BAG Urteil v. - 8 AZR 393/09

Instanzenzug: ArbG Gelsenkirchen Az: 5 Ca 1140/07 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Hamm (Westfalen) Az: 3 Sa 398/08 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten um die Vergütung geleisteter Mehrarbeit, die aufgrund tariflicher Sonderregelungen zunächst nicht bezahlt worden war.

2Die Klägerin ist Mitglied der Industriegewerkschaft Metall. Sie war bei der Beklagten zu 2), die hochwertige Küchengeräte für den Gastronomiebereich fertigt, seit dem beschäftigt, zuletzt im Bereich Wärmetechnik.

Am schlossen die Beklagte zu 2) und die K H AG mit der IG Metall eine Vereinbarung „Tarifliche Sonderregelung“ (im Folgenden: TV 2001), die auszugsweise lautet:

4Die Klägerin leistete während der Laufzeit dieser tariflichen Sonderregelung Mehrarbeit, die ihrem Mehrarbeitskonto gutgeschrieben, aber nicht vergütet wurde.

Sodann vereinbarten die Beklagte zu 2) und die IG Metall, Bezirksleitung NRW am eine Nachfolgeregelung „Tarifliche Sonderregelung“ (im Folgenden: TV 2004). Diese lautet auszugsweise:

6Während der Laufzeit der beiden tarifvertraglichen Regelungen leistete die Klägerin Mehrarbeit im Umfang von 345,3 Stunden bei einem Tarifentgelt von 22,60 Euro brutto pro Stunde. Eine Auszahlung dieses Lohnes erfolgte nicht.

7Der Beschäftigungsbereich der Klägerin, „Wärmetechnik“, wurde mit Wirkung zum von der Beklagten zu 1) gekauft. Im Wege des Betriebsteilübergangs ging das Arbeitsverhältnis der Klägerin nach § 613a BGB von der Beklagten zu 2) auf die Beklagte zu 1) zu diesem Zeitpunkt über.

8Mit Schreiben vom machte die Klägerin gegenüber der Beklagten zu 2) die nicht ausgezahlte Mehrarbeitsvergütung geltend. Diese lehnte unter dem eine Zahlung ab, worauf die Klägerin am beide Beklagte auf die Überstundenvergütung klageweise in Anspruch nahm.

9Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, der Auszahlungsanspruch sei nunmehr fällig, was sich sowohl aus dem Wortlaut als auch nach Sinn und Zweck der tariflichen Bestimmungen ergebe. Zwar sei das Arbeitsverhältnis nicht insgesamt erloschen, die Beklagte zu 2) sei aber wegen des Übergangs seines Arbeitsverhältnisses auf die Beklagte zu 1) dauerhaft aus der Vertragsbeziehung ausgeschieden. Dies stelle ein Ausscheiden des Arbeitnehmers auf Veranlassung des Arbeitgebers auf andere Weise im Sinne der tariflichen Regelungen dar. Als Mitarbeiterin der Beklagten zu 1) könne sie einen Beitrag zur wirtschaftlichen Gesundung der Beklagten zu 2) und damit zur Arbeitsplatzsicherung nicht mehr leisten, was Sinn und Zweck der tarifvertraglichen Regelungen gewesen sei. Mit dem Betriebsteilübergang habe sich der ursprüngliche Zweck des Tarifvertrages nicht dahin geändert, dass er nunmehr zur wirtschaftlichen Gesundung der Beklagten zu 1) beitragen und dort Arbeitsplätze sichern solle.

