Wirksamkeit eines Wechsels in die OT-Mitgliedschaft - Anforderungen an die Satzung eines Arbeitgeberverbands
Gesetze: § 3 Abs 1 TVG, § 3 Abs 3 TVG, Art 9 Abs 3 GG
Instanzenzug: ArbG Stendal Az: 1 Ca 946/07 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt Az: 7 Sa 38/08 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten über einen Anspruch der Klägerin auf tarifliche Entgelterhöhungen, Einmalzahlung und Urlaubsgeld im Einzelhandel in Sachsen-Anhalt. Dabei geht der Streit insbesondere darum, ob die Beklagte an die den Entgeltforderungen der Klägerin zugrunde gelegten Tarifverträge gebunden oder ob sie zuvor wirksam aus einer Vollmitgliedschaft in dem tarifschließenden Verband in eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung (OT-Mitgliedschaft) gewechselt ist.
2Die Klägerin, die der Gewerkschaft ver.di angehört, ist seit dem als Verkäuferin in einem Baumarkt der Beklagten beschäftigt. Die Beklagte war seit Anfang der 90er Jahre zunächst ordentliches Mitglied im Verband der Kaufleute Sachsen-Anhalt e.V. (Verband der Kaufleute).
Mit Schreiben vom an den Verband der Kaufleute erklärte die Beklagte:
In dem Telefax-Schreiben der Beklagten vom selben Tag an den Verband der Kaufleute heißt es ua.:
Der Verband der Kaufleute bestätigte dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten mit Schreiben vom Folgendes:
6Die Satzung des Verbandes der Kaufleute ist im Laufe der Zeit mehrfach geändert und ergänzt worden, so am in den §§ 5, 6 und 9 und am in § 5.
Mit der Änderung vom erhielt § 5 der Satzung folgenden Wortlaut:
Nach der Änderung vom lautete § 5 Punkt 3 der Satzung:
Nach § 7 der Satzung, der durch die Änderungen und Ergänzungen vom und vom unverändert blieb, sind die Organe des Verbandes:
10Für tarifpolitische Entscheidungen besteht bei dem Verband der Kaufleute eine Tarifkommission, zu der die Satzung keine ausdrückliche Regelung enthält.
Unter dem Datum des unterzeichneten die Parteien des Rechtsstreits folgenden Änderungsvertrag:
12Die Gewerkschaft ver.di und der Verband der Kaufleute schlossen in der Zeit nach dem mehrere Tarifverträge, ua. am den Tarifvertrag über Gehälter, Löhne und Ausbildungsvergütungen für den Einzelhandel im Bundesland Sachsen-Anhalt (GehaltsTV 2001) und am den Manteltarifvertrag für die Beschäftigten im Einzelhandel im Bundesland Sachsen-Anhalt (MTV 2003). Am unterzeichneten die Tarifvertragsparteien dann einen Tarifvertrag über Gehälter, Löhne und Ausbildungsvergütungen für die Beschäftigten im Einzelhandel im Bundesland Sachsen-Anhalt (GehaltsTV 2006) sowie einen Manteltarifvertrag für die Beschäftigten im Einzelhandel im Bundesland Sachsen-Anhalt (MTV 2006).
13Mit ihrer Klage hat die Klägerin Entgelterhöhungen, Einmalzahlung und Urlaubsgeld nach Maßgabe des GehaltsTV 2006 und des MTV 2006 gefordert. Die Beklagte sei nicht wirksam in eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung gewechselt und sei deshalb nach wie vor an die jeweiligen zwischen dem Verband der Kaufleute und der Gewerkschaft ver.di geschlossenen Tarifverträge gebunden. Eine OT-Mitgliedschaft sei nur unter strengen Voraussetzungen möglich, die im vorliegenden Fall nicht erfüllt seien. Jedenfalls wirke gemäß § 5 Punkt 3 Satz 3 der Satzung des Verbandes der Kaufleute idF vom die Erklärung des Ausschlusses der Tarifbindung „bis“ zum Ablauf der jeweils geltenden Tarifverträge, woraus sich ergebe, dass eine OT-Mitgliedschaft für jeden neu durch den Arbeitgeberverband abgeschlossenen Tarifvertrag neu begründet werden müsse.
