BGH Beschluss v. - XII ZB 65/10

Prozesskostenhilfebewilligungsverfahren für eine Kindesunterhaltsklage: Behandlung von Sozialhilfeleistungen an den in Prozessstandschaft klagenden, alleinerziehenden Elternteil

Leitsatz

1. Leistungen, die nach dem SGB II gewährt werden, stellen Einkommen i.S. des § 115 ZPO dar; das gilt auch für solche, die dem Hilfebedürftigen als Alleinerziehendem für einen Mehrbedarf nach § 21 Abs. 3 SGB II pauschal gewährt werden .

2. Ein pauschaler Abzug dieses Mehrbedarfs im Rahmen des § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 ZPO kommt nicht in Betracht .

Gesetze: § 115 Abs 1 S 3 Nr 4 ZPO, § 21 Abs 3 SGB 2, § 30 Abs 3 SGB 2

Instanzenzug: Brandenburgisches Az: 10 UF 42/09 Beschlussvorgehend Brandenburgisches Az: 10 UF 42/09 Beschlussvorgehend AG Perleberg Az: 19 F 72/08

Gründe

A.

1Die Klägerin hat in Prozessstandschaft für ihr im März 2003 geborenes Kind Kindesunterhalt eingeklagt. Nachdem sie in erster Instanz zunächst erfolgreich war, hat sie die Klage auf Empfehlung des Berufungsgerichts zurückgenommen. Während ihr das Amtsgericht Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt hatte, hat das Berufungsgericht mit Beschluss vom die Zahlung einer monatlichen Rate von 30 € angeordnet. Die Gegenvorstellung der Klägerin hat das Berufungsgericht mit Beschluss vom zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.

B.

2Die Rechtsbeschwerde der Klägerin hat im Ergebnis Erfolg.

I.

3Die Rechtsbeschwerde ist statthaft. Das Berufungsgericht hat die Rechtsbeschwerde zugelassen. Hieran ist der Senat gebunden.

II.

4Die Rechtsbeschwerde führt im Ergebnis zur Aufhebung der Ratenzahlungsanordnung.

51. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:

6Die Klägerin erhalte Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach SGB II von 488 € (Regelleistung von 359 € zuzüglich Mehrbedarf von 129 €) und einen Beitrag zu den Kosten von Unterkunft und Heizung von 333,37 €. Ferner werde das staatliche Kindergeld von 164 € an sie ausgezahlt. Dieses sei ihren Einkünften in Höhe von 56 € zuzurechnen, da es insoweit nicht für den notwendigen Lebensbedarf des minderjährigen Kindes benötigt werde. Die Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach SGB II sei als Einkommen zu berücksichtigen. Dies gelte jedenfalls dann, wenn daneben weitere Einkünfte bezogen würden, was hier durch den (anteiligen) Bezug des Kindergeldes der Fall sei. Eine andere Beurteilung sei nicht deshalb geboten, weil die Klägerin neben der Regelleistung einen Mehrbedarf für Alleinerziehende nach § 30 Abs. 3 SGB XII erhalte, so dass der Gesamtbetrag der Hilfeleistung von 488 € den Freibetrag nach § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 a ZPO, der sich derzeit auf 395 € belaufe, überschreite. Denn sonst würde die Partei, die Leistungen nach SGB II erhalte, besser stehen als diejenige, die ein entsprechendes Einkommen aus Erwerbstätigkeit erziele. Soweit dadurch ein Widerspruch zum Zweck der Hilfeleistung, den Lebensunterhalt von erwerbsfähigen Hilfsbedürftigen zu sichern, entstehen sollte, beruhe er auf der gesetzlichen Regelung, wonach zum Einkommen im Sinne des § 115 Abs. 1 ZPO ausdrücklich alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert zählten.

7Ziehe man somit von den gesamten Einkünften der Klägerin von 877,37 € den Freibetrag für die Partei von 395 €, die Kosten für Unterkunft und Heizung von 407,37 € sowie den nicht anderweitig abgedeckten Freibetrag für das Kind von 14 € (280 € abzüglich 266 €) ab, verbleibe ein einzusetzendes Einkommen von 68 €, mit dem die Klägerin nach der Tabelle in § 115 Abs. 2 ZPO monatliche Raten von 30 € zahlen müsse.

