Soldatenversorgung; Begrenzung des Ruhensbetrages der Versorgungsbezüge; Kapitalabfindung von Seiten einer zwischenstaatlichen oder überstaatlichen Einrichtung
Leitsatz
1. § 55b Abs. 3 Satz 1 SVG in der bis zum geltenden Fassung (a.F.) ist einer verfassungskonformen Auslegung nicht zugänglich.
2. § 55b Abs. 3 Satz 1 SVG a.F. ist mit Art. 14 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar, weil im Falle der Leistung eines Kapitalbetrags durch eine internationale Einrichtung der Umfang des Ruhens der erdienten Versorgung nicht nach der Höhe des Kapitalbetrags bestimmt wird und keine Begrenzung der Höhe der Ruhensanordnung vorgesehen ist.
3. Der Begriff der Versorgung im Sinne von § 55b Abs. 1 Satz 1 SVG a.F. erfasst auch einen Kapitalbetrag, der zu dem Zweck geleistet wird, den Lebensunterhalt im Ruhestand zu bestreiten (im Anschluss an das BVerwG 2 C 14.95 - Buchholz 240 § 8 BBesG Nr. 9).
Gesetze: § 55baF SVG, § 55b SVG, Art 3 Abs 1 GG, Art 14 Abs 1 GG, Art 33 Abs 5 GG, Art 100 Abs 1 GG
Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Az: 1 A 282/07 Urteilvorgehend Az: 27 K 6432/04 Urteil
Tatbestand
1Die Klägerin ist Alleinerbin ihres 2007 verstorbenen Ehemannes, eines 1992 im Rang eines Oberstleutnants pensionierten Berufssoldaten. Sie führt die Klage fort, mit der der Ehemann die Auszahlung einbehaltener Versorgungsbezüge erreichen wollte.
2Zwischen 1975 und 1984 war der Ehemann zur Dienstleistung bei der NATO beurlaubt. Für diese Verwendung hatte er von der NATO anstelle einer laufenden Versorgung eine Kapitalabfindung erhalten. Aufgrund dessen stellte die Versorgungsbehörde fest, dass 19,26 % des festgesetzten Ruhegehalts ruhten und nicht ausgezahlt würden.
32004 beantragte der Ehemann der Klägerin, ihm das Ruhegehalt in voller Höhe auszuzahlen, weil die Summe der einbehaltenen Beträge den Kapitalbetrag inzwischen übersteige. Die darauf gerichtete Klage hat in der Berufungsinstanz Erfolg gehabt. Das Berufungsgericht hat im Wesentlichen ausgeführt:
4Die einschlägige Ruhensregelung des § 55b Abs. 3 Satz 1 des Soldatenversorgungsgesetzes in der bis zum geltenden Fassung - SVG a.F. - sei verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass das Ruhen ende, wenn die einbehaltenen Beträge den Kapitalbetrag aufgezehrt hätten. Das Ruhen von Versorgungsbezügen sei mit Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 GG nur insoweit vereinbar, als dadurch die Auszahlung einer höheren als der erdienten Versorgung vermieden werde. Der Einbehalt eines Teils der Versorgungsbezüge sei nur gerechtfertigt, wenn und soweit die einbehaltenen Beträge durch eine andere Versorgungsleistung aus einer öffentlichen Kasse gedeckt seien.
5Mit der Revision rügt die Beklagte die Verletzung materiellen Rechts.
6Sie beantragt,
das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom zurückzuweisen.
7Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
8Der Vertreter des Bundesinteresses unterstützt die Revision.
Gründe
9Die Revision ist mit der Maßgabe begründet, dass das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen ist (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO). Die Auslegung des § 55b Abs. 3 Satz 1 SVG a.F. durch das Berufungsgericht verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) (1.). Die Norm verstößt in der nach ihrem Wortlaut gebotenen Auslegung gegen Art. 14 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG (2.). Auf der Grundlage des festgestellten Sachverhalts kann der Senat nicht beurteilen, ob es für den Erfolg der Klage entscheidungserheblich auf die Verfassungswidrigkeit des § 55b Abs. 3 Satz 1 SVG a.F. ankommt (3.).
