Vertragsärztliche Versorgung - Privilegierung von Gemeinschaftspraxen gegenüber Einzelpraxen bei Höhe des Ordinationskomplexes und der Regelleistungsvolumina - Bewertungsausschuss - keine Überschreitung des Gestaltungsspielraums bei Ausgestaltung des Bewertungsmaßstabes - normative Vorgaben zur Förderung der Gemeinschaftspraxen sind verfassungsgemäß
Leitsatz
Die Privilegierung von Gemeinschaftspraxen (Berufsausübungsgemeinschaften) gegenüber Einzelpraxen bei der Höhe des Ordinationskomplexes und der Regelleistungsvolumina in dem ab dem geltenden vertragsärztlichen Vergütungssystem ist rechtmäßig.
Gesetze: § 73 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 5, § 85 Abs 4 S 6 SGB 5 vom , § 85 Abs 4 S 7 SGB 5 vom , § 85 Abs 4 S 8 SGB 5 vom , § 85 Abs 4a S 1 SGB 5 vom , § 87 Abs 1 SGB 5, § 87 Abs 2 SGB 5, § 87 Abs 2a S 1 SGB 5 vom , Art 3 Abs 1 GG, Art 12 Abs 1 GG, AllgBest 5.1 EBM-Ä 2005
Instanzenzug: SG Marburg Az: S 12 KA 409/07 Urteil
Tatbestand
1Umstritten ist die Höhe vertragsärztlichen Honorars in den Quartalen II/2005 und III/2005.
2Der Kläger ist als Facharzt für Allgemeinmedizin in einer Einzelpraxis zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Er legte gegen die Honorarbescheide der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) für die Quartale II/2005 und III/2005 jeweils Widerspruch ein. Diesen begründete er - soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse - damit, dass nach der Neufassung des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä) zum Gemeinschaftspraxen gegenüber Einzelpraxen bei der Honorierung vertragsärztlicher Leistungen in rechtswidriger Weise bevorzugt würden. Er verwies dabei darauf, dass seit dem Ärzte, die in Gemeinschaftspraxen tätig seien, einen Aufschlag von mindestens 60 und höchstens 105 Punkten auf den Ordinationskomplex erhalten. Auch die Regelungen unter Teil III Nr 3.2.2 des Beschlusses des Bewertungsausschusses vom zur Festlegung von Regelleistungsvolumen durch die Kassenärztlichen Vereinigungen gemäß § 85 Abs 4 SGB V (BRLV-DÄ 2004, A 3129) bevorzugten die Gemeinschaftspraxen. Die Fallpunktzahlen für Gemeinschaftspraxen würden als arithmetischer Mittelwert der Fallpunktzahlen der in der Gemeinschaftspraxis vertretenen Arztgruppen berechnet. Die so errechnete Fallpunktzahl erhöhe sich um 130 Punkte für arztgruppen- und schwerpunktgleiche Gemeinschaftspraxen und in einer arztgruppen- bzw schwerpunktübergreifenden Gemeinschaftspraxis um 30 Punkte je repräsentiertem Fachgebiet oder Schwerpunkt, jedoch um mindestens 130 und höchstens 220 Punkte. Diese Bevorzugung der Gemeinschaftspraxen, die der Honorarverteilungsvertrag (HVV), den die Beklagte mit den Krankenkassen (KKn) abgeschlossen habe, übernommen habe, stehe mit höherrangigem Gesetzesrecht sowie mit dem GG nicht im Einklang.
