Patentrecht: Nichtigerklärung eines Patents bei Abwandlung eines technischen Aspekts des ursprünglich offenbarten Gegenstands zu einem Aliud - Integrationsmerkmal
Leitsatz
Integrationselement
Eine die Nichtigerklärung des Patents rechtfertigende Abwandlung des ursprünglich offenbarten Gegenstands zu einem Aliud liegt nicht erst dann vor, wenn der patentierte Gegenstand dazu in einem Ausschließlichkeitsverhältnis steht (exklusives Aliud), sondern bereits dann, wenn die Veränderung einen technischen Aspekt betrifft, der den ursprünglich eingereichten Unterlagen in seiner konkreten Ausgestaltung oder wenigstens in abstrakter Form nicht als zur Erfindung gehörend zu entnehmen ist (Vergleiche Xa ZB 14/09, GRUR 2011, 40 Rn. 22 - Winkelmesseinrichtung ).
Gesetze: § 21 Abs 1 Nr 4 PatG, § 22 Abs 1 S 1 PatG, Art 138 Abs 1 Buchst c EuPatÜbk
Instanzenzug: Az: 4 Ni 42/07 Urteil
Tatbestand
1Die Beklagte ist Inhaberin des deutschen Patents 43 30 031 (Streitpatent), das am unter Inanspruchnahme der Priorität der deutschen Gebrauchsmusteranmeldung 93 03 214 vom angemeldet worden ist und das die Beklagte mit ihrer Nichtigkeitsklage in erster Linie wegen Hinausgehens über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung (unzulässige Erweiterung) und außerdem gestützt auf den Nichtigkeitsgrund mangelnder Patentfähigkeit angegriffen hat. Das Streitpatent umfasst fünf Patentansprüche, deren erster - mit durch Fettdruck, Streichungen und Setzung von Klammern kenntlich gemachten Abweichungen von den Anmeldungsunterlagen - lautet:
Anordnung zur Integration von EDV-Systemen und Telefonanlagen, die an das öffentliche Telefonnetz angeschlossen sind, bestehend aus
den Telefonanlagen (2, 11, 13),
die über die Leitung (a)
und die intelligente TKA () (3)
mit dem öffentlichen Telefonnetz (ISDN) (1)
direkt verbunden sind,
dem LAN (9)
dem LAN-Server (10) und
einem Integrationselement (5),
das zwischen der intelligenten TKA () (3) und den EDVA'n (4, 12, 14) angeordnet ist und
und einmal
über das SDLC- oder ISDN- Verbindungselement (8) mittels Leitung (b) von dem öffentlichen Telefonnetz mit CLI (1), z.B. ISDN oder Euro-ISDN, über die intelligente TKA () (3) Signale empfängt und Signale zurück an das öffentliche Telefonnetz mit CLI (1) gibt
und zum anderen
über die Leitung (c)
das LAN (9), das durch die Leitung (d) mit dem LAN-Server (10) verbunden ist,
und über die Leitung (e) einen Datensatz, mit entsprechenden Informationen versehen,
an die EDVA'n (4, 12, 14) übergibt und den Datensatz der EDVA'n (4, 12, 14) wieder empfängt,
wobei
die Umwandlung der Signale in den Datensatz und umgekehrt
vom Integrationselement (5) durch das Rechnersystem (6),
durch eine Softwareschicht (7) und durch ein Verbindungselement (8) mit einer internen Software vorgenommen wird,
wobei
2Die Klägerin hat beantragt, das Streitpatent für nichtig zu erklären. Die Beklagte hat das Streitpatent durch Beigabe einer Beschränkungserklärung zu Patentanspruch 1 verteidigt, derzufolge dieser eine unzulässige Erweiterung darstellt, aus welcher Rechte nicht hergeleitet werden können, soweit er über folgende Fassung von Anspruch 1 hinausgeht, an die sich die erteilten Patentansprüche 2 bis 5 anschließen sollen:
"Anordnung zur Integration von EDV-Systemen und Telefonanlagen ISDN, die an das öffentliche Telefonnetz angeschlossen sind,
bestehend aus
- den Telefonapparaten (2; 11; 13),
die über eine Leitung (a) und eine intelligente Telefonanlage (3) mit dem öffentlichen Telefonnetz ISDN, direkt verbunden sind,
- dem LAN (9),
- dem LAN-Server (10) und
- einem Integrationselement (5),
das zwischen der intelligenten Telefonanlage (3) und den EDVA'n (4; 12; 14) angeordnet ist,
aus einem Rechnersystem (6), aus einer Softwareschicht (7) und aus einem SDLC- Verbindungselement (8) mit einer internen Software besteht
und einmal über das SDLC- Verbindungselement (8) mittels Leitung (b) von dem öffentlichen Telefonnetz ISDN, über die intelligente TKA (3) Signale empfängt
und Signale zurück an das öffentliche Telefonnetz gibt
und zum anderen über die Leitung (c) das LAN (9), das durch die Leitung (d) mit dem LAN-Server (10) verbunden ist und über die Leitung (e) einen Datensatz, mit entsprechender Information versehen, an die EDVA'n (4; 12; 14) übergibt
und den Datensatz der EDVA'n (4; 12; 14) wieder empfängt,
wobei die Umwandlung der Signale in den Datensatz und umgekehrt vom Integrationselement (5) durch das Rechnersystem (6), durch eine Softwareschicht (7) und durch das Verbindungselement (8) mit einer internen Software vorgenommen wird."