Die Klägerin hat zusammengefasst zuletzt beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie
15Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie sei an den GehaltsTV 2006 und an den MTV 2006 nicht gebunden, da sie mit ihren Schreiben vom wirksam in die OT-Mitgliedschaft im Verband der Kaufleute gewechselt sei.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat für die Klägerin die Revision zugelassen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Gründe
17Die zulässige Revision der Klägerin ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin rechtsfehlerfrei zurückgewiesen. Die Klage ist unbegründet, der geltend gemachte Zahlungsanspruch besteht nicht.
18I. Das Landesarbeitsgericht hat, soweit für die Revision von Bedeutung, seine Entscheidung damit begründet, dass der Wechsel der Beklagten von der Vollmitgliedschaft in die OT-Mitgliedschaft mit Schreiben vom wirksam erfolgt sei. Das zweite Schreiben der Beklagten vom sei dem Verband der Kaufleute per Fax jedenfalls am zugegangen. Dem Schreiben lasse sich unzweideutig der Wille der Beklagten entnehmen, zukünftig nicht mehr der Bindung an die von dem Verband der Kaufleute abgeschlossenen Tarifverträge für den Einzelhandel im Lande Sachsen-Anhalt zu unterliegen. Der Verband der Kaufleute, der die Beklagte seit dem als Mitglied ohne Tarifbindung führe, habe die Erklärung der Beklagten auch als Wechsel in die OT-Mitgliedschaft verstanden und dementsprechend behandelt. Es könne somit dahingestellt bleiben, ob auch das erste Schreiben vom dem Verband der Kaufleute im Juni 2001 zugegangen sei.
19Die Regelung „sie wirkt bis zum Ablauf der jeweils geltenden Tarifverträge“ in § 5 Punkt 3 Satz 3 der Satzung vom sei im Hinblick auf § 3 Abs. 3 TVG nur so zu verstehen, dass die Erklärung über den Ausschluss der Tarifbindung erst zum Ablauf der jeweils geltenden Tarifverträge greife. Die in der Satzung des Verbandes der Kaufleute vorgesehene Möglichkeit einer OT-Mitgliedschaft in Form des sog. Stufenmodells sei von Rechts wegen nicht zu beanstanden. Die Satzung sehe für Tarifangelegenheiten eine klare und eindeutige Trennung der Befugnisse von Mitgliedern mit und ohne Tarifbindung vor.
20II. Der Senat versteht das Vorbringen der Klägerin in der Revisionsinstanz dahin, dass die Revision beschränkt auf Ansprüche aus normativ wirkenden Tarifverträgen eingelegt worden ist. Die Klägerin hat sich zu dem weiteren Streitgegenstand „arbeitsvertragliche Ansprüche“, die vom Landesarbeitsgericht kurz - und zutreffend - abgelehnt worden sind, in der Revisionsbegründung nicht geäußert. Er ist aufgrund dieser Beschränkung der Revision auch nicht in die Revisionsinstanz gelangt.
21III. Die gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts gerichteten Angriffe der Revision haben keinen Erfolg. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht entschieden, dass nach dem vereins- und tarifrechtlich wirksamen Wechsel der Beklagten in eine OT-Mitgliedschaft im Jahre 2001 mangels beiderseitiger Tarifgebundenheit kein Anspruch aus dem GehaltsTV 2006 und dem MTV 2006 besteht.
221. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass die Satzung des Verbandes der Kaufleute den Anforderungen an eine Verbandssatzung genügt, die einen OT-Mitgliederstatus tarifrechtlich wirksam bereitstellen will.
