BGH Beschluss v. - 4 StR 139/10

Schwerer sexueller Missbrauch eines Kindes: Voraussetzungen der Tateinheit des Wiederholungsfalls mit der Vollziehung von Oralverkehr

Leitsatz

Tateinheit liegt vor, wenn dieselbe Handlung des Täters sowohl § 176a Abs. 1 StGB als auch § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB verletzt .

Gesetze: § 52 Abs 1 StGB, § 176a Abs 1 StGB, § 176a Abs 2 Nr 1 StGB

Instanzenzug: LG Essen Az: 12 Js 1088/09 - 25 KLs 42/09 Urteil

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in acht Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe auch durch die sexuellen Handlungen im April 2009 die Voraussetzungen des § 176 a Abs. 1 StGB erfüllt, ist rechtsfehlerhaft; zutreffend ist die Strafkammer hingegen davon ausgegangen, dass die im Juli 2009 begangenen Verstöße gegen § 176 a Abs. 1 und 2 StGB zueinander in Tateinheit stehen.

31. Nach den Feststellungen des Landgerichts wurde der Angeklagte am - rechtskräftig seit dem - wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen, wegen versuchten schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern in zwei Fällen und wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften zu der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt.

4In der Zeit vom 6. bis manipulierte der Angeklagte bei zwei Gelegenheiten an dem Geschlechtsteil des am geborenen K. V., dessen Alter ihm bekannt war, bis zum Samenerguss.

5Nach Erhalt der Ladung zum Strafvollzug und der Gewährung eines Strafaufschubs führte der Angeklagte in der Zeit vom 2. bis zum an sechs Abenden an K. den Oralverkehr bis zur Ejakulation in seinen Mund aus.

62. Danach erweist sich die Verurteilung des Angeklagten wegen zweier Verstöße gegen § 176 a Abs. 1 StGB durch die beiden Übergriffe auf K. im April 2009 als rechtsfehlerhaft. Zwar hat der Angeklagte jeweils vorsätzlich sexuelle Handlungen an einer Person unter 14 Jahren (Kind) vorgenommen (§ 176 Abs. 1 StGB). Jedoch war der Angeklagte zu den Tatzeitpunkten im April 2009 nicht "innerhalb der letzten fünf Jahre wegen einer solchen Straftat rechtskräftig verurteilt worden" (§ 176 a Abs. 1 StGB). Denn die (einzige) Vorverurteilung des Angeklagten vom ist erst am rechtskräftig geworden. Die Rückfallklausel des § 176 a Abs. 1 StGB setzt voraus, dass die Wiederholungstat nach einer einschlägigen rechtskräftigen Vorverurteilung begangen worden ist (vgl. Renzikowski in MünchKomm StGB § 176 a Rdn. 12, 15 sowie speziell zu dem Fall des noch laufenden Rechtsmittelverfahrens Hörnle in LK StGB 12. Aufl. § 176 a Rdn. 10). Dem steht der Hinweis der Strafkammer, dass "hinsichtlich der Fristberechnung auf den Zeitpunkt der letzten Tatsachenverhandlung abzustellen ist" (UA 22), nicht entgegen. Diesem Zeitpunkt wird zwar teilweise für die Beantwortung der Frage, welches Ereignis die Fünfjahresfrist in Lauf setzt, Bedeutung beigemessen (vgl. zu dieser Streitfrage näher Wolters in Satzger/Schmitt/Widmaier StGB § 176 a Rdn. 8; Hörnle aaO Rdn. 14 m.w.N.). Dies hat jedoch nichts mit dem schon aus dem Wortlaut der Vorschrift folgenden Erfordernis einer rechtskräftigen Vorverurteilung zu tun (vgl. z.B. Renzikowski aaO Rdn. 16).

7Der Senat hat den Schuldspruch entsprechend abgeändert; § 265 StPO steht nicht entgegen. Dies zieht die Aufhebung der beiden für die Übergriffe im April 2009 verhängten Einzelstrafen von jeweils einem Jahr und zwei Monaten sowie der Gesamtstrafe nach sich. Der Senat schließt hingegen aus, dass die übrigen Einzelstrafen von dem aufgezeigten Rechtsfehler betroffen sind.

83. Zutreffend hat das Landgericht in den sechs Fällen des Oralverkehrs an K. im Juli 2009 angenommen, dass der Angeklagte tateinheitlich zu dem Tatbestand des § 176 a Abs. 2 Nr. 1 StGB die Voraussetzungen des § 176 a Abs. 1 StGB verwirklicht hat. Die erforderliche rechtskräftige Vorverurteilung lag nunmehr vor (zu deren Warnfunktion vgl. , NStZ 2002, 198, 199). Der Senat ist mit der Strafkammer der Auffassung, dass die Verletzung sowohl des § 176 a Abs. 1 als auch des § 176 a Abs. 2 Nr. 1 StGB zueinander in Tateinheit steht (so auch Hörnle aaO Rdn. 95; Wolters aaO Rdn. 22; ders. in SK-StGB § 176 a Rdn. 28; Frommel in NK StGB 3. Aufl. § 176 a Rdn. 18), ohne dass dies notwendig im Tenor zum Ausdruck gebracht werden muss (§ 260 Abs. 4 Satz 5 StPO). Allerdings wird dieses Konkurrenzverhältnis nicht einheitlich beurteilt. So wird auch vertreten, es liege nur eine einzige Tat vor, wenn der Täter durch eine Handlung mehrere Alternativen des § 176 a StGB verwirklicht (Renzikowski aaO Rdn. 43; Lackner/Kühl StGB 26. Aufl. § 176 a Rdn. 6). Teilweise wird auch angenommen, der Tatbestand des § 176 a Abs. 2 StGB verdränge Absatz 1 (Lenckner/Perron/Eisele in Schönke/Schröder StGB 27. Aufl. § 176 a Rdn. 16; Fischer StGB 57. Aufl. § 176 a Rdn. 23; BeckOK-StGB/Ziegler § 176 a Rdn. 23). Dem vermag der Senat jedoch nicht zu folgen. Bei § 176 a Abs. 1 und 2 StGB handelt es sich um unterschiedliche, jeweils auf der Verwirklichung des Grundtatbestands des § 176 StGB aufbauende Qualifikationen. Die Strafverschärfungen in Absatz 1 und Absatz 2 betreffen jeweils unterschiedliche Unrechtsaspekte, welche die Handlung zum Verbrechen aufwerten (Hörnle aaO). Absatz 1 qualifiziert Wiederholungstaten zum Verbrechen, Absatz 2 Nr. 1 besonders erhebliche sexuellen Handlungen, die durch ihre Intensität das sexuelle Selbstbestimmungsrecht in hohem Maße berühren (Renzikowski aaO Rdn. 2, 12, 20).

94. Der Wegfall der Gesamtfreiheitsstrafe entzieht der auf § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB gestützten Anordnung der Sicherungsverwahrung die Grundlage; die verbleibenden sechs Einzelstrafen von jeweils zwei Jahren und fünf Monaten vermögen diesen Ausspruch nicht zu tragen.

Athing                             Ernemann                              Cierniak

                 Franke                               Mutzbauer

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
NJW 2010 S. 2742 Nr. 37
KAAAD-45645