3Im Übrigen hat die Beklagte Klageabweisung begehrt und das Streitpatent hilfsweise mit weiteren Beschränkungserklärungen verteidigt.
4Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt. Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, mit der sie das Streitpatent nur noch im Umfang von Patentanspruch 1 verteidigt und insoweit Klageabweisung beantragt. Des Weiteren verteidigt sie Patentanspruch 1 hilfsweise nach Maßgabe einer Beschränkungserklärung, die hinsichtlich Patentanspruch 1 der vor dem Patentgericht abgegebenen entspricht, ohne als Erklärung nach Art eines Disclaimers formuliert zu sein und die darüber hinaus die Beschreibung einbezieht. Wegen des vollständigen Wortlauts dieser Antragsfassung und der weiteren Hilfsanträge wird auf die Berufungsbegründungsschrift Bezug genommen.
Gründe
5Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
6I. Das Streitpatent betrifft eine Anordnung zur Integration von EDV-Systemen und von an das öffentliche digitale Telefonnetz ISDN oder EURO-ISDN angeschlossenen Telefonanlagen.
7In der Beschreibung wird ausgeführt, mit der Entwicklung der Datenverarbeitung habe sich der dazu erforderliche Kommunikationsbedarf erhöht. Für die Integration von Sprach- und Datenkommunikationssystemen, für die bislang nur Teil- und Insellösungen verwirklicht worden seien, müsse eine wirtschaftliche Lösung gefunden werden. Der geschäftliche Kontakt zwischen einem Telefonanrufer und seinem Gesprächspartner vollziehe sich üblicherweise in der Weise, dass zunächst Daten und Informationen ausgetauscht würden, die zur gegenseitigen Identifikation notwendig seien und die Basis der nachfolgend gewünschten Sprach- und Datenkommunikation des Anrufers bildeten. Der angerufene Gesprächspartner ermittle die den Anruf betreffenden Daten und Informationen über seinen Computer oder speichere dort zusätzliche Angaben des Anrufers. Stelle sich heraus, dass weitere Daten und Informationen benötigt würden, die nicht beim angerufenen Gesprächspartner anlägen, müsse der zuständige Bearbeiter in gleicher Weise einbezogen werden. Eine solche Sprach- und Datenkommunikation sei zu zeitaufwendig und berge die Gefahr in sich, dass durch die Sprachübermittlung und die manuelle Bedienung des Computers unvollständige oder fehlerhafte Informationen übermittelt würden; weiterhin sei kein datengesteuerter Verbindungsaufbau mit verschiedenen Vermittlungsfunktionen (vgl. Streitpatentschrift Sp. 2 Z. 35) möglich. Die deutsche Offenlegungsschrift 41 01 885 offenbare eine aus einer Vermittlungsanlage mit Endgeräten bestehenden Telekommunikationsanlage, die zur erleichterten oder zusätzlichen Abwicklung von computergestützten Kommunikationsdiensten an einen Computer angeschlossen sei, der eine Schnittstelle aufweise, welche nicht für Telekommunikationsdienste, sondern externe Computerdienste vorgesehen sei. Daran sei nachteilig, dass nicht alle Funktionen der Telekommunikationsanlage von jedem dem Netz zugehörigen Computer aus genutzt und bedient werden könnten und dass nicht von jedem zu diesem Netz gehörigen Computer jede Art von Kommunikation (Sprach- und Datenkommunikation) erzeugt werden könne. Im Übrigen sei auch diese vorgeschlagene Lösung zu zeitaufwendig und mit der Gefahr der Übermittlung fehlerhafter Informationen verbunden.
