Betäubungsmitteldelikt: Verhältnis zwischen Handeltreiben und Besitz; Erforderlichkeit der Feststellung des Wirkstoffgehalts; maßgebender Zeitpunkt für den Aufklärungserfolg
Gesetze: § 29 BtMG, § 29a Abs 1 Nr 2 BtMG, § 31 S 1 Nr 1 BtMG
Instanzenzug: LG Neubrandenburg Az: 6 KLs 1/10 - 832 Js 6629/09 Urteil
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten gewerbsmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 28 Fällen und wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Ferner hat es den Verfall von Wertersatz in Höhe von 2.520 Euro angeordnet.
2Gegen diese Verurteilung wendet sich der Angeklagte mit der nicht näher ausgeführten Sachrüge. Das Rechtsmittel hat in vollem Umfang Erfolg.
I.
31. Soweit der Angeklagte wegen unerlaubten gewerbsmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt worden ist, leidet der Schuldspruch hinsichtlich der vom Landgericht angenommenen Gesamtzahl von 28 Tathandlungen an einem inneren, auch durch den Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht auflösbaren Widerspruch in den Feststellungen. Die Strafkammer geht davon aus, dass der Angeklagte „in den Monaten Februar, März, Mai, Juni, Juli und August“ (UA 11) bzw. „über einen Zeitraum von sieben Monaten (Februar bis August, außer Monat April 2009)“ viermal pro Monat jeweils eine Platte Haschisch mit einem Gewicht von 150 Gramm von dem Mitangeklagten W. zum Preis von 2,90 Euro pro Gramm erhielt und mit 60 Cent Aufschlag pro Gramm an einzelne Abnehmer weiterverkaufte (UA 11, 13). Abgesehen davon, dass die Gründe für das Ruhen der Verkaufstätigkeit im April 2009 in den Urteilsgründen nicht näher mitgeteilt werden, ergibt sich auf dieser Berechnungsgrundlage eine Gesamtzahl von allenfalls 24 Einzelakten in einem Zeitraum von sechs Monaten. Dass es sich dabei lediglich um einen offensichtlichen Rechenfehler handelt, vermag der Senat schon deshalb nicht sicher festzustellen, weil die Strafkammer die Zahl der Tathandlungen auf die geständige Einlassung des Angeklagten gestützt hat, dieser aber ausweislich der Urteilsgründe angegeben hat, die Verkäufe hätten „in der Zeit von Februar bis September 2009 außer im Monat April“ (UA 14) stattgefunden. Von dem Widerspruch sind auch die Berechnungen betroffen, die der Anordnung des Verfalls von Wertersatz zu Grunde liegen (UA 19).
42. Auch die Verurteilung des Angeklagten wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
5a) Insoweit hat das Landgericht festgestellt, dass der Angeklagte am in seiner Wohnung neben mehreren Kleinmengen verschiedener Betäubungsmittel auch eine Haschischplatte mit einem Gewicht von 194,662 Gramm und einem Wirkstoffgehalt 11,504 Gramm THC aufbewahrte. Stammte diese Haschischplatte, was nahe liegt und vom Landgericht ausdrücklich nicht sicher ausgeschlossen werden konnte (UA 13 unten, UA 15 oben), aus den von dem Mitangeklagten W. zum gewinnbringenden Weiterverkauf bezogenen Haschischmengen, ist eine Verurteilung wegen tatmehrheitlichen unerlaubten Besitzes nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ausgeschlossen, da es sich insoweit um einen unselbständigen Teilakt des (beabsichtigten) Handeltreibens handelt (BGHSt 25, 290, 291; vgl. auch Franke/Wienroeder BtMG 3. Aufl. § 29 Rn. 140).
6b) Soweit sich aus den Urteilsgründen ferner ergibt, dass der Angeklagte am in seiner Wohnung auch 8,584 Gramm Marihuana, eingewickelt in Alufolie, mit einem Wirkstoffgehalt von „6,645 g THC“ aufbewahrt haben soll, bemerkt der Senat, dass nach seiner Kenntnis ein derartig hoher Wirkstoffgehalt ersichtlich fern liegt.
