Unternehmereigenschaft eines kommunalen Wasserbeschaffungsverbandes
Leitsatz
Ein kommunaler Zweckverband in der Rechtsform einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, der eine Wasserversorgungsanlage zur Förderung und Abgabe von Trink- und Gebrauchswasser betreibt, ist bei richtlinienkonformer Auslegung des § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG i.V.m. § 4 Abs. 3 und 5 KStG Unternehmer.
Gesetze: Richtlinie 77/388/EWG Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 1 und 2, Abs. 5 Unterabs. 3 i.V.m. Anhang D Nr. 2, Abs. 5 Unterabs. 4Richtlinie 77/388/EWG Art. 28 Abs. 3 Buchst. b i.V.m. Anhang F Nr. 12UStG § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1UStG § 2 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1UStG § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1KStG § 1 Abs. 1 Nr. 6KStG § 4 Abs. 1, Abs. 3, Abs. 5 Satz 1
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
I.
1Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger), ein Zweckverband in der Rechtsform einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, betreibt eine Wasserversorgungsanlage zur Förderung und Abgabe von Trink- und Gebrauchswasser. Das geförderte Wasser wird an die angeschlossenen kommunalen Verbandsmitglieder unmittelbar in dem Maschinen-/Pumpenhaus entgeltlich abgegeben. Weder beliefert der Kläger Endverbraucher noch verfügt er über ein eigenes Rohrleitungsnetz.
2Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) teilte dem Kläger unter Hinweis auf das (BFHE 159, 331, BStBl II 1990, 452) mit, die Pflicht zur Abgabe von Umsatzsteuererklärungen sowie das Recht auf Geltendmachung von Vorsteuerbeträgen entfalle ab Januar 1991. Ein reiner Wasserbeschaffungsverband unterhalte nach dieser Rechtsprechung des BFH keinen Betrieb gewerblicher Art. Umsatzsteuererklärungen wurden fortan nicht mehr abgegeben.
3Nach einer Prüfung durch den zuständigen Kommunalen Prüfungsverband reichte der Kläger eine Umsatzsteuererklärung für das Jahr 1996 ein, in der er Lieferungen und sonstige Leistungen mit einem Steuersatz von 7 % erklärte und unter Berücksichtigung von Vorsteuerbeträgen einen Überschuss zu seinen Gunsten berechnete. Er war —und ist— der Ansicht, er habe mit seinen Wasserlieferungen gemäß Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 3 i.V.m. Anhang D Nr. 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG) als Steuerpflichtiger (Unternehmer) gehandelt. Das FA stimmte der Erklärung nicht zu und setzte mit unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehendem Umsatzsteuerbescheid für 1996 die Umsatzsteuer auf Null DM fest. Es teilte hierzu mit, der Kläger erfülle eine hoheitliche Aufgabe. Seine Unternehmereigenschaft sei daher nicht gegeben. Das Einspruchsverfahren blieb ohne Erfolg.
4Das Finanzgericht (FG) gab der hiergegen erhobenen Klage statt und setzte unter Änderung des angefochtenen Umsatzsteuerbescheids in Gestalt der Einspruchsentscheidung die Umsatzsteuer für das Streitjahr so fest, wie sie mit dem berechneten Vorsteuerüberhang angemeldet worden war. Es führte zur Begründung aus, der Kläger werde mit den Lieferungen des selbst beschafften Wassers an seine Verbandsmitglieder unternehmerisch tätig. Zu den Betrieben gewerblicher Art, im Rahmen derer juristische Personen des öffentlichen Rechts nach § 2 Abs. 3 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) unternehmerisch tätig würden, gehörten nach § 4 Abs. 3 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) ausdrücklich die Betriebe, die der Versorgung der Bevölkerung u.a. mit Wasser dienten. Diese Vorschrift gehe § 4 Abs. 5 KStG vor, wonach zu den Betrieben gewerblicher Art nicht Betriebe gehörten, die überwiegend der Ausübung der öffentlichen Gewalt dienten (Hoheitsbetriebe).
