BAG Urteil v. - 8 AZR 280/09

Schadensersatz - Nichtannahme eines Antrages auf Altersteilzeitarbeit

Gesetze: § 1 TVG, § 241 Abs 2 BGB, § 276 BGB, § 280 Abs 1 BGB, § 315 Abs 1 BGB, § 256 Abs 1 ZPO, § 237 Abs 5 SGB 6

Instanzenzug: ArbG Ludwigshafen Az: 5 Ca 341/08 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Az: 3 Sa 548/08 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über einen Schadensersatzanspruch des Klägers wegen entgangenen Rentenbezugs.

2Der 1947 geborene Kläger war seit bei der Beklagten, zuletzt als Vorschriftenverwalter im Luftwaffenmaterialdepot 42 in G, beschäftigt. Personalbearbeitende Dienststelle war die Standortverwaltung Z (nunmehr Bundeswehr-Dienstleistungszentrum Z).

Auf das Arbeitsverhältnis fanden ua. der BAT, der Tarifvertrag zur Regelung der Altersteilzeitarbeit (TV ATZ) sowie der Tarifvertrag über sozialverträgliche Begleitmaßnahmen im Zusammenhang mit der Umgestaltung der Bundeswehr vom (TV UmBw) Anwendung. Dieser Tarifvertrag enthält auszugsweise folgende Regelungen:

§ 2 TV ATZ bestimmt auszugsweise:

5Im Hinblick auf die Vollendung seines 55. Lebensjahres und der deswegen eröffneten Möglichkeit der Inanspruchnahme von Altersteilzeit ließ sich der Kläger im Januar 2002 durch Mitarbeiter der Beklagten über Altersteilzeit beraten und erhielt bei dieser Gelegenheit verschiedene Merkblätter ausgehändigt.

6Am erhielt der Kläger eine Rentenauskunft von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) bezüglich eines Rentenbeginns am . Am wurde ihm eine weitere Rentenauskunft, die ua. die Variante eines Rentenbeginns ab dem wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeit ab Vollendung des 60. Lebensjahres enthielt, erteilt.

7Aufgrund eines entsprechenden Organisationsbefehls wurde am bekannt, dass die Beschäftigungsdienststelle des Klägers mit Ablauf des aufgelöst werden solle.

8Mit Schreiben vom beantragte der Kläger bei der zuständigen Standortverwaltung Z Altersteilzeit im Blockmodell ab September 2004 bis zu seinem Rentenbeginn im September 2007. Der Leiter der Beschäftigungsdienststelle des Klägers, K, bestätigte am , dass der beantragten Altersteilzeit dringende dienstliche Belange nicht entgegenstehen. Über den klägerischen Antrag wurde bis zum nicht entschieden.

Nachdem der Kläger zu einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt auf die Beklagte zugekommen war und um den Abschluss eines Aufhebungsvertrages nachgesucht hatte, teilte ihm die Standortverwaltung Z am schriftlich ua. mit:

Am schrieb der Kläger an die Beklagte:

11Hintergrund der Bitte um schnellen Abschluss des Auflösungsvertrages war, dass der Kläger eine Frist von 18 Monaten zwischen Abschluss des Auflösungsvertrages und Beendigung des Arbeitsverhältnisses einhalten musste, um den Eintritt einer Sperrzeit zu vermeiden. Der Kläger beabsichtigte, nach Ablauf des für die Dauer von zwei Jahren Arbeitslosengeld zu beziehen und sodann ab September 2007 Altersrente wegen Arbeitslosigkeit zu beziehen.

12Am schlossen die Beklagte und der Kläger einen Auflösungsvertrag. Nach diesem sollte der Kläger mit Ablauf des wegen Wegfalls des Dienstpostens durch Auflösung der Beschäftigungsdienststelle aufgrund der Neuausrichtung der Bundeswehr (§ 1 Abs. 1 TV UmBw) im gegenseitigen Einvernehmen gegen Abfindung gemäß § 9 TV UmBw aus dem Dienst der Bundeswehrverwaltung ausscheiden.

13Anlässlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers im August 2005 zahlte die Beklagte an diesen die ihm gemäß § 9 TV UmBw zustehende Abfindung in Höhe von 20 Monatsbezügen.

