BSG Urteil v. - B 4 AS 63/09 R

(Grundsicherung für Arbeitsuchende - Eingliederungsleistungen - Kraftfahrzeugreparaturkosten eines selbständig Erwerbstätigen - sonstige weitere Leistung nach § 16 Abs 2 S 1 SGB 2 - Erforderlichkeit - Prognoseentscheidung - kein Darlehen wegen unabweisbarem Bedarf - Begrenzung des Streitgegenstandes)

Gesetze: § 16 Abs 1 SGB 2 vom , § 16 Abs 2 S 1 SGB 2 vom , § 3 Abs 1 S 1 SGB 2 vom , § 23 Abs 1 S 1 SGB 2, § 20 Abs 1 SGB 2, § 12 Abs 3 S 1 Nr 2 SGB 2, § 95 SGG

Instanzenzug: Az: S 15 AS 942/08 Gerichtsbescheidvorgehend Landessozialgericht Baden-Württemberg Az: L 2 AS 5252/08 Urteil

Tatbestand

1Die Beteiligten streiten über die Verpflichtung der Beklagten, Reparaturkosten für den Pkw des Klägers, Mietwagenkosten sowie damit zusammenhängende Aufwendungen zu übernehmen.

2Der Kläger und seine Ehefrau stehen seit Januar 2005 im Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Der Kläger hat seit Juli 2004 ein Gewerbe als Selbständiger angemeldet (Gegenstand zuletzt: Immobilien, Finanzierungen, Fonds sowie Vermittlung von Versicherungen und Bausparverträgen) und ist nach seinen Angaben für die FG- AG, H tätig.

3Im Dezember 2007 beantragte der Kläger die Übernahme von Reparaturkosten für seinen Pkw Opel Meriva, da er im Rahmen seiner selbständigen Tätigkeit angebahnte Geschäfte abschließen wolle. Die Reparatur wurde am durchgeführt. Mit Bescheid vom lehnte die Beklagte die Übernahme der Reparaturkosten des Pkw in Höhe von 1221,37 Euro, der Mietwagenkosten in Höhe von 322,40 Euro und der durch den Zahlungsverzug entstandenen Aufwendungen in Höhe von 245,62 Euro ab. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom zurückgewiesen.

4Das SG hat die Klage, mit der der Kläger die Übernahme der fraglichen Kosten als Zuschuss, hilfsweise als Darlehen begehrt, mit Gerichtsbescheid vom abgewiesen. Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom ) und zur Begründung ausgeführt: Der Kläger habe keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten nach § 16 Abs 1 SGB II iVm den Vorschriften des SGB III. Nach den §§ 53 bis 55 SGB III könnten Arbeitslose und von Arbeitslosigkeit bedrohte Arbeitsuchende, die eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufnehmen, durch Mobilitätshilfen gefördert werden. Vorliegend fehle es an der Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung, da der Kläger selbständig tätig sei. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf darlehensweise Übernahme der Kosten der Autoreparatur und der Mietwagenkosten nach § 23 Abs 1 Satz 1 SGB II, denn Kraftfahrzeugkosten einschließlich der Reparatur seien nicht von der Regelleistung umfasst.

5Der Kläger hat die vom BSG zugelassene Revision eingelegt und rügt eine Verletzung des § 16 Abs 2 Satz 1 SGB II und des § 23 Abs 1 Satz 1 SGB II. Er trägt vor, dass sich nach der Entscheidung des B 11b AS 3/05 R - SozR 4-4200 § 16 Nr 1) ein Anspruch auf Leistungen zur Fortsetzung der selbständigen Erwerbstätigkeit aus der Generalklausel des § 16 Abs 2 Satz 1 SGB II ergeben könne. Die Prüfung dieser Vorschriften habe das LSG mit Rücksicht auf seine Rechtsauffassung, es könne nur die Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nach § 16 Abs 1 SGB II iVm §§ 53, 54 SGB III gefördert werden, unterlassen. Von entscheidender Bedeutung sei vielmehr, ob die vom Kläger begehrte Eingliederungsleistung zur Fortsetzung seiner selbständigen Erwerbstätigkeit erforderlich gewesen sei. Es sei auch zu beachten, dass grundsätzlich die Erbringung von Eingliederungsleistungen im Ermessen der Verwaltung stehe, dies jedoch ggf auf Null reduziert sei. Es treffe ferner nicht zu, dass die Kosten für die Reparatur eines sowohl privat als auch beruflich genutzten Kraftfahrzeugs von der Vorschrift des § 23 Abs 1 SGB II ausgeschlossen seien, weil diese Kosten nicht Bestandteil des Bedarfs iS des § 20 SGB II seien. Ein genereller Ausschluss dieser Leistungen unter Hinweis auf die Begründung zur Regelsatzverordnung sei nicht gerechtfertigt. Es sei deshalb zu überprüfen, ob es sich bei den geltend gemachten Kosten um einen unabwendbaren Bedarf handele.

6Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom und das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, unter Abänderung des Bescheides vom in Form des Widerspruchsbescheides vom , an den Kläger 1789,39 Euro zu zahlen,

7Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Gründe

8Die Revision des Klägers ist zulässig und iS der Aufhebung und Zurückverweisung (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG) an das LSG begründet.

9Es kommen hinsichtlich des klägerischen Begehrens Leistungen nach § 16 Abs 2 Satz 1 SGB II in der bis zum (aF) geltenden Fassung in Betracht. Feststellungen zu den Voraussetzungen dieser Regelung hat das LSG nicht getroffen, sodass dem Senat eine abschließende Entscheidung nicht möglich ist. Zu Recht hat das LSG jedoch einen Anspruch auf darlehensweise Übernahme der Reparaturkosten für den Pkw nach Maßgabe des § 23 SGB II verneint.

101. Gegenstand des Rechtsstreits sind ausschließlich Ansprüche des Klägers auf Übernahme von Aufwendungen, die dem Kläger durch die Reparatur seines Pkw und durch die Anmietung eines Mietwagens entstanden sind. Nur hierüber ist im angefochtenen Bescheid vom entschieden worden. Die Begrenzung des Streitgegenstands ist zulässig, da es sich bei dem Anspruch auf Eingliederungsleistungen um einen abtrennbaren Streitgegenstand handelt (BSG SozR 4-4200 § 16 Nr 1, RdNr 11; BSGE 102, 73 = SozR 4-4200 § 16 Nr 3, jeweils RdNr 9).

112. Zutreffend hat das LSG entschieden, dass sich ein Anspruch auf vollständige oder teilweise Kostenübernahme nicht aus § 16 Abs 1 SGB II iVm dem Katalog der SGB III-Leistungen ergibt, weil sich hieraus im Bereich der Grundsicherung keine Leistungen zur Sicherung einer selbständigen Tätigkeit herleiten lassen. Anhaltspunkte dafür, dass Ansprüche auf Übernahme von Kraftfahrzeugkosten als Teilhabeleistung für behinderte Menschen geltend gemacht werden könnten, liegen nicht vor. Für das Begehren des Klägers kommt als Anspruchsgrundlage jedoch die Generalklausel des § 16 Abs 2 Satz 1 SGB II in der bis zum geltenden Fassung in Betracht. Nach dieser Vorschrift können über die in § 16 Abs 1 SGB II genannten Leistungen hinaus weitere Leistungen erbracht werden, die für die Eingliederung des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen erforderlich sind. § 16 Abs 2 Satz 1 SGB II aF enthielt eine Generalklausel für ergänzende Eingliederungsleistungen aller Art, für die die nicht abschließend in Satz 2 der Vorschrift aufgeführten Einzelleistungen die Rolle von Hauptbeispielen erfüllen.

12In der Revisionsbegründung wird zutreffend darauf hingewiesen, dass nach dem B 11b AS 3/05 R - (= SozR 4-4200 § 16 Nr 1) als "weitere Leistungen" iS des § 16 Abs 2 Satz 1 SGB II auch Leistungen zur Fortsetzung einer selbständigen Erwerbstätigkeit in Betracht kommen, wenn sie zur Eingliederung erforderlich sind und die Leistungsempfänger zum Kreis der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen gehören.

13Das LSG hat - von seinem Rechtsstandpunkt aus zutreffend - schon keine Feststellungen dazu getroffen, ob der Kläger zum fraglichen Zeitpunkt zum Kreis der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen iS des § 7 SGB II gehörte. Es hat im Übrigen keine Feststellungen dazu getroffen, ob die spezifischen Voraussetzungen für die Gewährung von Eingliederungsleistungen nach § 16 Abs 2 Satz 1 SGB II erfüllt sind. Hierzu gehört vornehmlich die Prüfung der Erforderlichkeit der Leistung für die Eingliederung in das Erwerbsleben. Hierbei wird das LSG die Zielvorgaben der §§ 1, 3 SGB II zu beachten haben. Nach § 3 Abs 1 Satz 1 SGB II können Leistungen zur Eingliederung in Arbeit erbracht werden, soweit sie zur Vermeidung oder Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit erforderlich sind. Erforderlichkeit in diesem Sinne kann nur bejaht werden, wenn ein Eingliederungserfolg mit hinreichender Sicherheit vorhergesagt werden kann. Hierzu ist eine Prognose anhand einer Plausibilitätsprüfung und einer Prüfung des schlüssigen Konzepts der selbständigen Tätigkeit zu vollziehen (BSG SozR 4-4200 § 16 Nr 1, RdNr 27). Eine derartige Prüfung setzt jedenfalls voraus, dass der Kläger im Rahmen der ihn nach § 103 Satz 1 Halbs 2 SGG treffenden Mitwirkungspflicht bei der Aufklärung des Sachverhalts durch das LSG Nachweise über die von ihm ausgeübte selbständige Tätigkeit erbringt.