8Nach Angaben des Streitpatents sollen die Nachteile des Standes der Technik beseitigt werden. Dafür schlägt Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung eine Anordnung zur Integration von EDV-Systemen und Telefonanlagen vor, die an das öffentliche Telefonnetz angeschlossen sind (in eckigen Klammern Gliederungspunkte des Patentgerichts),
1. bestehend aus
1.1 [2.1] den Telefonapparaten (2, 11, 13),
1.1.1 die über die Leitung (a) und die intelligente TKA (3)
1.1.2 mit CLI (Calling Line Identifikation), z.B. ISDN oder Euro-ISDN,
1.1.3 mit dem öffentlichen Telefonnetz (1) direkt verbunden sind,
1.2 [2.2] dem LAN (9)
1.3 [2.3] dem LAN-Server (10) und
1.4 [2.4] einem Integrationselement (5),
1.4.1 das zwischen der intelligenten TKA (3) und den EDVA'n (4, 12, 14) angeordnet ist und
1.4.2 bestehend aus:
1.4.2.1 einem Rechnersystem (6)
1.4.2.1.1 welches an der intelligenten TKA platziert ist
1.4.2.1.2 oder in der intelligenten TKA platziert werden kann,
1.4.2.2 aus einer Softwareschicht (7)
1.4.2.3 einem SDLC- oder ISDN- oder Euro-ISDN-Verbindungselement (8) mit einer internen Software
1.4.2.4 [2.4.7.1] wobei die Softwareschicht (7) und das Verbindungselement (8) mit der internen Software integrierter Bestandteil des LAN-Servers (10) sein kann,
1.4.3 [2.4.3, 2.4.4] und das zum einen über das SDLC-Verbindungselement (8) mittels Leitung (b) von dem öffentlichen Telefonnetz mit CLI (1), z.B. ISDN oder Euro-ISDN, über die intelligente TKA (3) Signale empfängt und Signale zurück an das öffentliche Telefonnetz mit CLI (1) gibt
1.4.4 [2.4.5] und zum anderen über die Leitung (c), das LAN (9), das durch die Leitung (d) mit dem LAN-Server (10) verbunden ist, und über die Leitung (e) einen Datensatz, mit entsprechenden Informationen versehen, an die EDVA'n (4, 12, 14) übergibt und den Datensatz der EDVA'n (4, 12, 14) wieder empfängt,
wobei
2. [2.4.7] die Umwandlung der Signale in den Datensatz und umgekehrt vom Integrationselement (5) durch das Rechnersystem (6), durch eine Softwareschicht (7) und durch ein Verbindungselement (8) mit einer internen Software vorgenommen wird,
wobei
3. [2.4.7.2] das Integrationselement (5) mittels Rechnersystems (6), der Softwareschicht (7) und dem Verbindungselement (8) und dessen Wirkverbindung mit den EDV-Systemen und Telefonanlagen Rufnummern aus der CLI der Netzwerkanwendung bereitstellt,
wobei
4. [2.4.7.3 - 2.4.7.5] alle Einrichtungen der intelligenten TKA
4.1 rufnummern- und leitungsorientiert definiert sind,
4.2 durch das Integrationselement (5) erreichbar und
4.3 interne Rufnummern
4.3.1 permanent überwachbar sind und
4.3.2 bei Zustandswechseln von diesem gemeldet werden, wobei
5. [2.4.7.6, 2.4.7.7] das Integrationselement eine bestimmte Kennung für die Identifikation, welche durch das öffentliche Telefonnetz geliefert wird, an einen oder mehrere Teilnehmer routet,
so dass an zwei oder mehreren Bildschirmen der EDVA'n die Daten angezeigt werden können,
6. [2.4.7.8] wobei mittels des Integrationselements (5) alle über dieses Element integral verbundenen Teilnehmer
6.1 erkennbar und
6.2 dem LAN-Server (10) zur Archivierung zuführbar sind und
6.3 auswertbar zur Verfügung stehen.
und wobei
7. [2.4.7.9] jeder gerufene Teilnehmer unter Zuordnung seiner Identifikation jederzeit an einer beliebigen Station erreichbar ist, indem er sich an einer beliebigen Station im LAN (9) unter seiner Identifikation anmeldet.
9Die nachfolgend abgebildete Figur 1 des Streitpatents zeigt ein Ausführungsbeispiel.
10Das öffentliche Telefonnetz ISDN (Integrated Services Digital Network) ist Bestandteil des digitalen nationalen Telekommunikationsnetzes. Bei dem in der Beschreibung (Sp. 2 Z. 50 ff.) erwähnten 1TR6-Protokoll handelt es sich um das Signalisierungsprotokoll des deutschen ISDN. Das in der Beschreibung ebenfalls erwähnte EDSS1-Protokoll, auch Euro-ISDN genannt, wurde übernational erarbeitet, um nationale Standards, wie den 1TR6-Standard in Deutschland, im Interesse des Abbaus von Marktschranken abzulösen.
