BAG Urteil v. - 4 AZR 214/09

Eingruppierung eines psychologischen Psychotherapeuten in den TV-Ärzte/KAH - Tätigkeitsaufstieg und Berücksichtigung von Beschäftigungszeiten

Gesetze: § 1 TVG

Instanzenzug: Az: 1 Ca 489/07 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Hamburg Az: 5 Sa 47/08 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die zutreffende Eingruppierung des Klägers nach dem zwischen dem Krankenhausarbeitgeberverband Hamburg e.V. (KAH) und dem Marburger Bund - Landesverband Hamburg - am geschlossenen Tarifvertrag für Ärztinnen und Ärzte im KAH (TV-Ärzte/KAH).

Der Kläger, der den Abschluss eines Diplom-Psychologen erworben hat, ist bei der Beklagten und ihren Rechtsvorgängern seit dem beschäftigt. Er wurde ab dem als wissenschaftlicher Mitarbeiter, verbunden mit Lehrverpflichtungen im Universitätsklinikum H, beschäftigt. Im Arbeitsvertrag vom heißt es ua.:

3Der Kläger ist seit dieser Zeit mit weit mehr als 50 vH seiner Arbeitszeit in der Patientenversorgung tätig. Bereits seit dem verfügt er über eine Erlaubnis nach § 1 HeilprG, die es ihm gestattet, die Tätigkeit eines Psychotherapeuten berufsmäßig auszuüben. Im Jahre 1999 erhielt der Kläger die Approbation zur Ausübung des Berufs des Psychologischen Psychotherapeuten nach § 12 des Gesetzes über die Berufe des Psychologischen Psychotherapeuten und des Kinder- und Jugendlichenpsychologen (vom - PsychThG).

Am trat der TV-Ärzte/KAH in Kraft. Die Überleitung regelt der am gleichen Tag geschlossene Tarifvertrag zur Überleitung der Ärztinnen und Ärzte im KAH (TVÜ-Ärzte/KAH). Zum Geltungsbereich bestimmt § 1 TV-Ärzte/KAH:

5Die Beklagte vergütet den Kläger seit dem nach der Entgeltgruppe Ä 1 Stufe 5 TV-Ärzte/KAH. Zusätzlich zu seinem Grundentgelt erhält der Kläger noch eine Besitzstandszulage. Mit Schreiben vom und vom machte der Kläger erfolglos eine Vergütung nach der Entgeltgruppe Ä 2 Stufe 3 TV-Ärzte/KAH geltend.

6Mit seiner Klage verfolgte der Kläger sein Begehren weiter. Er sei als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Beklagten tätig und nehme überwiegend Aufgaben in der Patientenversorgung wahr. Der 1981 geschlossene Arbeitsvertrag sei nie geändert worden. Er übe mit etwa 80 vH seiner Arbeitszeit eine einem Arzt vergleichbare Tätigkeit aus. Wissenschaftliche Mitarbeiter seien nach zehnjähriger Tätigkeit nach der Entgeltgruppe Ä 2 TV-Ärzte/KAH zu vergüten. Die Stufe 3 der Entgeltgruppe stehe ihm zu, da er mehr als sieben Jahre das Tätigkeitsmerkmal der Entgeltgruppe erfülle. Selbst wenn er unter die Gruppe der akademischen Mitarbeiter falle, seien die tariflichen Voraussetzungen erfüllt. Die Approbation nach der Überleitungsvorschrift des § 12 Abs. 3 PsychThG setze voraus, dass er zwischen dem und dem mit einer Gesamtdauer von mindestens sieben Jahren an der Versorgung von Versicherten mitgewirkt habe.

Der Kläger hat beantragt

8Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Der Kläger sei aufgrund der von ihm ausgeübten Tätigkeiten akademischer Mitarbeiter. Trotz des Arbeitsvertrages liege der deutliche Schwerpunkt seiner tatsächlichen Beschäftigung in der Patientenversorgung. Diese tatsächliche einvernehmliche Durchführung des Arbeitsverhältnisses gehe den vertraglichen Abreden vor. Der Kläger verfüge noch nicht zehn Jahre über die nach der Protokollnotiz zu § 1 TV-Ärzte/KAH erforderliche Approbation.

