BGH Beschluss v. - 3 StR 164/11

Zuständigkeitsänderung im Strafverfahren: Verfahrensübernahme durch schlüssiges Verhalten

Gesetze: § 225a Abs 1 S 1 Halbs 1 StPO, § 225a Abs 1 S 2 StPO, § 269 StPO, § 270 StPO

Instanzenzug: LG Oldenburg (Oldenburg) Az: 4 KLs 74/10 - 165 Js 55748/09 Urteil

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gemeinschaftlicher Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen und wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt, hat wegen des Mangels einer von Amts wegen zu berücksichtigenden Verfahrensvoraussetzung Erfolg, so dass es auf die Rügen im Einzelnen nicht ankommt. Das Landgericht hat als sachlich unzuständiges Gericht entschieden.

2Der Generalbundesanwalt hat hierzu in Anlehnung an eine frühere Entscheidung des Bundesgerichtshofs (, BGHSt 44, 121 ff.; bestätigt durch Urteil vom - 4 StR 19/99, BGHSt 45, 58, 62) in seiner Antragsschrift ausgeführt:

"[…] Die Annahme der Strafkammer, sie sei infolge des Beschlusses des Schöffengerichts vom zuständig geworden, war rechtsfehlerhaft. Eine Verweisung der Sache durch das Schöffengericht konnte nach § 270 StPO nicht erfolgen, weil diese Bestimmung - auch nach vorangegangener Aussetzung - erst nach Beginn der Hauptverhandlung anwendbar ist (dazu , BGHSt 29, 341, 344 f.; Urteil vom - 2 StR 621/95, BGHSt 42, 39, 40; Beschluss vom - 4 StR 273/98, BGHSt 44, 121, 122; Jäger in LR StPO 26. Aufl. § 225a Rdnr. 5; Gmel in KK StPO 6. Aufl. § 225a Rdnr. 3; Deiters in SK StPO 4. Aufl. § 225a Rdnr. 2; Meyer-Goßner StPO 53. Aufl. § 225a Rdnr. 4, jeweils mwN). Nach der verfahrensrechtlichen Situation (vgl. , BGHSt 38, 172, 174) handelte es sich vielmehr um einen Vorlegungsbeschluss gemäß § 225a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 StPO (zum umgekehrten Fall siehe OLG Hamm MDR 1993, 1002 f.). Einen die Zuständigkeit des Gerichts höherer Ordnung erst begründenden (, BGHSt 44, 121, 123; Jäger in LR aaO Rdnr. 31; Meyer-Goßner aaO Rdnr. 17), ausdrücklichen Übernahmebeschluss gemäß § 225a Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 StPO, der erst nach Einhaltung des in § 225a Abs. 2 StPO vorgeschriebenen Verfahrens sowie nach Anhörung der Verfahrensbeteiligten (§ 33 Abs. 2 und 3 StPO) hätte ergehen können und der dem Angeklagten entsprechend § 215 StPO förmlich zuzustellen gewesen wäre, hat das Landgericht nicht erlassen. Die in der strafprozessualen Literatur (dazu etwa Jäger in LR aaO Rdnr. 19; dagegen Deiters in SK aaO Rdnr. 20) umstrittene Frage, ob ein Übernahmebeschluss im Sinne von § 225a Abs. 1 Satz 2 StPO auch stillschweigend ergehen kann, obwohl dieser grundsätzlich 'in zweifelsfreier Form erkennen lassen [muss], welches Gericht welchen Tatvorwurf mit welcher (vorläufigen) rechtlichen Würdigung abzuurteilen hat' (BT-Drucks. 8/976, S. 49), bedarf hier keiner Entscheidung. Ein konkludenter Übernahmebeschluss - etwa durch die Anordnung der Haftfortdauer oder die Zurückweisung der 'Zuständigkeitsrüge' - scheidet schon deshalb aus, weil die Strafkammer sich, wie der Wortlaut ihres Beschlusses vom deutlich macht, an die Abgabeentscheidung des Schöffengerichts vom 'gebunden' glaubte. Ein stillschweigender Übernahmebeschluss kann aber nur dann angenommen werden, wenn der Erklärende überhaupt das Bewusstsein hat, eine solche Entscheidung treffen zu können. Dies war vorliegend nicht der Fall. Das Landgericht ist vielmehr fehlerhaft davon ausgegangen, dass es nur eine eingeschränkte Willkürprüfung gemäß § 270 StPO vornehmen kann und sah sich daher, da es das Vorliegen von Willkür verneint hat, an die Verweisung des Amtsgerichts gebunden. Aus dem gleichen Grund kommt eine schlüssige Übernahme der Sache in der von der Strafkammer durchgeführten Hauptverhandlung von vornherein nicht in Betracht, zumal darin ausweislich der Sitzungsniederschrift auch der 'Abgabebeschluss' des Schöffengerichts vom nicht verlesen wurde (vgl. , BGHSt 25, 309, 312 und Beschluss vom - 4 StR 273/98, BGHSt 44, 121, 123; Meyer-Goßner aaO § 243 Rdnr. 14). Der Feststellung der Unzuständigkeit des Landgerichts steht schließlich die Vorschrift des § 269 StPO nicht entgegen. Zwar liegt dieser Norm der Gedanke zugrunde, dass die Verhandlung vor einem Gericht höherer Ordnung den Angeklagten generell nicht benachteiligen kann (RGSt 62, 265, 271; Meyer-Goßner aaO § 269 Rdnr. 1); die Anwendbarkeit der Bestimmung setzt jedoch voraus, dass die Sache nicht mehr beim Gericht niederer Ordnung anhängig ist, sondern die Zuständigkeit des Gerichts höherer Ordnung prozessordnungsgemäß begründet wurde (, BGHSt 37, 15, 20; Beschluss vom - 4 StR 506/91, BGHSt 38, 172, 176 und Beschluss vom - 4 StR 273/98, BGHSt 44, 121, 124). Daran fehlte es hier, weshalb das Landgericht überhaupt nicht zur Sache verhandeln durfte.

[…] Die mangelnde sachliche Zuständigkeit führt - im Gegensatz zu anderen Prozesshindernissen - nicht zu einer Einstellung des Verfahrens, sondern gemäß § 355 StPO zu einer Verweisung der Sache an das zuständige Gericht. Das Landgericht hat sich im Sinne der Vorschrift 'mit Unrecht für zuständig erachtet', da es bei objektiver Betrachtung nicht zuständig war (dazu , BGHSt 44, 121, 124; Kuckein in KK aaO § 355 Rdnr. 2 und Meyer-Goßner aaO § 355 Rdnr. 3, jeweils mwN); zuständig war das Amtsgericht - Schöffengericht - Wilhelmshaven. Dies entspricht auch dem jetzigen Verfahrensstand (BGH aaO), zumal bei neuer Verhandlung und Entscheidung eine höhere als die ausgesprochene Freiheitsstrafe nicht zu erwarten ist (§ 358 Abs. 2 StPO, §§ 24 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, 25, 28 GVG)".

3Diesen Ausführungen schließt sich der Senat an.

Becker                                  von Lienen                                      Schäfer

                     Mayer                                             Menges

Fundstelle(n):
PAAAD-88427