Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Beginn der Wiedereinsetzungsfrist bei Versäumung der Berufungsfrist
Leitsatz
1. Die Wiedereinsetzungsfrist beginnt spätestens mit dem Zeitpunkt, in dem der verantwortliche Anwalt bei Anwendung der unter den gegebenen Umständen von ihm zu erwartenden Sorgfalt die eingetretene Säumnis hätte erkennen können und müssen (Senatsbeschluss vom , XII ZB 107/94, FamRZ 1996, 934) .
2. Wird dem Anwalt die Handakte zur Fertigung der Berufungsbegründung vorgelegt, muss er anhand der Handakte auch prüfen, ob die Berufungsfrist eingehalten worden ist .
Gesetze: § 234 Abs 1 S 1 ZPO, § 234 Abs 2 ZPO, § 238 Abs 2 ZPO
Instanzenzug: LG Lübeck Az: 1 S 127/09 Beschlussvorgehend AG Oldenburg (Oldenburg) Az: 23 C 330/06
Gründe
I.
1Der Kläger wendet sich mit der Rechtsbeschwerde gegen die Zurückweisung seines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und die damit einhergehende Verwerfung seiner Berufung.
2Das Amtsgericht hat die Klage auf Rückzahlung restlicher Mietkaution abgewiesen und der auf Zahlung bzw. Feststellung gerichteten Widerklage stattgegeben. Das Urteil ist dem Kläger am zugestellt worden. Die Berufungsschrift des Klägers ist beim Berufungsgericht am eingegangen, worauf das Gericht die Parteien mit Schreiben gleichen Datums hingewiesen hatte. Bereits am war die Berufungsschrift in Form eines Telefaxes an das Amtsgericht gesandt worden. Dieses hatte sie an das Berufungsgericht weitergeleitet, wo das Telefax am schließlich eingegangen war. Nachdem das Berufungsgericht den Kläger am darauf hingewiesen hatte, dass die Berufungsfrist nicht eingehalten sei, hat er am Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
3Diesen Antrag hat das Berufungsgericht mit dem angefochtenen Beschluss zurückgewiesen und zugleich die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen. Dem Antrag des Beklagten (richtig: Klägers) sei nicht zu entsprechen, da er nicht innerhalb der Ausschlussfrist des § 234 Abs. 3 ZPO gestellt worden sei. Die Kammer sei nicht gehalten gewesen, vor Ablauf dieser Jahresfrist über die Zulässigkeit der Berufung zu entscheiden. Besondere Umstände, bei deren Vorliegen die Ausschlussfrist nicht eingreife, lägen nicht vor. Zudem hätte auch der Beklagtenvertreter (richtig: Klägervertreter) Kenntnis von den Tatsachen, aus denen sich die Unzulässigkeit der Berufung ergäbe. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.
II.
4Die Rechtsbeschwerde ist unzulässig. Sie ist zwar gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 ZPO statthaft und frist- sowie formgerecht eingelegt worden. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde fehlt es jedoch an den Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO. Namentlich ist eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht erforderlich.
5Es kann dahingestellt bleiben, ob die Begründung der angefochtenen Entscheidung zur Anwendung der Ausschlussfrist des § 234 Abs. 3 ZPO den entsprechenden Angriffen der Rechtsbeschwerde standhielte.
6Die angefochtene Entscheidung beruht jedenfalls nicht auf einer möglicherweise fehlerhaften Anwendung der Ausschlussfrist des § 234 Abs. 3 ZPO. Nach den getroffenen Feststellungen war der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bereits gemäß § 234 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO unzulässig.
7a) Nach § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO muss die Wiedereinsetzung innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Nach § 234 Abs. 2 ZPO beginnt die Frist mit dem Tag, an dem das Hindernis - hier also die Unkenntnis von dem verspäteten Eingang der Berufungsschrift beim Berufungsgericht - behoben ist. Dabei ist ein Hindernis nicht erst bei Kenntnis des wahren Sachverhalts entfallen; es ist im Sinne von § 234 Abs. 2 ZPO auch behoben, sobald die Unkenntnis und damit die Verhinderung nicht mehr unverschuldet ist (BGH Beschlüsse vom - X ZR 37/03 - NJW-RR 2004, 282, 283; vom - XI ZB 33/03 - NJW-RR 2005, 76, 77 und Senatsbeschluss vom - XII ZB 107/94 - FamRZ 1996, 934). Die Wiedereinsetzungsfrist beginnt deshalb spätestens mit dem Zeitpunkt, in dem der verantwortliche Anwalt bei Anwendung der unter den gegebenen Umständen von ihm zu erwartenden Sorgfalt die eingetretene Säumnis hätte erkennen können und müssen (Senatsbeschluss vom - XII ZB 107/94 - FamRZ 1996, 935; vgl. auch - NJW-RR 2010, 1000 Rn. 9).
8b) Gemessen hieran war die zweiwöchige Frist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO im Zeitpunkt der Antragstellung bereits abgelaufen.
9Spätestens bei Vorlage der Handakte zur Fertigung der Berufungsbegründung, deren Frist am ablief, hatte der Prozessbevollmächtigte des Klägers Anlass gehabt, auch die Einhaltung der Berufungsfrist zu überprüfen. Hierbei hätte er namentlich anhand der gerichtlichen Eingangsbestätigung vom bemerken müssen, dass die Berufung beim Gericht erst am gleichen Tag eingegangen war. Im Übrigen hatte der Beklagtenvertreter (unzutreffend die Bezeichnung durch das Berufungsgericht als Klägervertreter) mit Schriftsatz vom , also rund 11 Monate vor Eingang des Wiedereinsetzungsantrages, auf eine mögliche Fristversäumnis hingewiesen.
Hahne Weber-Monecke Dose
Schilling Günter
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BB 2011 S. 2113 Nr. 35
DB 2011 S. 2317 Nr. 41
NJW 2011 S. 8 Nr. 37
LAAAD-90481