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Klageabweisung. Der Kläger beantragt die Revision zurückzuweisen.

Gründe

10Die zulässige Revision ist begründet. Die Vorinstanzen haben der Klage zu Unrecht stattgegeben. Die zulässige Klage ist unbegründet.

11I. Die Feststellungsklage ist zulässig.

121. Der Antrag ist hinsichtlich der Entgeltgruppe als allgemein üblicher Eingruppierungsfeststellungsantrag zulässig.

132. Soweit der Kläger darüber hinaus eine bestimmte Stufe der Entgeltgruppe Ä 2 TV-Ärzte/KAH festgestellt wissen will, fehlt ihm nicht das erforderliche Feststellungsinteresse iSv. § 256 Abs. 1 ZPO.

14a) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats liegt diese Zulässigkeitsvoraussetzung für einen derartigen Antrag dann vor, wenn neben der Entgeltgruppe auch die Zuordnung zu einer Entgeltstufe zwischen den Parteien umstritten ist und durch den Feststellungsantrag dieser Teil eines Vergütungsanspruchs zwischen den Parteien rechtskräftig geklärt und weitere gerichtliche Auseinandersetzungen vermieden werden können ( - 4 AZR 495/08 - Rn. 22 mwN, AP TVG § 1 Tarifverträge: Arzt Nr. 8; - 4 AZR 1005/06 - Rn. 15, BAGE 124, 240; - 4 AZR 613/04 - Rn. 13, AP BAT-O § 27 Nr. 4).

15b) Danach ist das erforderliche Feststellungsinteresse vorliegend gegeben. Der Streit zwischen den Parteien betrifft nicht nur die Eingruppierung im Sinne der Erfüllung von Tätigkeitsmerkmalen der Entgeltgruppen. Da die Beklagte bestreitet, der Kläger sei vor dem Beginn des Jahres 1999 akademischer Mitarbeiter im Tarifsinne gewesen, ist es nicht ausgeschlossen, dass selbst bei der Annahme einer Vergütungspflicht nach der Entgeltgruppe Ä 2 TV-Ärzte/KAH ein Streit über die zutreffende Entgeltstufe entsteht.

16II. Die Klage hat jedoch keinen Erfolg. Dabei kann es dahinstehen, ob der Kläger wissenschaftlicher oder akademischer Mitarbeiter iSd. § 1 TV-Ärzte/KAH ist. Die Voraussetzungen für eine Vergütung nach der Entgeltgruppe Ä 2 TV-Ärzte/KAH sind in jedem Fall nicht erfüllt. Der Kläger verfügt nicht über die nach dem Tätigkeitsmerkmal geforderte „zehnjährige Tätigkeit in Ä 1“.

171. Nach dem übereinstimmenden Vortrag der Parteien findet der TV-Ärzte/KAH auf das zwischen Ihnen bestehende Arbeitsverhältnis seit dem Anwendung.

182. Für die tarifliche Bewertung der Tätigkeit des Klägers sind die nachstehenden Regelungen des TV-Ärzte/KAH und des TVÜ-Ärzte/KAH maßgebend.

a) Der TV-Ärzte/KAH lautet auszugsweise:

b) Im TVÜ-Ärzte/KAH ist ua. bestimmt:

213. Dem Begehren des Klägers steht entgegen, dass er seit Inkrafttreten des maßgebenden Tarifvertrages nicht bereits zehn Jahre in der Entgeltgruppe Ä 1 TV-Ärzte/KAH tätig gewesen ist. Ein Tätigkeitsaufstieg des Klägers wurde nach dem Tarifvertrag erst mit dessen Inkrafttreten ermöglicht, sodass die entsprechenden Zeiten erst seit diesem Zeitpunkt zu berücksichtigen sind. Die Anrechnung von Tätigkeitszeiten, die vor Inkrafttreten des TV-Ärzte/KAH liegen, die § 3 Abs. 2 TVÜ-Ärzte/KAH bei der Entgeltstufenbestimmung ermöglicht, ist für die Bestimmung der maßgebenden Entgeltgruppe nicht vorgesehen.

