverhalten nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar sei. Die gerügte Divergenz besteht indes nicht. Das Bundesverfassungsgericht hat sich in der genannten Entscheidung lediglich zur Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung des Maßstabs für eine Vergnügungsteuer und den dieser Gestaltungsfreiheit durch Art. 3 Abs. 1 GG gesetzten Grenzen geäußert. Aussagen zu den rechtlichen Vorgaben, denen ein kommunaler Satzungsgeber bei der Ausgestaltung des Maßstabs für Anschlussbeiträge in einer Trinkwassersatzung unterliegt, sind der Entscheidung nicht zu entnehmen.

72. Die von der Beschwerde geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) kommt der Rechtssache nicht zu.

8Grundsätzliche Bedeutung misst die Beschwerde der Frage bei,

ob die gerichtliche Überprüfung normgeberischen Ermessens bei der Festlegung der Tiefenbegrenzung angesichts der ihr zugrunde liegenden Pauschalierung auf Verstöße gegen das Gleichbehandlungsgebot begrenzt ist und die Grenze der Ermessensausübung dort liegt, "wo eine gleiche oder ungleiche Behandlung von Sachverhalten nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar ist, wo also ein einleuchtender Grund für die Gleichbehandlung oder Ungleichbehandlung fehlt und diese daher willkürlich wäre" ( - a.a.O. S. 20).

9Diese Frage rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist - wie oben bereits erwähnt - geklärt, dass das normgeberische Ermessen bei einer im Interesse der Rechtssicherheit und Verwaltungspraktikabilität generalisierenden Tiefenbegrenzung in einer kommunalen Abgabensatzung dem aus Art. 3 Abs. 1 GG herzuleitenden Grundsatz der Abgabengerechtigkeit entsprechen muss. Diesem Grundsatz wird die Gemeinde gerecht, wenn die satzungsrechtliche Tiefenbegrenzung die typischen örtlichen Verhältnisse tatsächlich widerspiegelt (Urteil vom a.a.O. S. 372 bzw. S. 17 und Beschluss vom a.a.O. Rn. 7).

10Die weitere Frage,

ob wegen der Pauschalierung für die Festlegung einer Tiefenbegrenzung der Grundsatz der Typengerechtigkeit mit einer zulässigen Abweichungsquote von 10 % zulässigerweise herangezogen werden darf,

rechtfertigt die Zulassung der Revision ebenfalls nicht. Ist eine Entscheidung auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Revisionszulassungsgrund aufgezeigt wird und vorliegt (stRspr; vgl. nur BVerwG 11 PKH 28.94 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 4 S. 4). Das Oberverwaltungsgericht hat die Anwendung der in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entwickelten Regel, wonach der Grundsatz der Typengerechtigkeit gewahrt ist, solange nicht mehr als 10 % der von der abgabenrechtlichen Vorschrift betroffenen Fälle dem "Typ" widersprechen, zum einen deswegen für fehlerhaft gehalten, weil der Satzungsgeber bei der Bestimmung der typischen Grundstücke "allein die Grundstücke mit Baulandqualität jenseits der Tiefenbegrenzung im Blick" hatte. Zum anderen hat er Überlegungen hinsichtlich der grundsätzlichen Zulässigkeit der Anwendung der "10%-Regel" angestellt und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die Orientierung an der ortsüblichen baulichen Nutzung bereits den entscheidenden Zulässigkeitsmaßstab enthalte, der die Quantifizierungsregel von höchstens 10 % zulässiger Ausnahmefälle auf die Fälle der Tiefenbegrenzungsfälle ausschließe. Die erste dieser beiden die Entscheidung selbständig tragenden Begründungen greift die Beschwerde mit der Grundsatzrüge nicht an.

Fundstelle(n):
OAAAD-92194