Fristwahrende Unterbrechung der Hauptverhandlung: Verfahrensfehlerhafte Durchführung eines "reinen Schiebetermins"
Gesetze: § 229 Abs 1 StPO, § 229 Abs 2 StPO, § 229 Abs 4 S 1 StPO, § 256 Abs 1 Nr 5 StPO
Instanzenzug: LG Krefeld Az: 22 KLs 18/10 Urteil
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten rügt die Verletzung materiellen Rechts und beanstandet das Verfahren. Mit der Rüge, die Hauptverhandlung sei entgegen § 229 Abs. 1 StPO länger als drei Wochen unterbrochen worden, hat das Rechtsmittel Erfolg.
2Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift ausgeführt:
"Die zulässig erhobene Rüge der Verletzung des § 229 Abs. 1 und 4 Satz 1 StPO greift durch. Die Revision beanstandet zu Recht, dass die Hauptverhandlung, die in der Zeit vom bis zum an drei Verhandlungstagen durchgeführt wurde, nach der Unterbrechung am ersten Verhandlungstag, dem , in dem '8-minütigen Kurztermin' vom 'lediglich in einem formalen Sinne und gleichsam zum Schein fortgesetzt' worden sei (RB S. 28).
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH NJW 1952, 1149; 1996, 3019, 3020; 2006, 3077; NStZ 2000, 212, 214; 2008, 115; BGHR StPO § 229 Abs. 1 Sachverhandlung 1, 3-6; vgl. auch Becker in LR StPO 26. Aufl. § 229 Rdnr. 10, Gmel in KK StPO 6. Aufl. § 229 Rdnr. 6 und Meyer-Goßner StPO 53. Aufl. § 229 Rdnr. 11, jeweils m.w.N.) ist ein Fortsetzungstermin nur dann geeignet, die Unterbrechungsfristen des § 229 Abs. 1 oder 2 StPO zu wahren, wenn in ihm zur Sache verhandelt, mithin das Verfahren inhaltlich auf den abschließenden Urteilsspruch hin gefördert wird. Dabei genügt bereits jede Förderung des Verfahrens, selbst wenn weitere ver-fahrensfördernde Handlungen möglich gewesen wären und der Fortsetzungstermin auch der Einhaltung der Unterbrechungsfrist diente (BGH NJW 2006, 3077; NStZ-RR 1998, 335). Nicht ausreichend sind dagegen so genannte (reine) 'Schiebetermine', welche die Unter-brechungsfrist lediglich formal wahren, in denen aber tatsächlich keine Prozesshandlungen oder Erörterungen zu Sach- oder Verfahrensfragen vorgenommen werden, die geeignet sind, das Strafverfahren seinem Abschluss substanziell näher zu bringen (BGH NStZ 2008, 115). Unzulässig ist es darüber hinaus, einheitliche Verfahrensvorgänge, insbesondere Beweisaufnahmen, willkürlich in mehrere kurze Verfahrensabschnitte zu zerstückeln und diese auf mehrere Verhandlungstage zu verteilen, nur um hierdurch die gesetzlichen Unterbrechungsfristen einzuhalten (BGH a.a.O.).