11Das Integrationselement (5) besteht aus mehreren Komponenten, und zwar einem Rechnersystem - soweit dieses in den Anmeldungsunterlagen als "Rechensystem" bezeichnet ist, handelt es sich um ein für den Fachmann offensichtliches Fassungsversehen -, einer Softwareschicht und aus einem SDLC-(oder ISDN- oder Euro-ISDN-)Verbindungselement mit einer internen Software. Die Abkürzung SDLC (Synchronous Data Link Control) bezieht sich auf ein Datenkommunikationsprotokoll für transparente bitserielle Datenübertragung. Mit dem Begriff "Rechnersystem" wird, wie sich in der Gesamtschau ergibt, die Hardware-Komponente des Integrationselementes bezeichnet, während der Begriff "Softwareschicht" darauf hinweist, dass diese Hardware mit bestimmten Programmen zusammenwirken soll.
12Der Begriff "routen" wird in Merkmal 5 konkret für eine Funktion des Integrationselements verwendet. Die über die ISDN-Verbindung mitgelieferte Kennung des Anrufers wird danach an die einzelnen Telefonapparate geleitet ("geroutet"), damit in der Folge überall dort die EDV-mäßig gespeicherten Daten des Anrufers eingesehen werden können.
13II. Das Patentgericht hat in erster Linie angenommen, dass das Streitpatent wegen unzulässiger Erweiterung (§ 21 Abs. 1 Nr. 4, § 22 PatG) für nichtig zu erklären sei. Patentanspruch 1 unterscheide sich sachlich vom ursprünglich offenbarten Anmeldungsgegenstand in einer Vielzahl von Merkmalen, die den ursprünglich eingereichten Anmeldungs- und Prioritätsunterlagen nicht als zur Erfindung gehörend zu entnehmen seien und deshalb zu einer solchen Erweiterung des Inhalts der Anmeldung führten. Darüber hinaus machten die mit den Merkmalen 1.4.2.4 und 2. ff. der vorstehenden Merkmalsgliederung beanspruchten Eigenschaften des Integrationselements und dessen Bestandteilen und deren Zusammenwirken mit dem LAN, dem LAN-Server und den Stationen im LAN den Patentgegenstand gegenüber dem Anmeldungsgegenstand zu einem wesensmäßig anderen Gegenstand, in dem das Integrationselement nunmehr als Router in eine Server/Client-Struktur des LAN-Servers und der Stationen im LAN eingebunden sei (Merkmale 5 bis 7), wobei des weiteren auch Bestandteile des Integrationselements, wie Softwareschicht und Verbindungselement mit der dazugehörigen Software integrierter Bestandteil des LAN-Servers sein könnten und in entsprechender Wirkverbindung mit den EDV-Systemen stünden (Merkmale 2 bis 4). Das aus den Anmeldungsunterlagen zu entnehmende Integrationselement verstehe der Fachmann dagegen als eine Schaltungsanordnung, die Signale einer Telekommunikationsanlage in Daten wandele und diese über Leitungen und ein LAN an Personalcomputer weiterleite und umgekehrt Daten der Personalcomputer wieder in Signale wandele, um diese an die Telekommunikationsanlage weiterzuleiten. Für über die vorgenannten Schnittstellen-Funktionalitäten zwischen Telefonnetz und EDV-Systemen hinausgehende Funktionalitäten hinsichtlich einer aktiven Einbindung beispielsweise als ein Router in eine Server/Client-Struktur gemäß den Merkmalen 2 und 3, zeigten die Anmeldungsunterlagen dem Fachmann jedoch keine Hinweise auf.
14III. Die dagegen gerichteten Angriffe der Berufung bleiben im Ergebnis ohne Erfolg. Das Patengericht hat das Streitpatent im Ergebnis zu Recht für nichtig erklärt (§ 21 Abs. 1 Nr. 4, § 22 Abs. 1, 1. Altern. PatG).
151. Patentanspruch 1 geht in seiner erteilten Fassung, was die Beklagte nicht in Abrede stellt, in verschiedener Hinsicht über den Inhalt der Anmeldungsunterlagen in ihrer ursprünglich beim Patentamt eingereichten Fassung hinaus. Diese unzulässigen Änderungen lassen sich nicht alle so kompensieren oder durch Streichung aus dem erteilten Anspruch beseitigen, dass das Streitpatent Bestand haben könnte.
