BAG Urteil v. - 8 AZR 614/08

Betriebsübergang - Widerspruch - Verwirkung

Gesetze: § 613a Abs 1 BGB, § 613a Abs 5 BGB, § 613a Abs 6 BGB, § 242 BGB

Instanzenzug: ArbG Solingen Az: 1 Ca 185/07 lev Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Düsseldorf Az: 7 Sa 1199/07 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten darüber, ob zwischen ihnen über den hinaus ein Arbeitsverhältnis besteht.

2Im Oktober 2004 war der Kläger bei der Beklagten beschäftigt. Sein Arbeitsverhältnis war dem Geschäftsbereich C I (CI) zugeordnet, er verdiente zuletzt monatlich 3.433,00 Euro brutto.

Mit Schreiben vom informierte die Beklagte den Kläger über die beabsichtigte Übertragung des Geschäftsbereichs CI auf die A GmbH. Darin wurde dem Kläger ua. mitgeteilt:

4Mit Wirkung zum wurde der Geschäftsbereich CI ausgegliedert und auf die neu gegründete A GmbH übertragen. Der Kläger widersprach dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf diese GmbH zunächst nicht.

5Am stellte die A GmbH Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, die am erfolgte.

Im Januar 2006 schlossen der Kläger, die A GmbH und eine Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft namens „C GmbH“ einen dreiseitigen Vertrag, in dem es ua. heißt:

7Der Kläger arbeitete ab dem bei der C GmbH.

8Mit Schreiben vom bot die Beklagte dem Kläger eine Vereinbarung an, wonach sie sich verpflichtete, an den Kläger eine sogenannte VUEK-Zahlung iHv. 250,00 Euro für das Jahr 2004 zu zahlen. Unter Ziff. 3 dieser Vereinbarung wird geregelt, dass sich die Parteien einig sind, dass das Arbeitsverhältnis am auf die A GmbH übergegangen ist. Zusätzlich enthält die Vereinbarung die Verpflichtung des Klägers, auch künftig keinen Widerspruch zu erklären. Der Kläger äußerte sich zu diesem Angebot nicht, er unterschrieb es auch nicht.

9Durch Anwaltsschreiben vom ließ der Kläger gegenüber der Beklagten wegen unvollständiger bzw. fehlerhafter Informationen im Zusammenhang mit dem Betriebsübergang den Widerspruch gegen den Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf die A GmbH erklären.

10Der Kläger ist der Ansicht, er habe im Januar 2007 dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses von der Beklagten auf die A GmbH noch wirksam widersprechen können, weil infolge der nicht ausreichenden Unterrichtung durch die Beklagte im Schreiben vom über den beabsichtigten Betriebsübergang die einmonatige Widerspruchsfrist des § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB nicht in Gang gesetzt worden sei.

Der Kläger hat beantragt

12Zur Begründung ihres Klageabweisungsantrages hat die Beklagte die Auffassung vertreten, die Unterrichtung des Klägers genüge den gesetzlichen Anforderungen des § 613a Abs. 5 BGB. Der Widerspruch des Klägers sei deshalb verspätet. Jedenfalls habe der Kläger sein Widerspruchsrecht verwirkt.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers blieb vor dem Landesarbeitsgericht erfolglos. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter.

Gründe

14Die Revision des Klägers ist unbegründet. Zwischen den Parteien besteht kein Arbeitsverhältnis mehr, weil dieses mangels eines wirksamen Widerspruchs des Klägers ab dem auf die A GmbH nach § 613a Abs. 1 BGB übergegangen ist.

15A. Das Landesarbeitsgericht hat sein klageabweisendes Urteil im Wesentlichen wie folgt begründet:

16Es könne dahinstehen, ob die Widerspruchsfrist des § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB infolge fehlerhafter Unterrichtung noch nicht zu laufen begonnen habe. Der Widerspruch des Klägers sei in analoger Anwendung des Rechtsgedankens des § 144 BGB nicht mehr zulässig. Der Kläger habe durch Abschluss des dreiseitigen Vertrages den Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf die A GmbH bestätigt. Außerdem sei das Verhalten des Klägers rechtsmissbräuchlich.

