Zeitpunkt der Kenntnisnahme der Gehörsverletzung maßgeblich für die Berechnung der Zweiwochenfrist
Gesetze: FGO § 133a Abs. 1, FGO § 133a Abs. 2, FGO § 133a Abs. 4
Instanzenzug:
Gründe
1 I. Das Finanzgericht (FG) hat die Klage der Klägerin, Beschwerdeführerin und Rügeführerin (Klägerin) abgewiesen, da die mangels Abgabe von Steuererklärungen vorgenommene Schätzung ihrer Einnahmen durch den Beklagten, Beschwerdegegner und Rügegegner (Finanzamt —FA—) im Ergebnis nicht zu beanstanden sei. Revision gegen das Urteil wurde nicht zugelassen. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat der angerufene Senat durch Beschluss vom X B 68/10 als unbegründet zurückgewiesen. Der Beschluss ging dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am zu.
2 Gegen diesen Beschluss hat die Klägerin die vorliegende Anhörungsrüge erhoben, die am beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangen ist. Zur Begründung trägt sie —ergänzt durch einen Schriftsatz vom — im Wesentlichen vor, ihre Rechte auf Gehör seien dadurch verletzt worden, dass der BFH die fehlende Sachaufklärung durch das FG und die willkürliche und realitätsfremde Schätzung durch das FA billige. Die Auffassung des BFH, die falsche materielle Rechtsanwendung führe nicht zur Zulassung der Revision, sei eindeutig grundgesetzwidrig.
3 In Bezug auf die Berechnung der Zweiwochenfrist des § 133a der Finanzgerichtsordnung (FGO) sei auf die positive Kenntnis des Steuerpflichtigen von der Verletzung des rechtlichen Gehörs abzustellen. Sie habe erst am in der Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten davon erfahren.
4 Hilfsweise beantragt die Klägerin, aufgrund der Schutzwirkung des Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes ihr Vorbringen als Gegenvorstellung zu werten. Die Gegenvorstellung sei möglich, wenn —wie hier— die Entscheidung auf schwerwiegenden Grundrechtsverstößen beruhe oder sie unter keinem denkbaren Gesichtspunkt vertretbar erscheine. Dem verfassungsrechtlichen Gebot der Überprüfbarkeit einer Schätzung genüge es nicht, wenn bloße Behauptungen der Finanzbehörde zunächst vom FG und später vom BFH „durchgewunken” würden und das berechtigte Verteidigungsvorbringen des Steuerpflichtigen gänzlich unbeachtet bleibe.
5 II. 1. Die gemäß § 133a FGO statthafte Anhörungsrüge ist als unzulässig zu verwerfen, da sie nicht in der gesetzlichen Frist erhoben worden ist (§ 133a Abs. 4 Satz 1 FGO).
6 a) Gemäß § 133a Abs. 2 Satz 1 FGO ist die Rüge innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erheben. Der wurde am abgesandt und gilt damit als am bekannt gegeben. Bereits mit der Bekanntgabe des in vollständiger Form abgefassten Beschlusses erhielt die anwaltlich vertretene Klägerin Kenntnis von den Entscheidungsgründen und damit auch von dem Umstand, der ihrer Meinung nach eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör begründen soll, nämlich die —vermeintlich— fehlende Berücksichtigung ihres Vorbringens in dem Verfahren.
7 b) Für die Frage, auf wessen Kenntnis im Rahmen des § 133a Abs. 2 Satz 1 FGO abzustellen ist, kommt es entgegen der Ansicht der Klägerin nicht auf den von ihr geltend gemachten Zeitpunkt ihrer Kenntnisnahme an. Maßgeblich ist vielmehr der Zeitpunkt, an dem ihr Prozessbevollmächtigter von den eine etwaige Verletzung rechtlichen Gehörs begründenden Umständen Kenntnis erlangt hat. Das war —mangels anderslautenden Vortrags der Klägerin— der Moment, in dem ihr Prozessbevollmächtigter den Senatsbeschluss vom bekannt gegeben erhielt. Ab diesem Zeitpunkt bestand für ihn die Gelegenheit, etwaige Gehörsverletzungen im angeführten Senatsbeschluss zur Kenntnis zu nehmen (zur entsprechenden Vorschrift des § 321a der Zivilprozessordnung —ZPO— vgl. , Zeitschrift für das gesamte Familienrecht 2006, 1029, m.w.N.; Baumbach/Lauterbach/ Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung, 69. Aufl., § 321a Rz 23; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 22. Aufl., § 321a Rz 27; Thomas/ Putzo, Zivilprozessordnung, 32. Aufl., § 321a Rz 6). Die Klägerin muss sich die Kenntnis ihres Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen, da das Wesen der Prozessvollmacht darin besteht, dass Prozesshandlungen, die der Bevollmächtigte vornimmt oder die diesem gegenüber vorgenommen werden, für den Vollmachtgeber bindend sind, so als ob er sie selbst vorgenommen hätte oder sie ihm gegenüber vorgenommen worden wären (§ 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 1 Satz 1 ZPO; vgl. , nicht veröffentlicht, juris).