101. Das Berufungsurteil beruht auf einer die Grenzen verfassungskonformer Auslegung überschreitenden Interpretation von § 55b Abs. 3 Satz 1 SVG a.F.
11Eine verfassungskonforme Auslegung ist nicht möglich, wenn sie zu dem Wortlaut und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers in Widerspruch treten würde. Die Bindung des Richters an das Gesetz verbietet eine Auslegung, die den normativen Gehalt eines nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Gesetzes grundlegend neu bestimmt ( BVerwG 2 C 1.04 - BVerwG 123, 308 <316> = Buchholz 240 § 72a BBesG Nr. 1 S. 6; vom - BVerwG 2 C 44.04 - BVerwGE 124, 227 <233 f.> = Buchholz 240 § 40 BBesG Nr. 34 Rn. 17 und vom - BVerwG 2 C 22.07 - BVerwGE 131, 242 = Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 265, jeweils Rn. 25). Im Besoldungs- und Versorgungsrecht der Beamten kommt dem Gesetzeswortlaut wegen der strikten Gesetzesbindung (§ 2 BBesG, § 3 BeamtVG) besondere Bedeutung zu. Dies gilt in gleichem Maße für den Bereich des Soldatenversorgungsrechts, für den § 1a SVG eine ebenso strikte Gesetzesbindung festlegt. Daher sind auch hier Vorschriften, die die gesetzlich vorgesehene Versorgung des Soldaten begrenzen oder reduzieren, einer ausdehnenden Anwendung in aller Regel ebenso wenig zugänglich wie versorgungserhöhende Bestimmungen. Die Natur des geltenden Versorgungsrechts zieht einer ausdehnenden Auslegung enge Grenzen (vgl. BVerwG 2 C 30.06 - BVerwGE 131, 29 = Buchholz 239.1 § 56 BeamtVG Nr. 6, jeweils Rn. 25 m.w.N.). Es regelt grundsätzlich die Höhe der einzelnen Bezüge, ihre Errechnung und Festsetzung in einer materiell stark differenzierten und verfeinerten Weise durch formelle und zwingende Vorschriften vielfach kasuistischen Inhalts.
12Nach § 55b Abs. 3 Satz 1 SVG a.F. findet Absatz 1 Satz 1 auch Anwendung, wenn der Soldat im Ruhestand bei seinem Ausscheiden aus dem öffentlichen Dienst einer zwischenstaatlichen oder überstaatlichen Einrichtung an Stelle einer Versorgung einen Kapitalbetrag als Abfindung oder als Zahlung aus einem Versorgungsfonds erhält. Nach § 55b Abs. 1 Satz 1 SVG a.F. ruht das Ruhegehalt in Höhe des Betrags, der einer Minderung des Vomhundertsatzes von 2,14 für jedes im zwischenstaatlichen oder überstaatlichen Dienst vollendete Jahr entspricht, wenn der Soldat im Ruhestand aus der Verwendung in diesem Dienst eine Versorgung erhält. Satz 3 des § 55b Abs. 1 SVG a.F. bestimmt, dass der Ruhensbetrag die von der zwischenstaatlichen oder überstaatlichen Einrichtung gewährte Versorgung nicht übersteigen darf.
13Der Wortlaut des hier anwendbaren § 55b Abs. 3 Satz 1 SVG a.F. ist einer Auslegung nicht zugänglich, die zu einer Anwendung der Begrenzungsregelung des § 55b Abs. 1 Satz 3 SVG a.F. auch bei Erhalt eines Kapitalbetrags führt.