3Widerspruch und Klage sind - soweit im Revisionsverfahren noch von Bedeutung - erfolglos geblieben. Das SG hat eine rechtswidrige Benachteiligung von Einzelpraxen gegenüber Gemeinschaftspraxen weder auf der Ebene des EBM-Ä noch des HVV gesehen. Die Vorgaben im Beschluss des Bewertungsausschusses vom zu den Regelleistungsvolumina (RLV) seien allerdings für die Honorarverteilung verbindlich. Soweit bei den RLV erhöhte Fallpunktzahlen für Gemeinschaftspraxen vorgesehen seien, berücksichtige das die Höherbewertung des Ordinationskomplexes im EBM-Ä in der ab geltenden Fassung. Die Zuschläge zum Ordinationskomplex und zu den RLV widersprächen weder dem Gebot der leistungsproportionalen Vergütung noch dem Gebot der Honorarverteilungsgerechtigkeit, das sich aus Art 12 Abs 1 iVm Art 3 Abs 1 GG ergebe. Der Gesetzgeber habe dem Bewertungsausschuss in § 87 Abs 2a Satz 1 SGB V ausdrücklich aufgegeben, die Besonderheiten kooperativer Versorgungsformen zu berücksichtigen. Unter Heranziehung der für die Kontrolle von Entscheidungen des Bewertungsausschusses von der Rechtsprechung entwickelten Maßstäbe habe dieser die ihm kraft Gesetzes zukommende Gestaltungsfreiheit nicht missbraucht. Die Gründe für die (begrenzte) Bevorzugung von Gemeinschaftspraxen bei der Vergütung vertragsärztlicher Leistungen seien sachbezogen und mindestens plausibel. Der Bewertungsausschuss sei nicht gezwungen gewesen, Ordinationskomplex und RLV in mathematisch gleicher Form zugunsten der Gemeinschaftspraxen zu erhöhen. Dass feste und einheitliche Zuschläge für Gemeinschaftspraxen zu prozentual unterschiedlichen Erhöhungen der Ordinationsgebühr und der RLV je nach Arztgruppe in Relation zu Einzelpraxen führen könnten, indiziere noch nicht die Sachwidrigkeit der Entscheidung des Bewertungsausschusses. Im Übrigen liege die Annahme des Klägers fern, unter den seit dem zweiten Quartal 2005 geltenden Bedingungen könne eine Einzelpraxis wirtschaftlich nicht mehr mit Aussicht auf Erfolg geführt werden (Urteil vom ).
4Mit seiner auf die Ungleichbehandlung von Einzel- und Gemeinschaftspraxen beschränkten Sprungrevision rügt der Kläger eine Verletzung des Art 3 Abs 1 und des Art 12 Abs 1 GG und insbesondere einen Verstoß gegen das Gebot der leistungsproportionalen Vergütung vertragsärztlicher Leistungen sowie der Honorarverteilungsgerechtigkeit. Nach der Rechtsprechung des BSG verfüge der Bewertungsausschuss über einen relativ weiten Gestaltungsspielraum, er sei berechtigt zu generalisieren und zu typisieren und dürfe auch steuernde Eingriffe in das Vergütungsgefüge zur Verfolgung bestimmter sachgerechter Ziele vornehmen. Er agiere gleichwohl nicht in einem rechtsfreien Raum, und dürfe seine Bewertungskompetenz nicht missbräuchlich oder willkürlich ausüben und ärztliche Minderheitengruppen bei der Honorierung nicht bewusst benachteiligen. Soweit Regelungen des EBM-Ä in den Schutzbereich der Berufsfreiheit nach Art 12 Abs 1 GG eingriffen, seien die Regelungen im EBM-Ä an den Grundsätzen der Erforderlichkeit, Geeignetheit und Zumutbarkeit zu messen. Vor allem sei der Bewertungsausschuss strikt an das Gleichbehandlungsgebot des Art 3 Abs 1 GG gebunden. Es sei ihm verwehrt, bestimmte Vergütungen ohne sachlichen Grund nur einer Arztgruppe zu gewähren, obgleich dieselbe Leistung auch von anderen Arztgruppen erbracht werde, oder einzelne Gruppen von Leistungserbringern bei der Honorierung vertragsärztlicher Leistungen bewusst zu benachteiligen. Auch die einfachgesetzlichen Vorgaben insbesondere in § 87 SGB V seien vom Bewertungsausschuss strikt zu beachten.
5Auch die vom SG besonders hervorgehobene Gestaltungsfreiheit von KÄV und KKn bei Abschluss des HVV sei nicht unbegrenzt, insbesondere könne sich die KÄV nicht beliebig auf die Rechtsprechung des BSG berufen, wonach ihr bei Anfangs- und Erprobungsregelungen ein besonders weiter Gestaltungsspielraum zustehe. Diesem weiten Gestaltungsspielraum korrespondiere nach der Rechtsprechung zumindest eine Beobachtungs- und Reaktionspflicht der KÄV.