5Das Urteil ist in Deutsches Steuerrecht Entscheidungsdienst 2007, 1518 veröffentlicht.
6Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Das FG habe zu Unrecht entschieden, dass der Kläger unternehmerisch tätig sei und Vorsteuerbeträge zum Abzug bringen könne. Seine Tätigkeit sei hoheitlich. Nach der Rechtsprechung des BFH in BFHE 159, 331, BStBl II 1990, 452 werde ein Wasserbeschaffungsverband in der Rechtsform einer Körperschaft des öffentlichen Rechts ohne Rechtsbeziehungen zu den Endverbrauchern nur ausnahmsweise dann als Betrieb gewerblicher Art tätig, wenn er das von ihm beschaffte Wasser —anders als im Streitfall— durch ein eigenes und von ihm unterhaltenes Rohrleitungsnetz leite. Nachdem das Umsatzsteuerrecht über § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG hinsichtlich der Unternehmereigenschaft einer juristischen Person des öffentlichen Rechts auf den Begriff des Betriebs gewerblicher Art im Sinne des Körperschaftsteuerrechts abstelle, könne die Auslegung des Begriffs „Versorgung der Bevölkerung mit Wasser” umsatzsteuerrechtlich nicht anders ausfallen als bei der Körperschaftsteuer. Auch nach unionsrechtlichen Bestimmungen sei der Kläger kein Steuerpflichtiger. Die Mitgliedstaaten könnten nach Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 4, Art. 28 Abs. 3 Buchst. b i.V.m. Anhang F Nr. 12 der Richtlinie 77/388/EWG die Lieferung von Wasser durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts weiterhin von der Steuer befreien. Der nationale Gesetzgeber habe durch § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG, § 4 Abs. 3 KStG von dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht, indem er lediglich diejenigen Betriebe als Betrieb gewerblicher Art behandele, die der Versorgung der Bevölkerung mit Wasser dienten. Der Kläger gelte daher nach Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG nicht als Steuerpflichtiger.
7Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG stehe dem nicht entgegen. Nach dem (BFHE 229, 416, BFH/NV 2010, 1574) bestünden Wettbewerbsverzerrungen nicht, wenn private Anbieter keine vergleichbaren Leistungen erbrächten. Bei der Wasserbeschaffung existiere faktisch kein Markt. In der nationalen Gesetzgebung fänden sich mit Art. 57 Abs. 2 der Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern (GemO) und § 50 Abs. 1 des Wasserhaushaltsgesetzes (WHG) Bestimmungen, nach denen die Wasserbeschaffung originäre hoheitliche Aufgabe sei.
8Das FA beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
9Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
10Er tritt dem Vorbringen des FA entgegen und macht u.a. geltend, es würde den Grundsatz der steuerlichen Neutralität verletzen und zu Wettbewerbsverzerrungen führen, wenn zwischen der Wasserlieferung eines Wasserbeschaffungsverbandes und der eines Versorgungsbetriebes zu unterscheiden wäre.
II.
11Die Revision des FA ist unbegründet. Sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
12Das FG hat zu Recht entschieden, dass der Kläger Unternehmer ist, und zutreffend den Abzug der Vorsteuerbeträge anerkannt.
13Sowohl die Besteuerung von Umsätzen aus Lieferungen und sonstigen Leistungen (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG) als auch der Abzug von Vorsteuerbeträgen (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG) setzt neben weiteren und vorliegend unstreitig erfüllten Bedingungen ein Tätigwerden als Unternehmer voraus.
14a) Unternehmer i.S. des § 2 Abs. 1 Satz 1 UStG ist, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbstständig ausübt.