14Eine Begrenzung des Ruhensbetrags der Versorgungsbezüge wegen des Bezugs einer anderen Versorgungsleistung wird allein in § 55b Abs. 1 Satz 3 SVG a.F. angesprochen. § 55b Abs. 3 Satz 1 SVG a.F. verweist aber nicht auf Satz 3, sondern ausdrücklich nur auf Satz 1 des § 55b Abs. 1. Dieser Verweis kann nicht erweiternd dahingehend ausgelegt werden, dass er den Verweis auf Satz 3 des Absatzes 1 einschließt. Denn der Ruhensbetrag wird nach § 55b Abs. 1 Satz 1 SVG a.F. ohne Rücksicht auf die Höhe der Versorgung grundsätzlich als Produkt des Faktors 2,14 mit der Anzahl der im Dienst der zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung verbrachten Jahre errechnet. § 55b Abs. 1 Satz 3 SVG a.F. stellt erst den Bezug zur Höhe der von der Einrichtung gewährten Versorgung her. Damit stellt er nicht nur klar, was sich ohnehin aus § 55b Abs. 1 Satz 1 SVG a.F. ergibt, er ergänzt die Regelung vielmehr durch eine Höchstgrenze nach der Höhe der Versorgung.
15Gegen die Auslegung des Berufungsgerichts spricht auch der systematische Zusammenhang von § 55b Abs. 3 Satz 1 SVG a.F. mit Satz 2 bis 4 des Absatzes 3.
16§ 55b Abs. 3 Satz 2 bis 4 SVG a.F. regelt die Möglichkeit, die Anwendung der Ruhensregelung des Satzes 1 auszuschließen. Der Soldat muss hierfür den nicht auf eigenen Beiträgen beruhenden Teil des Kapitalbetrags - bzw. einen Teilbetrag hiervon, wenn er einen Teil des Einbehalts abwenden will - innerhalb einer Jahresfrist an den Bund abführen.
17Die Auslegung des Berufungsgerichts nimmt der gesetzlichen Abwendungsmöglichkeit nach § 55b Abs. 3 Satz 2 bis 4 SVG a.F. jegliche Bedeutung. Sie führt dazu, dass der Soldat eine zinslose Stundung der abzuführenden Kapitalanteile und eine zeitlich gestreckte Ratenzahlung erhält, die es ihm ermöglichen, den erhaltenen Kapitalbetrag in voller Höhe bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand zu nutzen. Damit werden die gesetzlichen Rahmenbedingungen der Abwendungsbefugnis unterlaufen.
18Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass sich den Gesetzgebungsmaterialien keine Anhaltspunkte dafür entnehmen lassen, dass der Gesetzgeber Härten der Ruhensregelung für Kapitalabfindungen durch eine Begrenzung der Summe der Ruhensbeträge begegnen wollte.
19§ 55b ist durch das Fünfte Gesetz zur Änderung beamtenrechtlicher und besoldungsrechtlicher Vorschriften vom (BGBl I S. 848) in das Soldatenversorgungsgesetz eingefügt worden. Die Begründung des Entwurfes der Bundesregierung erläutert die Einfügung von § 55b in das Soldatenversorgungsgesetz mit einer Anpassung an die durch denselben Gesetzentwurf vorgesehenen Änderungen des Bundesbeamtengesetzes (vgl. BTDrucks V/2251 S. 8). Zu der Parallelregelung des § 160b BBG in der Fassung dieses Entwurfes heißt es (vgl. BTDrucks V/2251 S. 7):
"Bei der Zahlung eines Kapitalbetrages, besonders wenn der Versorgungsempfänger diesen viele Jahre vor dem Eintritt in den Ruhestand erhalten hat, können dadurch Härten eintreten, dass der Kapitalbetrag nicht wie die laufende Versorgungszahlung an den von der internationalen Einrichtung beschlossenen Erhöhungen der Dienst- und Versorgungsbezüge teilnimmt. Dem Beamten oder Versorgungsempfänger wird deshalb die Möglichkeit eröffnet, die Ruhensregelung dadurch auszuschließen, dass er den Kapitalbetrag, soweit er nicht auf eigenen Beiträgen beruht, an den Dienstherrn abführt (§ 160b Abs. 2 BBG)."
20Damit wird zum Ausgleich von Härten allein auf die Abwendungsbefugnis und nicht auf die Begrenzung des Ruhensbetrages durch die Höhe der internationalen Versorgung verwiesen.
212. Kann § 55b Abs. 3 Satz 1 SVG a.F. allein dahingehend ausgelegt werden, dass die Regelung keine Begrenzung des Ruhens der Versorgungsbezüge vorsieht, so verstößt sie gegen Art. 14 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG.