6Bei Anwendung dieser rechtlichen Maßstäbe für EBM-Ä und HVV sei die Privilegierung der Gemeinschaftspraxen bei der Vergütung vertragsärztlicher Leistungen ab dem Quartal II/2005 nicht zu rechtfertigen. Willkürlich sei zunächst, dass sich der pauschale Zuschlag von 60 Punkten für den Ordinationskomplex bei einzelnen Arztgruppen ganz unterschiedlich auswirke. Je niedriger der Ordinationskomplex je nach Arztgruppe und Versichertenstatus sei, desto höher sei prozentual die Begünstigung der Gemeinschaftspraxen; diese könne bei hausärztlichen Internisten und Allgemeinärzten, die einen relativ niedrigen Ordinationskomplex erhielten, bis zu 40 % erreichen. Das sei im Hinblick darauf, dass in einer Einzelpraxis und in einer Gemeinschaftspraxis die gleichen Leistungen erbracht würden, nicht zu rechtfertigen.
7Soweit sich das SG auf einen Beschluss des Senats vom berufen habe, habe es verkannt, dass der Senat zu einer Regelung des EBM-Ä entschieden habe, die sich grundsätzlich von der hier zu beurteilenden Normstruktur unterschieden habe. Bei der damaligen Regelung habe die Bevorzugung der Gemeinschaftspraxen dazu gedient, die Wirkungen einer Abstaffelungsregelung abzumildern, die praxis- und nicht arztbezogen ausgerichtet gewesen sei. Die Bildung der RLV ab dem Quartal II/2005 erfolge jedoch arzt- und nicht praxisbezogen, sodass für eine Benachteiligung der Gemeinschaftspraxen, die dann wiederum ggf ausgeglichen werden müsste, keine Grundlage bestehe. Im Übrigen sei die Annahme, die Zahl der Patienten in einer Gemeinschaftspraxis steige nicht proportional zu jedem vollzeittätigen Arzt an, nicht plausibel.
8Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom sowie die Honorarbescheide der Beklagten für die Quartale II und III/2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom aufzuheben, soweit die Frage der Bevorzugung von Gemeinschaftspraxen gegenüber Einzelpraxen betroffen ist, und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats an das Sozialgericht zurückzuverweisen.
9Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
10Sie verweist darauf, dass die den angefochtenen Bescheiden zugrunde liegenden Regelungen des EBM-Ä für sie verbindlich und nach der Rechtsprechung des BSG rechtmäßig seien.
Gründe
11Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Die angefochtenen Honorarbescheide sind - soweit sie im Revisionsverfahren zu überprüfen sind - nicht zu beanstanden. Das SG hat die Klage insoweit zu Recht abgewiesen.
12Die Regelungen der Nr 3.2.2 in Teil III des Beschlusses des Bewertungsausschusses vom zu den KÄV-bezogenen arztgruppenspezifischen Fallpunktzahlen sowie die Vorschrift der Nr 5.1 in Teil I der Allgemeinen Bestimmungen des EBM-Ä zur Höhe des Ordinationskomplexes für Gemeinschaftspraxen stehen mit höherrangigem Recht in Einklang. Der Bewertungsausschuss (§ 87 Abs 1 SGB V) hat seinen Gestaltungsspielraum bei der Ausgestaltung des Bewertungsmaßstabs nicht überschritten, und die normativen Vorgaben zur Förderung der Gemeinschaftspraxen verstoßen weder gegen Art 12 Abs 1 GG noch gegen Art 3 Abs 1 GG.
13Nach Nr 5.1 in Teil I der Allgemeinen Bestimmungen des EBM-Ä erhalten Gemeinschaftspraxen (heute: Berufsausübungsgemeinschaften) einen Aufschlag zum Ordinationskomplex, der mindestens 60 und höchstens 105 Punkte beträgt. Die Fallpunktzahl im RLV erhöht sich nach Teil III Nr 3.2.2 BRLV um 130 Punkte für arztgruppen- und schwerpunktgleiche Gemeinschaftspraxen. In arztgruppen- und schwerpunktübergreifenden Gemeinschaftspraxen erhöht sich die Fallpunktzahl um 30 Punkte je repräsentiertem Fachgebiet, jedoch mindestens um 130 und höchstens um 220 Punkte. Diese bundeseinheitlich geltenden Vorgaben sind rechtmäßig; der HVV, den die Beklagte mit den KKn abgeschlossen hat, hat sie korrekt umgesetzt.
