Vom BVerfG angeordnete Weitergeltungsregelung für die Gerichte verbindlich
Gesetze: FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, ErbStG § 19 Abs. 1, BVerfGG § 31, BVerfGG § 80 Abs. 2
Instanzenzug:
Gründe
1 Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
2 1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zuzulassen. Die von den Klägern und Beschwerdeführern (Kläger) sinngemäß aufgeworfene Rechtsfrage, ob und unter welchen Voraussetzungen das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) befugt ist, an Stelle des Gesetzgebers die zeitliche Wirkung seines alle Staatsgewalten bindenden Urteils zu beschränken und die Weitergeltung verfassungswidriger Gesetze anzuordnen, ist nicht mehr klärungsbedürftig bzw. in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht klärungsfähig.
3 a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist eine Weitergeltungsregelung, die das BVerfG für den Fall angeordnet hat, dass es Rechtsnormen als mit dem Grundgesetz (GG) unvereinbar erklärt, für die Gerichte nach § 31 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) verbindlich (, BFHE 183, 235, BStBl II 1997, 635; vom II R 104/97, BFHE 185, 510, BStBl II 1998, 632, und vom II R 25/99, BFHE 191, 240, BStBl II 2000, 378; BFH-Beschlüsse vom II B 33/97, BFHE 182, 379, BStBl II 1997, 515; vom II B 54/97, BFH/NV 1998, 502; vom II B 67/97, BFH/NV 1998, 361; vom II B 14/98, BFH/NV 1998, 1275; vom IV R 95/99, BFH/NV 2003, 1054, und vom III B 44/05, BFH/NV 2006, 1297). Für die Überprüfung einer Entscheidung des BVerfG betreffend die vorläufige Weitergeltung einer für verfassungswidrig erklärten gesetzlichen Vorschrift durch die Fachgerichte gibt es keine verfahrensrechtliche Handhabe. Vor allem ist es dem Fachgericht materiell-rechtlich nicht möglich, hinsichtlich einer vom BVerfG als Verfassungsorgan getroffenen Abwägung —hier: Bestimmung eines das Gemeinwohl schonenden Übergangs von der verfassungswidrigen zu einer verfassungsgemäßen Rechtslage— eine „übergeordnete Rechtsnorm” (§ 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG) als Prüfungsmaßstab zu finden. Das Dogma der Nichtigkeit verfassungswidriger Gesetze gilt nicht uneingeschränkt und ausnahmslos. Das BVerfG kann in seine die Rechtsfolgen der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes bestimmende Ermessensentscheidung unter dem systematischen Gesichtspunkt der Einheit der Verfassung abwägungsfähige Rechtsgüter einbeziehen. Diese Ermessensentscheidung ist kompetenzrechtlich dem BVerfG als Verfassungsorgan vorbehalten und einer justizförmigen Erörterung und Prüfung durch die Fachgerichte entzogen (, BFH/NV 2005, 513).
4 b) Das (BStBl II 2007, 192) die durch § 19 Abs. 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) i.d.F. des Jahressteuergesetzes 1997 (JStG 1997) angeordnete Erhebung der Erbschaftsteuer mit einheitlichen Steuersätzen auf den Wert des Erwerbs für mit dem GG unvereinbar erklärt, weil diese an Steuerwerte anknüpft, deren Ermittlung bei wesentlichen Gruppen von Vermögensgegenständen (Betriebsvermögen, Grundvermögen, Anteilen an Kapitalgesellschaften und land- und forstwirtschaftlichen Betrieben) den Anforderungen des Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG nicht genügt. Diese Unvereinbarkeitserklärung hat grundsätzlich zur Folge, dass die betroffene Norm nicht mehr angewendet werden darf. Allerdings hielt es das BVerfG für geboten, ausnahmsweise die weitere Anwendung des Erbschaftsteuerrechts bis zur gesetzlichen Neuregelung zuzulassen. Für die Vergangenheit leitete es diese Notwendigkeit aus den Erfordernissen einer verlässlichen Finanz- und Haushaltsplanung und eines gleichmäßigen Verwaltungsvollzugs ab, während es für die Zeit bis zum darauf abstellte, dass in dieser Übergangszeit ein Zustand der Rechtsunsicherheit vermieden werden sollte.
