Tariflicher Mehrurlaub - fortdauernde Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers - Verfall
Leitsatz
1. Die Tarifvertragsparteien können für den nicht unionsrechtlich verbürgten Teil des Urlaubs (Mehrurlaub) regeln, dass der Arbeitnehmer das Risiko der Inanspruchnahme bis zu einem von ihnen festgelegten Zeitpunkt trägt.
2. Die richtlinienkonforme Fortbildung oder unionsrechtskonforme Auslegung von Vorschriften des BUrlG ist nicht auf den tariflichen Mehrurlaub anzuwenden, wenn ein Tarifvertrag eigenständige Regelungen trifft. Dazu muss die Auslegung ergeben, dass der Tarifvertrag vom grundsätzlichen Gleichlauf zwischen gesetzlichem Mindesturlaub und tariflichem Mehrurlaub abweicht. Das ist der Fall, wenn er entweder zwischen gesetzlichem Urlaub und tariflichem Mehrurlaub unterscheidet oder sowohl für Mindest- als auch Mehrurlaub wesentlich von § 7 Abs. 3 BUrlG abweichende Übertragungs- und Verfallsregeln bestimmt.
Gesetze: § 7 Abs 1 BUrlG, § 7 Abs 3 BUrlG, § 7 Abs 4 BUrlG, § 3 Abs 1 BUrlG, § 1 TVG, § 249 Abs 1 BGB, § 280 Abs 1 BGB, § 286 Abs 1 BGB, § 287 S 2 BGB, Art 7 EGRL 88/2003
Instanzenzug: Az: 25 Ca 392/08 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Hamburg Az: 2 Sa 146/09 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten in der Revisionsinstanz noch darüber, ob dem Kläger aus dem Jahr 2007 ein tariflicher Mehrurlaubsanspruch von zehn Arbeitstagen zusteht.
2Der schwerbehinderte Kläger ist seit 1975 bei der Beklagten beschäftigt. Diese betreibt ein Dienstleistungsunternehmen zur Wartung, Instandhaltung und Ausstattung von Flugzeugen im Verbund des DLH-Konzerns.
Nach Ziff. 3 des Arbeitsvertrags ergeben sich die Rechte und Pflichten des Klägers aus den jeweils gültigen Tarifverträgen, den Betriebsvereinbarungen und Dienstvorschriften der DLH. Die Parteien wenden deshalb auf ihr Arbeitsverhältnis den Manteltarifvertrag Nr. 14 für das Bodenpersonal in der Fassung vom (MTV Boden) an. Dort heißt es zum Urlaubsanspruch ua.:
4Nach § 32 Abs. 3 MTV Boden beträgt der Urlaubsanspruch ab dem fünften Jahr der Beschäftigung 30 Urlaubstage.
52007 gewährte die Beklagte dem Kläger 14 Urlaubstage. Danach war der Kläger vom bis zum arbeitsunfähig erkrankt. Mit Urlaubsantrag vom verlangte er erfolglos, ihm für die Zeit vom 2. Mai bis zum Urlaub aus dem Vorjahr zu gewähren. Am nahm der Kläger seine Arbeitstätigkeit wieder auf. Die Zeitkontenliste der Beklagten vom für die Abrechnungsperiode 1. Mai bis weist einen Resturlaubsanspruch des Klägers von 21 Tagen aus. Mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom forderte der Kläger die Beklagte auf, seinen Urlaubsanspruch iHv. 21 Resturlaubstagen zu bestätigen. Vorinstanzlich hat der Kläger geltend gemacht, ihm stehe aus dem Jahr 2007 noch eine Urlaubsdauer von 21 Tagen zu, nämlich fünf Tage Zusatzurlaub nach § 125 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 SGB IX, sechs Tage gesetzlicher Mindesturlaub sowie zehn Tage tariflicher Mehrurlaub.
6Er hat die Auffassung vertreten, seine Urlaubsansprüche seien nicht verfallen, da er nur wegen seiner Arbeitsunfähigkeit daran gehindert gewesen sei, den Urlaub tatsächlich in Anspruch zu nehmen.