14Die Maßstäbe der gerichtlichen Kontrolle von Regelungen in den Bewertungsmaßstäben sind in der Rechtsprechung des Senats geklärt. Dem Bewertungsausschuss als Normgeber steht bei der Erfüllung des ihm in § 87 Abs 1 SGB V übertragenen Auftrags ein Gestaltungsspielraum zu; dieser ist auch von der Rechtsprechung zu respektieren, die daher Regelungen des EBM-Ä nur in Ausnahmefällen korrigieren darf (BSGE 94, 50 = SozR 4-2500 § 72 Nr 2, RdNr 86; BSG SozR 4-2500 § 87 Nr 11 RdNr 9). Gleichwohl unterliegt der Bewertungsausschuss als untergesetzlicher Normgeber gerichtlicher Kontrolle; er ist an die einfachgesetzlichen Vorgaben ebenso wie an die grundrechtlichen Gewährleistungen in Art 3 Abs 1 und Art 12 Abs 1 GG gebunden. Geklärt ist weiterhin, dass der Bewertungsausschuss pauschalieren, generalisieren und typisieren darf und betriebswirtschaftliche Erwägungen nicht zwingend berücksichtigen muss, aber berücksichtigen kann, soweit sie eine gewisse Plausibilität für sich haben (BSG SozR 4-2500 § 87 Nr 15 RdNr 21, 23 und 24; BSGE 100, 154 = SozR 4-2500 § 87 Nr 16, RdNr 28). Auch mit den Auswirkungen des Gleichbehandlungsgebotes des Art 3 Abs 1 GG auf Einzel- und Gemeinschaftspraxen bei differenzierenden Vergütungsregelungen im EBM-Ä hat sich der Senat befasst und in diesem Zusammenhang dargelegt, dass der Normgeber nicht auf lediglich hypothetische Konstellationen wie große laborähnliche Praxisgemeinschaften Rücksicht nehmen muss (BSG SozR 4-2500 § 87 Nr 15 RdNr 30). Bei Anwendung dieser auch vom Kläger zu Grunde gelegten Prüfungsmaßstäbe sind die Regelungen über die Zuschläge für Gemeinschaftspraxen beim Ordinationskomplex im EBM-Ä und bei den Vorgaben für RLV im BRLV ab dem nicht zu beanstanden.
15Der Bewertungsausschuss hat bei seinem Beschluss vom wie mit der Neufassung des Ordinationskomplexes in Nr 5.1 in Teil I der Allgemeinen Bestimmungen des EBM-Ä zum vergleichbare Regelungen aus vorangegangenen Zeiträumen zur Förderung von Gemeinschaftspraxen auf der Vergütungsebene vorgefunden. Der EBM-Ä enthielt in der Zeit vom bis zum in den Allgemeinen Bestimmungen über die Fallpunktzahlen in den Praxisbudgets Vorgaben über einen Aufschlag von 10 % für Gemeinschaftspraxen zwischen Hausärzten oder zwischen Fachärzten desselben Fachgebiets. Diese Regelung hat der Senat in zwei Beschlüssen vom und vom jeweils in Verfahren von Ärzten in Einzelpraxen gebilligt (B 6 KA 112/03 B und B 6 KA 129/03 B). Der Beschluss vom (B 6 KA 112/03 B) ist auf die Verfassungsbeschwerde vom BVerfG ausdrücklich nicht beanstandet worden (Kammerbeschluss vom - 1 BvR 507/04). Damit ist die grundsätzliche Zulässigkeit begünstigender Sonderregelungen für Gemeinschaftspraxen auf der Ebene des EBM-Ä geklärt. Das gilt umso mehr, als der Senat seine Entscheidungen nicht allein damit begründet hatte, dass die damals zu beurteilende Regelung über den Aufschlag für die Gemeinschaftspraxen eine gewisse Kompensation für den Ausschluss der Berechnungsfähigkeit der Nr 44 EBM-Ä aF (konsiliarische Erörterung) zwischen Ärzten derselben Gemeinschaftspraxis bewirken sollte. Der Senat hat vielmehr ausdrücklich auch die Erwägungen des Bewertungsausschusses gebilligt, generell die Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit in einer Gemeinschaftspraxis zu fördern und Regelungen zu treffen, die das Ausweichen in Praxisgemeinschaften unattraktiv machen.
