BFH Urteil v. - III R 17/07

Unverbindliche Aussicht auf einen Ausbildungsplatz nicht für § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe c EStG ausreichend

Leitsatz

Zur Berufsausbildung gehören auch berufsspezifische Praktika, z.B. ein Anwaltspraktikum eines Jurastudenten oder eine Volontärtätigkeit, die ausbildungswillige Kinder vor Annahme einer vollbezahlten Beschäftigung gegen geringe Entlohnung absolvieren, vorausgesetzt, der Ausbildungscharakter steht im Vordergrund und es handelt sich nicht lediglich um ein gering bezahltes Arbeitsverhältnis.
Eine unverbindliche Aussicht auf einen Ausbildungsplatz genügt nicht für die Anwendbarkeit des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG.
Der Grundsatz von Treu und Glauben hindert die Rückforderung zuviel gezahlten Kindergeldes nicht schon dann, wenn die Familienkasse trotz Kenntnis von Umständen, die zum Wegfall des Kindergeldanspruchs führen, zunächst weiterhin Leistungen erbracht hat. Erforderlich sind vielmehr besondere Umstände, die die Geltendmachung des Rückforderungsanspruchs als illoyale Rechtsausübung erscheinen lassen.

Gesetze: EStG § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1, EStG § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2, FGO § 76

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

1 I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) bezog für ihre am geborene Tochter (T) Kindergeld. Mit Bescheiden vom hob die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) die Festsetzung des Kindergeldes für Februar bis August 2003 sowie ab November 2003 auf und forderte das gezahlte Kindergeld in Höhe von 1.078 € (Februar bis August 2003) und 1.386 € (November 2003 bis Juli 2004) zurück. Die Einsprüche der Klägerin wies die Familienkasse mit Einspruchsentscheidungen vom 6. und als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus:

2 Für den Zeitraum Februar bis August 2003, in dem T in einem Friseursalon gearbeitet habe, stehe der Klägerin kein Kindergeld zu, weil T nicht für einen Beruf ausgebildet worden sei, sondern eine mehr als nur geringfügige Beschäftigung als Friseurgehilfin ausgeübt habe. Nach der Bescheinigung der Arbeitgeberin habe die wöchentliche Arbeitszeit 32 Stunden betragen und der monatliche Verdienst mehr als 400 €.

3 Ab November 2003 habe die Klägerin keinen Anspruch mehr auf Kindergeld, da T ab nicht mehr als arbeitsuchend registriert gewesen sei. Sie habe sich zuletzt am bei der Arbeitsvermittlung arbeitslos gemeldet und sei trotz Aufforderung am und danach nicht mehr erschienen. Ebenso wenig sei sie bei der Berufsberatung des Arbeitsamtes als Bewerberin geführt worden. Zwar sei am (von einer Tante der T) um einen Gesprächstermin für T gebeten worden, T habe diesen Termin am jedoch ohne Begründung nicht wahrgenommen. Andere Nachweise darüber, dass T sich ernsthaft um eine Berufsausbildung bemüht habe, lägen nicht vor.

4 Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. T habe von Februar bis August 2003 kein als Berufsausbildung anzusehendes Praktikum absolviert. Für eine Berufsausbildung spreche zwar die Bescheinigung des Friseursalons vom , nach der T vom bis Juli 2004 ein Praktikum geleistet habe. Dagegen habe die Klägerin in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich erklärt, dass ihre Tochter im Zeitraum Februar bis August 2003 in einem Arbeitsverhältnis als Shampooneuse gestanden habe. Die als Zeugin vernommene T habe ausgesagt, sie habe in dem Friseursalon am ein Praktikum von vier bis sechs Wochen begonnen. Das Praktikum sei daher auch nach Aussage von T spätestens Mitte Januar 2003 beendet gewesen. Ebenfalls für ein Arbeitsverhältnis spreche das der T am ausgestellte Zeugnis, in dem sie ausdrücklich als Friseurgehilfin bezeichnet und als Kündigungsgrund ein Kundenrückgang angegeben werde. Auch habe T im Einspruchsverfahren ausdrücklich bestätigt, dass sie keine Ausbildung absolviere, sondern einen festen Arbeitsplatz habe.

