Vollstreckungsaussetzung einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zur Bewährung
Gesetze: § 56 StGB, § 63 StGB, § 67b Abs 1 S 1 StGB, § 1896 BGB, §§ 1896ff BGB
Instanzenzug: LG Dresden Az: 3 KLs 314 Js 630/10 Urteil
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Mit seiner unbeschränkt geführten, auf die Sachrüge gestützten Revision erzielt der Angeklagte den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist sein Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
21. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3a) Am kritisierte die Mutter des Angeklagten als Beifahrerin im Pkw dessen rasante Fahrweise und schaltete, nachdem ihre Mahnungen, langsamer zu fahren, nicht fruchteten, den Hauptschalter der Batterie des Fahrzeugs aus. Der Angeklagte schlug seiner Mutter nach Anhalten des Pkw sofort mehrfach mit der Hand ins Gesicht. Nachdem sich die Situation wieder beruhigt hatte und der Angeklagte weitergefahren war, wiederholte sich das Geschehen. Als Passanten wegen der körperlichen Auseinandersetzung die Polizei riefen, ließ der Angeklagte von seiner Mutter ab und lief weg. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren nach § 170 Abs. 2 StPO ein, weil ein Strafantrag nicht gestellt wurde und auch ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung nicht zu bejahen sei.
4Die Mutter des Angeklagten forderte diesen am auf, abfällige Äußerungen gegenüber einer Nachbarin zu unterlassen, und drohte mit einem erhobenen Stock, ihm anderenfalls auf sein Gesäß zu schlagen. Der aufgrund eines Schlaganfalls auf der linken Körperseite gelähmte Angeklagte schlug daraufhin mit seiner Gehhilfe, an deren Ende eine Eisenkralle angebracht war, mehrmals gegen den Stock der Mutter und traf sie schließlich mit der Eisenkralle an der Hand, wodurch sie eine blutende Wunde am Daumen erlitt. Nachdem die Mutter um Hilfe geschrien hatte, „verscheuchte“ die Nachbarin den weiter auf seine Mutter einschlagenden Angeklagten. Von der Verfolgung dieser Tat sah die Staatsanwaltschaft gemäß § 154 Abs. 1 StPO ab. Der Angeklagte begab sich nach der Tat freiwillig in die psychiatrische Abteilung des Städtischen Krankenhauses, in der er zunächst stationär behandelt wurde. In der sich anschließenden Nachsorge wurde der Angeklagte durch einen Psychiater medikamentiert, der zugleich eine Verhaltenstherapie zur Behandlung der sich bei den Angeklagten einstellenden – in Anzahl und Intensität zunehmenden – Impulsdurchbrüche einleitete. Der Angeklagte nahm jedoch die verordneten Medikamente zunächst nur unregelmäßig und schließlich gar nicht mehr ein.
5Am Abend des geriet der Angeklagte beim Fernsehen mit seiner Mutter in Streit. Wegen seines „aufmüpfigen Verhaltens“ schlug sie ihm mit der flachen Hand ins Gesicht, woraufhin der Angeklagte mehrere 250 Gramm schwere Braunkohlebriketts und einen Wasserkocher wuchtig auf sie warf und sie hierbei am Kopf und Körper traf. Erst als es der verletzten Geschädigten gelang, aus dem Haus zur Nachbarin zu fliehen, ließ der Angeklagte von ihr ab und flüchtete. Er wurde von der Polizei anschließend in ein psychiatrisches Krankenhaus verbracht, in dem er kurzzeitig verblieb.
6Anlässlich eines Streits mit seiner Mutter am schleuderte der Angeklagte die Fernbedienung des Fernsehgeräts gegen die Wand, so dass diese zerbrach. Seine Mutter schlug ihm daraufhin mit der flachen Hand ins Gesicht. Der Angeklagte holte eine etwa einen Meter lange Holzlatte und schlug diese mit voller Wucht mehrfach auf Kopf und Körper seiner Mutter; sie konnte sich vor weiteren Schlägen nur durch Flucht aus dem Haus retten. Als die Geschädigte vor dem Haus ausrutschte, ergriff der Angeklagte einen Emaileimer und schlug ihr diesen mit Wucht auf den Kopf. Als es der blutüberströmten und erheblich verletzten Geschädigten gelang, sich bei der Nachbarin in Sicherheit zu bringen, ergriff der Angeklagte selbst die Flucht. Die ihn festnehmenden Polizeibeamten beschimpfte und bespuckte er. Er schrie zudem, er hätte sich gewünscht, dass seine Mutter tot wäre, und er werde sie beim nächsten Mal totschlagen; die Polizeibeamten sollten ihn freilassen, damit er das Haus anzünden könne. Der Angeklagte wurde nach diesem Vorfall gemäß § 126a StPO einstweilig untergebracht.
7b) Das Landgericht hat – sachverständig beraten – eine erhebliche Minderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten angenommen. Der Angeklagte leide an einer organischen Persönlichkeits- und Verhaltensstörung aufgrund einer Krankheit, Schädigung oder Funktionsstörung des Gehirns nach einem Mediateilinfarkt. Hinzu komme eine leichte Intelligenzminderung mit einer deutlichen Verhaltensstörung, die dem Eingangsmerkmal des Schwachsinns entspreche. Vom Angeklagten seien infolge seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten; er sei auch für die Allgemeinheit gefährlich. Nach Einschätzung des Sachverständigen sei es „äußerst wahrscheinlich“, dass sich die tätlichen Angriffe des Angeklagten „nicht immer ausschließlich nur gegen die Mutter richten werden“. Es bestehe vielmehr die konkrete Gefahr, dass zukünftig auch „andere Personen von den tätlich-aggressiven Attacken betroffen werden“. Deshalb sei die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus unabdingbar, jedoch sollte „schnellstmöglich eine geeignete Therapie begonnen und eine betreute Wohnform für ihn gefunden werden“.