Die Klägerin hat beantragt,

11Die Beklagten haben ihren Antrag auf Klageabweisung damit begründet, dass unstreitig bei beiden bislang nicht die in den tariflichen Regelungen festgelegten Umsatzrenditen erreicht worden seien. Etwaige Ansprüche seien daher zumindest nicht fällig. § 613a BGB regele für den Fall eines Betriebsübergangs zwingend gerade den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses, um den sozialen Besitzstand des Arbeitnehmers zu erhalten und einen lückenlosen Bestandsschutz zu gewährleisten. Das Arbeitsverhältnis ende bei Übergang eines Betriebs nicht, vielmehr trete der Erwerber in die Rechte und Pflichten aus dem nach wie vor bestehenden Arbeitsverhältnis ein. Daher handele es sich im Sinne der tariflichen Regelungen weder um eine betriebsbedingte Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf Veranlassung des Arbeitgebers noch um ein betriebsbedingtes Ausscheiden auf andere Weise. Zweck der Tarifverträge sei es gewesen, den Betrieb als Produktionsstandort zu erhalten und die dortigen Arbeitsplätze zu sichern. Um den Erfolg der Sanierungsbemühungen nicht zu gefährden, hätten die Tarifvertragsparteien - von einer Erreichung der Renditeziele abgesehen - eine Auszahlung des Mehrarbeitsguthabens nur in eng begrenzten und enumerativ aufgezählten Ausnahmefällen vorgesehen. Diese Ausnahmen setzten jeweils die Beendigung des Arbeitsverhältnisses voraus, was den von einem Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmern infolge der gesetzlichen Regelungen gerade nicht widerfahre.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Gründe

13Die Revision ist unbegründet. Die Auslegung der Tarifbestimmungen durch das Landesarbeitsgericht hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Die tariflichen Voraussetzungen für eine Auszahlung der Mehrarbeitsvergütung werden durch den Übergang des Arbeitsverhältnisses auf die Beklagte zu 1) infolge eines Betriebsübergangs nicht verwirklicht.

14A. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Der Anspruch auf Mehrarbeitsvergütung sei nicht fällig. Die Voraussetzungen für die Auszahlung des Zeitguthabens aus der Zeit vom bis zum (TV 2001) oder für die Auszahlung eines Ausgleichs von Mehrarbeit in der Zeit vom bis zum (TV 2004) lägen nicht vor, da die vereinbarten Renditeziele bislang nicht erreicht worden seien. Ebenso seien die Voraussetzungen für eine Auszahlung wegen Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis nicht gegeben. Eine „betriebsbedingte Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf Veranlassung des Arbeitgebers“ (TV 2001) werde ebenso wenig wie ein „Ausscheiden betriebsbedingt auf Veranlassung des Arbeitgebers“ (TV 2004) durch den Übergang des Arbeitsverhältnisses auf einen anderen Arbeitgeber infolge eines Betriebsübergangs verwirklicht. Dies folge aus der Auslegung der entsprechenden Tarifnormen. Die tariflichen Regelungen hätten sich allerdings auf die Beklagte zu 2) als Arbeitgeberin bezogen und den Zweck gehabt, dieser bei der Überwindung ihrer wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu helfen. Im Fall eines Betriebsübergangs könne dieser Zweck nicht mehr verwirklicht werden. Offensichtlich hätten die Tarifvertragsparteien an den Fall eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs nicht gedacht. Grundsätzlich seien Ansprüche auf Auszahlung an die wirtschaftliche Gesundung der Beklagten zu 2) geknüpft worden; daneben seien lediglich Zahlungsansprüche für den Fall vorgesehen worden, in denen der Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis verliert. Die bei einem Betriebsübergang somit festzustellende Regelungslücke könne nicht im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung geschlossen werden, da keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür gegeben seien, wie die Tarifvertragsparteien den Sachverhalt bei Kenntnis der Lücke in Anbetracht der verschiedenen denkbaren Lösungsmöglichkeiten geregelt hätten.

15B. Diese Begründung hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

16I. Die Auslegung eines Tarifvertrages durch das Berufungsgericht ist in der Revisionsinstanz in vollem Umfang nachzuprüfen ( - BAGE 124, 110 = AP TVG § 1 Auslegung Nr. 202 = EzA TVG § 1 Auslegung Nr. 45). Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Ausgehend vom Tarifwortlaut ist der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen, ohne am Buchstaben zu haften. Erlaubt der Tarifwortlaut kein abschließendes Ergebnis, ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und oft nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm ermittelt werden kann. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an die Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, ggf. auch die praktische Tarifübung heranziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt ( - AP TVG § 1 Tarifverträge: Arzt Nr. 3; - 9 AZR 677/07 - BAGE 129, 131 = AP TVG § 1 Altersteilzeit Nr. 43 = EzA TVG § 4 Altersteilzeit Nr. 30; - 4 AZR 468/92 - BAGE 73, 364 = AP TVG § 1 Auslegung Nr. 144 = EzA TVG § 1 Auslegung Nr. 28).

17II. Das Landesarbeitsgericht hat die tariflichen Bestimmungen rechtsfehlerfrei ausgelegt.