22Die Altersversorgung der Berufssoldaten genießt als Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG ebenso verfassungsrechtlichen Schutz wie die durch Art. 33 Abs. 5 GG gewährleistete Altersversorgung von Beamten auf Lebenszeit ( BVerwG 2 WDB 3.91 - BVerwGE 93, 69 <73>). Die Höhe des Versorgungsanspruchs ergibt sich aus den Regelungen der Versorgungsgesetze, die bei Eintritt in den Ruhestand in Kraft sind. Durch diese Regelungen hat der Gesetzgeber den Gestaltungsspielraum ausgeübt, der verfassungsrechtlich bis zu einer Untergrenze eröffnet ist. Er hat bindend festgelegt, was er für die amtsgemäße Versorgung hält. Der Versorgungsanspruch, der sich aus der Anwendung der Versorgungsgesetze ergibt, genießt - nicht anders als ein Rentenanspruch - verfassungsrechtlichen Schutz, weil ihn der Versorgungsberechtigte "erdient" hat. Auch sind die Dienstbezüge im Hinblick auf die künftigen Versorgungsansprüche niedriger festgesetzt. Der Dienstherr behält einen fiktiven Anteil ein, um die spätere Versorgung zu finanzieren (stRspr; vgl. - BVerfGE 105, 73 <115> und vom - 2 BvR 1387/02 - BVerfGE 114, 258 <298>; BVerwG 2 C 26.07 - BVerwGE 133, 25 = Buchholz 239.1 § 53 BeamtVG Nr. 17, jeweils Rn. 11).
23Der Gesetzgeber hat durch die allgemeinen gesetzlichen Altersgrenzen zu erkennen gegeben, wann er das zeitliche Verhältnis von aktiver Dienstzeit und Ruhestandszeit für ausgewogen hält ( a.a.O. Rn. 13 f.). Daher kann das Erwerbseinkommen, das vorzeitig in den Ruhestand versetzte Beamte (Soldaten) im Ruhestand bis zum Erreichen der allgemeinen Altersgrenze erzielen, in Grenzen auf das Ruhegehalt angerechnet werden. Der Gesetzgeber kann Regelungen treffen, die das Ruhen, d.h. den Einbehalt eines Teils des erdienten Ruhegehalts im Hinblick auf das Erwerbseinkommen vorsehen (Grundsatz des Vorteilsausgleichs; vgl. zuletzt Urteil vom a.a.O. Rn. 10 f.).
24Abgesehen vom Vorteilsausgleich bei vorzeitiger Pensionierung besteht der verfassungsrechtliche Anspruch auf amtsangemessene Alimentation, d.h. auch der erdiente Versorgungsanspruch, ohne Rücksicht darauf, ob und inwieweit der Berechtigte über Vermögen oder anderweitiges Einkommen verfügt. Diese können jedenfalls dann nicht im Wege der Kürzung oder des Einbehalts auf die Pension angerechnet werden, wenn sie nicht aus öffentlichen Kassen stammen (stRspr; vgl. nur Urteil vom a.a.O. Rn. 10).
25Allerdings genießt der Versorgungsanspruch verfassungsrechtlichen Schutz grundsätzlich nur in Höhe von 100 % des erdienten, vom Gesetzgeber als amtsangemessen erachteten Betrags. Diese Einschränkung erlangt Bedeutung, wenn ein Versorgungsberechtigter einen weiteren Versorgungsanspruch gegen eine öffentliche Kasse hat und die Summe beider Ansprüche 100 % der als amtsangemessen festgesetzten Versorgung übersteigt. In diesen Fällen kann der Versorgungsberechtigte nur verlangen, dass ihm insgesamt 100 % der festgesetzten Versorgungsbezüge ausgezahlt werden. Der Gesetzgeber kann durch Anrechnungs- oder Ruhensregelungen sicherstellen, dass die Gesamtheit der Versorgungsleistungen die 100 %-Grenze nicht übersteigt. Ruhen bedeutet, dass die festgesetzte Versorgung in Höhe des Ruhensbetrags nicht ausgezahlt wird ( BVerwG 2 C 15.04 - BVerwGE 124, 178 <179> = Buchholz 239.1 § 53 BeamtVG Nr. 14 Rn. 10).