23a) Nach mittlerweile ständiger Rechtsprechung kann die Satzung eines Arbeitgeberverbandes unter bestimmten Voraussetzungen aus tarifrechtlicher Sicht wirksam einen Mitgliederstatus ohne Tarifbindung bereithalten.
24aa) Nicht jedes vereinsrechtliche Mitglied eines Arbeitgeberverbandes muss auch tarifgebunden iSv. § 3 Abs. 1 TVG sein ( - Rn. 25 ff., BAGE 127, 27; - 4 AZR 111/08 - Rn. 27, BAGE 130, 264). Arbeitgeberverbände sind aufgrund der ihnen durch Art. 9 Abs. 3 GG verliehenen Satzungsautonomie (, 419/78, 1 BvL 21/78 - zu C IV 1 der Gründe, BVerfGE 50, 290, 367) grundsätzlich befugt, in ihren Satzungen eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung vorzusehen. Eine solche Regelung widerspricht im Grundsatz weder einfachem Recht noch Verfassungsrecht ( - Rn. 56, BAGE 119, 103; - 4 AZR 419/07 - Rn. 26, aaO). Die Begründung einer OT-Mitgliedschaft in einem Arbeitgeberverband setzt voraus, dass es für diese Mitgliedschaftsform zu dem Zeitpunkt, in dem ein bisheriges Vollmitglied eine OT-Mitgliedschaft begründen will, eine wirksame satzungsmäßige Grundlage gibt ( - Rn. 32, AP TVG § 3 Verbandszugehörigkeit Nr. 28 = EzA TVG § 3 Nr. 33).
25bb) Die Satzung des Verbandes kann selbst definieren, auf welche Weise eine Mitgliedschaft iSv. § 3 Abs. 1 TVG begründet und beendet werden kann. Das gilt auch für das sog. Stufenmodell, bei der ein prinzipiell tarifwilliger Verband nachträglich einen Sonderstatus für OT-Mitglieder mit eingeschränkten Beteiligungsrechten geschaffen hat. Wegen der an die Tarifgebundenheit anknüpfenden und ggf. weitreichenden Rechtswirkungen auch auf Dritte ist es jedoch erforderlich, dass die Verbandsmitgliedschaft mit Tarifbindung iSv. § 3 Abs. 1 TVG von einer Verbandsmitgliedschaft ohne Tarifbindung eindeutig abgrenzbar ist (vgl. nur - Rn. 27 und 28, BAGE 130, 264).
26cc) Der Senat hat die Anforderungen an eine Verbandssatzung, die aus tarifrechtlicher Sicht wirksam eine OT-Mitgliedschaft vorsieht, in der Entscheidung vom (- 4 AZR 419/07 - Rn. 25 ff., BAGE 127, 27) im Einzelnen beschrieben: Es reicht insbesondere nicht aus, wenn die Satzung für die Mitglieder ohne Tarifbindung lediglich die Rechtsfolge der Tarifgebundenheit nach § 3 Abs. 1 TVG abbedingt. Wegen des im Hinblick auf die verfassungsrechtlich geschützte Tarifautonomie erforderlichen Gleichlaufs von Verantwortlichkeit und Betroffenheit hinsichtlich tarifpolitischer Entscheidungen muss die Satzung eine klare und eindeutige Trennung der Befugnisse von Mitgliedern mit und solchen ohne Tarifbindung vorsehen. Eine unmittelbare Einflussnahme von OT-Mitgliedern auf tarifpolitische Entscheidungen ist nicht zulässig. Dies ist satzungsrechtlich abzusichern. OT-Mitglieder dürfen nicht in Tarifkommissionen entsandt werden und den Verband im Außenverhältnis tarifpolitisch vertreten. Sie sind von der Verfügungsgewalt über einen Streik- oder Aussperrungsfonds auszuschließen. Weiter ist bei ihnen ein Stimmrecht bei Abstimmungen über die Festlegung von tarifpolitischen Zielen oder die Annahme von Tarifverhandlungsergebnissen auszuschließen.
