Gefährliche Körperverletzung: Erlaubnistatbestandsirrtum; Einsatz eines Messers als erforderliche Verteidigungshandlung
Gesetze: § 16 Abs 1 S 1 StGB, § 32 StGB, § 224 StGB
Instanzenzug: LG Mannheim Az: 3 Ks 200 Js 27833/08 Urteil
Gründe
I.
1Das Landgericht hatte den Angeklagten am wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Dieses Urteil hat der Senat auf die Revision des Angeklagten mit Beschluss vom (1 StR 476/09) mit den Feststellungen aufgehoben.
2Mit dem jetzt angefochtenen Urteil hat das Landgericht den Angeklagten wiederum wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die gegen die Verurteilung gerichtete Revision des Beschwerdeführers rügt die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
31. Der Senat hatte in seinem Beschluss vom ausgeführt, dass das Urteil des Landgerichts an durchgreifenden Darstellungsmängeln leide. Unter anderem sei unerörtert geblieben, weshalb der Angeklagte, als er im Treppenhaus erneut auf den Zeugen stieß und dieser sich ihm näherte, nicht davon ausgehen konnte oder musste, der Zeuge werde ihn erneut angreifen; dies umso mehr, als der Angeklagte gesagt habe: „Lass mich, verpiss Dich, ich habe Dir nichts getan!". Weiterhin sei mit der Feststellung im Urteil, der Zeuge habe eine körperliche Auseinandersetzung gerade vermeiden wollen, kaum vereinbar, dass der Zeuge gerade auf den Angeklagten zuging, obgleich dieser ihn gewarnt hatte.
42. Weshalb zu diesem Zeitpunkt „erkennbar keine Notwehrlage" für den Angeklagten bestanden habe und auch keine nicht anders abwendbare Gefahr i.S.v. § 34 StGB gegeben gewesen sei, könne aus den insoweit widersprüchlichen Feststellungen des Landgerichts nicht ohne weiteres geschlossen werden. Jedenfalls hätte berücksichtigt werden müssen, dass der Angeklagte sich zu diesem Zeitpunkt „in einem Zustand affektiver Erregung" befand und insoweit möglicherweise auch die Voraussetzungen gemäß § 33 StGB vorgelegen haben könnten. Keinesfalls seien entsprechende Erörterungen angesichts dieses Geschehens entbehrlich gewesen.
53. Nachdem die Strafkammer davon ausgegangen sei, dass der Angeklagte „einem Verbotsirrtum nach § 17 StGB" unterlag, „indem er sich vorstellte, er sei ,zu seiner Verteidigung' zum Einsatz des Messers berechtigt" (UA S. 33), sei es rechtsfehlerhaft gewesen, nicht zu erörtern, inwieweit dieser Irrtum - insbesondere angesichts seiner affektiven Erregung - für den Angeklagten vermeidbar gewesen sei; noch habe sich der Tatrichter - falls das Urteil inzident von einer Vermeidbarkeit ausgehen sollte - dazu verhalten, ob bei den gegebenen Umständen zumindest eine Milderung nach § 17 Satz 2 StGB in Betracht komme.
II.
61. Das daraufhin ergangene war erneut aufzuheben, weil die Strafkammer bezüglich der vom Angeklagten behaupteten Notwehrlage widersprüchliche Feststellungen getroffen hat und auch die aus der angenommenen Putativnotwehrlage abgeleiteten Folgerungen nicht frei von Rechtsfehlern sind.