8 c) Die Klägerin hat keine weitere Gehörsverletzung geltend gemacht, die nicht aus den Entscheidungsgründen ersichtlich gewesen wäre und bei der die Frist erst mit deren positiver Kenntniserlangung begonnen hätte (vgl. Zöller/Vollkommer, Zivilprozessordnung, 28. Aufl., § 321a Rz 14).
9 d) Die Anhörungsrüge ist erst am und damit verspätet beim BFH eingegangen. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sind nicht geltend gemacht worden und aus den Akten auch nicht erkennbar.
10 2. Auch ansonsten wäre die Anhörungsrüge als unzulässig zu verwerfen, da sie nicht ordnungsgemäß erhoben wurde.
11 a) Mit der Anhörungsrüge kann nach der ausdrücklichen Regelung in § 133a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FGO nur die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, nicht jedoch die Verletzung sonstiger Rechte geltend gemacht werden (vgl. u.a. , BFHE 209, 419, BStBl II 2005, 614). Aus der Darlegungspflicht des Rügeführers (§ 133a Abs. 2 Satz 5 FGO) folgt, dass er substantiiert vortragen muss, zu welchen Sach- oder Rechtsfragen er sich im rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren nicht hat äußern können oder welches entscheidungserhebliche Vorbringen das Gericht nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat (vgl. Senatsbeschluss vom X S 18/07, BFH/NV 2007, 2143). Wie sich aus dem Zusammenhang von § 133a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 mit Nr. 1 und Satz 2 FGO ergibt, kommt es insoweit allein auf das Verfahren vor dem die Endentscheidung erlassenden Gericht an.
12 b) Diesen Anforderungen genügt die vorliegende Rüge nicht. Die Einwendungen gegen die rechtliche Beurteilung des erkennenden Senats in seinem Beschluss vom und des FG im angefochtenen Urteil —die der Senat im Übrigen auch nicht für durchgreifend hält— können im Verfahren über die Anhörungsrüge nicht berücksichtigt werden, weil es dabei nicht um die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geht.
13 Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör liegt nur dann vor, wenn sich aus den besonderen Umständen des einzelnen Falles deutlich ergibt, dass das Gericht ein tatsächliches Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat. Der Anspruch auf rechtliches Gehör wird hingegen nicht dadurch verletzt, dass ein Gericht der Rechtsansicht eines Beteiligten nicht folgt (, BFH/NV 2007, 1094, m.w.N.). Damit liegt keine Gehörsverletzung darin, dass im Streitfall das FG und ihm folgend der angerufene Senat den Sachverhalt anders gewürdigt hat als die Klägerin und die vorgenommene Schätzung ihrer Einnahmen für nicht realitätsfremd hält.
14 Soweit die Klägerin dagegen eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch das FG geltend macht, war darüber im Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde, nicht jedoch im vorliegenden Anhörungsrüge-Verfahren zu entscheiden.
15 3. Die hilfsweise erhobene Gegenvorstellung der Klägerin ist nicht statthaft.
16 a) Nach der neueren Rechtsprechung des , BVerfGE 122, 190) und des BFH (Beschlüsse vom V S 10/07, BFHE 225, 310, BStBl II 2009, 824; vom III S 43/09, BFH/NV 2010, 453, und vom III S 11/10, BFH/NV 2010, 1651) kann eine Gegenvorstellung nur noch gegen eine abänderbare Entscheidung des Gerichts erhoben werden. Die Entscheidung über die Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde wird hingegen materiell rechtskräftig und ist daher nicht mehr änderbar.
17 b) Selbst wenn die Statthaftigkeit der Gegenvorstellung unterstellt würde, wäre sie nur dann zulässig, wenn substantiiert dargelegt worden wäre, die angegriffene Entscheidung beruhe auf schwerwiegenden Grundrechtsverstößen oder sie entbehre jeder gesetzlichen Grundlage (, BFHE 211, 13, BStBl II 2006, 76). Solche Einwendungen hat die Klägerin nicht geltend gemacht. Sie wiederholt zum einen lediglich ihre Einwendungen gegen die Schätzung ihrer Einkünfte durch das FA. Zum anderen sieht sie eine Grundgesetzwidrigkeit darin, dass nach Auffassung des angerufenen Senats eine (lediglich) falsche materielle Rechtsanwendung nicht zur Zulassung der Revision führt. Dieses Vorbringen zeigt ebenfalls keine greifbare Gesetzeswidrigkeit der angegriffenen Entscheidung auf, da diese Rechtsansicht im Einklang mit der ständigen BFH-Rechtsprechung steht (vgl. dazu Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 82, m.w.N. aus der BFH-Rechtsprechung).
18 4. Die Gerichtskosten für die Anhörungsrüge richten sich nach Nr. 6400 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz —GKG— (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG). Es fällt eine Festgebühr von 50 € an. Im Übrigen ergeht die Entscheidung gerichtsgebührenfrei, da für das Verfahren betreffend einer Gegenvorstellung kein Gebührentatbestand vorgesehen ist (, BFH/NV 2007, 474, m.w.N.).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2011 S. 1383 Nr. 8
UAAAD-84750