26Diese Verrechnung mehrerer Versorgungsansprüche ist jedenfalls dann verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn und soweit diese Ansprüche aus der doppelten Berücksichtigung von Dienstzeiten in beiden Versorgungssystemen stammen. Hier kann gesetzlich geregelt werden, dass die Dienstzeiten dem Versorgungsberechtigten wirtschaftlich nur einmal zugute kommen. Der Versorgungsanspruch kann hinsichtlich eines Betrags zum Ruhen gebracht werden, der durch eine andere Versorgungsleistung aus einer öffentlichen Kasse kompensiert wird (vgl. zum Zusammentreffen von Hinterbliebenenversorgung und Dienstbezügen BVerwG 2 C 22.05 - Buchholz 239.1 § 53 BeamtVG Nr. 15 Rn. 17).
27Dabei werden Versorgungsleistungen durch eine internationale Einrichtung, insbesondere durch die NATO, deshalb wie Versorgungsbezüge aus deutschen öffentlichen Mitteln behandelt, weil sie auch aus diesen Mitteln finanziert sind (vgl. BVerwG 2 C 14.78 - Buchholz 232.5 § 56 BeamtVG Nr. 2 S. 4). Nach alledem ist eine gesetzliche Ruhensregelung, die ein Auszahlungshindernis für einen Teil der erdienten Versorgung anordnet, im Hinblick auf Art. 33 Abs. 5 GG oder bei Soldaten im Hinblick auf Art. 14 Abs. 1 GG nur gerechtfertigt, wenn und soweit sie verhindert, dass der Beamte oder Soldat mehr als die erdiente Versorgung erhält. Dagegen darf eine Ruhensregelung nicht dazu führen, dass ein Teilbetrag der erdienten Versorgung einbehalten wird, obwohl die so herbeigeführte Versorgungslücke nicht durch eine anderweitige Versorgungsleistung aus einer öffentlichen Kasse ausgeglichen wird. Ein Ruhen ohne derartige vollständige Kompensation stellt eine nicht gerechtfertigte Kürzung der durch Art. 33 Abs. 5 GG oder Art. 14 Abs. 1 GG gewährleisteten erdienten Versorgung dar. Das Ruhen ist kein Mittel zur dauerhaften Absenkung des Versorgungsstandards. Der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers beschränkt sich auf die Berechnungsmodalitäten des Ausgleichs.
28Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen trägt § 55b Abs. 3 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 SVG a.F. nicht Rechnung:
29Bei der Bestimmung der ruhegehaltfähigen Dienstzeit des Berufssoldaten hat der Gesetzgeber in § 20 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SVG a.F. die Tätigkeit im öffentlichen Dienst einer zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung berücksichtigt. Daher wird diese Dienstzeit versorgungsrechtlich doppelt berücksichtigt. Sie wirkt sich ruhegehaltserhöhend aus. Darüber hinaus erhält der Soldat eine Versorgungsleistung der NATO. Daher darf der Gesetzgeber durch eine Ruhensregelung sicherstellen, dass eine Besserstellung gegenüber dem während der gesamten Dienstzeit im Dienst des Bundes tätigen Soldaten vermieden wird (vgl. für die Anerkennung von Vordienstzeiten: BVerwG 2 C 43.08 - Buchholz 239.1 § 11 BeamtVG Nr. 13 Rn. 21 f. und vom - BVerwGE 2 C 63.08 - BVerwGE 135, 14 <20 f.> = Buchholz 239.1 § 67 BeamtVG Nr. 4).