II.
7Das angefochtene Urteil weist darüber hinaus weitere Rechtsfehler auf. Im Hinblick auf die neue Verhandlung und Entscheidung wird deshalb ergänzend auf Folgendes hingewiesen:
8a) Das Landgericht ist hinsichtlich der vom Angeklagten wöchentlich gewinnbringend verkauften Haschischplatten davon ausgegangen, dass der Wirkstoffgehalt der einzelnen Platten jeweils „unterhalb der nicht geringen Menge“ lag. Mag diese Erwägung, mit der die Strafkammer die Nichtanwendung von § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG begründet hat, den Angeklagten im vorliegenden Fall im Ergebnis auch nicht beschweren, so merkt der Senat gleichwohl an, dass für den Unrechts- und Schuldgehalt der Tat neben Art und Menge des jeweiligen Betäubungsmittels der jeweilige Wirkstoffgehalt von besonderer Bedeutung ist, und zwar auch und gerade dann, wenn es sich, wie im vorliegenden Fall, im Hinblick auf die nicht geringe Menge im Sinne des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG um einen Grenzfall handelt. Den Wirkstoffgehalt – unter Beachtung des Zweifelssatzes – mit hinreichender Genauigkeit festzustellen, ist in der Regel auch dann möglich, wenn Betäubungsmittel nicht sichergestellt werden konnten und daher für eine Untersuchung durch einen Sachverständigen nicht zur Verfügung stehen (vgl. Senat, Beschluss vom – 4 StR 110/01, NStZ-RR 2002, 52). Dies gilt umso mehr, wenn der Angeklagte – wie hier – umfangreiche, geständige Angaben gemacht hat und dessen aus dem Urteil ersichtlicher Lebenslauf das Vorhandensein einschlägiger Kenntnisse nahe legt.
9b) Der Senat vermag auch die Ausführungen des Landgerichts zur Wahl des Strafrahmens nicht nachzuvollziehen.
10aa) Hinsichtlich der Fälle des unerlaubten gewerbsmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln legt die Strafkammer einen Regelstrafrahmen von einem bis zu fünf Jahren zu Grunde. Die hier anzuwendende Strafvorschrift des § 29 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 BtMG droht jedoch ein Höchstmaß von fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe an. Die Annahme des Landgerichts, die Voraussetzungen eines minder schweren Falles seien gegeben, findet in der Strafvorschrift mangels entsprechenden Sonderstrafrahmens keine Stütze; es kommt allenfalls ein Abweichen von der Regelwirkung des Absatzes 3 in Betracht.
11bb) Das Landgericht hat wegen des zeitnahen Geständnisses des Angeklagten, das auch die Angabe von Namen und Telefonnummern seiner Abnehmer umfasste, von der Milderungsmöglichkeit des § 31 Nr. 1 BtMG Gebrauch gemacht. Aus den Urteilsgründen erschließt sich jedoch nicht, ob die Milderung entsprechend der alten Fassung dieser Vorschrift nach § 49 Abs. 2 StGB vorgenommen wurde oder ob sich die Kammer auf § 49 Abs. 1 StGB gestützt hat, auf den die Neufassung von § 31 Nr. 1 BtMG (idF des 43. StrÄndG vom , BGBl I 2288, in Kraft seit ) verweist. Zur Frage der Anwendbarkeit der Neufassung weist der Senat auf Art. 316d EGStGB und die dazu ergangene Rechtsprechung hin (vgl. , StV 2010, 481).
12Ferner wird zu beachten sein, dass für die Prüfung des Aufklärungserfolges auf den Zeitpunkt der neuen Hauptverhandlung abzustellen ist (vgl. , BGHR BtMG § 31 Nr. 1 Aufdeckung 21 m.w.N.).
Ernemann Solin-Stojanović Roggenbuck
Franke Bender
Fundstelle(n):
VAAAD-58526