BGH Beschluss v. - I ZB 13/10

Grundsatz des gesetzlichen Richters: Verletzung der Pflicht zur Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union

Gesetze: Art 101 Abs 1 S 2 GG, Art 263 Abs 3 AEUV

Instanzenzug: Az: 25 W (pat) 224/03 Beschluss

Gründe

1I. Die Antragstellerin hat die Löschung der am angemeldeten und am für die Markeninhaberin für "Pharmazeutische Erzeugnisse, insbesondere Humanarzneimittel" eingetragenen Wortmarke Nr. 300 85 104

beantragt, weil diese bösgläubig angemeldet worden sei.

2Das Deutsche Patent- und Markenamt hat den Löschungsantrag zurückgewiesen. Die Beschwerde der Antragstellerin ist ohne Erfolg geblieben. Auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin hat der Senat die Beschwerdeentscheidung aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Bundespatentgericht zurückverwiesen (, GRUR 2009, 780 = WRP 2009, 820 – Ivadal I). Das Bundespatentgericht hat den Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamts nunmehr aufgehoben und die Löschung der Marke angeordnet. Dagegen wendet sich die Markeninhaberin mit ihrer nicht zugelassenen Rechtsbeschwerde.

3II. Das Bundespatentgericht hat angenommen, die Beschwerde habe auf der Grundlage der vom Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom dargelegten Rechtsauffassung Erfolg. Es bestehe keine Veranlassung, dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen zur Auslegung des Begriffs der Bösgläubigkeit vorzulegen.

4III. Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

51. Die Statthaftigkeit der form- und fristgerecht eingelegten Rechtsbeschwerde folgt daraus, dass ein im Gesetz aufgeführter, die zulassungsfreie Rechtsbeschwerde eröffnender Verfahrensmangel gerügt wird. Die Rechtsbeschwerde beruft sich auf eine Versagung des rechtlichen Gehörs (§ 83 Abs. 3 Nr. 3 MarkenG) und hat dies im Einzelnen ausgeführt. Für die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde kommt es nicht darauf an, ob die Rüge durchgreift (st. Rspr.; vgl. , GRUR 2008, 1126 Rn. 6 = WRP 2008, 1550 - Weisse Flotte).

62. Die Rechtsbeschwerde ist jedoch unbegründet. Das Verfahren vor dem Bundespatentgericht verletzt die Markeninhaberin nicht in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör.

7a) Die Rüge der Rechtsbeschwerde, das Bundespatentgericht habe dadurch gegen den Anspruch der Markeninhaberin auf rechtliches Gehör verstoßen, dass es sich geradezu "sklavisch" am Beschluss des Senats vom orientiert habe und damit eine eigene Entscheidung vermissen lasse, ist unbegründet. Das Bundespatentgericht ist mit Recht davon ausgegangen, dass es nach der Zurückverweisung der Sache an die rechtliche Beurteilung gebunden war, die der Senat in seinem Beschluss vom der Aufhebung der ersten Beschwerdeentscheidung zugrunde gelegt hat (§ 89 Abs. 4 Satz 2 MarkenG). Die nach der bindenden Rechtsansicht der Senatsentscheidung vom maßgeblichen Tatsachen, insbesondere welche Personenkreise ernsthaft als mögliche Lizenznehmer oder Erwerber der angemeldeten Marke in Betracht kommen, hat das Bundespatentgericht festgestellt und dabei auch den nach der Zurückverweisung von der Markeninhaberin gehaltenen neuen Vortrag berücksichtigt. Aus seiner Feststellung, im vorliegenden Fall kämen für eine beabsichtigte Lizenzierung oder Veräußerung der Marke ernsthaft nur der Hersteller des Arzneimittels "Ivadal" und die Parallelimporteure als Interessenten in Betracht, folgt, dass auch die weitere Rüge der Rechtsbeschwerde ohne Erfolg bleibt, das Bundespatentgericht habe den Anspruch der Markeninhaberin auf rechtliches Gehör verletzt, weil es deren Vortrag übergangen habe, dass eine mögliche Zielgruppe für den Erwerb der Marke oder einer Lizenzierung die Parallelimporteure seien.