30Erwirbt der Soldat für die Dienstzeit bei der NATO keine laufende Versorgungsleistung, sondern erhält er stattdessen einen Kapitalbetrag, so darf das Ruhegehalt nur insoweit zum Ruhen gebracht werden, als der Gesamtruhensbetrag durch den wirtschaftlichen Wert des Kapitalbetrags ausgeglichen wird. Der Einbehalt eines Teils des Ruhegehalts muss enden, wenn der Kapitalbetrag bei bestimmungsgemäßer Verwendung für die Altersversorgung aufgezehrt ist. Nur so kann erreicht werden, dass der Soldat bei einem zweckentsprechenden Einsatz des Kapitalbetrags zur Vervollständigung seiner Altersversorgung in der Regel nicht schlechter steht, als wenn er die gesamte ruhegehaltfähige Dienstzeit im Dienst des Bundes verbracht hätte.
31Dem steht nicht entgegen, dass die volle Versorgung durch die Abführung des Kapitalbetrags nach § 55b Abs. 3 Satz 2 bis 4 SVG a.F. erlangt werden kann. Die Einräumung einer Wahlmöglichkeit ist nur dann verfassungskonform, wenn beide zur Wahl stehenden Alternativen verfassungskonform sind. Daher sind für den Fall einer Entscheidung gegen die Abwendungsbefugnis Regelungen erforderlich, die gewährleisten, dass die erdiente Versorgung nicht abgesenkt wird.
32Hieran fehlt es aber zum einen, weil nach § 55b Abs. 3 Satz 1 SVG a.F. die Höhe des Kapitalbetrags für die Höhe des Gesamtruhensbetrags keine Bedeutung hat. Die gesetzliche Regelung berücksichtigt nicht, in welchem Umfang der Kapitalbetrag bei bestimmungsgemäßer Verwendung geeignet ist, den Einbehalt eines Teils des Ruhegehalts zu kompensieren. Nur soweit dies der Fall ist, liegt eine Überversorgung aus öffentlichen Kassen vor, die ein Ruhen rechtfertigt.
33§ 55b Abs. 3 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 SVG a.F. führt zu einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung von Empfängern laufender Versorgungsleistungen einer internationalen Einrichtung und Empfängern eines einmaligen Kapitalbetrags von einer internationalen Einrichtung. Er führt außerdem zu einer ungerechtfertigten Gleichbehandlung der Empfänger unterschiedlich hoher Kapitalbeträge unterschiedlicher internationaler Einrichtungen.
34Nach Art. 3 Abs. 1 GG ist der Gesetzgeber verpflichtet, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl. zum Folgenden: BVerwG 2 C 121.07 - BVerwGE 132, 299 <303 f.> = Buchholz 11 Art. 143b GG Nr. 5 m.w.N.). Der normative Gehalt der Gleichheitsbindung erfährt seine Konkretisierung jeweils im Hinblick auf die Eigenart des zu regelnden Sachbereichs, so dass sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers ergeben (BVerfG, Beschlüsse vom - 2 BvR 7/98 - BVerfGE 103, 310 <318> und vom - 2 BvR 709/99 - BVerfGE 107, 257 <270>). Bei der Versorgung der Berufssoldaten hat der Gesetzgeber die Vorgaben des Art. 14 Abs. 1 GG zu beachten, die ihn wie ausgeführt zur Gewährleistung einer amtsangemessenen Versorgung verpflichten.
35Diesen Anforderungen wird § 55b Abs. 3 Satz 1 SVG a.F. nicht gerecht:
36Da die Norm keine Begrenzung der Höhe des Gesamtruhensbetrags vorsieht, stellt sie die Empfänger einer einmaligen Versorgungsleistung einer internationalen Einrichtung schlechter als die Empfänger einer laufenden Versorgung durch eine internationale Einrichtung, für die eine solche Begrenzung in § 55b Abs. 1 Satz 3 SVG a.F. vorgesehen ist. Beide Formen der Leistung der internationalen Einrichtung sollen einen Beitrag zu der amtsangemessenen Versorgung der betroffenen Soldaten leisten, der in der Summe mit der deutschen Versorgung die amtsangemessene Versorgung sichert. Die Ruhensregelung rechtfertigt nach ihrem Sinn und Zweck nur die Vermeidung einer Doppelversorgung aus öffentlichen Kassen und daher nur eine Verminderung um den Teil der Gesamtversorgung, der die erdiente amtsangemessene Versorgung übersteigt. Daher ist sowohl für die Versorgungsleistung der internationalen Einrichtung als auch für die Versorgungsersatzleistung einer solchen Einrichtung sicherzustellen, dass das Niveau einer insgesamt amtsangemessenen Versorgung nicht unterschritten wird. Dies hat für beide Leistungsformen durch eine Begrenzung des Ruhensbetrags seiner Höhe nach zu geschehen. Das Fehlen einer solchen Begrenzung für den Fall der Zahlung eines einmaligen Kapitalbetrags zu Versorgungszwecken durch die internationale Einrichtung wird nicht durch einen am Zweck der Regelung ausgerichteten und deshalb tragfähigen Differenzierungsgrund gerechtfertigt.