Bereits am hatte die Bundesregierung den Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung der nachhaltigen Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Nachhaltigkeitsgesetz) beschlossen. Der Entwurf sah eine Änderung des § 237 SGB VI bezüglich des Renteneintrittsalters für den Fall der vorzeitigen Inanspruchnahme von Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeit vor. Während es nach der bisherigen Fassung von § 237 SGB VI möglich war, unter bestimmten Voraussetzungen mit der Vollendung des 60. Lebensjahres Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeit zu erhalten, sollte dies nach dem Gesetzentwurf ab dem erst ab einem späteren Lebensalter möglich sein. Das am verkündete RV-Nachhaltigkeitsgesetz vom (BGBl. I S. 1791) entspricht dem Regierungsentwurf. § 237 Abs. 5 SGB VI lautet in der Fassung des RV-Nachhaltigkeitsgesetzes auszugsweise:

15Über den Kabinettsbeschluss vom wurde in den Medien und im Internet berichtet. Der Kläger hatte weder den Kabinettsbeschluss noch den Gesetzesentwurf zur Kenntnis genommen.

16Mit Bescheid vom teilte die Deutsche Rentenversicherung dem Kläger mit, dass seinem Antrag vom auf Gewährung von Altersrente wegen Arbeitslosigkeit nach § 237 SGB VI ab dem nicht entsprochen werden könne. Vertrauensschutz bestehe für ihn nicht, da seine Vereinbarung erst am , also nicht vor dem , getroffen worden sei. Die Rente wegen Arbeitslosigkeit könne daher frühestens zum mit einem Abschlag von 12 vH beginnen. Die gegen diesen Bescheid gerichtete Klage blieb vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ohne Erfolg.

17In der Zeit vom bis zum erhielt der Kläger Arbeitslosengeld. Danach war er ohne Einkünfte. Seit dem bezieht der Kläger Altersrente.

18Der Kläger meint, er sei im Wege des Schadensersatzes von der Beklagten so zu stellen, als hätte er ab dem vorgezogene Altersrente wegen Arbeitslosigkeit bezogen, da ihn die Beklagte vor und bei Abschluss der Aufhebungsvereinbarung nicht richtig informiert habe und ihn auch nicht darauf hingewiesen habe, dass die ihm unbekannte Vertrauensschutzregelung des § 237 Abs. 5 SGB VI nur für bis zum geschlossene Beendigungsvereinbarungen gilt. Hätte ihn die Beklagte rechtzeitig und zutreffend informiert, hätte er den Aufhebungsvertrag oder eine Altersteilzeitvereinbarung vor dem geschlossen. Insbesondere hätte er im Januar 2004 keinen Aufhebungsvertrag mehr vereinbart. Grundlage des Aufhebungsvertrages sei nämlich gewesen, dass er zum aus dem Arbeitsverhältnis ausscheide, hiernach für die Dauer von zwei Jahren Arbeitslosengeld beziehe und sodann mit Vollendung des 60. Lebensjahres ab dem Altersrente wegen Arbeitslosigkeit erhalte. Dies sei bei einem Vertragsschluss im Januar 2004 aufgrund der Stichtagsregelung in der beabsichtigten Gesetzesänderung jedoch nicht mehr möglich gewesen. Die Beklagte habe sowohl die beabsichtigte Gesetzesänderung gekannt als auch gewusst, dass er mit der Vollendung des 60. Lebensjahres in den vorgezogenen Altersrentenbezug übertreten wollte. Die Beklagte habe ihn „sehenden Auges ins offene Messer rennen lassen“, weil sie mit ihm vor dem weder eine Auflösungs- noch eine Altersteilzeitarbeitsvereinbarung geschlossen habe.

Der Kläger hat beantragt

20Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

21Sie vertritt die Auffassung, Aufklärungs- und Hinweispflichten hätten weder vor dem noch vor Abschluss des Aufhebungsvertrages bestanden. Auch sei sie nicht verpflichtet gewesen, eine Altersteilzeit- oder Aufhebungsvereinbarung noch im Dezember 2003 zu schließen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit dieser verfolgt der Kläger seinen Klageanspruch weiter, während die Beklagte die Zurückweisung der Revision beantragt.

Gründe

23Die Revision des Klägers ist begründet. Ihm steht der geltend gemachte Schadensersatzanspruch zu.