8b) Soweit die Rechtsbeschwerde eine Verletzung der Pflicht zur Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 Abs. 3 AEUV rügt, kann offenbleiben, ob diese Rüge die zulassungsfreie Rechtsbeschwerde nach § 83 Abs. 3 Nr. 1 oder Nr. 3 MarkenG eröffnet (vgl. dazu , GRUR 2008, 1027 Rn. 24 = WRP 2008, 1438 - Cigarettenpackung; Beschluss vom - I ZB 107/08, GRUR 2009, 994 Rn. 10 = WRP 2009, 1102 - Vierlinden, mwN). Das Bundespatentgericht hat nicht gegen die Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV und daher auch nicht gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2, Art. 103 Abs. 1 GG verstoßen.

9aa) Eine Verletzung des Grundsatzes des gesetzlichen Richters im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG wegen eines Verstoßes gegen die Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV setzt voraus, dass die Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union willkürlich unterblieben ist, weil sie bei Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (BVerfGE 82, 159, 194 f.; BGH, GRUR 2009, 994 Rn. 11 - Vierlinden). Davon ist auszugehen, wenn ein letztinstanzliches Gericht zur Klärung der Auslegung einer gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift eine Vorlage überhaupt nicht erwägt, obwohl es Zweifel an der zutreffenden Beurteilung der entscheidungserheblichen Auslegungsfrage hat oder das Bestehen einer Vorlagepflicht jedenfalls naheliegt (vgl. BVerfG [Kammer], GRUR 2010, 999 Rn. 50), oder wenn das erkennende Gericht bewusst von einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union abweicht, ohne vorzulegen und es in den genannten Fällen den ihm insoweit notwendig zukommenden Beurteilungsrahmen dadurch in unvertretbarer Weise überschreitet (BVerfG [Kammer], NJW 2010, 1268, 1269). Dabei kommt es für die Prüfung einer Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht in erster Linie auf die Vertretbarkeit der fachgerichtlichen Auslegung des für den Streitfall maßgeblichen materiellen Unionsrechts an, sondern auf die Vertretbarkeit der Handhabung der Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV (BVerfG [Kammer], GRUR 2010, 999 Rn. 48 mwN).

10bb) Diese Voraussetzungen einer Verletzung der Vorlagepflicht sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Das Bundespatentgericht hat eine Vorlage erwogen und seine Entscheidung auch nicht in bewusster Abweichung von der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union getroffen. Es hat von einer Vorlage vielmehr abgesehen, weil der Gerichtshof in seiner Entscheidung vom - C-529/07, Slg. 2009-I, 4893 = GRUR 2009, 763 - Lindt & Sprüngli ./. Franz Hauswirth zur Auslegung des Begriffs der Bösgläubigkeit im Sinne von Art. 51 Abs. 1 Buchst. b GMV bereits Stellung genommen hat. Der Gerichtshof habe dort, so das Bundespatentgericht in dem angefochtenen Beschluss, ausgeführt, dass bei der Beurteilung der Frage, ob der Anmelder bösgläubig sei, das nationale Gericht gehalten sei, alle erheblichen Faktoren zu berücksichtigen, die dem von ihm zu entscheidenden Fall eigen seien und zum Zeitpunkt der Einreichung der Anmeldung eines Zeichens als Gemeinschaftsmarke vorlägen; dazu gehörten insbesondere die Tatsache, dass der Anmelder wisse oder wissen müsse, dass ein Dritter in mindestens einem Mitgliedstaat ein gleiches oder ähnliches Zeichen für eine gleiche oder mit dem angemeldeten Zeichen verwechselbar ähnliche Ware verwende, die Absicht des Anmelders, diesen Dritten an der weiteren Verwendung eines solchen Zeichens zu hindern, sowie der Grad des rechtlichen Schutzes, der dem Zeichen des Dritten und dem angemeldeten Zeichen zukomme. Nach dieser Rechtsprechung des Gerichtshofs könne - so das Bundespatentgericht weiter - der Umstand, wer eine Marke anmelde und wie er oder andere sie bereits benutzten, relevant dafür sein, ob der Anmelder bei der Anmeldung bösgläubig gewesen sei. Wenn - wie vorliegend - ein Anmelder die Marke nicht selbst benutzen, sondern mit ihr nur verhindern wolle, dass andere sie im Inland benutzen könnten (und Parallelimporteure umzeichnen müssten oder dürften), bestehe kein Anlass, die von der Markeninhaberin vorgeschlagenen Fragen dem Gerichtshof vorzulegen. Diese Fragen beträfen außerdem allenfalls einen Ausschnitt des vorliegenden Sachverhalts und umfassten nicht alle Umstände des Einzelfalls. Sie könnten daher vom Gerichtshof auch nur dahingehend beantwortet werden, dass alle erheblichen Faktoren zu berücksichtigen seien. Es seien hier keine relevanten Umstände erkennbar, die der Bundesgerichtshof in seiner Rechtsbeschwerdeentscheidung nicht bereits berücksichtigt habe und die die Bindungswirkung des § 89 Abs. 4 Satz 2 MarkenG aufgrund höherrangigen Rechts entfallen lassen könnten (vgl. dazu , GRUR 2007, 55 Rn. 12 - Farbmarke gelb/grün II).