17B. Dem Landesarbeitsgericht ist im Ergebnis zu folgen, weil das Widerspruchsrecht des Klägers zum Zeitpunkt seiner Ausübung mit Schreiben vom verwirkt war.

18I. Wie der Senat bereits in einer Vielzahl von gleich gelagerten Fällen entschieden hat, entspricht die Unterrichtung durch die Beklagte vom über den beabsichtigten Betriebsteilübergang nicht den Anforderungen des § 613a Abs. 5 BGB. Sie setzt damit die einmonatige Widerspruchsfrist des § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB für die betroffenen Arbeitnehmer nicht in Lauf (vgl. zB - 8 AZR 1016/06 - NZA 2008, 1354 oder - 8 AZR 175/07 - AP BGB § 613a Nr. 347).

19II. Das Widerspruchsrecht des Klägers ist verwirkt.

20Der Senat hat mehrmals entschieden, dass das Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers grundsätzlich verwirken kann (vgl. zB - 8 AZR 175/07 - AP BGB § 613a Nr. 347).

211. Die Verwirkung ist ein Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB). Mit der Verwirkung wird die illoyal verspätete Geltendmachung von Rechten ausgeschlossen. Sie dient dem Vertrauensschutz und verfolgt nicht den Zweck, den Schuldner stets dann von seiner Verpflichtung zu befreien, wenn dessen Gläubiger längere Zeit seine Rechte nicht geltend gemacht hat (Zeitmoment). Der Berechtigte muss vielmehr unter Umständen untätig geblieben sein, die den Eindruck erweckt haben, dass er sein Recht nicht mehr geltend machen wolle, so dass der Verpflichtete sich darauf einstellen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden (Umstandsmoment). Hierbei muss das Erfordernis des Vertrauensschutzes auf Seiten des Verpflichteten das Interesse des Berechtigten derart überwiegen, dass ihm die Erfüllung des Anspruchs nicht mehr zuzumuten ist.

22Schon nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vor dem Inkrafttreten des § 613a Abs. 5 und 6 BGB konnte das Widerspruchsrecht wegen Verwirkung ausgeschlossen sein. An dieser Rechtsprechung hat der Senat im Einklang mit der herrschenden Auffassung im Schrifttum auch nach der neuen Rechtslage festgehalten. Die Tatsache, dass der Gesetzgeber eine Widerspruchsfrist eingeführt hat, schließt eine Anwendung der allgemeinen Grundsätze nicht aus, weil jedes Recht nur unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben ausgeübt werden kann (Senat - 8 AZR 431/06 - mwN, BAGE 121, 289 = AP BGB § 613a Nr. 320 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 64).

23Angesichts der gesetzlichen Regelung kann hinsichtlich des Zeitmoments nicht auf eine feststehende Monatsfrist, beispielsweise von sechs Monaten abgestellt werden. Im Gesetzgebungsverfahren sind nämlich Vorschläge auf Aufnahme einer generellen Höchstfrist von drei (BR-Drucks. 831/1/01 S. 2) bzw. sechs Monaten (BT-Drucks. 14/8128 S. 4) nicht aufgegriffen worden. Abzustellen ist vielmehr auf die konkreten Umstände des Einzelfalles (Senat - 8 AZR 431/06 - BAGE 121, 289 = AP BGB § 613a Nr. 320 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 64). Dabei ist, wie der Senat bereits zur Verwirkung der Geltendmachung eines Betriebsübergangs ( - 8 AZR 106/99 -) ausgeführt hat, davon auszugehen, dass bei schwierigen Sachverhalten die Rechte des Arbeitnehmers erst nach längerer Untätigkeit verwirken können. Zutreffend ist es weiterhin auch, die Länge des Zeitablaufes in Wechselwirkung zu dem ebenfalls erforderlichen Umstandsmoment zu setzen. Je stärker das gesetzte Vertrauen oder die Umstände, die eine Geltendmachung für den Anspruchsgegner unzumutbar machen, sind, desto schneller kann ein Anspruch verwirken. Es müssen letztlich besondere Verhaltensweisen sowohl des Berechtigten als auch des Verpflichteten vorliegen, die es rechtfertigen, die späte Geltendmachung des Rechts als mit Treu und Glauben unvereinbar und für den Verpflichteten als unzumutbar anzusehen (Senat - 8 AZR 431/06 - mwN, aaO).