22a) Die Auslegung eines Tarifvertrages (zu den Maßstäben etwa  - zu I 2 a bb (2) (c) (bb) der Gründe, BAGE 113, 291) durch das Berufungsgericht ist in der Revisionsinstanz in vollem Umfang nachzuprüfen (st. Rspr., etwa  - Rn. 40, BAGE 124, 240).

23b) Die Auslegung ergibt, dass die tarifvertraglich vorgesehene Tätigkeit in einer bestimmten Entgeltgruppe des TV-Ärzte/KAH, die zu einer Höhergruppierung führt, nur durch Tätigkeiten erfüllt werden kann, während deren Ausübung der Arbeitnehmer in der genannten Entgeltgruppe des Tarifvertrages eingruppiert war. Das setzt grundsätzlich die Anwendbarkeit des TV-Ärzte/KAH auf das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers voraus, kann vorliegend also nur durch Tätigkeitszeiten erfüllt werden, die nach Inkrafttreten des TV-Ärzte/KAH am absolviert worden sind.

24aa) Nach der Rechtsprechung des Senats kann die Berücksichtigung von Beschäftigungszeiten, Tätigkeitszeiten oder Bewährungszeiten in Tarifverträgen unterschiedlich geregelt werden. Sieht ein Tarifvertrag vor, dass eine Höhergruppierung nur durch Tätigkeiten erfüllt werden kann, während deren Ausübung der Arbeitnehmer in einer bestimmten Entgeltgruppe des betreffenden Tarifvertrages eingruppiert war, setzt das grundsätzlich die zeitgleiche Anwendbarkeit des Tarifvertrages auf das Arbeitsverhältnis voraus. Die tariflich geforderten Tätigkeitszeiten können dann nur nach Inkrafttreten des Tarifvertrages erfüllt werden ( - Rn. 41 ff., BAGE 124, 240; - 4 AZR 149/09 - Rn. 46).

25bb) Im vorliegenden Zusammenhang folgt bereits aus dem Wortlaut des TV-Ärzte/KAH, dass für den Tätigkeitsaufstieg aus der Entgeltgruppe Ä 1 in die nächsthöhere Entgeltgruppe eine „Tätigkeit in Ä 1“ vorgeschrieben ist und nicht lediglich eine Tätigkeit als wissenschaftlicher oder akademischer Mitarbeiter. „In Ä 1” kann ein Arbeitnehmer nur tätig sein, wenn er die Tätigkeitsmerkmale der Entgeltgruppe erfüllt. Das setzt die Geltung der betreffenden Entgeltordnung und damit des TV-Ärzte/KAH voraus. Zwar können unter bestimmten Umständen auch Tatbestände, die in der Vergangenheit liegen, tarifliche Bedeutung erlangen. Dies erfordert jedoch eine entsprechend deutliche tarifvertragliche Regelung, da Tarifnormen wie Gesetze grundsätzlich nur für die Zukunft Geltung beanspruchen ( - Rn. 43, BAGE 124, 240; - 4 AZR 228/93 - mwN, AP BAT § 23a Nr. 32).

26cc) Dieses am Wortlaut orientierte Auslegungsergebnis wird gestützt durch den Gesamtzusammenhang der tariflichen Regelungen. Die Tarifvertragsparteien waren sich erkennbar bewusst, dass es auch andere, prinzipiell berücksichtigungsfähige Beschäftigungszeiten vor Inkrafttreten des TV-Ärzte/KAH gibt.