82. Diese Ausführungen sind rechtlich nicht zu beanstanden. Gleichwohl hat die Rechtsbeschwerde Erfolg.

9Zwar hat das Berufungsgericht die Leistungen, die der Klägerin nach dem SGB II gewährt werden, zu Recht als Einkommen im Sinne des § 115 ZPO gewertet. Ebenso wenig ist es zu beanstanden, dass das Berufungsgericht einen pauschalen Abzug für einen Mehrbedarf der Klägerin als Alleinerziehende nicht in Betracht gezogen hat. Die Rechtsbeschwerde hat dennoch Erfolg, weil von dem Einkommen der Klägerin mit der Vollendung des siebten Lebensjahres ihres Kindes im März 2010 wegen der von da an gemäß § 21 Abs. 3 Nr. 2 SGB II reduzierten Mehrbedarfs-Leistungen eine Ratenzahlungsanordnung nicht mehr in Betracht kommt.

10a) Die Frage, ob SGB II-Leistungen Einkommen im Sinne des § 115 ZPO darstellen, ist in Rechtsprechung und Literatur streitig ( - FamRZ 2008, 781 m.w.N.) und bislang höchstrichterlich nicht abschließend entschieden.

11aa) Allerdings hat sich der VIII. Zivilsenat in seinem Beschluss vom (- VIII ZB 18/06 - FamRZ 2008, 781) mit der Frage befasst, inwieweit SGB II-Leistungen als Einkommen im Sinne des Prozesskostenhilferechts (§ 115 ZPO) zu qualifizieren sind. Er hat diese Frage - teilweise - offen gelassen, weil das in dem von ihm entschiedenen Fall in Rede stehende Arbeitslosengeld II geringer war als der nach § 115 Abs. 1 Nr. 2 a ZPO dem Antragsteller zu belassende Freibetrag. Das Arbeitslosengeld II sei jedenfalls dann als Einkommen im Sinne § 115 Abs. 1 Satz 1 und 2 ZPO zu berücksichtigen, wenn die Prozesskostenhilfe begehrende Partei neben dem Arbeitslosengeld II weitere Einkünfte habe, die ihrerseits einzusetzendes Einkommen seien und die zusammen mit dem Arbeitslosengeld II die nach § 115 Abs. 1 Satz 3 ZPO vorzunehmenden Abzüge überstiegen.

12bb) Vorliegend erhält die Klägerin neben der Regelleistung von 359 € Leistungen für einen Mehrbedarf als Alleinerziehende nach § 21 Abs. 3 SGB II (129 €); das Berufungsgericht ist insoweit von einer unzutreffenden Anspruchsgrundlage, nämlich § 30 Abs. 3 SGB XII, ausgegangen. Damit liegt sie bereits ohne Berücksichtigung des Kindergeldes über dem Freibetrag von 395 €. Wie mit der Zulage für Alleinerziehende im Rahmen des § 115 ZPO zu verfahren ist, hatte der VIII. Zivilsenat seinerzeit nicht zu entscheiden.

13b) Nach Auffassung des Senats stellen SGB II-Leistungen Einkommen i.S. des § 115 ZPO dar (ebenso etwa OLG Stuttgart FamRZ 2008, 1261, 1262; siehe auch die weiteren Nachweise in - FamRZ 2008, 781).

14Ausweislich § 115 Abs. 1 Satz 2 ZPO gehören zum Einkommen alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert. Darunter fallen nach dem Wortlaut auch staatliche Geldleistungen nach dem SGB II. Anders als § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II, der eine wortgleiche Definition des Einkommens aufweist, allerdings Leistungen nach dem SGB II vom Einkommensbegriff ausnimmt, enthält § 115 ZPO keinen solchen Ausnahmetatbestand. Dies spricht im Umkehrschluss dafür, dass nach § 115 ZPO auch SGB II-Leistungen Einkommen darstellen sollen.

15Somit sind die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II als Einkommen zu berücksichtigen.