16Bei der Neufassung des EBM-Ä zum , durch die der Bewertungsausschuss die Übergangsphase nach dem Auslaufen der Praxisbudgets zum beendet hat, konnte der Normgeber an die frühere Regelung im EBM-Ä und dazu ergangene Rechtsprechung anknüpfen. Zudem war er nach § 87 Abs 2a Satz 1 SGB V in der ab geltenden Fassung des GKV-Modernisierungsgesetzes (GMG) gehalten, Besonderheiten kooperativer Versorgungsformen zu berücksichtigen. Dieser gesetzliche Auftrag ist im Gesetzgebungsverfahren zum GMG dahin interpretiert worden, der Bewertungsausschuss sei verpflichtet, bei der Zusammenfassung von Einzelleistungen zu Leistungskomplexen und Fallpauschalen die Besonderheiten von Gemeinschaftspraxen und anderen Kooperationsformen zu berücksichtigen. Zur Begründung dieses Regelungsziels ist darauf hingewiesen worden, der anfallende Betreuungsaufwand pro Patient bei der Behandlung durch eine kooperative Versorgungsform im Vergleich zur Behandlung durch eine Einzelpraxis sei höher, da in der kooperativen Versorgungsform oftmals mehrere Ärzte an der Behandlung beteiligt seien. Zur Förderung der Versorgung durch kooperative Versorgungsformen, beispielsweise medizinische Versorgungszentren, sollten spezifische Fallpauschalen entwickelt werden, die den Besonderheiten dieser Versorgungsform Rechnung tragen (BT-Drucks 15/1525 zu Artikel 1 Nr 66 <§ 87> Buchst d Doppelbuchst aa). Im Hinblick auf diese spezialgesetzliche Ermächtigung konnte sich der Bewertungsausschuss für die Regelungen in Nr 5.1 in Teil I der Allgemeinen Bestimmungen des EBM-Ä und in Nr 3.2.2 in Teil III des BRLV nicht nur auf die allgemeine gesetzliche Ermächtigung des § 87 Abs 2 SGB V, sondern auf den expliziten Regelungsauftrag des § 87 Abs 2a Satz 1 SGB V stützen. Für die rechtliche Prüfung der von der Revision beanstandeten Regelung hat das Konsequenzen. Es geht nicht mehr vorrangig um die Frage, ob der Bewertungsausschuss kraft seiner generellen Kompetenz für den Erlass der Bewertungsmaßstäbe Gemeinschaftspraxen in begrenztem Umfang gegenüber Einzelpraxen fördern darf, sondern vor allem um die Frage, ob der Gesetzgeber selbst den Bewertungsausschuss - wenn auch eher allgemein - zu einer entsprechenden Regelung ermächtigen darf. Damit sind nicht in erster Linie die gesetzlichen Grenzen der Gestaltungskompetenz des Bewertungsausschusses, sondern diejenigen des politisch gestaltenden Gesetzgebers angesprochen. Dass insoweit unterschiedliche Prüfungsmaßstäbe die gerichtliche Kontrolle determinieren, hat der Senat jüngst in seinem Urteil vom im Hinblick auf Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Gesprächspsychotherapie dargelegt (B 6 KA 11/09 R - RdNr 32 ff - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen).
17Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber verfassungsrechtlich gehindert sein könnte, im Rahmen von Regelungen der vertragsärztlichen Vergütung vorzugeben, dass die Leistungserbringung in kooperativer Berufsausübung besonders zu berücksichtigen sei, bestehen nicht. Solange diese Vorgaben nicht bewirken, dass wegen der begrenzten Gesamtvergütungen die Förderung der Gemeinschaftspraxis in der Weise zu Lasten der Einzelpraxen geht, dass diese nicht mehr wirtschaftlich betrieben werden können, ist der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers sehr weit. Die Auffassung der Revision, die (vermeintlichen) Vorteile der Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit in kooperativer Form seien nicht ausreichend sicher belegt, berücksichtigt die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Ausgestaltung der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung durch den Gesetzgeber nicht hinreichend.