27§ 16 Abs. 1 Satz 2 TV-Ärzte/KAH bestimmt für das Erreichen der nächsten Entgeltstufe, dass diese Stufe nach „den Zeiten ärztlicher (Ä 1), fachärztlicher (Ä 2), oberärztlicher (Ä 3) Tätigkeit“ erreicht wird. Damit wird auf Tätigkeitszeiten während der Eingruppierung in den jeweiligen Entgeltgruppen abgestellt (vgl. auch zu § 19 TV-Ärzte/VKA  - Rn. 45; - 6 AZR 357/09 - Rn. 16 f.). Grundsätzlich wäre damit jeder Arbeitnehmer bei Inkrafttreten des Tarifvertrages der Stufe 1 der einschlägigen Entgeltgruppe zugeordnet. Für die Festlegung der Entgeltstufe haben die Tarifvertragsparteien in § 3 Abs. 2 TVÜ-Ärzte/KAH jedoch ausdrücklich bestimmt, dass auch Beschäftigungszeiten vor Inkrafttreten des Tarifvertrages für die Ermittlung der zutreffenden Entgeltstufe berücksichtigt werden, wenn die auszuübende Tätigkeit eines Arbeitnehmers schon vor dem das Tätigkeitsmerkmal der betreffenden Entgeltgruppe erfüllt hat. Auch § 16 Abs. 2 TV-Ärzte/KAH behandelt bei der Berücksichtigung von Vorbeschäftigungszeiten einschlägiger Berufserfahrungen - nur - die Stufenzuordnung.

28Angesichts der eindeutigen, von den Tarifvertragsparteien sogar wiederholt verwendeten Begrifflichkeit gilt die Tarifregelung des § 3 Abs. 2 TVÜ-Ärzte/KAH nur für die Einstufung in die Entgeltstufe, nicht für die Zuordnung zu einer Entgeltgruppe. Die von den Tarifvertragsparteien in ihren Vergütungsregelungen gewählte unterschiedliche Terminologie ist zu beachten. Nach den Kriterien für die Auslegung eines Tarifvertrages als Rechtsnormenwerk ist regelmäßig davon auszugehen, dass Tarifvertragsparteien durch eine differenzierende Wortwahl auch unterschiedliche Regelungen treffen wollen. Von einer Maßgeblichkeit von Tätigkeitszeiten, die Arbeitnehmer absolviert haben, ohne nach dem TV-Ärzte/KAH eingruppiert zu sein, sind die Tarifvertragsparteien für die von ihnen geregelte Eingruppierung in Entgeltgruppen nicht ausgegangen, auch wenn man hier an eine gleichartige Regelung hätte denken können. Ein dahin gehender Regelungswille hat aber im Wortlaut des TVÜ-Ärzte/KAH keinerlei Niederschlag (vgl. hierzu  - Rn. 35, BAGE 124, 110) gefunden.

29c) Ein anderes Ergebnis ergibt sich auch dann nicht, wenn man zugunsten des Klägers davon ausgeht, die Tarifvertragsparteien hätten bei Abschluss des Tarifvertrages nicht bedacht, dass Tätigkeitszeiten vor Inkrafttreten des TV-Ärzte/KAH nicht nur für die Entgeltstufe, sondern auch für die Bestimmung der zutreffenden Entgeltgruppe maßgebend sein können, weshalb der Tarifvertrag insoweit lückenhaft wäre.

30aa) Für die Annahme einer Regelungslücke könnte im vorliegenden Fall sprechen, dass die Berücksichtigung von Tätigkeitszeiten vor Inkrafttreten des Tarifvertrages am für die Eingruppierung in eine Entgeltgruppe mit Ausnahme der wissenschaftlichen und der akademischen Mitarbeiter nicht erforderlich gewesen ist. Denn für die übrigen in den Entgeltgruppen Ä 1 bis Ä 4 TV-Ärzte/KAH genannten Beschäftigten ist ein Tätigkeitsaufstieg in eine andere Entgeltgruppe nicht vorgesehen. Erfüllten sie bereits vor dem eines der in § 12 TV-Ärzte/KAH genannten Tätigkeitsmerkmale, konnte dies nur für die Einstufung in eine der Entgeltstufen des § 16 TV-Ärzte/KAH von Bedeutung sein, nicht aber zur Bestimmung der Entgeltgruppe.