24I. Das Landesarbeitsgericht hat einen Anspruch des Klägers auf Schadensersatz verneint, da weder ein vertraglicher Anspruch noch ein Anspruch wegen einer Störung der Geschäftsgrundlage des Auflösungsvertrages vom gegeben sei. Auch einen Schadensersatzanspruch des Klägers aus § 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1 und §§ 249 ff. BGB hat das Landesarbeitsgericht verneint. Es hat angenommen, soweit dem Kläger durch ein schuldhaft pflichtwidriges Verhalten der Beklagten ein Schaden entstanden sei und gegebenenfalls noch künftig entstehen werde, habe hierbei ein Mitverschulden des Klägers mitgewirkt. Dieses sei derart erheblich, dass es zum Wegfall einer etwaigen Ersatzpflicht der Beklagten führe.

25Zwar bestehe die Verpflichtung des Arbeitgebers, gegenüber Arbeitnehmern im Hinblick auf die versorgungsrechtlichen Folgen eines vorzeitigen Ausscheidens zutreffende Angaben zu machen, fehlerhafte Auskünfte habe die Beklagte dem Kläger aber im Zusammenhang mit der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses nicht erteilt.

26Allerdings könne eine Pflichtverletzung der Beklagten nicht ausgeschlossen werden, soweit sie den Kläger nicht rechtzeitig auf die bis zum bestehende Vertrauensschutzregelung des § 237 Abs. 5 SGB VI hingewiesen habe. Dabei sei zwar festzustellen, dass die handelnden Vertreter der Beklagten bereits im Laufe des Monats Dezember 2003 von der bevorstehenden Gesetzesänderung Kenntnis hatten, dass jedoch andererseits der Geltungszeitraum der Vertrauensschutzregelung recht knapp bemessen war. Eine Hinweispflicht der Beklagten hätte frühestens ab dem bestehen können. Erst zu diesem Zeitpunkt habe der personalbearbeitenden Dienststelle der Antrag des Klägers auf Altersteilzeit vorgelegen. Unter Berücksichtigung der bis zum verbleibenden Arbeitstage stelle sich das Verschulden der Beklagten bezüglich des Unterlassens eines Hinweises auf Änderung der Rechtslage als gering dar, zumal ein schlichter Hinweis nicht genügt hätte. Vielmehr hätte es einer Mitwirkungshandlung des Klägers (Abschluss einer Vereinbarung vor dem ) bedurft, damit dieser in den Genuss der Vertrauensschutzregelung hätte kommen können. An einer solchen Mitwirkungshandlung habe es der Kläger fehlen lassen. Daher sei dem Kläger ein Mitverschulden zur Last zu legen, welches zum Untergang eines möglichen Schadensersatzanspruchs führe. Er habe es trotz objektiv gegebener Informationsmöglichkeiten unterlassen, sich über die anstehenden Änderungen im Rentenrecht zu informieren, obgleich diese Gegenstand einer breiten öffentlichen Diskussion gewesen seien. Der Kläger habe auch nicht auf die im Jahr 2002 eingeholten Informationen vertrauen dürfen, da diese im Dezember 2003 nicht mehr aktuell gewesen seien und er mit Änderungen im Rentenrecht habe rechnen müssen.

27Dass die Beklagte nicht noch im Dezember 2003 eine Altersteilzeitvereinbarung mit dem Kläger getroffen habe, begründe keinen Schuldvorwurf, weil keine solche Verpflichtung zum Vertragsschluss bestanden habe. Den Personen, welche die Beklagte gegenüber dem Kläger vertreten hätten, sei eine angemessene Überlegungsfrist zuzubilligen gewesen, die am noch nicht abgelaufen gewesen sei. Die Beklagte hätte nur dann über den Altersteilzeitantrag vom „postwendend“ befinden müssen, wenn der Kläger auf die Eilbedürftigkeit der Angelegenheit hingewiesen oder aber den Altersteilzeitantrag mit Nachdruck weiterverfolgt hätte. Dies sei nicht der Fall gewesen. Vielmehr habe er in der Folgezeit um einen Auflösungsvertrag nachgesucht. Damit habe er sich widersprüchlich verhalten und eine unklare Lage geschaffen. Soweit der Beklagten diesbezüglich überhaupt ein Schuldvorwurf zu machen sei, sei ihr Verschulden derartig gering, dass es im Rahmen des § 254 Abs. 1 BGB gegenüber der groben Obliegenheitsverletzung des Klägers vollständig zurücktrete.