7a) Die Strafkammer hat insoweit zunächst festgestellt, dass der Angeklagte von dem ihm körperlich deutlich überlegenen Geschädigten M. wenige Minuten vor dem streitgegenständlichen Geschehen im Erdgeschoss des Hauses in den Schwitzkasten genommen und dann im Keller mindestens einen heftigen und schmerzhaften Faustschlag ins Gesicht in den Bereich des linken Auges sowie einen Tritt in den Bereich des unteren rechten Thorax erhalten hatte, so dass er unter anderem an seinem linken Auge Schwellungen und Einblutungen erlitt. Weinerlich und verstört hatte sich der Angeklagte anschließend nach oben in seine Wohnung begeben, um die Polizei zu rufen. Danach begann er sich um seine Freundin, welche sich im Eingangsbereich des Hauses aufhielt, Sorgen zu machen, weil er es nicht für ausgeschlossen hielt, dass sich M. auch gegen sie wenden könnte. Weil er aber eine neue Auseinandersetzung mit diesem befürchtete und ihm nicht ohne jeden Schutz gegenüber treten wollte, ergriff er ein ca. 30 cm langes Küchenmesser mit einer fast 19 cm langen Klinge. Damit begab er sich aus der Wohnung in den Treppenflur, wobei er sich plötzlich M., für den die Auseinandersetzung mit dem Angeklagten bereits im Keller abgeschlossen war, gegenüber sah, welcher zu diesem Zeitpunkt noch etwa 4 bis 5 Stufen unterhalb von ihm im Begriff war, nach oben in die über der Wohnung des Angeklagten liegende Wohnung seiner Freundin zu gehen.
8Beide hielten zunächst inne, worauf der Angeklagte, welcher erneute Tätlichkeiten M.'s ihm gegenüber befürchtete, sinngemäß sagte: „Verpiß Dich", und dann schwingende Bewegungen mit dem Messer begann, um M. davon abzuhalten, sich ihm weiter zu nähern. Dieser sah aber - nach den Feststellungen des Landgerichts - trotz der Bewegungen des Angeklagten das Messer nicht und stieg die Treppe weiter zu ihm hinauf, wobei er ihn als Kampfgegner nicht ernst nahm, und seinen Schritt auch auf die Gefahr hin fortsetzte, dass er den Angeklagten abwehren oder wegdrängen müsste.
9Der Angeklagte verkannte, dass M. nicht zu ihm, sondern in die darüber gelegene Wohnung wollte. Für ihn stand nun angesichts des Weiterschreitens des M. eine weitere Tätlichkeit unmittelbar bevor. Er setzte seine Messerbewegungen fort, worauf der Geschädigte getroffen wurde und einen 7 cm langen und 0,5 bis 1 cm tiefen horizontal verlaufenden Halsschnitt erlitt. Dieser objektiv nicht lebensgefährliche Schnitt wurde in der Folge im Klinikum ambulant behandelt und verheilte folgenlos.
10b) Unter Berücksichtigung dieses Geschehens hat die Strafkammer zutreffend und ohne Rechtsfehler grundsätzlich die Voraussetzungen einer Putativnotwehrlage als gegeben erachtet. Sie ist aber dennoch von einer vorsätzlichen und rechtswidrigen gefährlichen Körperverletzung ausgegangen, weil das Handeln des Angeklagten nicht als „die gebotene Notwehr gerechtfertigt gewesen“ wäre (UA S. 28) und zudem sein Notwehrrecht durch ein Mitverschulden der Notwehrsituation eingeschränkt gewesen sei. Dies hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
112. Ein Irrtum des Täters über das Vorliegen eines Angriffs oder die Erforderlichkeit der Verteidigung ist ein Erlaubnistatbestandsirrtum, der eine Bestrafung wegen einer vorsätzlichen Tat (hier einer gefährlichen Körperverletzung) ausschließt (§ 16 Abs. 1 Satz 1 StGB; vgl. , NStZ 2002, 141).
12Auf der Grundlage der Tatsachen, die sich der Angeklagte - nach dem rechtsfehlerfrei festgestellten vorausgegangenen provozierenden Verhalten des Geschädigten - vom bevorstehenden Angriff vorstellte, wäre seine hier gewählte Verteidigung erforderlich gewesen. Da das Landgericht einen unzutreffenden Maßstab an die Erforderlichkeit der Verteidigung angelegt hat, ist auch die Feststellung, der Angeklagte habe selbst nicht geglaubt, sein „extensives Handeln“ sei rechtmäßig gewesen, von diesem Rechtsfehler betroffen und kann keinen Bestand haben.