18In der gesundheitspolitischen und versorgungspolitischen Diskussion werden zahlreiche unterschiedliche Aspekte angeführt, unter denen die kooperative Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit als sinnvoll angesehen wird. Das betrifft zB die bessere Auslastung von teuren medizinisch-technischen Geräten im fachärztlichen Bereich; diese Entwicklung hat dazu geführt, dass in den medizinisch-technischen Fächern wie Labormedizin, Radiologie und Pathologie Einzelpraxen fast verschwunden sind. Nach den "Grunddaten zur vertragsärztlichen Versorgung in Deutschland" (Hrsg: Kassenärztliche Bundesvereinigung, 2009) waren im Jahr 2008 von den 2859 radiologisch tätigen Vertragsärzten 2201 in einer Gemeinschaftspraxis tätig. Von den 3907 zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Chirurgen waren 1765 in einer Gemeinschaftspraxis tätig, also deutlich mehr als 40 %. Von den 40862 Allgemeinärzten, praktischen Ärzten und Ärzten ohne Gebietsbezeichnung waren bereits 15685, also mehr als ein Drittel, in einer Gemeinschaftspraxis tätig. Auch die Verzahnung der vertragsärztlichen Tätigkeit mit der Versorgung von Patienten im Krankenhaus bzw der Durchführung ambulanter Operationen, die dem Gesetzgeber insbesondere des Vertragsarztrechtsänderungsgesetzes vom (BGBl I 3439) ein besonderes Anliegen war, lässt sich - abgesehen von der Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit durch ein Medizinisches Versorgungszentrum - in Gemeinschaftspraxen bzw Berufsausübungsgemeinschaften besser als in einer Einzelpraxis realisieren. Ambulante Operationen und belegärztliche Tätigkeiten sind in Gemeinschaftspraxen bzw Berufsausübungsgemeinschaften eher realisierbar, weil die Praxis für die "regulären" ambulanten Patienten auch in Zeiten weiter betrieben werden kann, in der ein Vertragsarzt - ggf außerhalb der Praxisräume - ambulante Operationen ausführt oder in einem Krankenhaus Patienten belegärztlich versorgt.
19Auch im Kontext der hier betroffenen hausärztlichen Tätigkeit werden Vorteile für den Patienten durch das Angebot von Gemeinschaftspraxen benannt. Das betrifft etwa längere Öffnungszeiten der Praxis, geringe Zeiten der Vertretung wegen des Urlaubs oder der Erkrankung des Praxisinhabers sowie das in der zitierten Gesetzesbegründung zum GMG angesprochene größere Leistungsspektrum von Berufsausübungsgemeinschaften aus mehreren Ärzten. Gerade die umfassenden Koordinationsaufgaben, die Hausärzte nach der Vorstellung des Gesetzgebers übernehmen sollen (vgl § 73 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB V), lassen es als vorteilhaft erscheinen, wenn eine Praxis an so vielen Tagen wie möglich für die Patienten zugänglich ist und alle den einzelnen Patienten betreffenden Daten jeweils verfügbar sind und nicht erst Befunde von vertretenden Ärzten in die vorhandenen Dateien eingepflegt werden müssen. Schließlich wird auch unter dem Gesichtspunkt der Gewinnung ärztlichen Nachwuchses gerade im hausärztlichen Bereich in dem Angebot von Gemeinschaftspraxen und Berufsausübungsgemeinschaften ein Vorteil gesehen, weil diese eher als die Einzelpraxis die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Ärztinnen und Ärzte gerade zu Beginn ihrer Niederlassungstätigkeit erleichtern können. Der Gesetzgeber, der die Leitbilder seiner politischen Gestaltung nicht wie eine Verwaltungsbehörde begründen muss, darf den hier nur beispielhaft genannten Aspekten Rechnung tragen, ohne zuvor umfassende Gutachten dazu eingeholt zu haben, wie sich genau welche Regelungsabsicht realisieren lässt.