16c) Dies gilt ebenso für die Leistungen, die dem Hilfebedürftigen als Alleinerziehendem für einen Mehrbedarf nach § 21 Abs. 3 SGB II pauschal gewährt werden.

17Freilich besteht hierbei die Besonderheit, dass diese Leistungen dem Hilfebedürftigen gemäß § 21 Abs. 3 SGB II zweckgebunden für einen Mehrbedarf zugewandt werden, den der Gesetzgeber ihm als Alleinerziehendem pauschal zurechnet. Damit steht der Zulage ein entsprechender - wenn auch pauschal ermittelter - Bedarf gegenüber. Deshalb ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten, ob die entsprechenden Leistungen dem Einkommen hinzuzurechnen bzw. ob sie gemäß § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 ZPO - ebenfalls pauschal - vom Einkommen abzuziehen sind.

18aa) Während das Kammergericht (FamRZ 2007, 915) und das - juris Rdn. 11) die Leistungen für diesen Mehrbedarf nicht als Einkommen im Sinne des § 115 ZPO berücksichtigen, stellen sie nach Auffassung des Oberlandesgerichts Nürnberg (FamRZ 2010, 395) ein solches Einkommen dar. Gleichzeitig spricht sich das Oberlandesgericht Nürnberg gegen eine pauschale Abzugsfähigkeit des Mehrbedarfs für Alleinerziehende im Rahmen des Prozesskostenhilfeverfahrens aus; denn § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 ZPO sehe weder eine Pauschalierung vor, noch nehme die Norm auf die entsprechende Vorschrift des § 21 Abs. 3 SGB II Bezug.

19bb) In der Literatur wird vereinzelt vertreten, die den Alleinerziehenden gewährten Mehrbedarfsbeträge seien bei der Einkommensermittlung außer Betracht zu lassen (Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe 5. Aufl. Rdn. 232, zu § 30 Abs. 3 SGB XII). Überwiegend wird jedoch die Auffassung vertreten, die Mehrbedarfsbeträge seien - pauschal - als besondere Belastungen im Rahmen des § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 ZPO abzuziehen (Zöller/Geimer ZPO 28. Aufl. § 115 Rdn. 39; Prütting/Gehrlein/Völker/Zempel ZPO § 115 Rdn. 29; Nickel MDR 2005, 729, 734; Musielak/Fischer ZPO 6. Aufl. § 115 Rdn. 27). Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs (aaO Rdn. 281) weisen allerdings darauf hin, dass im Rahmen des § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 ZPO eine Pauschalierung nicht vorgesehen sei.

20cc) Der Senat folgt der Auffassung des Oberlandesgerichts Nürnberg (FamRZ 2010, 395).

21Auch die Leistungen, die dem Hilfebedürftigen für einen Mehrbedarf als Alleinerziehendem gewährt werden, stellen Einkommen im Sinne des § 115 ZPO dar.

22Einen pauschalen Abzug für den hier in Rede stehenden Mehrbedarf lässt § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 ZPO entgegen der wohl herrschenden Meinung nicht zu. Das aktuelle Prozesskostenhilferecht enthält - anders als das frühere - keinen Verweis auf entsprechende Pauschalen aus dem Sozialrecht.

23(1) Nach § 115 Abs. 1 Nr. 1 ZPO in der bis zum geltenden Fassung waren von dem Einkommen die in § 76 Abs. 2, 2 a BSHG a.F. bezeichneten Beträge abzusetzen. In § 76 Abs. 2 a Nr. 2 BSHG a.F. hieß es, dass von dem Einkommen ferner Beträge in jeweils angemessener Höhe für Personen, die trotz beschränkten Leistungsvermögens einem Erwerb nachgehen, abzusetzen sind. Hierzu zählten auch Erwerbstätige, die trotz der Betreuung von Klein- oder Grundschulkindern einer Erwerbstätigkeit nachgehen (Nickel MDR 2005, 729, 734 - siehe zur früheren Rechtslage auch OLG Stuttgart FamRZ 2005, 1183). In der Praxis wurde der Mehrbedarf regelmäßig pauschal ermittelt; bis zum ergab sich danach bei einem Eckregelsatz von 297 € ein ebenfalls dynamischer Einkommensfreibetrag von höchstens 198 € (Nickel aaO S. 730).