13Ob eine Verteidigungshandlung i.S.d. § 32 Abs. 2 StGB erforderlich ist, hängt im Wesentlichen von Art und Maß des Angriffs ab. Grundsätzlich darf der Angegriffene das für ihn erreichbare Abwehrmittel wählen, das eine sofortige und endgültige Beseitigung der Gefahr erwarten lässt (vgl. , BGHSt 25, 229, 230; , NStZ 1996, 29, mwN). Demgemäß ist auch der Einsatz eines Messers nicht von vornherein unzulässig. In der Regel ist der Angegriffene dann aber gehalten, den Gebrauch der Waffe zunächst anzudrohen (, BGHSt 26, 258; , NStZ 1996, 29). Ein anderes Verteidigungsmittel als das mitgeführte Messer hatte der körperlich unterlegene Angeklagte nicht. Eine Androhung des Einsatzes der Waffe kann in den schwingenden Bewegungen ohne weiteres gesehen werden. Ob der Geschädigte dabei das Messer wahrnahm oder nicht, kann daran nichts ändern.
14Auch die Annahme, der Angeklagte habe dadurch, dass er sich dem Geschädigten bewaffnet in den Weg stellte, die Notwehrsituation mit verschuldet, verkennt deren Grundlagen. Eine solche Annahme würde darauf hinauslaufen, dass der Angeklagte seine Wohnung entweder nur unbewaffnet oder gar nicht verlassen durfte, bzw. hätte in die Wohnung zurückweichen müssen. Ob Letzteres überhaupt zeitlich möglich gewesen wäre, bevor der Geschädigte die wenigen Stufen zu ihm zurückgelegt hätte, hat das Landgericht nicht festgestellt. Unabhängig davon war es dem Angeklagten aber auch nicht verwehrt, seine Wohnung zu verlassen, um nach seiner Freundin zu sehen, welche er in Gefahr vermutete. Keineswegs musste er bei dieser Lage, wie offenbar die Strafkammer annimmt, es hinnehmen, weitere Schläge von dem Zeugen M. hinzunehmen, nachdem er bereits durch die vorangegangene Auseinandersetzung Einblutungen am linken Auge erlitten hatte.
15Inwieweit er das Messer zunächst anders hätte anwenden müssen, wie das Landgericht hilfsweise anführt, bleibt unklar, zumal das Tatgericht keine gezielten Stiche des Angeklagten feststellen konnte. Außerdem wäre in einem solchen Fall der nur wenige Schritte entfernte Geschädigte wohl kaum von weiteren Schlägen abzuhalten gewesen.
III.
161. Der neue Tatrichter wird demnach Gelegenheit haben zu prüfen, ob der Angeklagte den konkreten Einsatz des Messers nicht mehr als die erforderliche Verteidigung ansehen konnte und ob dem Angeklagten im Übrigen ein Irrtum über erhebliche Tatumstände unterlaufen ist. Konnte er aufgrund eines Tatirrtums von der Erforderlichkeit des Messereinsatzes ausgehen, würde entsprechend § 16 StGB der Körperverletzungsvorsatz entfallen. Hierzu verhält sich das Urteil ebenso wenig wie zu einem möglichen Verbotsirrtum. Ausführungen zu etwaigen Fehlvorstellungen des Angeklagten bei seinem Messereinsatz sind nicht etwa deswegen entbehrlich, weil der Angeklagte mit seiner Verteidigung gegen den vermuteten Angriff zugleich bezweckt haben mag, den Geschädigten von weiteren Angriffen abzuhalten und ohne Verzögerung nach seiner Freundin zu sehen (vgl. hierzu , NJW 1995, 973).
172. Der neue Tatrichter wird, falls von einer Strafbarkeit des Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung auszugehen ist, Gelegenheit haben, bei der Strafrahmenwahl zu erörtern, ob bei dem Vorgeschehen nicht dessen Berücksichtigung analog § 213 Alt. 1 oder Alt. 2 StGB in Betracht kommen könnte.
183. Die Sache bedarf somit erneuter Verhandlung und Entscheidung. Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, die Sache an ein anderes Landgericht zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO).
Nack Hebenstreit Elf
Graf Jäger
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FAAAD-54386