Der Kläger hat vorinstanzlich beantragt
8Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der tarifliche Mehrurlaub des Klägers sei nach § 37 Abs. 1 MTV Boden verfallen. Der MTV Boden enthalte hinsichtlich des Verfalls der Urlaubsansprüche eine eigenständige von § 7 Abs. 3 BUrlG abweichende Regelung.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Darauf hat die Beklagte dem Zeitkonto des Klägers elf Urlaubstage gutgeschrieben. Sie wendet sich in der Revision nur noch gegen die Feststellung des Landesarbeitsgerichts, dass dem Kläger aus dem Jahr 2007 noch ein Anspruch auf Resturlaub von zehn Arbeitstagen für nicht gewährten tariflichen Mehrurlaub zusteht.
Gründe
10A. Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht festgestellt, dass dem Kläger wegen des 2007 zwar entstandenen, aber nicht voll erfüllten Urlaubsanspruchs noch zehn Urlaubstage zu gewähren sind.
11I. Die Feststellungsklage ist zulässig. Insbesondere besteht das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse.
121. Eine Feststellungsklage ist dann zulässig, wenn auf diesem Wege eine sachgemäße, einfache Erledigung der Streitpunkte zu erreichen ist und prozesswirtschaftliche Erwägungen gegen einen Zwang zur Leistungsklage sprechen ( - zu I der Gründe, EzA TVG § 4 Chemische Industrie Nr. 6).
132. So ist es hier. Eine Leistungsklage wäre nur als Klage auf Abgabe einer Willenserklärung iSv. § 894 ZPO möglich. Denn der Arbeitgeber hat zur Erfüllung des Urlaubsanspruchs den Arbeitnehmer von der Arbeitspflicht freizustellen. Diese Freistellung erfolgt durch einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, wobei der Arbeitgeber gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG die Urlaubswünsche des Arbeitnehmers zu berücksichtigen hat ( - Rn. 24). Vollstreckbar wäre ein entsprechender Titel aber nur, wenn er auf Abgabe einer bestimmten Willenserklärung gerichtet ist (vgl. PG/Olzen ZPO 3. Aufl. § 887 Rn. 6). Bei mangelnder Bestimmtheit der Klage auf Abgabe einer Willenserklärung wäre nur eine Vollstreckung nach § 888 ZPO möglich ( - MDR 1971, 401).
143. Eine Klage iSv. § 894 ZPO auf Gewährung des Urlaubs für einen bestimmten kalendermäßig festgelegten Zeitraum wäre weder prozesswirtschaftlicher als die Feststellungsklage, noch wäre sie dem Arbeitnehmer zumutbar. Wird der Schuldner zur Abgabe einer empfangsbedürftigen Willenserklärung antragsgemäß verurteilt, gilt nach § 894 ZPO die Willenserklärung erst dann als abgegeben, wenn das Urteil rechtskräftig geworden ist ( - Rn. 23, AP BGB § 311a Nr. 3 = EzA ZPO 2002 § 894 Nr. 1). Zum Zeitpunkt der Klageerhebung ist nicht bekannt, wann ein gegebenenfalls stattgebendes Urteil rechtskräftig wird. Der Kläger müsste deshalb seinen mit der Leistungsklage angegebenen Urlaubszeitraum mittels Klageänderung fortlaufend anpassen. Das wäre zB dann nicht mehr möglich, wenn der zuletzt beantragte Urlaubszeitraum zwischen Verkündung und Ablauf der Rechtsmittelfrist läge.