242. Zwischen der Unterrichtung des Klägers mit Schreiben vom über den bevorstehenden Betriebsteilübergang und seinem Widerspruch mit Schreiben vom liegt ein Zeitraum von über zwei Jahren. Eine solche Zeitspanne erfüllt das für das Vorliegen einer Verwirkung erforderliche Zeitmoment (Senat - 8 AZR 175/07 - AP BGB § 613a Nr. 347; - 8 AZR 473/07 -).

253. Es entspricht der Rechtsprechung des Senats, dass dann, wenn ein Arbeitnehmer eine vom Betriebserwerber ausgesprochene Kündigung nicht angreift ( - 8 AZR 175/07 - AP BGB § 613a Nr. 347) oder durch den Abschluss eines Aufhebungsvertrages mit dem Betriebserwerber über sein Arbeitsverhältnis disponiert ( - 8 AZR 174/07 - BAGE 128, 328 = AP BGB § 613a Nr. 363 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 106), das für die Annahme einer Verwirkung erforderliche Umstandsmoment erfüllt sein kann.

26a) Allein die widerspruchslose Weiterarbeit des Klägers bei der A GmbH ab dem begründete noch keine Verwirkung des Widerspruchsrechts des nicht ordnungsgemäß nach § 613a Abs. 5 BGB unterrichteten Klägers (Senat - 8 AZR 1016/06 - NZA 2008, 1354).

27b) Aufgrund des Gesamtverhaltens des Klägers durfte die Beklagte jedoch davon ausgehen, dieser werde sein Widerspruchsrecht nicht mehr ausüben (Erfüllung des Umstandsmoments).

28Es entspricht der Rechtsprechung des Senats, dass ein Arbeitnehmer dadurch, dass er über sein Arbeitsverhältnis disponiert, das für die Annahme einer Verwirkung erforderliche Umstandsmoment erfüllt. Eine derartige Disposition kann in dem Abschluss eines Aufhebungsvertrages mit dem Betriebserwerber zu sehen sein ( - 8 AZR 174/07 - BAGE 128, 328 = AP BGB § 613a Nr. 363 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 106). Dies hat der Kläger vorliegend getan und er hat darüber hinaus im selben Vertrag ein neues Arbeitsverhältnis mit einem dritten Arbeitgeber abgeschlossen. Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hätte er zudem bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt erkennen können, dass er mit dem Abschluss dieses Vertrages die Betriebserwerberin als Arbeitgeberin ausdrücklich bestätigt und dass er selbst in Kenntnis von einem möglicherweise noch bestehenden Widerspruchsrecht auf das Führen von Bestandsstreitigkeiten „gegen seinen Arbeitgeber“ vorbehaltlos verzichtet hat. Damit hat der Kläger sein Interesse an der Aufrechterhaltung seines Arbeitsverhältnisses mit der A GmbH ebenso aufgegeben wie er mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch ausdrücklich erklärt hat, keine Bestandsstreitigkeiten in dieser Hinsicht mehr zu führen. Dies kann nur so verstanden werden, dass der Kläger bei Unterzeichnung der dreiseitigen Vereinbarung auch auf die Möglichkeit verzichtete, noch einmal zur Beklagten zurückzukehren.

