Freiheitsentziehungsverfahren: Anforderungen an die Begründung eines Abschiebungshaftantrags
Leitsatz
Werden in der Begründung des Haftantrags die Tatsachen, auf denen die Ausreisepflicht des Betroffenen beruht, nicht oder falsch vorgetragen, leidet die richterliche Anordnung der Freiheitsentziehung an einem Verfahrensmangel, der zu ihrer Rechtswidrigkeit führt .
Gesetze: § 417 Abs 2 S 2 Nr 5 FamFG
Instanzenzug: Az: 28 T 62/09 Beschlussvorgehend Az: 44 XIV 144/09 Beschluss
Gründe
I.
1Der Betroffene reiste erstmalig Anfang 2008 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Ein von ihm am gestellter Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vom als unzulässig zurückgewiesen und die Überstellung des Betroffenen nach Art. 18 Dublin II-Verordnung in die Slowakische Republik angeordnet, in der der Betroffene zuvor ebenfalls Asyl beantragt hatte. Die Überstellung scheiterte, weil der Betroffene die Aufnahmeeinrichtung, in der er untergebracht war, verließ und danach sein Aufenthalt für die Behörden unbekannt war.
2Nach Ankündigung einer Rücküberstellung des Betroffenen aus dem Königreich der Niederlande in die Bundesrepublik Deutschland hob das Bundesamt am den Bescheid vom auf und kündigte eine neue Entscheidung über den Asylantrag an, weil eine Überstellung des Betroffenen in die Slowakische Republik infolge Zeitablaufs nicht mehr zulässig war. Mit Bescheid vom wurde der Asylantrag vom als offensichtlich unbegründet abgelehnt, der Betroffene zum Verlassen des Bundesgebietes binnen einer Woche aufgefordert und eine Abschiebung nach Georgien angedroht. Dieser Bescheid wurde der Aufnahmeeinrichtung, in der der Betroffene im Jahr 2008 untergebracht war, mit der Bitte um Aushändigung übersandt und ging dort am ein. In der Rückantwort teilte die Aufnahmeeinrichtung dem Bundesamt mit, dass der Betroffene die Einrichtung am verlassen habe und sein Aufenthaltsort nicht bekannt sei.
3Nach Überstellung des Betroffenen aus den Niederlanden ordnete das Amtsgericht auf Antrag der Beteiligten zu 2 (Ausländerbehörde) die Haft zur Sicherung der Abschiebung bis längstens zum und die sofortige Wirksamkeit seiner Entscheidung an. Die sofortige Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht zurückgewiesen. Am wurde der Betroffene abgeschoben. Mit der Rechtsbeschwerde beantragt er, die Rechtswidrigkeit des Beschlusses des Landgerichts und der Haftanordnung des Amtsgerichts festzustellen.
II.
4Das Beschwerdegericht hat den Haftgrund nach § 62 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG bejaht und ein Abschiebungshindernis auf Grund des Asylantrags des Betroffenen vom verneint. Die Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 AsylVfG sei mit dem Bescheid des Bundesamtes vom erloschen, der nach § 10 Abs. 2 AsylVfG als am zugestellt gelte, so dass der Betroffene seit dem vollziehbar ausreisepflichtig sei.
III.
5Die nach § 70 Abs. 3 Nr. 3 FamFG statthafte (dazu: Senat, Beschl. v. , V ZB 172/09, NVwZ 2010, 726, 727) und gemäß § 71 FamFG form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde hat in der Sache Erfolg. Der mit der Rechtsbeschwerde verfolgte Fortsetzungsfeststellungsan-trag nach § 62 FamFG ist begründet.
61. Die Abschiebungshaft durfte von dem Amtsgericht schon deshalb nicht angeordnet und von dem Beschwerdegericht nicht bestätigt werden, weil es an einem wirksamen Antrag der Beteiligten zu 2 auf Anordnung der Freiheitsentziehung fehlt.
7a) Das Vorliegen eines zulässigen Antrages der zuständigen Verwal-tungsbehörde nach § 417 FamFG ist Verfahrensvoraussetzung und in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen (Senat, Beschl. v. , V ZB 79/10, Rn. 7; Senat, Beschl. v. , V ZB 218/09, Rn. 12, juris).
8Der Haftantrag ist nach § 417 Abs. 2 Satz 1 FamFG zu begründen. Ein Verstoß gegen den Begründungszwang führt zur Unzulässigkeit des Antrags (Senat, Beschl. v. , V ZB 218/09, Rn. 14, juris). Für die Abschiebungs- und Zurückschiebungshaftanträge werden insbesondere Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführung der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer verlangt (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 FamFG).
9b) Die Begründung des Haftantrags der Beteiligten zu 2 vom genügt diesen Anforderungen nicht.