181. Eine Umsatzrendite von 2,48 % (§ 2 Buchst. d Abs. 3 TV 2001) wurde weder 2001 noch in den Folgejahren, also auch nicht 2005 (§ 6 Abs. 2 TV 2004) erreicht.

192. Der Übergang des Arbeitsverhältnisses der Klägerin auf die Beklagte zu 1) infolge eines Betriebsteilübergangs stellt keine „betriebsbedingte Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf Veranlassung des Arbeitgebers“ iSd. § 2 Buchst. d TV 2001 dar.

20a) Verwenden Tarifvertragsparteien bestimmte Rechts- oder Fachbegriffe, wie hier „betriebsbedingte Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf Veranlassung des Arbeitgebers“, in einer Tarifnorm, so ist im Zweifel anzunehmen, dass diese Begriffe in ihrer zutreffenden rechtlichen oder fachlichen Bedeutung zu verstehen sind ( - BAGE 89, 6 = AP BAT 1975 §§ 22, 23 Nr. 242). Arbeitsverhältnisse werden regelmäßig durch Kündigungen, Aufhebungsvereinbarungen, auflösende Bedingungen, Befristungsablauf, durch den Tod des Arbeitnehmers oder durch gerichtliches Auflösungsurteil beendet. Dagegen enden die Arbeitsverhältnisse der von einem Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmer gerade nicht; sie gehen vielmehr auf den Betriebserwerber über oder verbleiben im Falle des Widerspruchs der betroffenen Arbeitnehmer bei dem Betriebsveräußerer. Der im TV 2001 verwendete Begriff der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zielt auf ein Erlöschen der Vertragsbeziehung insgesamt ab. Bei einem Betriebsübergang, bei dem der Betriebsübernehmer in die Rechte und Pflichten eines bestehenden Arbeitsverhältnisses eintritt, erlischt die Vertragsbeziehung jedoch nicht. Es wird auch kein neuer Arbeitsvertrag zwischen Arbeitnehmer und Betriebsübernehmer geschlossen.

21b) Dieses Ergebnis der Auslegung des Tarifwortlauts wird durch den tariflichen Gesamtzusammenhang bestätigt. Der TV 2001 ist ein Firmentarifvertrag, der der Beklagten zu 2) und der K H AG die Überwindung wirtschaftlicher Schwierigkeiten ermöglichen sollte. Zu diesem Zweck sollten die beschäftigten Arbeitnehmer für 18 Monate in einem bestimmten Umfang wöchentliche Mehrarbeit leisten, deren Vergütung zu einem späteren Zeitpunkt bei Erreichen einer bestimmten Umsatzrendite ohne Zuschläge erfolgen sollte. Lediglich in Fällen der betriebsbedingten Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf Veranlassung des Arbeitgebers und des arbeitnehmerseitigen Ausscheidens infolge Altersteilzeit, Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit spätestens elf Monate nach Ende der Laufzeit des TV 2001, haben die Tarifvertragsparteien Ausnahmen vom Grundsatz der Auszahlung bei Renditezielerreichung formuliert. Außerdem sollte im Falle eines wirksamen Insolvenzantrages oder einer Gesamtbetriebsschließung der TV 2001 von Anfang an gegenstandslos sein.