29c) Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht auch dem Schreiben der Beklagten vom Mai 2006 zur „VUEK-Zahlung“ keine durchgreifende rechtliche Bedeutung beigemessen. Dieses Angebot, das Jahr 2004 betreffend, erfolgte mit Schreiben vom , also nachdem der Kläger bereits den dreiseitigen Vertrag mit der A GmbH und der C GmbH im Januar 2006 geschlossen und dadurch sein Widerspruchsrecht verwirkt hatte. Auf die Rechtsauffassungen der Beklagten vom Mai 2006 kommt es ebenso wenig an wie darauf, dass sich der Kläger danach noch über acht Monate Zeit ließ bis zur Erklärung des Widerspruchs gegen den Übergang seines „Arbeitsverhältnisses“.

304. Auf die Verwirkung darf sich die Beklagte berufen, unabhängig davon, ob ihr alle vom Kläger verwirklichten Umstandsmomente bekannt geworden sind. Bei der Verwirkung des Widerspruchsrechts im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang genügt es, dass einer der Verpflichteten von den vertrauensbildenden Umständen Kenntnis hat. Jedenfalls im unmittelbaren Verhältnis zwischen Betriebsveräußerer und Betriebserwerber sieht das Gesetz grundsätzlich eine gemeinsame Verpflichtung und Berechtigung beider aus dem Arbeitsverhältnis vor. Daraus folgt, dass immer dann, wenn sich der Betriebserwerber als neuer Arbeitgeber auf Verwirkungsumstände berufen könnte, diese auch der Betriebsveräußerer als früherer Arbeitgeber für sich in Anspruch nehmen kann.

31Die Unterrichtungspflicht nach § 613a Abs. 5 BGB trifft als Gesamtschuldner sowohl den bisherigen Arbeitgeber als auch den neuen Inhaber. Der von einem Betriebsübergang betroffene Arbeitnehmer erlangt die Fortdauer seines Widerspruchsrechts sowohl durch Informationsfehler des einen wie des anderen. Wenn das Gesetz in der Frage der Informationspflicht zum Betriebsübergang den alten und neuen Arbeitgeber als Einheit sieht, liegt es nahe, Betriebsveräußerer und Betriebserwerber auch hinsichtlich des Informationsstands zum Arbeitnehmerverhalten einheitlich aufzufassen. Auch Art. 3 Abs. 2 der RL 2001/23/EG fingiert einen gleichen Informationsstand von Veräußerer und Erwerber über die Rechte und Pflichten der übergegangenen Arbeitsverhältnisse. Entscheidend kommt hinzu, dass nach § 613a Abs. 6 Satz 2 BGB der Arbeitnehmer den Widerspruch sowohl gegenüber dem bisherigen Arbeitgeber (Betriebsveräußerer) als auch gegenüber dem neuen Inhaber (Betriebserwerber) erklären kann. Der Widerspruch kann aber nicht gegenüber dem neuen Arbeitgeber verwirkt sein, weil dieser die eingetretenen „Umstände“ subjektiv kennt, gegenüber dem bisherigen Arbeitgeber wegen dessen Unkenntnis jedoch nicht. Für das Schuldverhältnis von Betriebsveräußerer und Betriebserwerber als Gesamtschuldner gegenüber dem Arbeitnehmer als Berechtigtem ist in § 613a BGB, insbesondere in dessen Abs. 6 „ein anderes“ normiert (§ 425 Abs. 1 BGB). Neuer und alter Arbeitgeber können sich wechselseitig auf die Kenntnis des anderen vom Arbeitnehmerverhalten berufen. Eine nachgewiesene subjektive Kenntnis des in Anspruch genommenen Verpflichteten ist nicht erforderlich, wenn feststeht, dass dieses Verhalten wenigstens dem anderen Verpflichteten bekannt geworden ist (Senat - 8 AZR 174/07 - BAGE 128, 328 = AP BGB § 613a Nr. 363 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 106; so auch Gaul/Niklas DB 2009, 452).

C. Der Kläger hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.

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Fundstelle(n):
FAAAD-80267