27dd) Diese vom Senat für maßgeblich gehaltenen Grundsätze hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Nichtannahmebeschluss bestätigt ( - 1 BvR 2593/09 - NZA 2011, 60). Die Anforderung der eindeutigen Trennung der Mitgliedschaftsbereiche beruhe auf verfassungsrechtlich tragfähigen Erwägungen. Nur wenn das Vorgehen des Arbeitgeberverbandes bei Tarifvertragsverhandlungen und im Arbeitskampf nicht von einer Gruppe von Mitgliedern mitbestimmt werde, die eine Tarifbindung für sich generell ablehnen, könne typischerweise ausgeschlossen werden, dass sich der Verband von sachfremden Einflüssen leiten lasse und die Tarifvertragsverhandlungen zu nicht sachgerechten Ergebnissen führen würden. Das Bundesarbeitsgericht habe die Möglichkeit der Mitwirkung der OT-Mitglieder im Arbeitgeberverband nur in dem Umfang eingeschränkt, der erforderlich sei, um sachfremde Einflüsse auf Tarifvertragsverhandlungen und Tarifergebnisse auszuschließen.
28b) Entgegen der Auffassung der Revision erfüllt die Satzung des Verbandes der Kaufleute in der Fassung der Veränderungen und Ergänzungen vom trotz sehr allgemein gehaltener Regelungen zur Trennung der Befugnisse von OT- und Vollmitgliedern die in der ständigen Senatsrechtsprechung gestellten Anforderungen. Dies hat das Landesarbeitsgericht zu Recht erkannt.
29aa) In § 5 Punkt 3 der Satzung des Verbandes der Kaufleute ist ausdrücklich eine OT-Mitgliedschaft vorgesehen. Nach § 5 Punkt 3 Satz 1 der Satzung können Verbandsmitglieder den Ausschluss der Tarifbindung erklären. Verknüpft ist diese Bestimmung mit dem klarstellenden Hinweis, dass davon für allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge ausgenommen sind. Ausdrücklich ist in § 5 Punkt 3 Satz 2 der Satzung geregelt, in welcher Form der Wechsel von der Vollmitgliedschaft in die OT-Mitgliedschaft vollzogen werden kann, nämlich schriftlich, wobei keine Frist vorgegeben worden ist.
30bb) Eindeutig geregelt ist in § 5 Punkt 3 Satz 5 der Satzung auch, dass OT-Mitglieder an Abstimmungen über tarifpolitische Entscheidungen nicht mitwirken. Entgegen der Auffassung der Revision ist dieser Ausschluss weiter gefasst als ein Ausschluss nur hinsichtlich des Stimmrechts. Nichtmitwirkung umfasst auch die Nichtentsendung von OT-Mitgliedern in eine Tarifkommission, die Unterlassung tarifpolitischer Vertretung des Verbandes im Außenverhältnis durch OT-Mitglieder sowie den Mitwirkungsausschluss, was ggf. bestehende Streik- oder Aussperrungsfonds angeht.
31cc) Die Satzung enthält hinsichtlich der Ausgestaltung der für tarifpolitische Entscheidungen bestehenden Tarifkommission keine ausdrückliche Regelung. Da die Satzung die Einrichtung einer Tarifkommission oder eines sonstigen tarifpolitischen Organs nicht vorsieht, bedurfte es aber auch keiner näheren Regelungen, die die Mitgliedschaft in diesen Organen für OT-Mitglieder ausschließen oder den Verlust entsprechender Funktionen regeln. Die allgemeine Regelung des § 5 Punkt 3 gilt ausnahmslos und deshalb nicht nur für satzungsmäßig geregelte Organe, sondern auch für eine in der Satzung nicht vorgesehene, aber gleichwohl bestehende Tarifkommission, einschließlich der von der Revision ausdrücklich angesprochenen Fragen „Zusammensetzung der“ und „Benennungs- und Entsendungsrecht in die“ Tarifkommission. Angesichts einer eher niedrigen Regelungsdichte der Gesamtsatzung ist die Regelung zur OT-Mitgliedschaft noch verhältnismäßig detailliert und „regelungsreich“. Mit ihrer ausnahmslosen und für alle Verbandsbereiche geltenden Regelung wird der erforderliche Gleichlauf von Verantwortlichkeit und Betroffenheit, was Tarifabschlüsse angeht, hinreichend hergestellt.