154. Auf eine Klage zur Gewährung des Urlaubs für einen nicht festgelegten Zeitraum darf der Arbeitnehmer nicht verwiesen werden. Dabei kann dahinstehen, ob ein entsprechender Titel nach § 888 ZPO zu vollstrecken wäre. Bei einer solchen Klage müsste der Arbeitnehmer auf sein Recht gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG, den Urlaub nach seinen Wünschen zeitlich festzulegen, verzichten. Denn im Hinblick auf die nach § 894 ZPO erforderliche Bestimmtheit müsste die Klage dahin ausgelegt werden, dass der Arbeitnehmer seinem beklagten Arbeitgeber die zeitliche Festlegung des Urlaubs überlassen wolle. Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG hat der Arbeitgeber demgegenüber bei der zeitlichen Festlegung des Urlaubs die Urlaubswünsche des Arbeitnehmers zu berücksichtigen, es sei denn, dass dem dringende betriebliche Belange oder Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer entgegenstehen, die unter sozialen Gesichtspunkten den Vorrang verdienen ( - Rn. 12, AP BUrlG § 7 Nr. 38 = EzA BUrlG § 7 Nr. 119). Prozesswirtschaftliche Erwägungen rechtfertigen es nicht, dem Arbeitnehmer dieses erste Bestimmungsrecht zu entziehen und seine materiellen Ansprüche deshalb einzuschränken.
16II. Die Klage ist begründet. Der unstreitig 2007 entstandene und nicht erfüllte Anspruch auf zehn Tage tarifvertraglichen Mehrurlaub ist entgegen der Auffassung der Revision nicht nach § 37 Abs. 1 MTV Boden oder gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG mit dem , sondern erst während des Verzugs der Beklagten mit dem untergegangen. Der Kläger hat deshalb Anspruch nach § 280 Abs. 1, § 286 Abs. 1, § 287 Satz 2, § 249 Abs. 1 BGB auf noch zu gewährenden Ersatzurlaub.
171. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien ist nach Ziff. 3 des Arbeitsvertrags der Parteien der MTV Boden anzuwenden.
182. Der Urlaubsanspruch des Klägers ist entgegen der Auffassung der Revision nicht zum verfallen. Er konnte den Urlaub für das Jahr 2007 nicht bis zum antreten, da er vom bis zum durchgehend arbeitsunfähig erkrankt war. Sein Anspruch auf den übergesetzlichen tarifvertraglichen Mehrurlaub von zehn Arbeitstagen war damit auch bis zum Ende des Übertragungszeitraums gemäß § 37 Abs. 1 MTV Boden am nicht erfüllbar.
193. Nach der neueren Rechtsprechung des Senats führt die fortdauernde Arbeitsunfähigkeit zur weiteren automatischen Übertragung des gesetzlichen Mindesturlaubs und hindert so dessen Verfall (vgl. zuletzt - Rn. 18, EzA BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 17).
204. Entgegen der Revision ist diese Rechtsprechung auch auf den tariflichen Mehrurlaub nach dem MTV Boden anzuwenden. Die tarifliche Regelung lässt nicht erkennen, dass die Tarifvertragsparteien von dem Grundsatz, demzufolge die Bestimmungen zur Übertragung und zum Verfall des gesetzlichen Mindesturlaubs mit denen zum tariflichen Mehrurlaub gleichlaufen, abweichen wollen. Das ergibt die Auslegung der maßgeblichen Tarifvorschriften.
21a) Die Tarifvertragsparteien können Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche, die den von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG gewährleisteten und von §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG begründeten Anspruch auf Mindestjahresurlaub von vier Wochen übersteigen, frei regeln. Ihre Regelungsmacht ist nicht durch die für gesetzliche Urlaubsansprüche erforderliche richtlinienkonforme Fortbildung des § 7 Abs. 3 und Abs. 4 BUrlG beschränkt. Einem tariflich angeordneten Verfall des übergesetzlichen Urlaubsanspruchs und seiner Abgeltung steht nach dem klaren Richtlinienrecht und der gesicherten Rechtsprechung des EuGH kein Unionsrecht entgegen (vgl. - Rn. 23 mwN, EzA BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 17).
22b) Der Senat hat die hier zu beurteilenden tariflichen Vorschriften deshalb anhand des innerstaatlichen Rechts auszulegen. Es ist zu prüfen, ob die Tarifvertragsparteien von ihrer freien Regelungsmacht Gebrauch gemacht haben. Dies kann sich daraus ergeben, dass sie entweder bei ihrer Verfallsregelung zwischen gesetzlichem Mindesturlaub und tarifvertraglichem Mehrurlaub unterschieden oder sich vom gesetzlichen Fristenregime gelöst und eigenständige vom BUrlG abweichende Regelungen zur Übertragung und zum Verfall des Urlaubsanspruchs getroffen haben. Beides ist nach § 37 Abs. 1 MTV Boden nicht der Fall.