15Juristische Personen des öffentlichen Rechts wie der Kläger sind nach § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG nur im Rahmen ihrer Betriebe gewerblicher Art (§ 1 Abs. 1 Nr. 6, § 4 KStG) und ihrer land- oder forstwirtschaftlichen Betriebe gewerblich oder beruflich tätig, soweit wie hier keiner der in § 2 Abs. 3 Satz 2 UStG geregelten Sonderfälle vorliegt.
16Zu den Betrieben gewerblicher Art gehören nach § 4 Abs. 3 KStG auch Betriebe, die der Versorgung der Bevölkerung mit Wasser dienen. Hoheitsbetriebe, also Betriebe, die überwiegend der Ausübung der öffentlichen Gewalt dienen, gehören nicht zu den Betrieben gewerblicher Art (§ 4 Abs. 5 Satz 1 KStG).
17b) Die nationalgesetzliche Regelung des § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG ist unter Berücksichtigung von Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 77/388/EWG richtlinienkonform auszulegen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteile in BFHE 229, 416, BFH/NV 2010, 1574, unter II.1., m.w.N.; vom V R 70/05, BFHE 226, 458, BFH/NV 2009, 2077, unter II.2.b bb, m.w.N.; vom XI R 17/08, BFHE 230, 466, BFH/NV 2010, 2359). Daraus folgt unter Berücksichtigung von Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 3 der Richtlinie 77/388/EWG, dass eine juristische Person des öffentlichen Rechts mit ihren im Umfang nicht unbedeutenden Wasserlieferungen in jedem Fall als Unternehmer tätig wird. Es kann daher dahinstehen, ob der Kläger i.S. des Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG nicht als Steuerpflichtiger gilt, weil er Leistungen erbringen könnte, die ihm im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen.
18aa) Staaten, Länder, Gemeinden und sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts gelten nach Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 3 der Richtlinie 77/388/EWG als Steuerpflichtige in Bezug auf die in Anhang D der Richtlinie 77/388/EWG aufgeführten Tätigkeiten, sofern ihr Umfang —wie im Streitfall die Wasserlieferungen des Klägers— nicht unbedeutend ist. In Anhang D Nr. 2 der Richtlinie 77/388/EWG sind u.a. Lieferungen von Wasser genannt.
19Diese unionsrechtliche Bestimmung soll sicherstellen, dass bestimmte Arten von wirtschaftlichen Tätigkeiten, deren Bedeutung sich aus ihrem Gegenstand ergibt, nicht deshalb von der Mehrwertsteuer befreit werden, weil sie von Einrichtungen des öffentlichen Rechts im Rahmen der öffentlichen Gewalt ausgeübt werden (vgl. Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union —EuGH— vom Rs. C-442/05 —Zweckverband zur Trinkwasserversorgung und Abwasserbeseitigung Torgau-Westelbien—, Slg. 2008, I-1817, BFH/NV Beilage 2008, 212, m.w.N.).
20Der BFH führte in der Nachfolgeentscheidung hierzu aus, dass nach nationalem Recht (§ 2 Abs. 3 Satz 1 UStG i.V.m. § 4 KStG) und unionsrechtlich (Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 3 i.V.m. Anhang D Nr. 2 der Richtlinie 77/388/EWG) ein Zweckverband zur Trinkwasserversorgung und Abwasserbeseitigung in der Rechtsform einer Körperschaft des öffentlichen Rechts mit dem Legen von Hausanschlüssen als Unternehmer tätig werde (vgl. , BFHE 222, 176, BStBl II 2009, 321, unter II.2.).
21bb) Kommt es somit nicht darauf an, ob die Wasserlieferungen im Rahmen der öffentlichen Gewalt ausgeführt werden, und unterscheidet Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 3 i.V.m. Anhang D Nr. 2 der Richtlinie 77/388/EWG nicht danach, ob das Wasser selbst beschafft und diese Lieferungen gegenüber Endabnehmern oder mit Hilfe eines eigenen Rohrleitungsnetzes erbracht werden, ist die Auslegung von § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG i.V.m. § 4 Abs. 3 und 5 KStG durch das FG für Zwecke der Umsatzsteuer revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
22c) Die Einwendungen des FA führen zu keinem anderen Ergebnis.