28Sollte eine Hinweispflicht für die Beklagte auch nach dem noch bestanden haben, lasse sich nicht feststellen, dass durch die entsprechende Pflichtverletzung der Beklagten der Nachteil des Klägers begründet worden sein könnte, dessen Ausgleich er begehrt. Der Kläger habe vorgetragen, dass er im Januar 2004 den Aufhebungsvertrag nicht geschlossen hätte, wenn er von der Beklagten über die Stichtagsregelung informiert worden wäre. Ein Schadensersatzanspruch des Klägers könnte mithin nur auf eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses über den vereinbarten Beendigungstermin hinaus gerichtet sein und nicht darauf, ihn so zu stellen, als hätte er ab vorgezogene Altersrente bezogen.

29II. Das landesarbeitsgerichtliche Urteil hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

301. Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das erforderliche Feststellungsinteresse gegeben.

31Nach § 256 Abs. 1 ZPO kann Klage auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde. Das besondere Feststellungsinteresse nach dieser Vorschrift muss als Sachurteilsvoraussetzung in jeder Lage des Verfahrens, auch noch in der Revisionsinstanz, gegeben sein. Sein Vorliegen ist von Amts wegen zu prüfen ( - AP ZPO 1977 § 256 Nr. 81 = EzA ZPO 2002 § 256 Nr. 2).

32Dem Feststellungsantrag steht der Vorrang der Leistungsklage vorliegend nicht entgegen. Zwar hat aus Gründen der Prozesswirtschaftlichkeit eine Leistungsklage grundsätzlich Vorrang vor einer Feststellungsklage, wenn der Kläger seinen Anspruch beziffern kann ( - AP ZPO 1977 § 256 Nr. 81 = EzA ZPO 2002 § 256 Nr. 2), jedoch kann dennoch ein Feststellungsinteresse iSv. § 256 Abs. 1 ZPO bestehen, wenn durch die Feststellungsklage eine sachgemäße, einfache Erledigung der aufgetretenen Streitpunkte zu erreichen ist und prozesswirtschaftliche Erwägungen gegen den Zwang zur Leistungsklage sprechen ( - BAGE 126, 120 = AP UmwG § 131 Nr. 1 = EzA BetrAVG § 4 Nr. 7). Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben. Richtet sich die Feststellungsklage nämlich gegen einen Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes, kann erwartet werden, dass dieser einem gegen ihn ergangenen Feststellungsurteil nachkommen und die sich daraus ergebenden Leistungsansprüche erfüllen wird ( - BAGE 112, 112 = AP BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 67 = EzA BGB 2002 § 242 Betriebliche Übung Nr. 3).

33Zwischen den Parteien ist einzig die Schadensersatzpflicht der Beklagten dem Grunde nach streitig, so dass davon auszugehen ist, dass die Beklagte als öffentliche Arbeitgeberin ein Feststellungsurteil in gleicher Weise umsetzen wird wie ein Leistungsurteil.

342. Die Klage ist entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts begründet.

35a) Es kann für die Entscheidung des Rechtsstreits dahinstehen, ob die Beklagte gegen Aufklärungs- und Unterrichtungspflichten verstoßen hat. Die Klage ist nämlich bereits deshalb begründet, weil die Beklagte gegen die vertragliche Nebenpflicht, den Antrag des Klägers auf Altersteilzeit vom vor Ablauf des anzunehmen, schuldhaft verstoßen hat.

36aa) Aus einem Schuldverhältnis erwachsen einer Vertragspartei nicht nur Leistungs-, sondern auch Verhaltenspflichten zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Vertragsteils. Diese nunmehr mit Wirkung ab in § 241 Abs. 2 BGB ausdrücklich normierten Pflichten waren bereits vor dem Inkrafttreten dieser Norm aus § 242 BGB abgeleitet worden.

37Jedem Arbeitsverhältnis wohnt die Nebenpflicht des Arbeitgebers inne, die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitnehmers so zu wahren, wie dies unter Berücksichtigung der Interessen und Belange beider Vertragspartner sowie der anderen Arbeitnehmer nach Treu und Glauben verlangt werden kann. Diese Rücksichtnahmepflicht des Arbeitgebers auf die Rechte und Rechtsgüter der Arbeitnehmer gilt für alle schutzwürdigen Interessen, so auch für Vermögensinteressen (vgl.  - BAGE 126, 120 = AP UmwG § 131 Nr. 1 = EzA BetrAVG § 4 Nr. 7).

