Insolvenzanfechtung: Bewertung von Ausschüttungen im Rahmen eines als Schneeballsystem geführten Anlagemodells
Leitsatz
Ausschüttungen im Rahmen eines als Schneeballsystem geführten Anlagemodells erfolgen in der Regel zunächst auf ausgewiesene Scheingewinne und erst danach auf die geleistete Einlage .
Gesetze: § 134 Abs 1 InsO, § 143 Abs 1 S 1 InsO, § 366 Abs 1 BGB
Instanzenzug: Az: 5 U 404/09 Urteilvorgehend LG Gera Az: 2 O 908/08 Urteil
Tatbestand
1Der Kläger ist Verwalter in dem auf Antrag vom am eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der P. Kapitaldienst GmbH (fortan: Schuldnerin). Die Schuldnerin bot ihren Kunden die Möglichkeit an, am Erfolg oder Misserfolg von Optionsgeschäften teilzunehmen. Sie warb mit jährlich zu erzielenden Renditen zwischen 8,7 vom Hundert und 14,07 vom Hundert. Der Beklagte erklärte am seinen Beitritt zu der Anlegergemeinschaft.
2Tatsächlich erlitt die Schuldnerin im Zeitraum der Beteiligung des Beklagten Verluste. Um diese zu verschleiern, leitete sie den Anlegern Kontoauszüge zu, in denen frei erfundene Gewinne ausgewiesen waren. Die Gelder der Anleger wurden nur zu einem geringen Teil und später überhaupt nicht mehr in Termingeschäften angelegt. Die Einlagen von Neukunden verwendete die Schuldnerin in der Art eines "Schneeballsystems" für Aus- und Rückzahlungen an Altkunden. Der Beklagte leistete eine Einlage von umgerechnet 6.646,79 € und ein Agio von 403,92 €. Er erhielt von der Schuldnerin am eine Auszahlung in Höhe von 2.400 € und am eine Auszahlung in Höhe von 5.000 €. Ferner buchte die Schuldnerin auf Weisung des Beklagten am den als sein restliches Guthaben geführten Betrag von 4.354,38 € auf das Konto seiner Lebensgefährtin bei der Schuldnerin um.
3Mit seiner auf Anfechtung gestützten Klage hat der Kläger zunächst die Rückgewähr der an den Beklagten geleisteten Auszahlungen einschließlich der Umbuchung abzüglich der Einzahlungen des Beklagten, somit 5.107,59 € sowie die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 506,21 €, jeweils zuzüglich Zinsen verlangt. Gestützt auf eine Neuberechnung des Kontostandes der Beklagten unter Berücksichtigung des "realen Handelsergebnisses", in welcher der Kläger Scheingewinne des Beklagten in Höhe von 6.718,89 € ausgewiesen hat, hat er die Klage auf diesen Betrag erweitert. Das Landgericht hat der Klage in Höhe der Teilbeträge von 753,21 € (Scheingewinne) und 115,15 € (Rechtsanwaltskosten) zuzüglich Zinsen stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist ohne Erfolg geblieben. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Gründe
4Die Revision des Klägers hat überwiegend Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Verurteilung des Beklagten in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang.
5Der Beklagte war im Termin zur mündlichen Verhandlung trotz dessen ordnungsgemäßer Bekanntgabe nicht erschienen. Es ist durch Versäumnisurteil zu erkennen. Das Urteil beruht aber nicht auf der Säumnis, sondern auf einer Sachprüfung (BGHZ 37, 79, 82).
I.
6Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Umbuchung des Betrags von 4.354,38 € müsse sich der Beklagte grundsätzlich wie eine Auszahlung zurechnen lassen. Eine Anfechtung scheide dennoch aus, weil durch die Umbuchung der Gesamtvermögensbestand der Schuldnerin unverändert geblieben sei und deshalb die Insolvenzgläubiger der Schuldnerin nicht benachteiligt worden seien. Die Auszahlungen der Schuldnerin (7.400 €) könne der Insolvenzverwalter in Höhe der Differenz (753,21 €) zur ursprünglichen Einlage des Beklagten (6.646,79 €) als objektiv unentgeltliche Leistungen nach § 134 Abs. 1 InsO anfechten. Dabei sei der Höhe nach auf die tatsächlich gezahlte Einlage abzustellen und nicht auf den von der Schuldnerin im Rahmen der nachträglichen Berechnung ermittelten, nach der Verrechnung von Verlustzuweisungen und Bestandsprovisionen verbleibenden Restbetrag der Einlage.