162. Eine unzulässige Erweiterung ist allerdings nicht darin zu sehen, dass der erteilte Patentanspruch nicht mehr von einer "Schaltungsanordnung zur Integration von EDV-Systemen bei der Benutzung von Telefonanlagen …" spricht, sondern von einer "Anordnung zur Integration von EDV-Systemen und Telefonanlagen".
17Keine unzulässige Erweiterung liegt ferner, wie die Beklagte mit Recht geltend macht, in der Ersetzung des Merkmalselements "Personalcomputer" durch "EDV-Anlage(n)". Es ist zwar richtig, dass der erstere Begriff in den Patentansprüchen verwendet wird, die in den Anmeldungsunterlagen formuliert worden sind und dass das Ausführungsbeispiel in der Beschreibung ebenfalls anhand von "Personalcomputern" erläutert wird. Für den Offenbarungsgehalt maßgeblich sind jedoch die Anmeldungsunterlagen in ihrer Gesamtheit (st. Rspr., vgl. etwa Urteil vom - Xa ZR 124/07, GRUR 2010, 910 Rn. 46 - Fälschungssicheres Dokument) und dort ist der Personalcomputer einschließende übergeordnete Begriff "EDV-Anlagen" offenbart.
18Offenbleiben kann, inwieweit die Merkmale 1.4.2.4 und 1.4.2.1.2 über den Inhalt der Ursprungsoffenbarung hinausgehen. Sie stellen lediglich fakultative Vorschläge zur Integration der Softwareschicht und des Verbindungselements mit der internen Software in den LAN-Server bzw. zur lokalen Platzierung des Rechnersystems dar, die an der Bestimmung des geschützten Gegenstands nicht teilnehmen.
193. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss ein Patent, dessen Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht, nicht nach § 21 Abs. 1 Nr. 4, § 22 PatG für nichtig erklärt werden, sondern kann nach § 21 Abs. 2 PatG mit einer entsprechenden Beschränkung aufrechterhalten werden, wenn der Widerrufsgrund nur einen Teil des Patents betrifft. Ist der Gegenstand des Schutzrechts gegenüber dem Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen in unzulässiger Weise verallgemeinert worden, kann die Beschränkung grundsätzlich dadurch erfolgen, dass die unzulässige Verallgemeinerung aus dem Patentanspruch gestrichen wird ( Xa ZB 14/09, GRUR 2011, 40 ff. Winkelmesseinrichtung; ebenso EPA, Entscheidung vom - G 1/93, GRUR Int. 1994, 842 Rn. 11 - beschränkendes Merkmal/Advanced Semiconductor Products).
20Danach ist es unbedenklich, den in der erteilten Fassung verschiedentlich verwendeten Begriff "intelligente Telekommunikationsanlage" (TKA) auf den Begriff "intelligente Telefonanlage" zurückzuführen. In der Verwendung des übergeordneten Begriffs Telekommunikationsanlage liegt eine Verallgemeinerung, die auf das ursprünglich Offenbarte zurückgeführt werden kann.
21Entsprechend verhält es sich beim Merkmal 1.4.2.3, soweit dort, über die ursprünglichen Anmeldungsunterlagen hinaus, zusätzlich ISDN- oder EURO-ISDN-Verbindungselemente beansprucht werden. Auch darin liegt eine (additive) Verallgemeinerung, die durch Streichung dieser beiden Varianten beseitigt werden kann.
22Um eine Verallgemeinerung handelt es sich auch bei der Streichung der Buchstabenfolge "ISDN" hinter dem Begriff "Telefonanlagen" eingangs von Patentanspruch 1. Damit werden Telefonanlagen verallgemeinernd beansprucht, wobei dahingestellt bleiben kann, inwieweit andere Techniken, vornehmlich die herkömmliche Analogtechnik, zum Telefonieren für die Lehre des Streitpatents überhaupt nutzbar sein können. Die Verallgemeinerung kann jedoch durch Wiedereinfügung des Begriffs "ISDN" rückgängig gemacht werden, ohne dass dies zu einer unzulässigen Erweiterung des Schutzbereichs (§ 22 Abs. 1, 2. Altern. PatG) führte.
23Auf der Grundlage des vorstehend Ausgeführten zeigt sich, dass auch beim Merkmal 1.1.2, das sich auch im Merkmal 1.4.3 wieder findet, eine rückgängig zu machende Verallgemeinerung vorliegt. Die dort beanspruchte Calling Line Identification ("CLI") ist, wie sich aus der folgenden Erläuterung "zum Beispiel ISDN oder Euro-ISDN" ergibt, eine aus dem ursprungsoffenbarten "ISDN", entwickelte Abstrahierung, wobei im Zusammenhang mit dem Merkmal 1.1.2 offenbleiben kann, ob der Begriff "ISDN" nach dem Zusammenhang der Anmeldungsunterlagen nicht als Oberbegriff für die beiden Spielarten "ISDN" und "Euro-ISDN" verstanden werden muss, nachdem in der ursprünglichen Beschreibung, wie ausgeführt, auch das EDSS1-Protokoll erwähnt ist, das sich auf das Euro-ISDN bezieht.