38bb) Der Beklagten, handelnd durch den Leiter der Beschäftigungsdienststelle, K, lag spätestens am der Antrag des Klägers auf Altersteilzeit vor. Grundsätzlich hätte keine Verpflichtung für die Beklagte bestanden, über diesen Antrag binnen eines bestimmten Zeitraumes zu entscheiden. Allerdings hatte zum Zeitpunkt der Antragstellung - wie das Landesarbeitsgericht festgestellt hat - die Beklagte Kenntnis von dem Gesetzentwurf zu § 237 Abs. 5 SGB VI und der darin vorgesehenen Stichtagsregelung. Mit dieser sollte nach dem Willen der Bundesregierung gewährleistet werden, „dass potenziell berechtigte Versicherte auf der Grundlage des Kabinettsbeschlusses über den Gesetzentwurf () ihre Möglichkeit zur Vereinbarung von Altersteilzeit überprüfen und gegebenenfalls noch einen Vertrag über Altersteilzeitarbeit abschließen können“ (BR-Drucks. 1/04 S. 63 f.). Der Beklagten war bekannt, dass nach dem Gesetzentwurf nur eine Annahme des Altersteilzeitantrages des Klägers vor Ablauf des die im Antrag bezeichnete Absicht des Klägers, ab September 2007 Altersrente in Anspruch zu nehmen, ermöglichen konnte. Allein die Möglichkeit, dass bis zur Verkündung des RV-Nachhaltigkeitsgesetzes noch Änderungen am Gesetzentwurf vorgenommen werden konnten, entband die Beklagte nicht von der Verpflichtung, im Hinblick auf die von der Bundesregierung beschlossenen Änderungen des § 237 SGB VI unverzüglich über den klägerischen Altersteilzeitwunsch zu befinden. Dies gilt vor allem auch deshalb, weil im Dezember 2003 keine konkreten Anhaltspunkte vorlagen, welche die Annahme der Beklagten hätten rechtfertigen können, es werde im Gesetzgebungsverfahren nicht zur geplanten Anhebung des Renteneintrittsalters oder zu einer grundlegenden Änderung der beabsichtigten Vertrauensschutzregelung in § 237 Abs. 5 Nr. 2 SGB VI kommen.

39cc) Die Beklagte wäre zur Annahme des klägerischen Antrages vom verpflichtet gewesen, weil der Kläger Anspruch auf Altersteilzeit hatte.

40§ 10 TV UmBw verweist darauf, dass unter der Geltung des TV ATZ der Abschluss eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses möglich ist. § 2 Abs. 1 TV ATZ bestimmt ebenso wie § 10 Nr. 1 Satz 1 TV UmBw, dass der Arbeitgeber mit Arbeitnehmern, die das 55. Lebensjahr vollendet haben, unter bestimmten Voraussetzungen die Änderung des Arbeitsverhältnisses in ein Altersteilzeitarbeitsverhältnis auf der Grundlage des Altersteilzeitgesetzes vereinbaren kann. Der mit diesen „Kann-Vorschriften“ für den öffentlichen Arbeitgeber eröffnete weite Entscheidungsspielraum ist jedoch durch § 10 Nr. 1 Satz 2 TV UmBw eingeschränkt worden.

41Bei der Entscheidung über Altersteilzeitanträge von Arbeitnehmern ist der Arbeitgeber nicht frei in der Ausübung seines Ermessens. Ersichtlich haben die Tarifvertragsparteien mit der „Kann-Bestimmung“ nicht allein die Selbstverständlichkeit wiederholt, dass der Arbeitgeber Vertragsfreiheit genießt und daher mit den Arbeitnehmern auf der Grundlage des Altersteilzeitgesetzes Verträge schließen kann. Ein Arbeitnehmer hat vielmehr Anspruch darauf, dass der Arbeitgeber bei der Entscheidung über seinen Antrag billiges Ermessen gemäß § 315 BGB wahrt. Der Arbeitgeber ist daher verpflichtet, bei seiner Entscheidung die wesentlichen Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen und die beiderseitigen Interessen angemessen zu wahren ( - BAGE 96, 363 = AP ATG § 3 Nr. 1 = EzA TVG § 4 Altersteilzeit Nr. 1).

42Für eine ablehnende Entscheidung braucht der Arbeitgeber sachliche, nicht aber zwingend betriebliche oder dienstliche Gründe. Zu den sachlichen Gründen zählen auch finanzielle Erwägungen. Der Begriff des sachlichen Grundes umfasst zunächst dienstliche oder betriebliche Gründe, geht aber auch darüber hinaus. Dies bedeutet, dass dienstliche oder betriebliche Gründe stets auch sachliche Gründe sind, jedoch nicht jeder sachliche Grund gleichzeitig einen dienstlichen oder betrieblichen Grund darstellt.