II.
7Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht in vollem Umfang stand.
81. Bei der Beurteilung, in welchem Umfang der Kläger die Auszahlungen der Schuldnerin als unentgeltliche Leistungen nach § 134 Abs. 1, § 143 Abs. 1 InsO zurückverlangen kann, hat das Berufungsgericht den richtigen Ausgangspunkt gewählt. Der Insolvenzverwalter kann die Auszahlung von in "Schneeballsystemen" erzielten Scheingewinnen durch den späteren Insolvenzschuldner als objektiv unentgeltliche Leistung nach § 134 Abs. 1 InsO anfechten (, BGHZ 179, 137 Rn. 6; vom - IX ZR 163/09, ZIP 2010, 1253 Rn. 6; jeweils m.w.N.). Auszahlungen, mit denen - etwa nach einer Kündigung der Mitgliedschaft in der Anlegergemeinschaft - vom Anleger erbrachte Einlagen zurückgewährt worden sind, sind dagegen als entgeltliche Leistungen nicht anfechtbar (, ZIP 2010, 1455 Rn. 11).
92. Um eine anfechtbare Auszahlung von Scheingewinnen handelte es sich bei der Zahlung der Schuldnerin vom in voller Höhe von 2.400 € und bei der Zahlung vom in Höhe eines Teilbetrags von 2.707,59 €. Die Summe von 5.107,59 € hat der Beklagte nach § 134 Abs. 1, § 143 Abs. 1 InsO zurückzuzahlen.
10a) Ein Schuldner kann seine Leistung einem bestimmten, auch einem fiktiven Schuldverhältnis zuordnen (, BGHZ 113, 98, 101 und 104). Die Auszahlungen der Schuldnerin erfolgten jeweils primär auf die angeblich erzielten Gewinne und erst nach deren Ausschöpfung auf die Einlage des Beklagten.
11aa) Dieser Auslegung stehen die vertraglichen Vereinbarungen nicht entgegen. Sie beschränkten die Rechte des Beklagten nicht auf einen einheitlichen vertraglichen Auszahlungsanspruch (a.A. Bitter/Heim, ZIP 2010, 1569, 1572). Zwar unterscheidet der Auszahlungsanspruch nach Nr. 13 der vereinbarten Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht zwischen der Auszahlung von Gewinnen und der Auszahlung der Einlage. Für den dort geregelten Fall der Beendigung des gesamten Vertrages ist eine solche Unterscheidung aber auch nicht nötig. Was bei Teilauszahlungen gelten soll, ist damit nicht entschieden. Die Regelung in Nr. 12.3 AGB, nach welcher der Anleger am weiteren Ergebnis der Anlagegeschäfte nicht mehr teilnimmt, wenn der Wert seiner Beteiligung auf 65 % seiner Gesamteinzahlungen gesunken ist, spricht dafür, dass trotz der Zusammenfassung der Einzahlungen und der Geschäftsergebnisse auf einem einheitlichen Konto zwischen beiden zu unterscheiden ist. Dies entspricht auch dem Konzept der Anlage. Der Anleger hatte einen vereinbarten Geldbetrag einzuzahlen, mit dem Anlagegeschäfte getätigt werden sollten. Die Ergebnisse der Anlagegeschäfte wurden dem Betrag der Einlage auf einem Konto zugeschrieben. Gewinne erhöhten das Guthaben, Verluste minderten es. Die buchungstechnische Zusammenfassung änderte aber nichts an der unterschiedlichen rechtlichen Qualität von Einzahlung und Gewinnen. Eine gesonderte Behandlung sah dementsprechend auch das für Auszahlungsaufträge vorgesehene Formular der Schuldnerin vor. Es enthielt einerseits Felder für die Auszahlung eines Teils oder des Gesamtbetrags der Einlage, andererseits Felder für die periodische oder einmalige Auszahlung der erwirtschafteten Gewinne.