20Soweit der Kläger geltend macht, es stehe nicht fest, dass das Behandlungsspektrum (auch) in einer fachgebietsgleichen Gemeinschaftspraxis größer als in einer Einzelpraxis sei, rechtfertigt das keine andere Beurteilung. In der Begründung zu § 87 Abs 2a Satz 1 SGB V idF des GMG wird ein Erfahrungssatz formuliert, für den kein Anspruch auf ausnahmslose Geltung erhoben wird ("oftmals"). Als solcher ist die Annahme eines in einer Gemeinschaftspraxis höheren Betreuungsaufwands mindestens plausibel. Das SG verweist in diesem Zusammenhang zutreffend auf ein typischerweise breiteres fachliches Spektrum und auf die kollegiale Zusammenarbeit in einer Gemeinschaftspraxis. Das ist nach den Vorgaben des Gesetzes zu Inhalt und Gegenstand der hausärztlichen Versorgung (§ 73 Abs 1 Satz 2 SGB V) auch in diesem Leistungsbereich von Bedeutung. So kann beispielsweise die stärker chirurgische, internistische oder psychosomatische Ausrichtung einzelner Mitglieder einer hausärztlichen Gemeinschaftspraxis dazu führen, dass Untersuchungen und Behandlungen angeboten werden können, die in einer Einzelpraxis nicht verfügbar sind. Auch der Aspekt, dass in einer Gemeinschaftspraxis ohne Überweisung ein zweiter Arzt einen Patienten oder einen Untersuchungsbefund mitüberprüfen kann und ein formloser kollegialer Austausch zB in medizinischen Zweifelsfällen leicht möglich ist, stützt die Plausibilität der Annahme des Gesetzgebers. Ohne dass feststünde oder auch nur empirisch ermittelbar wäre, in wie vielen Fällen in einer Gemeinschaftspraxis ein solches informelles Konsil stattfindet und Überweisungen dadurch eingespart werden, rechtfertigt schon allein die Möglichkeit einer solchen Kooperation eine höhere Vergütung auf der Ebene des EBM-Ä.
21Auch soweit der Kläger der Sache nach geltend macht, der Bewertungsausschuss habe keine Befugnis, die vertragsärztliche Tätigkeit in einer Gemeinschaftspraxis für qualitativ höherwertig als diejenige in einer Einzelpraxis zu bewerten, folgt der Senat dem nicht. Der Gesetzgeber wie der Bewertungsausschuss stellen nicht in Frage, dass - abgesehen von den oben angeführten medizinisch-technischen Fachgebieten - die Versorgungslandschaft nach wie vor von Einzelpraxen dominiert wird, der Anteil der Gemeinschaftspraxen aber steigt. In einer solchen Lage dürfen beide Normgeber Anreize setzen, die eine Verstärkung des Trends zur kooperativen vertragsärztlichen Tätigkeit bewirken können. Daran liegt keine wirtschaftliche und immaterielle Abwertung von Einzelpraxen, die heute nach wie vor das unverzichtbare Rückgrat der vertragsärztlichen Versorgung vor allem im hausärztlichen Bereich bilden. Die Vergütungszuschläge beim Ordinationskomplex und (folgerichtig) auch bei den RLV sind nämlich der Höhe nach weder geeignet noch darauf angelegt, die Führung einer Einzelpraxis wirtschaftlich unattraktiv zu machen.
22Zu Recht macht der Kläger allerdings geltend, die auch in den zitierten Senatsbeschlüssen aus dem Jahre 2004 (RdNr 15) angeführte Erwägung, die finanzielle Förderung von Gemeinschaftspraxen wirke dem Ausweichen auf rechtlich zweifelhafte Formen der Zusammenarbeit von Vertragsärzten entgegen, könne für sich genommen allein die Privilegierung von Gemeinschaftspraxen gegenüber Einzelpraxen nicht rechtfertigen. Vertragsärzte, die in der äußeren Gestalt einer Praxisgemeinschaft, in der praktizierten Realität aber wie in einer Gemeinschaftspraxis kooperieren, verletzen ihre vertragsärztlichen Pflichten mit allen damit verbundenen Konsequenzen (vgl BSGE 96, 99 = SozR 4-5520 § 33 Nr 6, RdNr 18 ff). Gesetzeskonformes Verhalten kann von Vertragsärzten voraussetzungslos erwartet und muss nicht erst über besondere Anreize bewirkt werden. Da aber - wie eben aufgezeigt - hinreichende Gründe für die vom Kläger beanstandeten Regelungen im EBM-Ä und im BRLV bestehen, sind diese in ihrem rechtlichen Bestand nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Bewertungsausschuss sich möglicherweise zusätzlich von der Erwägung hat leiten lassen, Anreize für die Wahl der "richtigen" Kooperationsform zu setzen.