43§ 10 Nr. 1 Satz 2 TV UmBw regelt im Zusammenhang mit der „Kann-Vorschrift“, dass der Arbeitgeber in den Fällen des Satzes 1 die Vereinbarung eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses ablehnen kann, soweit dienstliche bzw. betriebliche Gründe entgegenstehen. Da dieser Umstand bereits im Rahmen der Ausübung billigen Ermessens nach § 315 Abs. 1 BGB berücksichtigungsfähig ist, wäre diese tarifliche Regelung überflüssig, wenn ihr keine weitere Bedeutung beigemessen würde. Deshalb ist aus § 10 Nr. 1 Satz 2 TV UmBw zu folgern, dass für die Ablehnung eines Altersteilzeitantrages nach § 10 Nr. 1 Satz 1 TV UmBw nicht jedweder sachliche Grund genügt, sondern ausschließlich dienstliche oder betriebliche Gründe den Arbeitgeber zur Ablehnung eines Altersteilzeitwunsches berechtigen.

44Diese Einschränkung des Entscheidungsspielraums des Arbeitgebers ergibt sich auch aus dem Vergleich der Regelungen in § 10 Nr. 1 TV UmBw mit denen des § 2 TV ATZ. Während sich in § 10 Nr. 1 TV UmBw an Satz 1 (Altersteilzeit für Arbeitnehmer unter 60 Jahren) unmittelbar der Satz: „Der Arbeitgeber kann in diesen Fällen die Vereinbarung eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses ablehnen, soweit dienstliche bzw. betriebliche Gründe entgegenstehen“ anschließt, wird in § 2 Abs. 2 TV ATZ zunächst ein Rechtsanspruch auf Altersteilzeit für Arbeitnehmer begründet, die das 60. Lebensjahr vollendet haben und die übrigen Voraussetzungen des Abs. 1 erfüllen. Erst hiernach regelt § 2 Abs. 3 TV ATZ, dass der Arbeitgeber die Vereinbarung eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses ablehnen kann, soweit dringende dienstliche bzw. betriebliche Gründe entgegenstehen.

45Sowohl aus der systematischen Stellung als auch aus Sinn und Zweck der Regelungen in § 2 TV ATZ ist zu folgern, dass sich § 2 Abs. 3 TV ATZ lediglich auf Abs. 2 bezieht und in Bezug auf Abs. 1 (Altersteilzeit für Arbeitnehmer unter 60 Jahren) nicht anzuwenden ist ( - BAGE 96, 363 = AP ATG § 3 Nr. 1 = EzA TVG § 4 Altersteilzeit Nr. 1). Abs. 1 erlaubt dem Arbeitgeber die Ablehnung eines Altersteilzeitantrages eines unter 60-jährigen Arbeitnehmers im Rahmen billigen Ermessens gemäß § 315 BGB. Er stellt somit deutlich niedrigere Anforderungen an die Möglichkeit der Ablehnung (im Ergebnis ebenso: Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese BAT Stand Juni 2006 Teil VI - Altersteilzeit-TV Erl. 13.3). Da sich im Gegensatz hierzu in § 10 Nr. 1 TV UmBw die Möglichkeit der Einwendung „dienstlicher bzw. betrieblicher Gründe“ unmittelbar an die „Kann-Regelung“ des Satzes 1 (Altersteilzeit für Arbeitnehmer unter 60 Jahren) anschließt, ist zu folgern, dass eine Ablehnung von Altersteilzeitwünschen der unter 60-jährigen Arbeitnehmer nur bei Vorliegen dienstlicher oder betrieblicher Gründe möglich ist.

46Mit Stellungnahme vom hatte der Leiter der Beschäftigungsdienststelle bestätigt, dass der „beantragten Altersteilzeit dringende dienstliche Belange“ nicht entgegenstehen. Auch hat die Beklagte im Rechtsstreit keine Gründe vorgetragen, weshalb der Altersteilzeitantrag des Klägers abzulehnen gewesen wäre.