32dd) Soweit die Revision sich auf mangelnde Regelungen zu Aufsichtsorganen, zur Verwaltung von Streikfonds und zur Verteilung von Streikmitteln bezieht, ist dieser Einwand erkennbar hypothetischer Natur. Die Beklagte hat dazu unwidersprochen vorgetragen, dass beim Verband der Kaufleute ein Streikfonds nicht besteht.
33Zudem griffe jedenfalls für die Aufsicht und Verwaltung von Streikfonds ebenfalls die allgemeine und ausnahmslos geltende Regelung des § 5 Punkt 3 der Satzung. Soweit die Revision sich weiter auf die Senatsentscheidung vom - 4 AZR 111/08 - (BAGE 130, 264) bezieht, sind Parallelen in dem von ihr angezielten Sinne nicht ersichtlich. Die herangezogene Entscheidung betraf ein völlig anderes OT-Regelungsmodell (Fachgruppen statt Stufen) und eine Satzung, in der die Einrichtung eines Arbeitskampffonds (dort „Unterstützungsfonds“) ausdrücklich vorgesehen war. In einem solchen Fall kommt es dann auch darauf an, wie die Verfügungsrechte über diesen Fonds geregelt sind.
34ee) Die hier zwischen den Parteien besonders umstrittene Satzungsregelung in § 5 Punkt 3 Satz 3 der Satzung des Verbandes der Kaufleute vom , nach der die schriftliche Erklärung über den Ausschluss der Tarifbindung „bis zum Ablauf der jeweils geltenden Tarifverträge“ wirkt, ist nicht in dem buchstäblichen, bei verständigen Beteiligten auszuschließenden offensichtlich gesetzwidrigen Sinn zu verstehen. Sie kann nach Sinn, Zweck und tariflichem Gesamtzusammenhang nur als Hinweis auf die sich aus § 3 Abs. 3 TVG ohnehin ergebende Rechtslage begriffen werden, wie dies auch durch die Satzungsänderung vom klargestellt worden ist. Die Auslegung der Revision, diese Formulierung sei als Ausschluss der Tarifgebundenheit „je Tarifvertrag“ statt von Dauer zu verstehen, macht keinen Sinn. Bei wortwörtlicher Auslegung wäre ein Ausschluss der Tarifbindung „für die Mitglieder“ während der Laufzeit eines geltenden Tarifvertrages bis zu dessen Ende vorgesehen, also gerade in der Zeit, in der er nach § 3 Abs. 3 TVG zwingend weiter gilt. Dies macht auch die Revision nicht geltend. Für eine von der Revision angeregte Auslegung, nach der die Erklärung nur bis zum Ablauf des Tarifvertrages gelten solle, der dem Laufenden folgt, gibt es wiederum keinen Anhalt im Wortlaut der Satzung. Vielmehr bestimmt § 5 Punkt 3 der Satzung, dass die Erklärung über den Ausschluss der Tarifbindung jederzeit widerrufen werden kann. Im Gesamtzusammenhang der Satzung spricht dies für einen dauerhaften und nicht nur tarifvertragsbezogenen Ausschluss „zum Ablauf der jeweils geltenden Tarifverträge“. Denn bei einem Verständnis der Bindung „je Tarifvertrag“ bliebe für eine Widerrufsmöglichkeit angesichts der Regelung in § 4 Abs. 5 TVG, nach der nach Ablauf des Tarifvertrages seine Rechtsnormen weiter gelten, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden, kein Anwendungsbereich.