Ausgehend von diesen Maßstäben stellt der Hauptverhandlungstermin vom lediglich einen unzulässigen Schiebetermin dar. Zwar ist die Durchführung der Beweisaufnahme, zu dem die auf § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO beruhende Verlesung des Durchsuchungsberichts sowie des zugehörigen Durchsuchungs- und Sicherstellungsprotokolls gehört, grundsätzlich eine Verhandlung zur Sache und demnach geeignet, die Unterbrechungsfrist aus § 229 Abs. 1 StPO zu wahren (vgl. BGH NJW 2006, 3077, 3078). Auch steht die relativ kurze Dauer des Termins seiner Eignung zur Fristunterbrechung nicht entgegen (BGH a.a.O.). Im vorliegenden Fall diente der auf den Nachmittag verschobene Termin vom jedoch allein der Einhaltung der Unterbrechungsfrist, was unzulässig ist. Dabei kann dahinstehen, ob anlässlich dieses Termins - wie die Revision behauptet und von der Strafkammer im Wege des Protokollberichtigungsverfahrens nachträglich korrigiert - das Durchsuchungs- und Sicherstellungsprotokoll ohne Wiedergabe des Sicherstellungsverzeichnisses verlesen wurde. Denn schon aus dem von der Revision in Ablichtung vorgelegten Telefaxschreiben des Vorsitzenden Richters vom (RB S. 13 f.) in Verbindung mit dem vorangegangenen Verfahrensablauf wird deutlich, dass mit der Durchführung des Termins ausschließlich die Wahrung der Unterbrechungsfrist aus § 229 Abs. 1 StPO bezweckt war. Der Vorsitzende hat in jenem Schreiben explizit zum Ausdruck gebracht, dass aufgrund der Erkrankung der Schöffin am nur ein 'kurzer Termin im Klinikum' stattfinden soll, um das Verfahren 'nicht platzen zu lassen' (RB S. 13). Nach dem unwidersprochenen Vortrag der Revision sollten in dem ursprünglich auf den Vormittag desselben Tages anberaumten Fortsetzungstermin dagegen nur noch die Schlussvorträge der Verteidiger der beiden Angeklagten sowie die Urteilsberatung und -verkündung erfolgen, nachdem die Beweisaufnahme bereits im Termin vom geschlossen worden war und die Staatsanwaltschaft ihren Schlussvortrag gehalten hatte (RB S. 12). Ein sachlich-nachvollziehbarer Grund, erneut in die Beweisaufnahme einzutreten, lässt sich weder dem angefochtenen Urteil oder den dienstlichen Stellungnahmen der beteiligten Berufsrichter entnehmen noch ist ein solcher - etwa unter Aufklärungsgesichtspunkten nach § 244 Abs. 2 StPO - sonst ersichtlich. Denn wie von der Revision vorgetragen und durch das Landgericht nicht in Abrede gestellt, waren die Angeklagten schon im ersten Hauptverhandlungstermin am hinsichtlich der ihnen zur Last gelegten Taten einschließlich des Verbleibs der Tatbeute umfassend geständig (vgl. UA S. 22 f., 24 f., 26 und 33). Dass eine (nochmalige) Überprüfung der Glaubhaftigkeit der Ge-ständnisse durch die Strafkammer entsprechend den Ausführungen des Vorsitzenden Richters in seiner dienstlichen Äußerung im Protokollberichtigungsverfahren vom (Bl. 501 d.A.) erforderlich war, erscheint angesichts des bereits erfolgten Schlussvortrages des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft indes fernliegend. In einem Fall wie dem vorliegenden, in dem die Hauptverhandlung erst an einem einzigen Sitzungstag stattgefunden hat, wäre es auch mit Blick auf den verfassungsrechtlichen Beschleunigungsgrundsatz noch vertretbar gewesen, die Verhandlung innerhalb kurzer Frist von neuem zu beginnen, sofern eine Fortsetzung des Verfahrens gemäß § 229 Abs. 4 Satz 1 StPO am Krankenbett des verhinderten Richters (dazu Becker a.a.O. Rdnr. 21) oder durch den Eintritt eines zugezogenen Ergänzungsrichters (§ 192 Abs. 2 und 3 GVG) nicht möglich war. Eine Fristenhemmung hat der Gesetzgeber bei einer derart kurzen Verfahrensdauer in § 229 Abs. 3 Satz 1 StPO dagegen bewusst nicht vorgesehen (vgl. BT-Drucks. 10/1313 S. 25).
Das Beruhen des Urteils auf dem aufgezeigten Verfahrensverstoß im Sinne des § 337 Abs. 1 StPO kann regelmäßig - so auch hier - nicht ausgeschlossen werden (BGHSt 23, 224, 225; NJW 1952, 1149 f.; 1996, 3019, 3020; NStZ 2008, 115; Becker a.a.O. Rdnr. 42 und Gmel a.a.O. Rdnr. 15, jeweils m.w.N.). Ein besonders gelagerter Ausnahmefall, in welchem die Fristüberschreitung ersichtlich weder den Eindruck der Richter von der Hauptverhandlung abgeschwächt noch die Zuverlässigkeit ihrer Erinnerung beeinträchtigt hat, wie dies etwa bei lang andauernden Großverfahren durch die Intensivierung der Eindrücke sowie die besonderen Vorkehrungen zur Fixierung des Erinnerungsbildes der Fall sein kann (Becker a.a.O.), liegt nicht vor. Die angefochtene Entscheidung ist daher, soweit sie den Angeklagten betrifft, aufzuheben."
3Dem schließt sich der Senat an.
Becker Pfister von Lienen
Schäfer Mayer
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
AO-StB 2012 S. 25 Nr. 1
WAAAD-82574