37Hinzu kommt noch, dass der Ruhensbetrag nach § 55b Abs. 3 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 SVG a.F. unabhängig von der Höhe des erhaltenen Kapitalbetrags bestimmt wird. Der Einbehalt der deutschen Versorgung ist für die Empfänger einer hohen Kapitalabfindung also ebenso hoch wie für die Empfänger einer niedrigen Kapitalabfindung, wenn diese für einen gleichen Zeitraum des Dienstes bei einer internationalen Einrichtung geleistet wird. Diese Gleichbehandlung berücksichtigt nicht, dass eine hohe Kapitalabfindung besser geeignet ist, durch Anlage des Kapitals zu einem Ausgleich der Versorgungslücke infolge der Ruhensregelung und damit zu einem insgesamt amtsangemessenen Versorgungsniveau zu führen als eine niedrige Kapitalabfindung. Im Hinblick auf den Zweck der Kapitalleistung, den Empfänger in den Stand zu versetzen, seine Altersversorgung zu vervollständigen, ist mit einer höheren Kapitalleistung ein höherer wirtschaftlicher Vorteil verbunden. Die Gleichbehandlung jeder Kapitalleistung unabhängig von ihrer Höhe ist nicht sachgerecht, weil der Zweck der Ruhensregelung - die Vermeidung einer Doppelversorgung aus öffentlichen Kassen - die Berücksichtigung der Höhe des wirtschaftlichen Vorteils der Kapitalabfindung im Hinblick auf ihre Eignung, zu einem insgesamt amtsangemessenen Versorgungsniveau beizutragen, verlangt.
383. Eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG ist derzeit nicht zulässig, weil es an den Begründungsanforderungen nach § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG fehlt. Denn es steht nicht fest, dass es auf die Verfassungswidrigkeit des § 55b Abs. 3 Satz 1 SVG a.F. entscheidungserheblich ankommt. Die Sache ist daher zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit dieses die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen treffen kann.
39Die Einholung einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsmäßigkeit einer gesetzlichen Vorschrift setzt voraus, dass zuvor auch die Entscheidungserheblichkeit der Vorschrift geprüft wurde. Das vorlegende Gericht muss mit hinreichender Deutlichkeit darlegen, dass es im Falle der Gültigkeit der für verfassungswidrig gehaltenen Rechtsvorschrift zu einem anderen Ergebnis kommen würde als im Falle ihrer Ungültigkeit und wie es dieses Ergebnis begründen würde ( - BVerfGE 121, 233 <237 f.> m.w.N.).
40Wäre § 55b Abs. 3 Satz 1 SVG a.F. mit dem oben dargestellten Inhalt entgegen der Rechtsauffassung des Senats verfassungskonform, so wäre die Klage abzuweisen. Dementsprechend wäre das Berufungsurteil aufzuheben; die Berufung gegen das klageabweisende erstinstanzliche Urteil wäre zurückzuweisen. Wäre § 55b Abs. 3 Satz 1 SVG a.F. verfassungswidrig und nichtig, so wäre über das Ruhen der Versorgungsbezüge aufgrund der Kapitalabfindung durch Anwendung des allgemeinen Ruhenstatbestandes gemäß § 55b Abs. 1 Satz 1 und 3 SVG a.F. zu entscheiden. Dies wird weder vom Wortlaut dieser Regelungen noch von ihrer Systematik ausgeschlossen. Insbesondere erfasst der gesetzliche Begriff der Versorgung alle laufenden oder einmaligen Zahlungen, die dazu bestimmt sind, den Lebensunterhalt im Ruhestand zu bestreiten (vgl. BVerwG 2 C 14.95 - Buchholz 240 § 8 BBesG Nr. 9 S. 3 zu § 8 BBesG und § 56 BeamtVG). Unter diesen weiten Begriff kann auch eine Versorgungsersatzleistung einer internationalen Einrichtung fallen.