22Damit bezweckte der TV 2001, kurzfristig die Wirtschaftlichkeit der Beklagten zu 2) zu steigern. Wirtschaftlich sollte der Arbeitgeber eine Art Darlehen von seinen Mitarbeitern erhalten, dessen Rückführung erst für einen Zeitpunkt vorgesehen wurde, zu welchem ihm die Rückzahlung leichter möglich ist. Außerdem wurden Modalitäten für die Auszahlung vereinbart, die den Ausgleich zeitlich streckten und so einer weiteren Stärkung der Liquidität der Beklagten zu 2) zu dienen bestimmt waren. Offensichtlich war den Tarifvertragsparteien eine verbesserte Liquidität des Unternehmens besonders wichtig, da der finanzielle Ausgleich der Mehrarbeit ab einer Gewinn-Umsatz-Quote von 2,48 % nicht stets vollständig erfolgen sollte, sondern der sich aus der Quote errechnende Überschuss nur im Umfang von 50 % zum Ausgleich vorgesehen wurde, während die andere Hälfte die Unternehmensliquidität verbessern sollte. Die somit vereinbarte Vorleistung der Arbeitnehmer sollte durch die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Beklagten zu 2) und damit durch eine gesteigerte Arbeitsplatzsicherheit kompensiert werden. Sollte dieses vorrangige Tarifziel verfehlt werden, so sollte bei betriebsbedingter Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf Veranlassung des Arbeitgebers der Vergütungsanspruch fällig werden. Im Fall eines Insolvenzantrages und der Gesamtbetriebsstilllegung sollte die gesamte tarifliche Regelung von Anfang an wegfallen. Die Zahlungsansprüche sollten auch fällig werden, wenn infolge von Altersteilzeit, Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit - Gründe, die in der Sphäre des Arbeitnehmers liegen - eine Kompensation für die zunächst unbezahlte Mehrarbeit durch eine Stärkung des Arbeitsplatzes nicht mehr erfolgen kann. Sinn dieser Regelungen ist es, die Zahl der vorzeitig ausgleichspflichtig ausscheidenden Arbeitnehmer möglichst gering zu halten. Je mehr Mitarbeiter ausgleichspflichtig ausscheiden, desto geringer fällt der erwirtschaftete Gewinn der Beklagten zu 2) und damit die Umsatzrendite aus. Fällt jedoch die Umsatzrendite gering aus, haben die Mitarbeiter weder einen Anspruch auf Ausgleich der geleisteten Mehrarbeit noch wird die wirtschaftliche Situation der Beklagten zu 2) verbessert. Auch aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang kann daher nicht geschlossen werden, dass im Falle eines Betriebsübergangs eine „betriebsbedingte Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf Veranlassung des Arbeitgebers“ anzunehmen ist.

233. Entsprechendes gilt für die Nachfolgeregelung des TV 2004.

24a) Schon der Wortlaut des § 6 Abs. 2 letzter Satz des TV 2004 enthält keine Anhaltspunkte dafür, dass ein Betriebsübergang ein „betriebsbedingtes Ausscheiden auf Veranlassung des Arbeitgebers auf andere Weise“ darstellen soll. Zwar ist „Ausscheiden“ in dieser Formulierung nicht näher bestimmt, der weitere Wortlaut der Vorschrift verdeutlicht aber, dass es um ein Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis gehen soll. Denn auch die weiteren dort aufgeführten Fallvarianten für einen Auszahlungsanspruch setzen die Auflösung des Vertragsverhältnisses voraus: Sowohl beim Rentenerwerb als auch bei der betriebsbedingten Kündigung endet das Arbeitsverhältnis. Zudem ist dem Wortlaut nach nur das Ausscheiden des Arbeitnehmers Anlass für das Fälligwerden von Zahlungsansprüchen („… Beschäftigte, die …“). Es kommt dagegen nicht darauf an, ob der vormalige Arbeitgeber aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet.

25b) Die Systematik des TV 2004 bestätigt wiederum den Wortlaut. Als Nachfolgeregelung zum TV 2001 liegen dieser tariflichen Sonderregelung die gleichen Motive und Ziele zugrunde. Dies ergibt sich schon aus der Präambel, in der wiederum auf die Erhaltung des Betriebs als Produktionsstandort und die Sicherung der damit verbundenen Arbeitsplätze abgestellt wird. Daher wird auch im TV 2004 von dem Grundsatz des finanziellen Ausgleichs erst nach Renditezielerreichung nur dann abgewichen, wenn das Arbeitsverhältnis endet oder das Ziel der Arbeitsplatzsicherung nicht mehr erreicht werden kann. Neben den in § 6 Abs. 2 TV 2004 aufgezählten Alternativen des betriebsbedingten Ausscheidens auf andere Weise auf Veranlassung des Arbeitgebers, des Erhalts einer Rente und des Ausscheidens infolge betriebsbedingter Kündigung knüpft § 7 TV 2004 für die Fälligkeit der Auszahlung an die Fälle des Insolvenzantrages und der Unternehmensliquidation an. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist aber genau das, was der TV 2004 - wie zuvor schon der TV 2001 - abzuwenden versucht. Dies ergibt sich auch aus § 2 TV 2004, wonach betriebsbedingte Kündigungen dann der Zustimmung des Betriebsrats bedürfen, wenn eine Mindestanzahl von 165 Mitarbeitern unterschritten wird. Das Ziel der Arbeitsplatzsicherung ist das tragende Motiv der tariflichen Regelung. Kann der Arbeitsplatzverlust nicht abgewendet werden, so sind die vorgesehenen Anstrengungen ohne den erstrebten Erfolg geblieben und die geleistete Mehrarbeit ist auszugleichen. Tritt der Arbeitsplatzverlust hingegen nicht ein, wie im Falle des Übergangs des Arbeitsverhältnisses bei einem Betriebsteilübergang, bedarf es eines vorzeitigen Ausgleichs nicht.