12bb) Verlangte der Anleger die Auszahlung nur eines Teilbetrags des Guthabens, entsprach es grundsätzlich dem Anlagekonzept und den Interessen der Beteiligten, den Betrag der Einlage nach Möglichkeit zur weiteren Tätigung von Anlagegeschäften stehen zu lassen und nur die bisher erwirtschafteten Gewinne abzuziehen. Ein Auszahlungsauftrag ist daher regelmäßig dahin auszulegen, dass in erster Linie eine Auszahlung der erzielten Gewinne erfolgen sollte und nur dann eine Auszahlung der Einlage, wenn das aus den Gewinnen resultierende Guthaben für die beantragte Auszahlung nicht ausreichte.
13b) Die Rückzahlung der vom Beklagten geleisteten Einlage von 6.646,79 € erfolgte danach durch die im Zuge der Auflösung des Kontos des Beklagten veranlasste Umbuchung des Betrags von 4.354,38 € auf das Konto seiner Lebensgefährtin und zu einem Teilbetrag von 2.292,41 € durch die Auszahlung vom . Der Restbetrag dieser Auszahlung (2.707,59 €) und der Gesamtbetrag der ersten Auszahlung vom (2.400 €) betrafen Scheingewinne.
14Entgegen der Ansicht der Revision ist kein höherer Anteil der Auszahlungen den Scheingewinnen zuzuordnen. Bei der Bestimmung der unentgeltlich ausgezahlten Scheingewinne ist die ursprüngliche Einzahlung in voller Höhe von den Auszahlungen abzuziehen und nicht nur der nach Ansicht des Klägers noch vorhandene Teil der Einlage. Der Kläger stützt sich insoweit vergeblich auf die die von ihm nachträglich erstellte "Verteilung des realen Handelsergebnisses und Neuberechnung der Gebühren" in Verbindung mit der auf das Guthaben des Beklagten bezogenen "Realen Gewinn- und Verlustverteilung", in welcher der Kläger die Entwicklung des Kontos des Beklagten abweichend von den tatsächlich übersandten Kontoauszügen unter Verrechnung von eingetretenen Verlusten und angefallenen Verwaltungsgebühren darzustellen versucht. Eine Verrechnung der anteiligen Verluste aus den in geringem Umfang noch getätigten Anlagegeschäften und der Verwaltungsgebühr mit der Einzahlung des Beklagten verstößt unter den gegebenen Umständen gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (, z.V.b.).
15c) Auf die vom Berufungsgericht erörterte Frage, ob die Umbuchung des Betrags von 4.354,38 € auf das Konto der Lebensgefährtin des Beklagten mangels einer Benachteiligung der Insolvenzgläubiger (§ 129 Abs. 1 InsO) der Insolvenzanfechtung entzogen ist, kommt es nicht an.
III.
16Das angefochtene Urteil kann danach keinen Bestand haben. Es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist, hat der Senat eine eigene Sachentscheidung zu treffen (§ 563 Abs. 3 ZPO). Auf die Berufung des Klägers war das Urteil des Landgerichts abzuändern. Neben dem nach § 134 Abs. 1, § 143 Abs. 1 InsO zurückzugewährenden Betrag von 5.107,59 € hat der Beklagte wegen Verzugs die dem Kläger entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in der unstreitigen Höhe von 506,21 € zu erstatten (§§ 280, 286 BGB). Beide Beträge sind mit einem Zinssatz von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen, der Betrag von 5.107,59 € ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 143 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 819 Abs. 1, §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB; , BGHZ 171, 38 Rn. 13-16), der Betrag von 506,21 € ab Verzugseintritt am .
Kayser Gehrlein Fischer
Grupp Möhring
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BB 2011 S. 898 Nr. 15
BB 2011 S. 980 Nr. 16
DB 2011 S. 6 Nr. 14
NJW-RR 2011 S. 848 Nr. 12
NWB-Eilnachricht Nr. 15/2011 S. 1230
StuB-Bilanzreport Nr. 11/2011 S. 436
WM 2011 S. 659 Nr. 14
ZIP 2011 S. 674 Nr. 14
XAAAD-79896