23Auch soweit der Kläger die konkrete Ausgestaltung der Zuschlagsregelungen beanstandet, verstoßen die Vorgaben des EBM-Ä nicht gegen höherrangiges Recht. Der Bewertungsausschuss durfte sich für feste Punktzahlaufschläge beim Ordinationskomplex entscheiden und war nicht gezwungen, einen prozentualen Zuschlag für Gemeinschaftspraxen vorzuschreiben, wie er im EBM-Ä zwischen dem und dem im Zusammenhang mit den Praxisbudgets normiert und Gegenstand der oben (RdNr 15) aufgeführten Senatsbeschlüsse aus dem Jahr 2004 war. Sowohl von starren wie von prozentualen Aufschlägen für Gemeinschaftspraxen gehen bestimmte Verteilungswirkungen aus, die nicht von vornherein positiv oder negativ zu bewerten sind. Feste Punktzahlzuschläge begünstigen alle Gemeinschaftspraxen gleichmäßig und variieren den Effekt nicht nach der punktzahlmäßigen Bewertung des Ordinationskomplexes der einzelnen Arztgruppe. Bei relativ niedrigen Ordinationskomplexen fällt dann allerdings zwangsläufig die Begünstigung im Vergleich zu Einzelpraxen besonders hoch aus; der Zuschlag von 60 Punkten kann - wie der Kläger zu Recht geltend macht - in besonderen Konstellationen (zB Behandlung eines Versicherten einer bestimmten Alterskohorte bei einem Allgemeinarzt) zu einer Erhöhung des Ordinationskomplexes um bis zu 40 % führen. Bezogen auf das Gesamthonorar je Vertragsarzt sind die Auswirkungen der beiden in Betracht kommenden Zuschlagsvarianten indessen nicht annähernd so groß wie in diesem Beispielsfall. Für die Festlegung eines starren Zuschlags spricht auch die Erwägung, die Förderung der Gemeinschaftspraxis nicht von der - unter dieser Zielsetzung irrelevanten - Höhe des Ordinationskomplexes der einzelnen Arztgruppe abhängig zu machen. Die Höhe des Ordinationskomplexes, die etwa bei Anästhesisten je nach Alter der Patienten zwischen 155 und 255 Punkten und bei Augenärzten zwischen 405 und 465 Punkten schwankt, spiegelt den Grad der Standardisierung typischer Behandlungsabläufe in den einzelnen Arztgruppen wider und weist deshalb keinen inneren Bezug zur Förderung von Gemeinschaftspraxen auf. Diesem arztgruppenübergreifenden Ziel trägt deshalb eher eine feste als eine prozentuale Zuschlagsregelung Rechnung.
24Soweit sich der Kläger gegen die Übernahme der Zuschlagsregelung aus dem EBM-Ä und dem BRLV in den HVV wendet, kann seine Revision von vornherein keinen Erfolg haben. An die Vorgaben des Bewertungsausschusses ist die Beklagte nach § 85 Abs 4 Satz 6 bis 8 iVm Abs 4a Satz 1 letzter Teils SGB V idF des GMG gebunden. Danach hat der Bewertungsausschuss Vorgaben für die Honorarverteilung zu machen, die Bestandteil des HVV werden und von den Partnern dieses Vertrages zwingend beachtet werden müssen (dazu näher Senatsurteil vom - B 6 KA 31/08 R - RdNr 22, zur Veröffentlichung vorgesehen).
25Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Halbs 3 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2010:170310UB6KA4108R1
Fundstelle(n):
WAAAD-45025