BGH Beschluss v. - XII ZB 632/10

Betreuungsverfahren: Beginn der Beschwerdefrist bei Zustellung eines anfechtbaren, dem erklärten Willen des Betroffenen nicht entsprechenden Beschlusses an den Betreuer

Leitsatz

Ist nach § 41 Abs. 1 Satz 2 FamFG ein anfechtbarer Beschluss zuzustellen, weil er dem erklärten Willen des Adressaten nicht entspricht, so wird die Beschwerdefrist für den Betroffenen in einer Betreuungssache nur durch Zustellung an ihn selbst in Lauf gesetzt. Die Zustellung an den Betreuer bleibt auf den Beginn der Beschwerdefrist für den Betroffenen auch dann ohne Einfluss, wenn der Betreuer für den Aufgabenkreis "Entgegennahme, Anhalten und Öffnen der Post" bestellt ist .

Gesetze: § 15 Abs 2 S 1 FamFG, § 41 Abs 1 S 2 FamFG, § 63 Abs 3 S 1 FamFG, § 275 FamFG, § 170 Abs 1 S 1 ZPO

Instanzenzug: LG Rostock Az: 3 T 345/10 Beschlussvorgehend AG Güstrow Az: 32 XVII 445/05

Gründe

I.

1Der Betroffene wendet sich gegen die Verlängerung der für ihn bestehenden Betreuung.

2Mit Beschluss vom ist für den Betroffenen erstmalig eine Betreuung mit den Aufgabenkreisen Gesundheits- und Vermögenssorge, Aufenthaltsbestimmung, Wohnungsangelegenheiten, Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post sowie Behörden-, Versicherungs-, Sozial- und Rentenangelegenheiten eingerichtet worden. Außerdem ist ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet worden. Als Zeitpunkt, bis zu dem über die Aufhebung oder Verlängerung der Betreuung zu entscheiden ist, ist der angesetzt worden. Mit Beschluss vom ist die derzeitige Betreuerin bestellt worden. In der Folgezeit hat der Betroffene mehrfach die Aufhebung der Betreuung beantragt, unter anderem mit Schreiben vom .

3Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und Anhörung des Betroffenen hat das die Bestellung der Betreuerin und die Anordnung des Einwilligungsvorbehalts verlängert. Der Beschluss ist dem Betroffenen zu Händen der Betreuerin am zugestellt worden. Mit Schreiben vom , das am beim Landgericht und am beim Amtsgericht eingegangen ist, hat der Betroffene Beschwerde gegen den vorgenannten Beschluss eingelegt.

4Das Landgericht hat die Beschwerde verworfen, weil die Beschwerdefrist nicht gewahrt sei. Der Beschluss sei dem Betroffenen über seine Betreuerin am zugestellt worden, so dass die Beschwerde bis zum beim Amtsgericht hätte eingelegt werden müssen. Sie sei dort aber erst am eingegangen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen.

II.

51. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 70 Abs. 3 Nr. 1 FamFG auch ohne Zulassung statthaft (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 166/10 - FamRZ 2010, 1897 Rn. 9) und in zulässiger Weise eingelegt worden.

62. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Der Betroffene hat die Frist zur Einlegung der Beschwerde gewahrt.

7a) Nach § 63 Abs. 1 FamFG ist die Beschwerde innerhalb einer Frist von einem Monat einzulegen. Die Frist beginnt mit der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses an die Beteiligten (§ 63 Abs. 3 Satz 1 FamFG). Die Bekanntgabe kann durch Zustellung nach den §§ 166 bis 195 ZPO oder dadurch bewirkt werden, dass das Schriftstück unter der Anschrift des Adressaten zur Post gegeben wird (§ 15 Abs. 2 Satz 1 FamFG). Welche der beiden Möglichkeiten der Bekanntgabe das Gericht wählt, liegt grundsätzlich in dessen pflichtgemäßem Ermessen. Eine Wahlmöglichkeit besteht allerdings nicht, wenn spezielle gesetzliche Regelungen eine bestimmte Form vorschreiben (Keidel/Sternal FamFG 16. Aufl. § 15 Rn. 8; Bahrenfuss in Bahrenfuss [Hrsg.] FamFG § 15 Rn. 3; Reichold in Thomas/Putzo ZPO 31. Aufl. § 15 Rn. 4). So ist nach § 41 Abs. 1 Satz 2 FamFG ein anfechtbarer Beschluss demjenigen zuzustellen, dessen erklärtem Willen er nicht entspricht.

8Danach war hier eine förmliche Zustellung des Beschlusses vom an den Betroffenen erforderlich. Denn dieser hatte mehrfach schriftlich, im Übrigen aber auch bei seiner in erster Instanz erfolgten Anhörung am erklärt, dass er eine Aufhebung der Betreuung wünsche.