8Die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe könne nicht zur Bewährung ausgesetzt werden, weil weder eine günstige Sozialprognose nach § 56 Abs. 1 StGB noch besondere Umstände gemäß § 56 Abs. 2 StGB vorlägen, denn es käme „derzeit nur eine Entlassung des Angeklagten in den gemeinsamen Haushalt mit seiner Mutter in Betracht“. Solange er seine Medikamente nicht regelmäßig einnehme und eine Therapie verweigere, sei dann mit gleichgelagerten Delikten zu rechnen. Eine regelmäßige Medikamenteneinnahme des Angeklagten könne im Falle seiner Freilassung nicht gewährleistet werden; eine Weisung nach § 56c Abs. 3 Nr. 2 StGB, in die der Angeklagte nicht eingewilligt habe, wäre nicht geeignet, zu einer günstigen Prognose zu gelangen.
9Auch die Vollstreckung der Maßregel könne nicht nach § 67b StGB zur Bewährung ausgesetzt werden, weil „derzeit“ keine besonderen Umstände die Erwartung rechtfertigten, dass der Zweck der Maßregel dadurch erreicht werden könne. Bei dem Angeklagten sei nur eine mangelhafte Bereitschaft und Einsicht in notwendige Maßnahmen vorhanden, insbesondere hinsichtlich der regelmäßigen Einnahme von Medikamenten. Als „problematisch anzusehen sei auch, dass sowohl er als auch seine Mutter die wiederholt angeratene Unterbringung in einer betreuten Wohnform kategorisch ablehnen, weil beide eine räumliche Trennung nicht hinnehmen wollen“.
102. Die Anordnung der Maßregel begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Das Landgericht bejaht die Gefahrenprognose im Ergebnis zutreffend aufgrund der sich in Anzahl und Intensität steigernden Gewalttätigkeiten des Angeklagten gegenüber seiner Mutter, die seine einzige Bezugsperson darstellt. Insofern ist belegt, dass ähnliche Delikte wie die Anlasstaten zu erwarten sind.
11Soweit das Landgericht die Gefährlichkeit des Angeklagten auch damit begründet, es sei äußerst wahrscheinlich, dass sich dessen tätliche Angriffe nicht immer nur ausschließlich gegen die Mutter richten werden, hat dies keine ausreichende Tatsachengrundlage. Der Angeklagte hat sich nach den Feststellungen gegenüber anderen Personen als seiner Mutter fast ausschließlich verbal-aggressiv verhalten. Bei Einschreiten dritter Personen, um die tätlichen Übergriffe des Angeklagten gegen seine Mutter zu unterbinden, floh dieser stets ohne weitere Gewalthandlungen. Gegenteiliges wird auch nicht durch das aggressive Verhalten des Angeklagten gegenüber der in der Hauptverhandlung als Zeugin vernommenen Nachbarin aufgezeigt. Zu einem tätlichen Angriff kam es gerade nicht.
123. Die Begründung der Strafkammer, mit der sie die Aussetzung des Vollzugs der Unterbringung nach § 67b Abs. 1 StGB – und in Anlehnung hieran auch die Aussetzung der Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung – abgelehnt hat, trägt hingegen nicht. Eine Aussetzung der Unterbringung ist hiernach geboten, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Zweck der Maßregel auch ohne deren Vollzug erreicht werden kann. Bei dieser Prüfung sind zwar auch die vom Landgericht maßgeblich herangezogenen Umstände zu berücksichtigen, dass der Angeklagte sich nicht ausreichend therapiewillig zeigt und sich weigert, regelmäßig die zur Behandlung seiner Erkrankung notwendigen Medikamente einzunehmen. Das Landgericht erörtert jedoch nicht, ob die vom Angeklagten gegenüber seiner Mutter ausgehende Gefahr sich insbesondere durch Begründung eines Betreuungsverhältnisses nach §§ 1896 ff. BGB (vgl. BGH NStZ 2000, 470, 471), welches das Aufenthaltsbestimmungsrecht und die Gesundheitsfürsorge umfasst, oder durch geeignete Weisungen im Rahmen der Führungsaufsicht (§§ 67b, 68b StGB) mit dem Ziel einer räumliche Trennung des Angeklagten von seiner Mutter abwenden oder jedenfalls so stark abschwächen lässt, dass auf den Vollzug der Maßregel verzichtet werden kann (vgl. BGHR StGB § 67b Gesamtwürdigung 1; § 67b Abs. 1 Gesamtwürdigung 1; § 67b Abs. 1 besondere Umstände 2 und 4; ). Es ist insbesondere auch zu prüfen, ob die mit der Führungsaufsicht verbundenen Überwachungsmöglichkeiten und das für den Angeklagten bestehende Risiko, im Falle des Weisungsverstoßes mit dem Vollzug der Unterbringung rechnen zu müssen, bereits geeignet sind, den geständigen und nur geringfügig vorbestraften Angeklagten ausreichend für die regelmäßige Einnahme der Medikamente zu motivieren. Vor diesem Hintergrund erscheint es angezeigt, in Vorbereitung der erneuten Hauptverhandlung unter Einbeziehung des Angeklagten – naheliegend auch mit Hilfe des Sachverständigen – die Voraussetzungen für die Erreichung der dargelegten Ziele möglichst zu schaffen.
Basdorf Schaal Schneider
König Bellay
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Fundstelle(n):
SAAAD-59003