47dd) Die rechtzeitige Annahme des Altersteilzeitantrages des Klägers war der Beklagten nicht unmöglich oder unzumutbar. Selbst wenn zu ihren Gunsten unterstellt wird, der Altersteilzeitantrag vom habe erst am Freitag, dem , bei der Beschäftigungsdienststelle vorgelegen, so ist nicht ersichtlich, weshalb eine abschließende Bearbeitung an den verbleibenden vier Arbeitstagen (Montag 22., Dienstag 23., Montag 29. und Dienstag ) nicht möglich gewesen sein soll. Zwar konnte der Altersteilzeitantrag nicht von der Beschäftigungsdienststelle in G rechtsverbindlich angenommen werden, aber weshalb eine kurzfristige Weiterleitung an die Standortverwaltung Z nicht möglich gewesen war, ist weder erkennbar noch von der Beklagten nachvollziehbar dargetan.

48Hinzu kommt, dass die Beklagte aufgrund ihrer Kenntnis des Gesetzentwurfes mit der darin enthaltenen Stichtagsregelung organisatorische Maßnahmen hätte treffen müssen, um kurzfristig auf Wünsche von Arbeitnehmern auf Abschluss von Altersteilzeit- oder Aufhebungsvereinbarungen reagieren zu können. Wenn die Bundesregierung in einem Gesetzesentwurf einen zeitnahen Stichtag bezeichnet und zur Begründung angibt, dass mit der Festsetzung des Stichtages insbesondere gewährleistet werde, dass potenziell berechtigte Versicherte die Möglichkeit zur Vereinbarung von Altersteilzeit überprüfen und gegebenenfalls noch einen Vertrag über Altersteilzeitarbeit abschließen können, so muss zumindest die öffentliche Verwaltung die Gewähr dafür schaffen, dass entsprechende Anträge ihrer Arbeitnehmer zeitnah, dh. vor dem Stichtag verbeschieden werden.

49Ein solcher zeitnaher Abschluss der vom Kläger gewünschten Altersteilzeitvereinbarung wäre trotz des engen Zeitrahmens auch möglich gewesen. Der Altersteilzeitantrag war bereits so konkret, dass es keiner weiteren Kommunikation zwischen dem Kläger und der Beklagten vor Annahme des Antrages bedurft hätte. Um dem Schriftformerfordernis des § 4 BAT zu genügen, wäre es möglich gewesen, auf dem schriftlichen Antrag des Klägers die Annahme des Altersteilzeitantrages zu erklären.

50Soweit das Landesarbeitsgericht auf eine der Beklagten zuzubilligende Überlegungsfrist abstellt, die am noch nicht abgelaufen gewesen sei, findet diese Annahme weder in den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts noch im Parteivortrag eine Stütze. Dass bei der Beklagten vor Ablauf des überlegt worden ist, ob der Altersteilzeitantrag des Klägers angenommen werden soll, ist nicht vorgetragen. Die Beklagte hat lediglich ausgeführt: „Damit reduziert sich die Begründung des Anspruchs durch den Kläger darauf, dass er behauptet, die Beklagte sei verpflichtet gewesen, a) seinen Antrag vom während der Weihnachtszeit bis spätestens abschließend zu bearbeiten und zu bescheiden und b) diesem Antrag stattzugeben. Woraus eine solche doppelte Rechtspflicht der Beklagten abgeleitet werden können soll ist im gesamten bisherigen klägerischen Vorbringen nicht dargelegt und für die Beklagte unerfindlich.“

51ee) Der Verstoß der Beklagten gegen die ihr obliegende Verpflichtung, noch im Jahr 2003 den Antrag des Klägers auf Abschluss eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses anzunehmen, erfolgte schuldhaft im Sinne des § 276 BGB.

52Nach § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB haftet der Schuldner nicht, wenn er die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. Aus der Formulierung des Gesetzes ergibt sich, dass der Schuldner die Darlegungs- und Beweislast für das Nichtvertretenmüssen trägt. Steht daher die Verletzung der Pflichten aus einem Schuldverhältnis fest, muss sich der Schuldner entlasten. Dies hat die Beklagte nicht getan. Hierbei ist es gleichgültig, ob sie sich ein Verschulden des Leiters der Beschäftigungsdienststelle in G (wegen einer möglicherweise verzögerten Weiterreichung des Antrages) oder ein Verschulden der Leiterin der Standortverwaltung Z (wegen verzögerter Bearbeitung) nach § 278 BGB zurechnen lassen muss oder ob ein eigenes Organisationsverschulden wegen der unzureichenden Verfahrensabläufe anzunehmen ist.

53b) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts liegt kein anspruchsminderndes oder anspruchsausschließendes Mitverschulden des Klägers vor.