10aa) In dem Antrag fehlt die nach § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 FamFG erforderliche Angabe der Tatsachen, aus denen sich die Ausreisepflicht des Betroffenen ergab. Die den Antrag stellende Behörde muss dazu aufzeigen, dass dem Betroffenen ein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet nicht zusteht. Hierfür ist der Grund der Ausreisepflicht zu bezeichnen, zu dessen Sicherung die Abschiebungshaft angeordnet werden soll. Ergibt sich die Ausreisepflicht aus einem vollziehbaren Bescheid, muss die Behörde in dem Haftantrag auf diesen Bescheid Bezug nehmen (vgl. Bahrenfuss/Grotkopp, FamFG, § 417 Rn. 4; Keidel/Budde, FamFG, 16. Aufl., § 417 Rn. 8).
11Dem entspricht der Haftantrag der Beteiligten zu 2 nicht, weil in diesem nur der bereits aufgehobene Bescheid des Bundesamtes vom , jedoch nicht der Bescheid vom erwähnt ist, aus dem allein sich die Ausreisepflicht des Betroffenen im Zeitpunkt der Beantragung der Abschiebungshaft ergeben konnte.
12bb) Den Anforderungen an die Begründung des Haftantrags wird auch nicht dadurch genügt, dass nach der Akte der Bescheid des Bundesamtes vom dem Haftantrag beilag. Die Behörde muss nämlich in dem Antrag selbst die die Verlassenspflicht begründenden Tatsachen bezeichnen. Nur dann ist gewährleistet, dass das Gericht die Grundlagen erkennt, auf welche die Behörde ihren Antrag stützt, und das rechtliche Gehör des Betroffenen durch die Übermittlung des Haftantrags nach § 23 Abs. 2 FamFG gewahrt wird (vgl. Schulte-Bunert/Weinreich/Dodegge, FamFG, § 417 Rn. 14).
13cc) Eine mögliche Heilung eines unvollständigen schriftlichen Haftantrags durch eine zu Protokoll des Haftrichters erklärte Ergänzung der Begründung (dazu Senat, Beschl. v. , V ZB 218/09, Rn. 17, juris) ist hier nicht erfolgt, weil nach dem Protokoll der Anhörung vom von der Beteiligten zu 2 niemand zugegen war, dem Betroffenen allein der Haftantrag bekannt gegeben wurde und er sich dazu äußern konnte.
14dd) Auf einen unvollständigen Antrag darf keine Haft angeordnet werden; vielmehr ist der Antrag - wenn keine Nachbesserung erfolgt - als unzulässig zu verwerfen (Bahrenfuss/Grotkopp, FamFG, § 417 Rn. 6; Bassenge/Roth/Gottwald, FamFG/RpflG, 12. Aufl., § 418 FamFG Rn. 5).
152. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts hält einer rechtlichen Überprüfung ebenfalls nicht stand, weil es auch in der Beschwerdeinstanz an einem ordnungsgemäßen Haftantrag gefehlt hat (vgl. dazu Senat, Beschl. v. , V ZB 218/09, Rn. 24). Die Beteiligte zu 2 hat nur den Haftantrag vom gestellt.
16Die Mängel in jenem Haftantrag sind auch nicht durch die davon abweichenden Ausführungen in den Schriftsätzen der Beteiligten in der Beschwerdeinstanz behoben worden, in denen die Beteiligte zu 2 zur Begründung der Ausreisepflicht des Betroffenen sich auf den Bescheid des Bundesamtes vom gestützt, und auf dessen Einwand, ihm sei dieser Bescheid unbekannt gewesen, sich auf die Zustellungsfiktionen in § 10 Abs. 2 Satz 4 und Abs. 4 Satz 4 AsylVfG berufen hat. Bei der ordnungsgemäßen Antragstellung durch die Behörde handelt es sich um eine unverzichtbare Verfahrensgarantie, deren Beachtung Art. 104 Abs. 1 GG fordert (BVerfG NVwZ-RR 2009, 304, 305; Senat, Beschl. v. , V ZB 218/09, Rn. 19, juris).
173. Da ein Verstoß gegen die Verfahrensvorschrift des § 417 FamFG nicht mit der Argumentation für unbeachtlich erklärt werden kann, dass die Freiheitsentziehung materiell zu Recht angeordnet worden sei (BVerfG NVwZ-RR 2009, 304, 305), kommt es auf alle weiteren Ausführungen der Beteiligten nicht an.
IV.
181. Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2, § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO. Unter Berücksichtigung der Regelung in Art. 5 Abs. 5 EMRK entspricht es billigem Ermessen, dem Land Niedersachen, als derjenigen Körperschaft, der die beteiligte Behörde angehört (vgl. § 430 FamFG) zur Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen außergerichtlichen Auslagen des Betroffenen zu verpflichten.
192. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 128c Abs. 2 KostO i.V.m. § 30 KostO.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
YAAAD-48896