24Mit der Neuregelung des Prozesskostenhilferechts für die Zeit ab April 2005 und mit dem Wegfall von § 76 Abs. 2 a BSHG werden die vorgenannten zusätzlichen Freibeträge im Gegensatz zur früheren Rechtslage nicht mehr über einen Verweis auf die sozialrechtlichen Bestimmungen erfasst (Nickel aaO S. 734).

25Demgegenüber nimmt § 115 Abs. 1 ZPO hinsichtlich des persönlichen Freibetrages, des Freibetrages für den Ehegatten, des Erwerbstätigen-Freibetrages und des Freibetrages für Unterhaltspflichten weiterhin Bezug auf das Sozialrecht, nämlich auf § 28 Abs. 2 Satz 1 SGB XII (vgl. dazu auch Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs aaO Rdn. 281). Wegen weiterer Abzüge bezieht sich § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 a ZPO auf § 82 Abs. 2 SGB XII. Soweit § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Halbs. 2 ZPO die Vorschrift des § 1610 a BGB für entsprechend anwendbar erklärt, bezieht sich das allein auf Körper- oder Gesundheitsschäden; ein hierauf zurückzuführender behinderungsbedingter Mehraufwand braucht nicht konkret nachgewiesen zu werden (Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs aaO Rdn. 282; Musielak/Fischer aaO Rdn. 28).

26(2) Die vorstehenden Ausführungen belegen, dass der Gesetzgeber hinsichtlich weiterer Belastungen keine pauschalen Freibeträge vorsehen wollte. Zwar mag angesichts der Häufigkeit dieser Fallgestaltungen ein Bedarf nach einer gesetzlichen Regelung bestehen (vgl. Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs aaO Rdn. 282). Das ändert aber nichts an dem Umstand, dass der Hilfebedürftige genauso wie der allein erziehende erwerbstätige Antragsteller seinen Mehrbedarf de lege lata darzulegen und gegebenenfalls nachzuweisen hat.

27Freilich hätte das Berufungsgericht die Klägerin auf die Notwendigkeit konkreter Darlegungen zu einem entsprechenden Mehrbedarf hinweisen und ihr die Möglichkeit einräumen müssen, ihren Vortrag insoweit nachzubessern. Dass die Rechtsbeschwerde dieses Versäumnis nicht gerügt hat, kann hier aber dahinstehen, weil die Entscheidung bereits aus einem anderen, von Amts wegen zu beachtenden Grund aufzuheben ist.

28d) Das Berufungsgericht ist bei seiner Berechnung von einem Mehrbedarf für Alleinerziehende von 129 € ausgegangen. Das Kind der Klägerin hat im März 2010 jedoch das siebte Lebensjahr vollendet. Deshalb kann die Klägerin von diesem Zeitpunkt an als Mehrbedarf nach § 21 Abs. 3 Nr. 2 SGB II lediglich 12 % der Regelleistung beanspruchen (s. Grube, in: Grube/Wahrendorf SGB XII 2. Aufl. § 21 SGB II Rdn. 6), also gerundet 43 € (statt bisher 129 €). Da die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Beschlussfassung maßgeblich sind ( FamRZ 2006, 548, 549; Zöller/Geimer aaO § 114 Rdn. 16 und § 119 Rdn. 44), im Beschwerdeverfahren also diejenigen im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung (OLG Bamberg JurBüro 1990, 1644; Zimmermann Prozesskostenhilfe 3. Aufl. Rdn. 724) und - wie sich der nachstehenden Berechnung entnehmen lässt - danach die Anordnung einer Ratenzahlung nach § 115 Abs. 2 ZPO nicht mehr in Betracht kommt, hat der Senat abschließend in der Sache selbst zu entscheiden (§ 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO).

Dose                                 Weber-Monecke                                         Klinkhammer

                Schilling                                                 Günter

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
HFR 2010 S. 1356 Nr. 12
NJW-RR 2011 S. 3 Nr. 1
DAAAD-46265