23aa) Unterscheidet ein Tarifvertrag zwischen gesetzlichem Mindesturlaub und tarifvertraglichem Mehrurlaub, ist es regelmäßig gerechtfertigt, auch hinsichtlich des Verfalls von Urlaubsansprüchen entsprechend zu differenzieren. Die vom Senat entwickelte richtlinienkonforme Fortbildung des § 7 Abs. 3 und Abs. 4 BUrlG betrifft nur die Mindesturlaubsansprüche ( - Rn. 18, EzA BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 17). Trennen die Tarifvertragparteien zwischen gesetzlichem und tarifvertraglichem Urlaub, machen sie von ihrer freien, nicht durch § 13 Abs. 1 BUrlG beschränkten Regelungsmacht für den tariflichen Mehrurlaub Gebrauch. Es ist dann ausgeschlossen, ohne konkrete Anhaltspunkte die richtlinienkonforme Fortbildung von Vorschriften des BUrlG auch auf den tariflichen Mehrurlaub anzuwenden. Ein entsprechender zwischen beiden Urlaubsarten differenzierender Regelungswille der Tarifvertragsparteien lässt sich nicht schon daraus herleiten, dass ein Tarifvertrag sich vom gesetzlichen Urlaubsregime löst und stattdessen eigene Regeln aufstellt (so aber - Rn. 49; - Rn. 32, ZTR 2011, 377; - Rn. 31, ZTR 2011, 98). Denn ein solcher Tarifvertrag, der nicht zwischen beiden Urlaubsarten unterscheidet, löst sich insgesamt für gesetzlichen und tarifvertraglichen Urlaub vom Regime des BUrlG.
24Die Tarifvertragsparteien haben im MTV Boden nicht zwischen gesetzlichem und tarifvertraglichem Urlaub unterschieden.
25(1) Der Senat hat in ständiger Rechtsprechung die Auslegungsregel aufgestellt, für einen Regelungswillen, der zwischen gesetzlichen und übergesetzlichen tarifvertraglichen Ansprüchen unterscheide, müssten deutliche Anhaltspunkte bestehen. Trotz teilweiser Kritik in der Literatur und von Instanzgerichten hat der Senat auch für Tarifverträge hieran festgehalten ( - Rn. 35 ff. mwN, AP SGB IX § 125 Nr. 3 = EzA BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 16).
26(2) Solche Anhaltspunkte sind im MTV Boden nicht ersichtlich. Diese können sich nur daraus ergeben, dass der Tarifvertrag gesetzliche und tarifvertragliche Urlaubsansprüche unterschiedlich regelt. Das ist im MTV Boden nicht der Fall. Sämtliche Urlaubsregelungen differenzieren nicht zwischen gesetzlichem Urlaub und tarifvertraglichem Mehrurlaub.
27bb) Haben die Tarifvertragsparteien einheitlich sowohl für den unionsrechtlich verbürgten Mindest- als auch für den übersteigenden Mehrurlaub von § 7 Abs. 3 BUrlG wesentlich abweichende Übertragungs- und Verfallsregeln vereinbart, so zeugt das ebenfalls für einen eigenständigen Regelungswillen. Danach soll der Arbeitnehmer das Risiko, den Urlaub nicht in Anspruch nehmen zu können, tragen. Dies schließt einen ergänzenden Rückgriff auf die - unionsrechtlich bedingt - reformierte Rechtsprechung des Senats, der zufolge der Urlaubsanspruch auch im Fall der krankheitsbedingten Unmöglichkeit einer Erfüllung erhalten bleibt, unabhängig davon aus, ob diese Rechtsprechung auf einer richtlinienkonformen Auslegung oder auf einer richtlinienkonformen Rechtsfortbildung beruht. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass die eigenständige Sonderregelung für den unionsrechtlich verbürgten Mindesturlaub im Hinblick auf § 13 Abs. 1 Satz 1, § 1 BUrlG iVm. § 134 BGB unwirksam ist. Für den vom Mindesturlaub abtrennbaren Teil der einheitlich geregelten Gesamturlaubsdauer, den sog. Mehrurlaub, bleibt sie gemäß § 139 BGB wirksam.