54Das Berufungsgericht meint, es hätte dem Kläger oblegen, sich über Änderungen im Sozialversicherungsrecht zu informieren. Auch sei die Beklagte nicht verpflichtet gewesen, über den Altersteilzeitantrag vom „postwendend“ zu befinden, weil der Kläger nicht ausdrücklich auf die Eilbedürftigkeit hingewiesen und seinen Altersteilzeitantrag nicht mit Nachdruck weiterverfolgt habe. Vielmehr sei er in der Folgezeit (mündlich bzw. fernmündlich) auf die Beklagte zugekommen und habe um einen Auflösungsvertrag nachgesucht. Damit habe er sich widersprüchlich verhalten und eine unklare Lage geschaffen. Von diesem Geschehensablauf ist das Landesarbeitsgericht aufgrund der Feststellungen in der Niederschrift über die Verhandlung vor dem Arbeitsgericht am in Verbindung mit den Feststellungen im arbeitsgerichtlichen Urteil ausgegangen.

Die diesbezüglichen Passagen in der Sitzungsniederschrift vom lauten:

Die entsprechenden Ausführungen im Tatbestand des arbeitsgerichtlichen Urteils lauten:

57Zutreffend ist, dass sich der Kläger vor dem Stellen seines Altersteilzeitantrages über die aktuelle Rechtslage nicht informiert und keine Erkundigungen über etwaige Gesetzesvorhaben eingezogen hatte. Allerdings war dies nicht kausal für den eingetretenen Schaden. Selbst wenn sich der Kläger über die beabsichtigte Gesetzesänderung und den beabsichtigten Stichtag informiert hätte, wäre der Schaden in Form des entgangenen Rentenbezuges gleichwohl entstanden, da die Beklagte ihrer Verpflichtung nicht nachgekommen ist, über den noch rechtzeitig gestellten Antrag bis zum zu entscheiden.

58Kausal wäre die unterlassene Informationseinholung durch den Kläger nur dann, wenn er - wie das Landesarbeitsgericht im Ergebnis wohl meint - die Beklagte auf die beabsichtigte Gesetzesänderung und die deshalb erforderliche beschleunigte Sachbearbeitung seines Antrages hätte hinweisen müssen.

59Unabhängig von der Frage, ob für den Kläger eine solche Rechtspflicht überhaupt bestehen konnte, bedurfte es im Streitfalle eines Hinweises auf die Eilbedürftigkeit allein deshalb nicht, weil die Beklagte den Gesetzesentwurf nebst der vorgesehenen Stichtagsregelung kannte.

60Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, der Kläger habe sich widersprüchlich verhalten, ist aufgrund des festgestellten Sachverhalts nicht begründet. Zwar hatte der Kläger seinen Altersteilzeitantrag im Dezember 2003 gestellt und im zeitlichen Fortgang den Abschluss eines Aufhebungsvertrages begehrt. Für das Entstehen der Schadensersatzpflicht der Beklagten war deren Pflichtverletzung bis einschließlich Voraussetzung. Ein Mitverschulden des Klägers wäre mithin nur berücksichtigungsfähig, wenn dieses bis einschließlich eingetreten wäre. Daher müsste der Kläger sein widersprüchliches Verhalten bis zu diesem Zeitpunkt an den Tag gelegt haben. Dies könnte nur dann der Fall sein, wenn er den Wunsch auf Abschluss eines Auflösungsvertrages gegenüber der Beklagten vor dem geäußert hätte. Dies ist aber weder von der insoweit für das Vorliegen eines Mitverschuldens des Klägers darlegungspflichtigen Beklagten vorgetragen noch sonst ersichtlich. Die Beklagte hat ausweislich des Protokolls über die Kammerverhandlung vom vor dem Arbeitsgericht vielmehr erklärt, der Kläger habe sich wohl zwischen dem und dem wegen der Auflösungsvereinbarung an sie gewandt. Infolgedessen trägt sogar die Beklagte selbst vor, es könne durchaus sein, dass der Kläger sein Auflösungsbegehren erst im Januar 2004 geäußert habe. In diesem Fall könnte er sich aber nicht vor dem schadensrelevanten widersprüchlich verhalten haben.

III. Die Beklagte hat nach § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Fundstelle(n):
BB 2011 S. 1011 Nr. 16
BB 2011 S. 1663 Nr. 26
DB 2011 S. 1060 Nr. 18
WAAAD-80270