31Weiterhin könnte für eine Tariflücke sprechen, wie sich die wörtlich verstandene Tarifregelung in einem Fall wie dem vorliegenden auswirkt. Sie führt dazu, dass der Kläger, obwohl bereits seit vielen Jahren als wissenschaftlicher oder akademischer Mitarbeiter tätig, zehn Jahre ab Inkrafttreten des Tarifvertrages in der Entgeltgruppe Ä 1 Stufe 5 TV-Ärzte/KAH verbleibt, bevor der Tätigkeitsaufstieg erfolgt. Dasselbe gilt auch für denjenigen wissenschaftlichen oder akademischen Mitarbeiter, der seine Tätigkeit mit dem Datum des Inkrafttretens des Tarifvertrages aufgenommen hat, wobei er allerdings den gesamten Stufenaufstieg der Entgeltgruppe Ä 1 TV-Ärzte/KAH zu durchlaufen hat.

32bb) Eine hiernach etwa feststellbare Tariflücke kann jedoch nur geschlossen werden, wenn es sich nicht um eine bewusste Auslassung der Tarifvertragsparteien handelt. Denn die Gerichte sind nicht befugt, gegen den Willen der Tarifvertragsparteien ergänzende tarifliche Regelungen zu „schaffen“ oder eine schlechte Verhandlungsführung einer Tarifvertragspartei dadurch zu prämieren, dass ihr Vertragshilfe geleistet wird. Dies wäre ein unzulässiger Eingriff in die verfassungsrechtlich geschützte Tarifautonomie (vgl.  - Rn. 34 mwN, ZTR 2010, 571; - 4 AZR 964/07 - Rn. 20 mwN, AP TVG § 1 Auslegung Nr. 215; - 4 AZR 642/07 - Rn. 23 f. mwN, AP TVG § 1 Nr. 57 = EzA TVG § 1 Auslegung Nr. 46). Zudem darf nicht jede unbewusste Tariflücke durch die Gerichte geschlossen werden. Dafür müssen sich aus dem Tarifvertrag selbst hinreichend deutliche Anhaltspunkte dafür ergeben, welche Regelung die Tarifvertragsparteien für die nachträglich festgestellte Regelungslücke getroffen hätten, wenn sie die Lücke bei Tarifabschluss bemerkt hätten ( - Rn. 34, aaO; - 4 AZR 642/07 - Rn. 25, aaO). Bestehen im Kontext des vorliegenden Tarifvertrages mehrere Möglichkeiten die Lücke zu schließen, muss die Auswahlentscheidung den Tarifvertragsparteien überlassen bleiben (s. nur  - Rn. 38 mwN; - 4 AZR 642/07 - Rn. 25 mwN, aaO; - 3 AZR 230/98 - zu I 5 der Gründe mwN, BAGE 92, 310).

33cc) Auch in Anbetracht des neu geschaffenen Tarifwerks liegt es an sich nicht fern, zugunsten des Klägers davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien unbewusst die Frage, ob Tätigkeitszeiten vor Inkrafttreten des Tarifvertrages für den in § 12 TV-Ärzte/KAH geregelten Tätigkeitsaufstieg ungeregelt gelassen haben. Aber auch dann fehlt es an den erforderlichen eindeutigen Hinweisen darauf, dass die Tarifvertragsparteien, hätten sie den Regelungsbedarf erkannt, eine § 3 Abs. 2 TVÜ-Ärzte/KAH entsprechende Regelung auch für die Entgeltgruppenzuordnung getroffen hätten.

34Zwar lässt sich dem TV-Ärzte/KAH für die wissenschaftlichen und akademischen Mitarbeiter ein Entgeltsystem entnehmen, wonach diese Arbeitnehmer - aufgrund der nach Abs. 3 der Anlage A1 zum TV-Ärzte/KAH für diesen Beschäftigtenkreis gegenüber dem ärztlichen Personal veränderten Stufenlaufzeiten - alle zwei Jahre von der Entgeltstufe 1 bis zur Entgeltstufe 5 aufsteigen. Hieran schließt sich - bei zehnjähriger Tätigkeit in der Entgeltgruppe Ä 1 TV-Ärzte/KAH - der Tätigkeitsaufstieg in die Entgeltgruppe Ä 2 Stufe 1 TV-Ärzte/KAH an, dem nach jeweils zwei Jahren ein weiterer Stufenaufstieg, begrenzt auf die Entgeltstufe 3 der Entgeltgruppe Ä 2 TV-Ärzte/KAH, folgt.