244. Die Nichtigerklärung des Patents kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs des Weiteren vermieden werden, wenn die Einfügung eines in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht offenbarten Merkmals zu einer bloßen Einschränkung des angemeldeten Gegenstands führt. In solchen Fällen ist den berechtigten Interessen der Öffentlichkeit Genüge getan, wenn das einschränkende Merkmal im Patentanspruch verbleibt und zugleich dafür Sorge getragen wird, dass im Übrigen, also was die Entstehung von Patentrechten anbelangt, keine Rechte aus der Änderung hergeleitet werden können (, GRUR 201, 140, 142 f. - Zeittelegramm; BGH, GRUR 2011, 40 Rn. 16 - Winkelmesseinrichtung).
25Um eine Beschränkung im vorstehend ausgeführten Sinne handelt es sich bei dem Merkmal 1.4.2.1.1, weil dieses eine engere Lokalisierung des Rechnersystems vorsieht, als sie ursprünglich offenbart war. Jedenfalls wie eine Beschränkung behandelt werden kann das Merkmal 1.4.2.1.2, das den Vorschlag zur anderweitigen Lokalisierung des Rechnersystems darstellt (vgl. oben III 2 aE).
26Um eine Beschränkung des Gegenstands des Streitpatents handelt es sich auch bei dem eingefügten Merkmal 4.1, wonach alle Einrichtungen der intelligenten Telekommunikationsanlage rufnummern- und leitungsorientiert definiert sind. Denn diese Einfügung führt lediglich dazu, dass andere Orientierungen ausgeschlossen sind. Entsprechendes kann, ohne dass dies abschließender Beurteilung bedürfte, für die Merkmale 3 und 5 gelten.
275. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erfüllen solche Änderungen den Tatbestand des § 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG, durch die der Gegenstand der Anmeldung über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen hinaus zu einem Aliud abgewandelt wird (st. Rspr., vgl. etwa Xa ZR 148/05, GRUR 2009, 936 Rn. 25 - Heizer; BGH, GRUR 2010, 910 Rn. 46 - Fälschungssicheres Dokument). Eine solche Abwandlung liegt in der Hinzufügung des Merkmals 7 zu Patentanspruch 1.
28a) Um ein Aliud im vorgenannten Sinne handelt es sich, wenn der patentierte Gegenstand der Erfindung zum ursprünglich offenbarten in einem Ausschließlichkeitsverhältnis steht (exklusives Aliud; vgl. dazu Xa ZR 14/10, GRUR 2010, 1084 Rn. 43 - Windenergiekonverter).
29Ein die Nichtigerklärung nach sich ziehendes Aliud liegt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aber auch schon dann vor, wenn die Hinzufügung einen technischen Aspekt betrifft, der den ursprünglich eingereichten Unterlagen in seiner konkreten Ausgestaltung oder wenigstens in abstrakter Form nicht als zur Erfindung gehörend zu entnehmen ist (vgl. zum Einspruchsverfahren BGH, GRUR 2011, 40 Rn. 22 Winkelmesseinrichtung). An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Bereits die dem Patentinhaber eingeräumten Möglichkeiten, den unzulässig verallgemeinerten Erfindungsgegenstand durch Streichung auf das ursprungsoffenbarte Maß zurückzuführen, und den Bestand des Patents trotz Hinzufügung eines nicht ursprünglich offenbarten beschränkenden Merkmals durch eine Beschränkungserklärung zu erhalten (vorstehend III 3 und III 4), sind durchaus geeignet, die Sicherheit des Rechtsverkehrs herabzusetzen. Jede Inkongruenz zwischen den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen und dem erteilten Patent macht eingehendere Vergleichsprüfungen erforderlich, vor denen § 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG den Verkehr an sich schützt und die bei der verallgemeinernden und der zu einer gegenständlichen Beschränkung führenden Erweiterung nach Abwägung mit den dem Patentinhaber drohenden Folgen (vollständiger Verlust des Schutzrechts) nur aus Gründen der Verhältnismäßigkeit noch tolerierbar sind. Den Belangen des Patentinhabers kann ein solcher Vorrang aber nicht mehr eingeräumt werden, wenn der ursprünglich offenbarte Gegenstand anders als durch Verallgemeinerung des ursprünglich Offenbarten oder im Wege seiner Beschränkung geändert wird. Während die Letztere damit gerechtfertigt werden kann, dass der Schutzbereich des Patents im Vergleich zur Ursprungsoffenbarung verengt wird, ist bei einer Änderung, mit der dem Ursprungsoffenbarten ein weiterer technischer Aspekt hinzugefügt wird, kein Gewinn für die Allgemeinheit zu verzeichnen. Behielte ein in solcher Weise erweitertes Patent gleichwohl mit der Maßgabe Bestand, dass aus der Erweiterung keine Rechte hergeleitet werden können, würde dem Rechtsverkehr zudem das Risiko aufgebürdet, den tatsächlichen Schutzbereich des Patents bei unübersichtlichem Nebeneinander von erteiltem Patentanspruch und diesbezüglicher Beschränkungserklärung richtig zu bestimmen.