35ff) Ohne Belang für den vorliegenden Rechtsstreit ist die von der Revision aufgeworfene Frage, ob nach der Satzung des Verbandes der Kaufleute eine OT-Mitgliedschaft lediglich im Wechsel aus vorheriger Vollmitgliedschaft begründet werden kann oder generell möglich ist. Die Beklagte ist entsprechend der ausdrücklich in der Satzung des Verbandes der Kaufleute bereitgestellten Möglichkeit von der vorherigen Vollmitgliedschaft in die OT-Mitgliedschaft gewechselt.
362. Die Beklagte war bei Abschluss des GehaltsTV 2006 und des MTV 2006, auf deren Regelungen die Klägerin ihre Ansprüche stützt, an deren Bestimmungen nicht mehr iSd. § 4 Abs. 1 TVG gebunden, weil sie vor deren Abschluss in Übereinstimmung mit der Verbandssatzung, auch unter Berücksichtigung von § 5 Punkt 3 Satz 3 der Satzung vom , wirksam in die OT-Mitgliedschaft gewechselt ist. Dies hat das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerfrei erkannt. Die Revision ist dem, was die konkreten Umstände des Wechsels der Beklagten in die OT-Mitgliedschaft angeht, nicht mehr entgegengetreten.
37Soweit die Revision geltend macht, nach der vorliegenden Satzung sei ein rückwirkender Wechsel in eine OT-Mitgliedschaft nicht möglich, bedarf es keiner abschließenden Stellungnahme. Mit dem Landesarbeitsgericht ist von einem Wechsel jedenfalls für den auszugehen. Da die hier streitgegenständlichen Tarifverträge erst am abgeschlossen worden sind, kommt es damit auf die Frage, ob die Beklagte rückwirkend wirksam für einen davor liegenden Zeitpunkt aus der Vollmitgliedschaft in die OT-Mitgliedschaft wechseln konnte, nicht an.
38IV. Die Klageforderung ergibt sich auch nicht teilweise aus einem der Vorgängertarifverträge. Es spricht alles dafür, dass es sich hier um einen anderen, vom Klagevorbringen nicht mit umfassten Streitgegenstand handelt. Unabhängig davon stellt die Vereinbarung der Parteien vom hinsichtlich der vorangegangenen Gehalts- und Manteltarifverträge im Einzelhandel Sachsen-Anhalt, soweit die Beklagte an diese überhaupt noch gebunden war, eine „andere Abmachung“ iSd. § 4 Abs. 5 TVG dar.
39Die Beklagte ist seit dem im Verband der Kaufleute nicht mehr Voll-, sondern nur noch OT-Mitglied. Damit war sie bereits nicht mehr an den von der Gewerkschaft ver.di und dem Verband der Kaufleute am unterzeichneten Tarifvertrag über Gehälter, Löhne und Ausbildungsvergütungen für den Einzelhandel im Bundesland Sachsen-Anhalt (GehaltsTV 2001) gebunden. Der nur noch nachwirkende Vorgängertarifvertrag vom war zum Zeitpunkt des Änderungsvertrages am nach § 4 Abs. 5 TVG durch eine „andere Abmachung“ auch zu Lasten der Klägerin ersetzbar.
40Die Beklagte war auch nicht mehr dem Manteltarifvertrag für die Beschäftigten im Einzelhandel im Bundesland Sachsen-Anhalt vom (MTV 2003) unterworfen. Auch hier konnte der zum Zeitpunkt des Änderungsvertrages am nur noch nachwirkende Vorgängertarifvertrag vom nach § 4 Abs. 5 TVG auch zu Lasten der Klägerin durch eine „andere Abmachung“ ersetzt werden. In den vorliegend streitgegenständlichen Punkten hat der Änderungsvertrag vom die nachwirkenden tarifvertraglichen Regelungen ersetzt.
V. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
BB 2011 S. 1524 Nr. 24
BB 2011 S. 53 Nr. 1
DB 2011 S. 1001 Nr. 17
SAAAD-81842