11Damit hat das Bundespatentgericht den Beurteilungsrahmen, der einem letztinstanzlichen Gericht bei der Prüfung der Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV zukommt, nicht in unvertretbarer Weise überschritten. Das Bundespatentgericht hat rechtsfehlerfrei die zu Art. 51 Abs. 1 Buchst. b GMV ergangene Entscheidung des Gerichtshofs vom in Sachen Lindt & Sprüngli ./. Franz Hauswirth zur Auslegung des Begriffs der Bösgläubigkeit des Markenanmelders im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Buchst. d MarkenRL herangezogen; zwischen beiden Vorschriften besteht insoweit kein Unterschied. Der österreichische Oberste Gerichtshof hatte in der Sache Lindt & Sprüngli ./. Franz Hauswirth den Gerichtshof der Europäischen Union gefragt, ob bei Vorliegen der in den Vorlagefragen im Einzelnen aufgeführten Umstände ein Anmelder einer Gemeinschaftsmarke als bösgläubig anzusehen sei. Der Gerichtshof hat die ihm vorgelegten Fragen weder bejaht noch verneint, sondern unter Hinweis darauf, dass er nur mit der Fallgestaltung der ihm vorgelegten Rechtssache befasst und die Bösgläubigkeit des Anmelders im Sinne von Art. 51 Abs. 1 Buchst. b GMV umfassend zu beurteilen sei, geantwortet, dass das nationale Gericht für die Beurteilung der Frage, ob der Anmelder bösgläubig sei, gehalten sei, alle erheblichen Faktoren zu berücksichtigen, die dem von ihm zu entscheidenden Fall eigen seien und zum Zeitpunkt der Einreichung der Anmeldung eines Zeichens als Gemeinschaftsmarke vorlägen, insbesondere die in den Vorlagefragen angeführten Faktoren (EuGH, GRUR 2009, 763 Rn. 36 f., 53). Die Auffassung des Bundespatentgerichts, eine Vorlage an den Gerichtshof sei daher im vorliegenden Fall nicht geboten, weil dieser mögliche Vorlagefragen auch nur dahingehend beantworten könne, dass alle erheblichen Faktoren zu berücksichtigen seien, begegnet demzufolge aus Rechtsgründen keinen Bedenken. Jedenfalls hat das Bundespatentgericht damit seinen Beurteilungsrahmen nicht in unvertretbarer Weise überschritten.

12cc) Folglich hat es unter dem Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen die Vorlagepflicht auch den Anspruch der Markeninhaberin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) nicht verletzt.

13c) Das Bundespatentgericht hat den Anspruch der Markeninhaberin auf rechtliches Gehör ferner nicht dadurch verletzt, dass es, wie die Rechtsbeschwerde rügt, nicht näher auf den Wertungswiderspruch eingegangen ist, den die Markeninhaberin im Hinblick auf das Senatsurteil vom - I ZR 148/04, BGHZ 173, 230 - CORDARONE geltend gemacht hat. In der Rechtsbeschwerdeentscheidung des Senats vom ist bereits aufgezeigt worden, aus welchen Gründen die vorliegende Fallgestaltung im Hinblick auf die Bösgläubigkeit bei der Anmeldung anders zu beurteilen ist als der der Senatsentscheidung "CORDARONE" zugrunde liegende Sachverhalt (vgl. BGH, GRUR 2009, 780 Rn. 24 f. – Ivadal I). Darauf hat sich das Bundespatentgericht in der angefochtenen Entscheidung bezogen. Zu einer weiteren Auseinandersetzung mit dem Vorbringen der Markeninhaberin war das Bundespatentgericht zur Wahrung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht gehalten.

14IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 90 Abs. 2 Satz 1 MarkenG.

Bornkamm                                    Pokrant                                   Schaffert

                         Bergmann                                  Koch

Fundstelle(n):
RAAAD-80088