30b) aa) Merkmal 7, wonach jeder gerufene Teilnehmer unter Zuordnung seiner Identifikation jederzeit an einer beliebigen Station erreichbar sein soll, indem er sich an einer beliebigen Station im LAN (9) unter seiner Identifikation anmeldet, ist in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen nicht angelegt. In der Passage auf S. 2 Zeile 61 f. der in der Offenlegungsschrift enthaltenen Beschreibung, auf die sich die Beklagte insoweit bezieht, wird als Vorteil der Erfindung herausgestellt, dass eine Telefonanlage derart an eine EDV-Anlage angebunden werden könne, dass alle Funktionen des EDV-Systems während der Benutzung der Telefonanlage eingesetzt werden könnten. Beim Merkmal 7 geht es demgegenüber darum, dass sich ein Unternehmensmitarbeiter (kompetenter Teilnehmer) von dem ihm eigentlich zugewiesenen Telefonapparat (Bezugszeichen 2, 11, 13 in Figur 1) nebst zugehörigem PC (Bezugszeichen 4, 12, 14) lösen und sich unter seiner Identifikation an einer anderen Station im LAN anmelden ("einloggen") kann. Wie in der mündlichen Verhandlung erörtert, wird damit Schutz für den technischen Aspekt beansprucht, dass ein für einen bestimmten Mitarbeiter eingehender Anruf nicht obligatorisch an den ihm zugeordneten Telefonapparat geleitet wird, sondern an denjenigen, der der EDV-Anlage zugeordnet ist, an der er sich angemeldet hat. Ersichtlich in diesem Zusammenhang heißt es in der Beschreibung des erteilten Patents insoweit, dass die feste TKA-Adressierung mittels Integrationselements aufgehoben und benutzerbezogen weitergeleitet werden kann (Sp. 3 Z. 55 ff.). Dieser Aspekt, der die Verbindung des Teilnehmers mit dem Anrufer nicht primär über einen Telefonanschluss herstellt, sondern über eine jeweilige EDV-Anlage, bei dem also IP-Adresse und Telefonapparat durch das Einloggen verkoppelt werden, ist den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen nicht zu entnehmen.
31bb) Die Beklagte möchte das Einloggen als Funktion der EDV-Anlage im Sinne der genannten Passage in der Beschreibung verstanden wissen. Dem kann nicht beigetreten werden. Die Anmeldung zum System durch einen bestimmten Teilnehmer kann nach allgemeinem fachmännischen Verständnis und in Übereinstimmung mit der Diktion der Patentanmeldung nicht als Funktion einer EDV-Anlage verstanden werden, sondern damit erschließt sich der Mitarbeiter nur die Möglichkeit, auf die Funktionen der EDV-Anlage zuzugreifen. Aber selbst wenn diesem Verständnis näher getreten werden könnte, könnte von einer Offenbarung des Merkmals 7 durch die in Bezug genommene Passage keine Rede sein. Zum Offenbarungsgehalt einer Patentanmeldung gehört im Zusammenhang mit der Frage, ob eine unzulässige Erweiterung vorliegt, nur das, was den ursprünglich eingereichten Unterlagen unmittelbar und eindeutig zu entnehmen ist, nicht hingegen eine weitergehende Erkenntnis, zu der der Fachmann nur aufgrund seines allgemeinen Fachwissens oder durch Abwandlung der ursprünglich offenbarten Lehre gelangt (vgl. BGH, GRUR 2010, 910 - Fälschungssicheres Dokument mwN). Allenfalls auf dem zuletzt genannten Wege könnte der Fachmann hier zu dem in Merkmal 7 gekennzeichneten technischen Aspekt vordringen.
