Kindesmissbrauch: Pädophilie als schwere andere seelische Abartigkeit
Gesetze: § 20 StGB, § 21 StGB, § 63 StGB
Instanzenzug: Az: 16 Js 151/09 - 3 KLs 37/09 - 2 AR 20/10 Urteil
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt.
2Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Der Maßregelausspruch hat hingegen keinen Bestand.
3Das Landgericht hat - den Ausführungen des Sachverständigen folgend - angenommen, dass der Angeklagte die Tat im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit begangen habe. Bei dem Angeklagten bestehe eine Störung der Sexualpräferenz mit einer homosexuellen Orientierung auf junge, pubertierende Geschlechtspartner. Diese spezielle Ausrichtung werde von der Diagnose Pädophilie zwar nicht explizit ausgenommen, betreffe jedoch eine besondere sexuelle Neigung, die in der Literatur auch als Hebephilie bzw. als Ephebophilie bezeichnet werde. Die Persönlichkeitsstörung erfülle die Kriterien der schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB. Zwar unterläge die Alltagskompetenz des Angeklagten durch die Störung generell keiner Beeinträchtigung, im Beziehungsbereich gäbe es aber erkennbare Defizite, die auch durch mehrjährige therapeutische Zuwendung nicht aufgelöst werden konnten und immer wieder in einförmiger Weise zu sexuellen Handlungen an unter 14-Jährigen geführt hätten. Insofern sei eine Einengung der Lebensbezüge des Angeklagten auf die Befriedigung seiner sexuellen Bedürfnisse unübersehbar. Deshalb sei im Sinne des § 21 StGB von ausgeprägten Steuerungsmängeln hinsichtlich der Triebbefriedigung des Angeklagten auszugehen.
4Die Ausführungen des Landgerichts zur - für eine Anordnung nach § 63 StGB positiv festzustellenden - verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten infolge einer schweren anderen seelischen Abartigkeit halten rechtlicher Prüfung nicht stand. Sie belegen nicht, dass die Störung den Angeklagten so nachhaltig in seiner Persönlichkeit geprägt hat, dass sie den für die Annahme erheblich verminderter Schuldfähigkeit erforderlichen Schweregrad erreicht hat. Steht, wie hier, für die Beurteilung der Schuldfähigkeit eine von der Norm abweichende sexuelle Präferenz im Vordergrund, muss diese den Täter im Wesen seiner Persönlichkeit so verändert haben, dass er zur Bekämpfung seiner Triebe nicht die erforderlichen Hemmungen aufbringt (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 337; StV 2005, 20; BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 33, 37 und § 63 Zustand 23). Daher ist nicht jedes abweichende Sexualverhalten, auch nicht eine Devianz in Form einer Pädophilie (zum Begriff: Internationale Klassifikation psychischer Störungen ICD-10 F 65.4; Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung 5. Aufl. S. 343 f.), die zwangsläufig nur unter Verletzung strafrechtlich geschützter Rechtsgüter verwirklicht werden kann, ohne Weiteres gleichzusetzen mit einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB. Vielmehr kann auch nur eine gestörte sexuelle Entwicklung vorliegen, die als allgemeine Störung der Persönlichkeit, des Sexualverhaltens oder der Anpassung nicht den Schweregrad einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne des § 21 StGB erreicht. Hingegen kann die Steuerungsfähigkeit etwa dann beeinträchtigt sein, wenn abweichende Sexualpraktiken zu einer eingeschliffenen Verhaltensschablone geworden sind, die sich durch abnehmende Befriedigung, zunehmende Frequenz, durch Ausbau des Raffinements und durch gedankliche Einengung auf diese Praktiken auszeichnen (vgl. Nedopil, Forensische Psychiatrie 3. Aufl. S. 204 f.).
5Den dargelegten Anforderungen an die Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Die Ausführungen des Sachverständigen belegen nicht, dass beim Angeklagten eine Einengung auf ein deviantes Sexualverhalten in Gestalt einer schuldrelevanten süchtigen Entwicklung vorliegt. Eine solche Annahme wird von den Urteilsfeststellungen nicht getragen. Das Landgericht teilt die Anknüpfungstatsachen des Sachverständigen nicht mit. Nach den sonstigen Urteilsfeststellungen war der Angeklagte zuletzt im August 1997 einschlägig in Erscheinung getreten. Zum Zeitpunkt der letzten Vorverurteilung im Januar 2000 unterhielt er Sexualkontakte zu einem jungen Mann Anfang 20. Von 1998 bis 2002 ist er von dem Dipl.-Psychologen und Psychotherapeuten S. psychotherapeutisch behandelt worden. Der Therapeut hat ihm im Jahre 2002 eine positive Entwicklung bescheinigt, die allerdings einen Rückfall nicht generell ausschließe. Seither ist der Angeklagte offenbar bis zu der hier abgeurteilten Tat am nicht mehr strafrechtlich in Erscheinung getreten. Diese Umstände, die eher zeigen, dass der Angeklagte sein Sexualverhalten über viele Jahre unter Kontrolle hatte, hätten zu der Erörterung gedrängt, weshalb der Angeklagte im Tatzeitraum nur erheblich eingeschränkt in der Lage gewesen sein soll, seinen pädophilen Neigungen zu widerstehen.
6Der aufgezeigte Rechtsfehler bei der Schuldfähigkeitsbeurteilung lässt den Schuld- und Strafausspruch des angefochtenen Urteils unberührt, da eine vollständige Aufhebung der Schuldfähigkeit hier von vornherein ausscheidet. Durch die Annahme der Voraussetzungen des § 21 StGB bei der Strafzumessung ist der Angeklagte nicht beschwert.
Ernemann Solin-Stojanović Roggenbuck
Mutzbauer Bender
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LAAAD-48121