264. Ohne Rechtsfehler hat es das Landesarbeitsgericht abgelehnt, die tariflichen Sonderregelungen ergänzend auszulegen.

27a) Eine ergänzende Vertragsauslegung kommt grundsätzlich dann in Betracht, wenn Tarifverträge erkennbare Regelungslücken aufweisen. Allerdings ist dafür Voraussetzung, dass eine Vereinbarung eine Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit aufweist ( - ZTR 2010, 642; - 3 AZR 431/07 - AuA 2010, 54; - 3 AZR 640/07 - BAGE 130, 202 = AP BetrAVG § 2 Nr. 60). Eine Regelungslücke liegt dabei nur vor, wenn die Tarifvertragsparteien einen Punkt übersehen oder zwar nicht übersehen, aber doch bewusst deshalb offen gelassen haben, weil sie ihn im Zeitpunkt des Vertragsschlusses für nicht regelungsbedürftig gehalten haben, und diese Annahme sich nachträglich als unzutreffend herausstellt ( - aaO). Von einer Planwidrigkeit kann nur die Rede sein, wenn der Vertrag eine Bestimmung vermissen lässt, die erforderlich ist, um den ihm zu Grunde liegenden Regelungsplan zu verwirklichen, mithin ohne Vervollständigung des Vertrages eine angemessene, interessengerechte Lösung nicht zu erzielen ist ( - aaO; - 3 AZR 431/07 - aaO; - 3 AZR 640/07 - aaO).

28b) Weder der TV 2001 noch der TV 2004 enthalten Regelungen, was mit dem Mehrarbeitskonto im Fall eines Betriebsteilübergangs oder Betriebsübergangs zu geschehen hat. Ob darin eine Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit zu sehen ist, kann dahinstehen. Denn auch in einem solchen Fall müsste eine ergänzende Vertragsauslegung darauf abstellen, wie die Tarifvertragsparteien die entsprechende Frage bei objektiver Betrachtung der wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhänge im Zeitpunkt des Abschlusses des Tarifvertrages voraussichtlich geregelt hätten, wenn sie das Regelungsbedürfnis bedacht hätten ( - BAGE 120, 72 = AP BMT-G II § 2 Nr. 1; - 4 AZR 232/00 - BAGE 97, 251 = AP DienstVO ev. Kirche § 12 Nr. 2). Für diese erforderliche Einschätzung bedarf es hinreichender und sicherer Anhaltspunkte im Tarifvertrag. Kommen mehrere Möglichkeiten zur Lückenschließung in Betracht, kann ein mutmaßlicher Wille der Tarifvertragsparteien nicht festgestellt werden. Da dann eine Lückenschließung durch den Rechtsanwender in die Gestaltungsfreiheit der Tarifvertragsparteien eingriffe, ist sie nicht zulässig ( - aaO; - 4 AZR 569/79 - BAGE 36, 218 = AP BGB § 611 Lehrer, Dozenten Nr. 19; - 4 AZR 232/00 - aaO). Dem TV 2001 wie dem TV 2004 sind Anhaltspunkte dafür nicht zu entnehmen, ob die Tarifvertragsparteien für den Fall eines Betriebsteilübergangs überhaupt einen Auszahlungsanspruch vorgesehen und wenn ja, wie sie ihn im Einzelnen ausgestaltet hätten. Denkbar wäre etwa eine sofortige Auszahlung, eine gestaffelte Auszahlung oder eine Auszahlung, wenn die vereinbarte Umsatzrendite im Erwerberunternehmen überschritten wird. Da nicht erkennbar ist, welche Regelung die Tarifvertragsparteien vereinbart hätten, hat das Landesarbeitsgericht zu Recht eine ergänzende Vertragsauslegung abgelehnt.

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

Fundstelle(n):
RAAAD-79512