5 Die Kläger können deshalb die Zulassung der Revision nicht mit der Begründung erreichen, das BVerfG verletze durch die genannte Weitergeltungsanordnung ihre Grundrechte sowie das Rechtsstaatsprinzip und überschreite zudem seine Kompetenzen. Dem steht der (BGBl I 2010, 68, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 2010, 634) nicht entgegen. Denn danach ist es nur unzulässig, wenn ein Gericht in einem Rechtsstreit, in dem die Frage der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes maßgeblich ist, Erwägungen von grundsätzlicher Bedeutung bereits im Zulassungsverfahren anstellt und gerade dadurch den Rechtsweg versperrt.
6 c) Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ergibt sich auch nicht aus der klägerischen Einlassung, der Gesetzgeber sei schon seit dem zur Herstellung eines grundgesetzkonformen Rechtszustands verpflichtet gewesen. Es ist zwar richtig, dass der erkennende Senat dem BVerfG an diesem Tage die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 19 Abs. 1 ErbStG i.d.F. des JStG 1997 vorgelegt und in dem entsprechenden Beschluss seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der genannten Norm geäußert hat (vgl. , BFHE 198, 342, BStBl II 2002, 598). Ein Handlungsbedarf des Gesetzgebers bzw. eine Bindung an die Rechtsauffassung des BFH konnte daraus schon deshalb nicht entstehen, weil der BFH das Verfahren nach Maßgabe des Art. 100 Abs. 1 GG nur ausgesetzt hat und es allein in die Kompetenz des BVerfG fällt, die Unvereinbarkeit einer Norm mit dem GG zu erklären.
7 2. Einen Zulassungsgrund nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO haben die Kläger nicht hinreichend dargelegt. Hierfür muss der Beschwerdeführer tragende und abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil des Finanzgerichts (FG) einerseits und aus der behaupteten Divergenzentscheidung andererseits herausarbeiten und einander gegenüberstellen, um so eine Abweichung zu verdeutlichen (BFH-Beschlüsse vom II B 47/07, BFH/NV 2008, 1846, und vom V B 36/05, BFH/NV 2007, 69).
8 a) Soweit die Kläger ausführen, das FG-Urteil weiche deshalb von der Rechtsprechung des (BVerfGE 115, 51) ab, weil es verkannt habe, dass die ausgesprochene Unvereinbarkeitserklärung einer Norm deren weitere Anwendung ausschließe, ist schon deshalb keine Divergenz dargelegt, weil das BVerfG in seinem Beschluss in BStBl II 2007, 192 gerade die übergangsweise Fortgeltung der streitentscheidenden Normen angeordnet hat.
9 b) Eine mögliche Divergenz zur Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) zur beschränkenden Urteilswirkung bei gemeinschaftsrechtswidrigen Normen haben die Kläger ebenfalls nicht schlüssig dargelegt. Es fehlen Ausführungen dazu, warum die genannte EuGH-Rechtsprechung im Streitfall, der die Anwendung nationaler Rechtsvorschriften betrifft, überhaupt maßgeblich sein soll. Entsprechendes gilt für die von den Klägern angeführte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Verbot der Gleichbehandlung im Unrecht und —insbesondere angesichts der Ausführungen zu 1.— derjenigen des BFH bzw. BVerfG, wonach die rückwirkende Anordnung einer Steuer die Rechtsstaatsgarantie und den Vertrauensschutz des Steuerbürgers verletze.
10 3. Die Kläger haben schließlich auch keinen Verfahrensfehler nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO in der nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO gebotenen Weise dargelegt.
11 a) Soweit sie vortragen, das FG habe ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, weil es sie über entscheidungserhebliche Punkte nicht aufgeklärt, ihnen hierzu keine ausreichende Äußerungsfrist gesetzt und sich außerdem zum Antrag auf Zulassung der Revision ausgeschwiegen habe, haben sie keine gewichtigen Tatsachen dargelegt, die einen Verfahrensverstoß ergeben könnten (vgl. zum entsprechenden Darlegungserfordernis Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 116 Rz 48). Es fehlen auch Angaben dazu, dass das Urteil auf den fehlenden Hinweisen des FG beruht. Darüber hinaus haben die Kläger nicht dargelegt, weshalb sie von einer fehlenden Entscheidung über den Zulassungsantrag ausgehen. Ausweislich der dem Urteil beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung hat das FG über den Zulassungsantrag erkennbar negativ beschieden.
12 b) Soweit die Kläger ausführen, gegen Entscheidungen des BVerfG stehe ihnen kein wirksames Beschwerderecht zu und es werde ihnen insoweit der gesetzliche Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entzogen, fehlt es schon an der erforderlichen Darlegung, dass das Urteil des FG darauf beruhen könnte (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz 49).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2011 S. 441 Nr. 3
BAAAD-60623