14Nur wenn die beabsichtigte Tätigkeit eine konkrete und realistische Möglichkeit auf wirtschaftlichen Erfolg von einiger Dauer bot und die Instandsetzung des Pkw ein geeignetes Mittel zur Erreichung dieses Ziels darstellt, ist der Weg zu einer Ermessensentscheidung darüber eröffnet, ob und in welchem Umfang eine Kostenübernahme erfolgen kann. Hinweise auf eine Ermessensschrumpfung ergeben sich nach dem derzeitigen Stand des Verfahrens nicht. Schließlich ist hinsichtlich des vom Kläger geltend gemachten Zinsanspruchs auf die für das sozialgerichtliche Verfahren abschließende Regelung des § 44 SGB I zu verweisen.

153. Der Kläger kann die begehrten Aufwendungen für die Reparatur des Pkw und die Anmietung eines Wagens jedenfalls nicht in Gestalt eines Darlehens gemäß § 23 Abs 1 Satz 1 SGB II beanspruchen. Soweit danach im Einzelfall ein von den Regelleistungen umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts weder durch das Vermögen nach § 12 Abs 2 Nr 4 SGB II noch auf andere Weise gedeckt werden kann, erbringt die Agentur für Arbeit bei entsprechendem Nachweis den Bedarf als Sach- oder als Geldleistung und gewährt dem Hilfesuchenden ein entsprechendes Darlehen. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Der geltend gemachte Bedarf ist bereits nicht von der Regelleistung umfasst. Die Regelleistung umfasst nach § 20 Abs 1 Satz 1 SGB II insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie und Bedarfe des täglichen Lebens sowie in vertretbarem Umfang auch Beziehungen zur Umwelt und eine Teilnahme am kulturellen Leben.

16Zur Klärung der Frage, ob ein bestimmter Bedarf grundsätzlich von der Regelleistung umfasst wird, kann auf die Festlegungen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) zurückgegriffen werden, soweit deren Abteilungen in den Eckregelsatz der Sozialhilfe Eingang gefunden haben (vgl - RdNr 26, zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen). Aus der Nichtberücksichtigung der Aufwendungen für ein Kraftfahrzeug innerhalb der Abteilung 07 der EVS (vgl zur Problematik Krauß in Hauck/Noftz, SGB II, § 20 RdNr 51) folgt, dass die Aufwendungen für den Erwerb und die Haltung eines Kraftfahrzeugs nicht zu den von der Regelleistung umfassten Bedarfen rechnen. Die wertende Entscheidung, Kosten für ein Kraftfahrzeug nicht als existenznotwendig anzusehen und damit nicht in die Regelleistung einzubeziehen, ist vom BVerfG nicht beanstandet worden ( ua -, NJW 2010, 505, RdNr 179).

17Aus dem Umstand, dass nach § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 2 SGB II ein angemessenes Kraftfahrzeug für jeden in der Bedarfsgemeinschaft lebenden erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nicht als Vermögen zu berücksichtigen ist, folgt kein anderes Ergebnis. Aus der gesetzgeberischen Wertung, dass ein Vermögensgegenstand nicht zur Bestreitung des Lebensunterhalts eingesetzt werden muss, kann nicht im Umkehrschluss gefolgert werden, dass die damit zusammenhängenden Aufwendungen auf der Bedarfsseite berücksichtigt werden müssten (vgl zu den Kosten einer Kraftfahrzeug-Versicherung BSG SozR 4-4200 § 11 Nr 2).

18Selbst wenn man allerdings mit dem Kläger annehmen wollte, die Aufwendungen für die Reparatur des Kraftfahrzeugs seien von der Regelleistung umfasst, weil sie letztlich aus der Regelleistung bestritten werden müssen, besteht ein Anspruch auf eine darlehensweise Gewährung von Leistungen nach § 23 Abs 1 Satz 1 SGB II nicht, weil es sich jedenfalls nicht um einen unabweisbaren Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts handelt, sondern die allgemeine Mobilität des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen auch anderweitig sichergestellt werden kann.

19Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2010:010610UB4AS6309R0

Fundstelle(n):
VAAAD-47338