28Soweit die Instanzrechtsprechung einen eigenständigen, dem Gleichlauf von Mindest- und Mehrurlaub entgegenstehenden Regelungswillen bereits dann annimmt, wenn in einem Tarifvertrag von der Zwölftelungsregelung des § 5 BUrlG abgewichen wird (so -), kann dem nicht zugestimmt werden (zutreffend - Rn. 25 ff.). Entscheidend ist vielmehr, ob vom Fristenregime des BUrlG abgewichen oder zumindest durch die Differenzierung zwischen Mindest- und Mehrurlaub erkennbar gemacht wird, dass der Arbeitnehmer für den Mehrurlaub das Verfallsrisiko tragen soll.
29Die Voraussetzungen einer solchen Abweichung sind im MTV Boden nicht erfüllt. Der MTV Boden regelt weder ein eigenständiges vom BUrlG abweichendes Fristenregime, noch lässt er erkennen, dass der Arbeitnehmer das Risiko der Inanspruchnahmemöglichkeit für den Mehrurlaub tragen soll.
30(1) § 37 Abs. 1 MTV Boden wiederholt vorrangig die bereits im BUrlG bestimmte Befristung des Urlaubsanspruchs. Nach den Tarifregelungen muss der Urlaub - wie auch gemäß § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG - im Urlaubsjahr gewährt und genommen werden. Denn § 32 Abs. 1 MTV Boden bestimmt, dass jeder Mitarbeiter in jedem vom 1. Januar bis 31. Dezember laufenden Urlaubsjahr Anspruch auf Erholungsurlaub hat. Im Zusammenhang mit § 37 Abs. 1 MTV Boden lässt sich hieraus herleiten, dass der Urlaub im Kalenderjahr gewährt und genommen werden muss. Diese Bindung an das Kalenderjahr wird durch § 37 Abs. 1 MTV Boden bestätigt (vgl. zum gleichlautenden § 17d MTV Cockpit - Rn. 20, AP BUrlG § 7 Übertragung Nr. 28 = EzA BUrlG § 7 Nr. 116). Danach verfällt „nicht genommener Erholungsurlaub“ am 31. März des folgenden Jahres. Das zeigt, dass der Erholungsurlaub im Urlaubsjahr genommen werden soll und allenfalls auf die ersten drei Monate des folgenden Jahres übertragen wird. Dies wird durch die Überschrift dieser Tarifnorm „Verfallen und Übertragung des Urlaubsanspruchs“ verdeutlicht.
31(2) Auch der in § 37 Abs. 1 MTV Boden angeordnete Verfall nicht genommenen Urlaubs am 31. März des folgenden Jahres entspricht dem Fristenregime des § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG.
32(3) Soweit die Tarifvertragsparteien für die Übertragung des Urlaubsanspruchs auf die ersten drei Monate des Folgejahres in Abweichung von § 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG auf betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende rechtfertigende Gründe verzichtet haben, lässt dies nicht ausreichend ein eigenständiges abschließendes Fristenregime erkennen. Es wird lediglich, möglicherweise aus Praktikabilitätserwägungen, auf die ansonsten notwendige Prüfung der Übertragungsvoraussetzungen verzichtet. Eine solche Teilabweichung lässt nicht auf den Regelungswillen der Tarifvertragsparteien schließen, sich ansonsten vom Fristenregime des BUrlG lösen zu wollen, zumal sie hier den 31. März des Folgejahres aus der gesetzlichen Regelung des § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG übernommen haben.