41Wäre bei Nichtigkeit des § 55b Abs. 3 SVG a.F. § 55b Abs. 1 SVG a.F. anwendbar, so fände auch die Beschränkung der Ruhensanordnung durch Satz 3 dieses Absatzes Anwendung. Danach endet der Einbehalt eines Teils der Versorgungsbezüge, sobald der Gesamtruhensbetrag die Höhe der anderen Versorgungsleistung erreicht. Allerdings ist § 55 Abs. 1 Satz 3 SVG a.F. auf laufende Versorgungsleistungen zugeschnitten. Verglichen wird der monatliche Ruhensbetrag mit der monatlichen Versorgungsleistung der internationalen Einrichtung. Tritt an die Stelle einer laufenden anderweitigen Leistung ein Kapitalbetrag, so muss dieser verrentet werden. Die Verrentung stellt die Umwandlung eines feststehenden, in der Regel verzinslich angelegten Kapitalbetrages in periodisch wiederkehrende Zahlungen dar (vgl. BVerwG 2 C 30.06 - BVerwGE 131, 29 Rn. 31).
42Für die im Rahmen der Anwendung von § 55b Abs. 1 Satz 3 SVG a.F. erforderliche Verrentung ist folgenden Aspekten Rechnung zu tragen (vgl. auch Urteil vom a.a.O. Rn. 35): Entsprechend dem Zweck des Kapitalbetrags, den Soldaten in den Stand zu versetzen, seine Altersversorgung zu vervollständigen (vgl. BVerwG 6 C 14.78 - Buchholz 232.5 § 56 BeamtVG Nr. 2 S. 5), ist auf dessen bestimmungsgemäße Verwendung abzustellen: Diese besteht darin, das Kapital bis zum voraussichtlichen Eintritt in den Ruhestand, d.h. bis zum Erreichen der allgemeinen Altersgrenze, mündelsicher anzulegen. Daher ist bei der Berechnung des sich nach versicherungsmathematischen Grundsätzen ergebenden monatlichen Betrags einer Leibrente der durchschnittliche Zinssatz für langfristige, mündelsichere Anlagen zum Zeitpunkt der Auszahlung des Kapitalbetrags einzustellen. Bei der Berechnung der Leibrente ist die durchschnittliche Lebenserwartung eines Soldaten nach den Sterbetafeln für Männer des jeweiligen Jahrgangs zugrundezulegen (vgl. dagegen zum Mittelwert bei Beamten Urteil vom a.a.O. Rn. 35). Zu berechnen ist der Betrag, der sich bei einer mündelsicheren Anlage des Kapitalbetrags im Zeitraum zwischen seiner Auszahlung und dem Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze als monatliche Leibrente mit Auszahlungsbeginn vom Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze an ergeben würde. Dieser ist mit den sich für die einzelnen Monate ergebenden Ruhensbeträgen zu vergleichen.
43Ergibt diese Berechnung auf der Grundlage der durchschnittlichen Lebenserwartung von Männern des Jahrgangs des Ehemanns der Klägerin und der für ihn maßgebenden gesetzlichen Altersgrenze, dass der Ruhensbetrag in keinem Monat den zu errechnenden Betrag einer fiktiven Leibrente nennenswert übersteigt, so wäre die Klage abzuweisen. Auf die Gültigkeit des § 55b Abs. 3 SVG a.F. käme es dann für die Entscheidung nicht an. Dem Senat ist es verwehrt, selbst die erforderlichen Feststellungen zu treffen.
Fundstelle(n):
VAAAD-83610