32cc) Offenbart ist Merkmal 7 auch nicht durch die auf S. 3 Zeile 31 ff. der Offenlegungsschrift wiedergegebenen Ausführungen der Anmeldungsunterlagen. Diese Passage gehört zu den Erläuterungen des Ausführungsbeispiels und schildert die Funktion des Integrationselements. Wähle ein Anrufer über das öffentliche digitale Telefonnetz einen kompetenten Gesprächspartner beispielsweise am Telefonapparat (2) an, werde die Verbindung über die intelligente Telefonanlage (3) und über die Leitung (a) mit dem Telefonapparat (2) direkt hergestellt. Gleichzeitig werde zwischen der EDV-Anlage (4), die dem Telefonapparat (2) zugeordnet ist, und der intelligenten TKA (3) über die Leitung (b), das Integrationselement (5), die Leitung (c) das LAN (9) unter Einbeziehung des LAN-Servers (10) mittels der Leitungen (d) und (e) eine Verbindung hergestellt. Mit dieser Verbindung werde jede Wahlfunktion hergestellt, der ankommende Ruf sei identifiziert und alle erforderlichen Daten würden an der EDV-Anlage 4 angezeigt (S. 3 Zeilen 24 bis 31). Das werde durch das Integrationselement in der Weise bewirkt, dass dann, wenn ein Anruf am Telefonapparat 2 anliege, von der intelligenten Telefonanlage (3) sofort ein Signal über die Leitung (b) an das Integrationselement übergeben werde, das vom Integrationselement (5) in einem Datensatz, mit entsprechenden Informationen versehen, über das LAN (9) an die zugehörige EDV-Anlage (4) übergeben werde.
33Mit diesen Ausführungen wird geschildert, dass und wie mithilfe der beanspruchten Anordnung kompetenten Teilnehmern am Telefon (2) die den Anrufer betreffenden Daten aus der Datenbank des LAN-Servers mit dem Anruf zur Verfügung gestellt werden. Das offenbart aber nicht die Funktion des Merkmals 7, mit dem beansprucht wird, die Verknüpfung von Anruf und Kundendaten nicht nur vom Apparat (2) aus zu gewährleisten, sondern von jeder EDV-Anlage aus, in die sich der an sich dem Telefonapparat (2) zugeordnete Teilnehmer eingeloggt hat.
34dd) Die aus Seite 3 Zeile 36 ff. der Offenlegungsschrift ersichtlichen Ausführungen der Anmeldungsunterlagen stützen den Standpunkt der Beklagten ebenfalls nicht. Danach kann der angerufene Gesprächspartner am Telefonapparat (2), wenn er nicht der kompetente Gesprächspartner ist, durch Bedienung der Tastatur der EDV-Anlage (4) und durch die Vermittlung eines Datensatzes über die Leitung (e), das LAN (9) und über die Leitung (c) an das Integrationselement (5) veranlassen, dass durch ein vom Integrationselement erzeugtes Signal über die Leitung (b) an die intelligente Telefonanlage (3) und von dort über die Leitung (a) der kompetente Teilnehmer beispielsweise am Telefonapparat (11) gerufen wird. Auch diesem werden nach erfolgter Verbindung auf seiner EDV-Anlage entsprechend alle notwendigen Daten übermittelt.
35Diese Passage offenbart die Möglichkeit der Weiterleitung eines Anrufs durch manuelle Tastaturangaben und den gleichsam akzessorischen Zugriff des Adressaten der Weiterleitung auf die gespeicherten Kundendaten. Mit der in Merkmal 7 angesprochenen Funktion hat das ebenso wenig etwas zu tun, wie das auf S. 3 Zeile 45 ff. der Beschreibung der Offenlegungsschrift in Übereinstimmung mit den Anmeldungsunterlagen Ausgeführte. Dort wird als Funktion der Anlage erläutert, dass der angerufene oder weiter vermittelte Teilnehmer durch Bedienung der Tastatur seines Personalcomputers weitere Teilnehmer, die dann ebenfalls EDV-mäßigen Zugriff auf die Kundendaten haben, in Konferenzschaltung einbeziehen kann.
36ee) Schließlich ergibt sich hinsichtlich des Offenbarungsgehalts der ursprünglichen Anmeldungsunterlagen zugunsten der Beklagten auch nichts daraus, dass damit eine Vorrichtung und nicht ein Verfahren beansprucht wird, denn der Gegenstand eines Vorrichtungsanspruchs wird durch seine Merkmale bestimmt und nicht unabhängig davon.
37III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 121 Abs. 2 Satz 2 PatG.
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UAAAD-90478