33(4) Zwar ordnet § 37 Abs. 1 MTV Boden über den Wortlaut in § 7 BUrlG hinaus ausdrücklich den Verfall des Urlaubsanspruchs an. Auch hieraus lässt sich kein eigenständiger Regelungswille der Tarifvertragsparteien folgern. Sie haben lediglich die Rechtsprechung des Senats zu § 7 BUrlG deklaratorisch übernommen. Danach verfällt der gemäß § 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG auf das folgende Kalenderjahr übertragene und nicht bis zum 31. März des folgenden Jahres verwirklichte Urlaub mit Ablauf dieser Frist (so schon - zu 2 der Gründe, BAGE 56, 340). Dasselbe gilt für die Regelung in § 37 Abs. 2 MTV Boden. Danach ist der vom Mitarbeiter erfolglos geltend gemachte Urlaub nachzugewähren. Dies entspricht der Rechtsprechung, nach der sich der Urlaubsanspruch gemäß § 280 Abs. 1, § 286 Abs. 1, § 287 Satz 2, § 249 Abs. 1 BGB in einen Schadensersatzanspruch umwandelt, der auf Gewährung von Ersatzurlaub als Naturalrestitution gerichtet ist, wenn der Arbeitgeber den rechtzeitig verlangten Urlaub nicht gewährt und der Urlaub aufgrund seiner Befristung verfällt ( - Rn. 24, AP BUrlG § 7 Übertragung Nr. 28 = EzA BUrlG § 7 Nr. 116). Ein vom BUrlG in Ausprägung der Rechtsprechung des Senats abweichender Regelungswille der Tarifvertragsparteien ergibt sich deshalb nicht.
34(5) Die Revision verweist ohne Erfolg auf § 36 Abs. 4 Satz 1 MTV Boden. Danach wird der Urlaub anteilig um Zeiten der Arbeitsbefreiung ohne Fortzahlung der Vergütung gekürzt. Die Kürzung sollte nur stattfinden, „sofern gesetzlich nichts anderes bestimmt ist“. Die Beklagte beruft sich insoweit zu Unrecht auf die Entscheidung des Senats vom (- 9 AZR 983/07 - Rn. 85, BAGE 130, 119). Dort hat der Senat zwar die Formulierung in einer kirchlichen Arbeits- und Vergütungsordnung (KAVO) „soweit gesetzlich nicht anderes geregelt ist“ zum Anlass genommen, eine Unterscheidung zwischen gesetzlichen und übergesetzlichen Ansprüchen anzunehmen. Allerdings betraf diese Gesetzesvorbehaltsregelung ausschließlich den ausdrücklich in der KAVO auch in den Fristen abweichend vom BUrlG geregelten Verfall des Urlaubsanspruchs. Damit wird deutlich, dass die KAVO ein eigenes Fristen- und Verfallsregime bestimmte und lediglich sonstige, zwingende gesetzliche Regelungen des BUrlG weiter Bestand haben sollten. Ein solches eigenständiges Fristenregime sowie eine darauf bezogene Gesetzesvorbehaltsregelung enthält die Verfallsregelung des MTV Boden in seinem § 37 gerade nicht.
35(6) Soweit § 36 Abs. 3 MTV Boden bestimmt, dass dem Arbeitnehmer insgesamt nicht mehr als 12/12 des tariflichen Urlaubs zustehen soll, wenn er zu einer anderen Gesellschaft im DLH-Konzern wechselt, kann dies im Einzelfall von § 5 Abs. 1 BUrlG abweichen. Entgegen der Auffassung der Revision schließt dies einen Rückgriff auf die Verfallsregelungen des § 7 BUrlG nicht aus. Dazu genügen Abweichungen bei der Berechnung des Urlaubsanspruchs nicht.
365. Der Anspruch verfiel jedoch gemäß § 37 Abs. 1 MTV Boden und nach § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG spätestens zum . Der wegen der mangelnden Möglichkeit der Inanspruchnahme infolge krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit über den Übertragungszeitraum des ersten Quartals des Folgejahres hinaus fortbestehende Urlaubsanspruch unterfällt, sobald die Arbeitsunfähigkeit als Erfüllungshindernis des Urlaubsanspruchs wegfällt, erneut dem gesetzlichen oder tarifvertraglichen Fristenregime.