23aa) Die Mitgliedstaaten können nach Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 4 der Richtlinie 77/388/EWG die Tätigkeiten, die nach Art. 28 der Richtlinie 77/388/EWG von der Steuer befreit sind, weiterhin als Tätigkeiten behandeln, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt unterliegen. Hierunter fällt auch die Lieferung von Wasser durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts (Art. 28 Abs. 3 Buchst. b i.V.m. Anhang F Nr. 12 der Richtlinie 77/388/EWG).
24Der Senat vermag dem FA nicht darin zu folgen, der nationale Gesetzgeber habe durch § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG i.V.m. § 4 Abs. 3 KStG von der vorgenannten Ermächtigung Gebrauch gemacht. Denn diese nationalgesetzlichen Vorschriften bestimmen, unter welchen Voraussetzungen eine juristische Person des öffentlichen Rechts als Unternehmer (Steuerpflichtiger) zu behandeln ist. Regelungen hinsichtlich bisher steuerbefreiter Tätigkeiten treffen sie jedoch nicht. Es ist ferner entgegen der Ansicht des FA nicht ersichtlich, dass die Bundesrepublik Deutschland die bestehende Ermächtigung, steuerfreie Tätigkeiten als im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegend zu behandeln, ausgeübt hätte (vgl. BFH-Urteil in BFHE 229, 416, BFH/NV 2010, 1574, unter II.5.d). Im Übrigen würde Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 3 der Richtlinie 77/388/EWG durch eine i.S. des Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 4 der Richtlinie 77/388/EWG ausgeübte Ermächtigung nicht berührt.
25bb) Es kann dahinstehen, ob entsprechend dem Vorbringen des FA bei der Wasserbeschaffung faktisch kein Markt besteht, sodass nach Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG der Kläger mangels Wettbewerbsverzerrungen nicht als Steuerpflichtiger zu behandeln wäre. Selbst wenn die Rechtsfolge des Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG nicht ausgelöst werden sollte, schlösse dies die Anwendung des Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 3 der Richtlinie 77/388/EWG nicht aus.
26cc) Dem Ergebnis stünde auch nicht entgegen, wenn die Tätigkeit des Klägers, wie das FA unter Hinweis auf Bestimmungen der GemO und des WHG vorbringt, eine originär hoheitliche Aufgabe sein sollte. Denn Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 3 der Richtlinie 77/388/EWG bestimmt in Bezug auf die Lieferungen von Wasser in nicht unbedeutendem Umfang, dass die Einrichtung des öffentlichen Rechts in jedem Fall als Steuerpflichtiger gilt (vgl. EuGH-Urteil in Slg. 2008, I-1817, BFH/NV Beilage 2008, 212, Rz 36).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BStBl 2017 II Seite 831
BB 2011 S. 1620 Nr. 26
BFH/NV 2011 S. 1454 Nr. 8
BFH/PR 2011 S. 341 Nr. 9
BStBl II 2017 S. 831 Nr. 17
DB 2011 S. 1558 Nr. 28
DB 2011 S. 6 Nr. 24
DStR 2011 S. 8 Nr. 24
DStRE 2011 S. 959 Nr. 15
HFR 2011 S. 880 Nr. 8
KÖSDI 2011 S. 17500 Nr. 7
NWB-Eilnachricht Nr. 26/2011 S. 2180
RIW 2011 S. 816 Nr. 11
StB 2011 S. 259 Nr. 8
StBW 2011 S. 635 Nr. 14
StuB-Bilanzreport Nr. 15/2011 S. 596
UR 2011 S. 657 Nr. 17
UStB 2011 S. 245 Nr. 8
UVR 2011 S. 228 Nr. 8
WPg 2011 S. 845 Nr. 17
XAAAD-85251