9b) Entgegen der Annahme des Beschwerdegerichts ist der angefochtene Beschluss dem Betroffenen nicht wirksam zugestellt worden. Die Zustellung ist vielmehr an die Betreuerin erfolgt, denn die Zustellungsurkunde ist - vermutlich wegen eines von der Betreuerin aufgrund ihres Aufgabenkreises (unter anderem Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post) veranlassten Nachsendeauftrags - dahin "berichtigt" worden, dass an den Betroffenen "c/o B. H." zuzustellen ist.

10Die Zustellung an die Betreuerin wirkt indessen nicht gegen den Betroffenen. § 15 Abs. 2 Satz 1 FamFG verweist zwar hinsichtlich der Bekanntgabe durch Zustellung auf die §§ 166 bis 195 ZPO. § 170 Abs. 1 Satz 1 ZPO, nach dem bei nicht prozessfähigen Personen an deren gesetzlichen Vertreter zuzustellen ist, findet auf den Betroffenen im Betreuungsverfahren aber keine Anwendung. Nach § 275 FamFG ist der Betroffene vielmehr ohne Rücksicht auf seine Geschäftsfähigkeit verfahrensfähig. Durch diese Vorschrift, die eine Regelung im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 4 FamFG darstellt und die § 66 FGG entspricht, soll sichergestellt werden, dass Betroffene in allen mit der Betreuung zusammenhängenden Verfahren alle Angriffs- und Verteidigungsmittel selbst vorbringen und von Rechtsmitteln Gebrauch machen können. Dadurch soll die Rechtsposition der Betroffenen im Verfahrensrecht entscheidend verbessert werden (BT-Drucks. 11/4528 S. 170). Da ein Betroffener somit seine Rechte im Betreuungsverfahren aufgrund von § 275 FamFG selbst wahrnehmen kann, muss die Zustellung abweichend von § 170 Abs. 1 Satz 1 ZPO an ihn selbst erfolgen (OLG München BtPrax 2007, 180 - juris Rn. 10; Bork/Jacoby/Schwab/Heiderhoff FamFG § 275 Rn. 3; Keidel/Budde aaO § 275 Rn. 3; Fröschle in Prütting/Helms FamFG § 275 Rn. 16; Brosey in Bahrenfuss aaO § 275 Rn. 2). Das gilt selbst dann, wenn - wie hier - ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet worden ist (Bork/Jacoby/Schwab/Heiderhoff aaO § 275 Rn. 3; Brosey in Bahrenfuss aaO § 275 Rn. 2). Ohne Einfluss bleibt auch, dass die Betreuerin für den Aufgabenkreis "Entgegennahme, Anhalten und Öffnen der Post" bestellt ist. In seinem Aufgabenkreis vertritt der Betreuer den Betreuten zwar gerichtlich und außergerichtlich (§ 1902 BGB). Eine Zustellung nach § 170 Abs. 1 Satz 1 ZPO an den gesetzlichen Vertreter des Betroffenen scheidet im Betreuungsverfahren nach dem Vorstehenden aber gerade aus.

11c) Der danach vorliegende Zustellungsmangel ist nicht nach § 15 Abs. 2 Satz 1 FamFG iVm § 189 ZPO geheilt worden, da nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Beschluss dem Betroffenen formlos zugegangen ist. Ausweislich der Mitteilung von Rechtsanwalt K., den das Amtsgericht in dem angefochtenen Beschluss zum Verfahrenspfleger für den Betroffenen bestellt hatte, hat dieser dem Betroffenen den Beschluss am zur Kenntnis gegeben und erläutert. Dass dem Betroffenen das zuzustellende Schriftstück bei dieser Gelegenheit tatsächlich ausgehändigt worden ist, kann den Ausführungen indessen nicht entnommen werden. Diese Voraussetzung müsste aber erfüllt sein, damit die formgerechte Zustellung fingiert werden kann; die bloße Unterrichtung über den Inhalt des Dokuments genügt hierfür nicht (BGHSt 51, 257 = FamRZ 2007, 812, 813; BGHZ 70, 384 = NJW 1978, 1325 und Urteil vom - II ZR 105/91 - NJW 1992, 2099, 2100; Zöller/Stöber ZPO 28. Aufl. § 189 Rn. 4; Keidel/Sternal aaO § 15 Rn. 71).

12d) Da der Beschluss dem Betroffenen danach nicht wirksam zugestellt wurde, hat nach § 63 Abs. 3 Satz 1 FamFG der Lauf der Beschwerdefrist nicht begonnen. Der Betroffene hat deshalb am rechtzeitig Beschwerde beim Amtsgericht eingelegt.

133. Der angefochtene Beschluss kann mithin keinen Bestand haben. Der Senat ist nicht in der Lage, in der Sache abschließend zu entscheiden. Die Sache ist deshalb an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen, das nunmehr über die Begründetheit der Beschwerde zu befinden haben wird.

Hahne                                        Weber-Monecke                                          Dose

                     Schilling                                                       Günter

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
NJW 2011 S. 8 Nr. 29
NJW-RR 2011 S. 1011 Nr. 15
EAAAD-84618