37a) Der im Vorjahr wegen Arbeitsunfähigkeit nicht erfüllbare Urlaubsanspruch wird nach § 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG bei einem in der Person des Arbeitnehmers liegenden Grund automatisch übertragen. Er tritt dem am 1. Januar des Folgejahres nach § 4 BUrlG entstehenden neuen Urlaubsanspruch mit der Maßgabe hinzu, dass er nach § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG bis zum 31. März des Folgejahres gewährt und genommen werden muss (Gaul/Bonanni/Ludwig DB 2009, 1013; Düwell dbr 8/2009 S. 9). Ist ein Urlaubsanspruch ausnahmsweise bis zum Ende des Übertragungszeitraums wegen Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers nicht erfüllbar, kann zwar nach der - unionsrechtlich bedingt - reformierten Rechtsprechung des Senats der Verfall des Urlaubsanspruchs nicht eintreten. Sowohl für den übertragenen als auch für den neu entstandenen Urlaubsteilanspruch gelten dann aber die in § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG bestimmte Bezugsdauer bis zum 31. Dezember als auch die in einer Art perpetuierendem System eingreifenden Übertragungsregeln aus § 7 Abs. 3 Satz 2 und Satz 3 BUrlG; denn an diesen Befristungen des Urlaubsanspruchs ist für den Regelfall der möglichen Inanspruchnahme festzuhalten (AnwK-ArbR/Düwell 2. Aufl. § 7 BUrlG Rn. 91; dem folgend: - Rn. 30). Das ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
38aa) § 7 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 BUrlG erfasst nicht nur den Urlaubsanspruch des laufenden Jahres (so aber Bauer/Arnold NJW 2009, 631). Nach dem Wortlaut des § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG muss der Urlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Die Vorschrift beschränkt ihren Regelungsbereich deshalb nicht auf den für das „laufende Jahr“ entstandenen Urlaub. Sie regelt vielmehr jeden bestehenden gesetzlichen Mindesturlaub. Auch der wegen Arbeitsunfähigkeit fortbestehende Urlaubsanspruch ist gesetzlicher Urlaub im Sinne des BUrlG. Dieser muss im laufenden Kalenderjahr (dem Jahr seines Bestehens) gewährt und genommen werden.
39bb) Auch aus der Rechtsprechung des EuGH folgt nicht, dass § 7 Abs. 3 BUrlG auf wegen Arbeitsunfähigkeit nicht verfallene Urlaubsansprüche keine Anwendung finden darf (so fälschlich Picker ZTR 2009, 230). Der EuGH hat vielmehr ausdrücklich bestätigt, dass Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die den Verlust des Urlaubsanspruchs am Ende eines Bezugszeitraums oder eines Übertragungszeitraums bestimmt, wenn der Arbeitnehmer tatsächlich die Möglichkeit hatte, den Urlaub zu nehmen ( und C-520/06 - [Schultz-Hoff] Rn. 42, Slg. 2009, I-179). Deshalb kann der Urlaub in den folgenden Urlaubsjahren verfallen, wenn der Arbeitnehmer ihn nicht rechtzeitig genommen hat und er nicht an der Urlaubsnahme wegen Arbeitsunfähigkeit gehindert war.
40b) Der Kläger hätte seinen Resturlaubsanspruch aus 2007 nach Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit ab Mai 2008 nehmen können. Es war deshalb Verfall spätestens zum eingetreten. Die Beklagte befand sich jedoch seit August 2008 mit der Urlaubsgewährung in Verzug, da der Kläger zuvor spätestens mit der ihr am zugestellten Klage seine Urlaubsansprüche erfolglos geltend gemacht hatte. Das begründet einen entsprechenden Ersatzurlaubsanspruch des Klägers aus Verzug.
41III. Die Beklagte hat für den verfallenen Urlaub Ersatz nach § 249 Abs. 1 BGB zu leisten, weil sie sich gemäß § 286 BGB im Schuldnerverzug befand, als der Anspruch auf den restlichen tariflichen Mehrurlaub unterging.
B. Die Beklagte hat die Kosten ihrer erfolglosen Revision nach § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
BB 2011 S. 2292 Nr. 37
BB 2011 S. 2816 Nr. 45
BB 2012 S. 1343 Nr. 21
BB 2012 S. 778 Nr. 12
DB 2011 S. 2150 Nr. 38
NJW 2011 S. 2987 Nr. 40
RAAAD-90466