35Allein diese tarifliche Systematik ergibt aber noch keinen sicheren Anhaltspunkt dafür, ob die Tarifvertragsparteien im Rahmen der grundlegend geänderten Entgeltstrukturen, die sich auch in der Besitzstandsregelung des § 4 TVÜ-Ärzte/KAH widerspiegeln, für die Entgeltgruppenzuordnung alle Tätigkeitszeiten vor Inkrafttreten des Tarifvertrages ohne weiteres anrechnen wollten. Bei den anderen Beschäftigtengruppen ermöglicht die Anrechnung der Tätigkeitszeiten vor dem in den Entgeltgruppen Ä 1 und Ä 2 TV-Ärzte/KAH bei zudem abweichenden Stufenlaufzeiten nur einen Aufstieg von der Stufe 1 in die Stufe 5 der jeweiligen Entgeltgruppe. Demgegenüber würde bei den wissenschaftlichen und akademischen Mitarbeitern die Berücksichtigung vorangegangener Tätigkeitszeiten sowohl einen Tätigkeitsaufstieg in die Entgeltgruppe Ä 2 als auch einen Stufenaufstieg in Stufe 3 TV-Ärzte/KAH bedeuten. Damit würde nicht nur wie bei den Ärzten in der Entgeltgruppe Ä 1 TV-Ärzte/KAH nach der Entgelttabelle 2010 ein um 935,00 Euro brutto höheres Entgelt ermöglicht als bei der Nichtberücksichtigung von Vortätigkeitszeiten - bei den Beschäftigten der Entgeltgruppe Ä 2 TV-Ärzte/KAH beläuft sich der entsprechend ermittelte Unterschiedsbetrag auf 1.180,00 Euro brutto -, sondern eine Entgeltsteigerung um 1.970,00 Euro brutto festgelegt. Dies weicht erheblich von den Steigerungsmöglichkeiten ab, welche die Tarifvertragsparteien durch die Regelung in § 3 Abs. 2 TVÜ-Ärzte/KAH für die Stufensteigerungen bereits länger Beschäftigter eröffnet haben. Dass sie für die wissenschaftlichen und akademischen Mitarbeiter diese Regelung auch für den Tätigkeitsaufstieg hinsichtlich der Entgeltgruppe einschließlich der sich gegenüber den anderen Mitarbeitern abweichenden Entgeltsteigerungen eröffnen wollten, liegt zwar nicht völlig außerhalb des Bereichs des Möglichen, weil bei ihnen eine Weiterqualifikation zum Facharzt grundsätzlich nicht vorgesehen ist. Aus dem Tarifvertrag selbst lassen sich indes keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass die Tarifvertragsparteien in jedem Falle eine § 3 Abs. 2 TVÜ-Ärzte/KAH genau entsprechende Regelung getroffen hätten. Nur dann wäre dem Senat aber eine entsprechende Lückenfüllung möglich gewesen.

36Gegen einen in die genannte Richtung gehenden hypothetischen Gleichstellungswillen der Tarifvertragsparteien, was die wissenschaftlichen und akademischen Mitarbeiter angeht, spricht im Übrigen auch, dass die Tarifvertragsparteien in der Anlage A1 zum TV-Ärzte/KAH bereits hinsichtlich des Stufenaufstiegs für diesen Personenkreis eine gegenüber den anderen Beschäftigtengruppen abweichende Regelung, was die Stufenlaufzeiten angeht, getroffen haben. Ein derartiger besonderer Regelungswille kann auch für die vorliegende tarifliche Regelungsfrage der Anrechnung von Vorbeschäftigungszeiten für die Eingruppierung nicht ausgeschlossen werden.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

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Fundstelle(n):
BB 2011 S. 1588 Nr. 25
QAAAD-85544