5 Entgegen der Ansicht der Klägerin habe die Familienkasse nicht wider besseres Wissen Kindergeld gezahlt und dieses dann treuwidrig zurückgefordert. Aufgrund der Praktikumsbescheinigung vom habe die Familienkasse von einer Berufsausbildung in Form eines Praktikums ausgehen können. Erst mit der Vorlage des Zeugnisses vom habe sie Zweifel an der Ausbildung haben müssen, was schließlich zur Aufhebung der Kindergeldfestsetzung und Rückforderung des gezahlten Kindergeldes geführt habe.

6 Ab November 2003 sei T nicht mehr als Arbeitsuchende registriert gewesen. Zwar habe sie sich nach der Kündigung Ende August/Anfang September 2003 arbeitsuchend gemeldet. Die Erklärungen von T und der Klägerin in der mündlichen Verhandlung, ihnen seien Einladungen des Arbeitsamtes zum 27. Oktober und nicht bekannt, würden durch die von der Familienkasse vorgelegte Kindergeldakte nicht bestätigt.

7 Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1, Nr. 2 Buchst. a und Buchst. c des Einkommensteuergesetzes in der für den Streitzeitraum geltenden Fassung (EStG) sowie einen Verfahrensverstoß gegen § 76 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Sie trägt im Wesentlichen vor:

8 Für Februar bis August 2003 bestehe ein Anspruch auf Kindergeld nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG. Nach den Grundsätzen der (BFHE 189, 98, BStBl II 1999, 706) und VI R 16/99 (BFHE 189, 113, BStBl II 1999, 713) sei die Tätigkeit von T als Praktikum und damit als Berufsausbildung zu beurteilen.

9 Nach den Grundsätzen des (BFHE 203, 98, BStBl II 2003, 845) seien auch die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG gegeben, da mit der Tätigkeit von T in dem Friseursalon die Erwartung verknüpft gewesen sei, eine Ausbildungsstelle zu bekommen. Sie habe sich daher ernsthaft um einen für sie objektiv geeigneten Arbeitsplatz bemüht.

10 Ab November 2003 sei T nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG zu berücksichtigen, unabhängig davon, ob sie nach dem eine Einladung zu dem Vorstellungsgespräch am erhalten habe. Denn die Wirkung der Meldung eines Kindes als arbeitsuchend könne nicht durch einseitiges Verwaltungshandeln der Agentur für Arbeit erlöschen.

11 Im Übrigen werde ein Verstoß gegen § 76 Abs. 1 FGO gerügt. T habe bei ihrer Vernehmung als Zeugin erklärt, ihr sei kein Einladungsschreiben zugegangen. Die Agentur für Arbeit habe den Zugang nicht nachweisen können. Insoweit beruhe das Urteil des FG hinsichtlich des Zeitraums November 2003 bis Juli 2004 auf einem falschen Sachverhalt.

12 Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Bescheide der Familienkasse vom sowie die Einspruchsentscheidungen vom 6. und aufzuheben.

13 Die Familienkasse beantragt, die Revision zurückzuweisen.

14 II. Die Revision hat bezüglich des Kindergeldanspruchs für November 2003 Erfolg. Im Übrigen ist die Revision unbegründet.

15 1. Zeitraum Februar bis August 2003

16 a) Ein Anspruch auf Kindergeld gemäß § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG scheidet schon deshalb aus, weil T nicht beim Arbeitsamt als Arbeitsuchende gemeldet war.

17 b) Ein Anspruch gemäß § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG besteht nicht, weil T nicht für einen Beruf ausgebildet wurde.

18 In Berufsausbildung befindet sich, wer sein Berufsziel noch nicht erreicht hat, sich aber ernsthaft und nachhaltig darauf vorbereitet. Dieser Vorbereitung dienen alle Maßnahmen, bei denen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen erworben werden, die als Grundlagen für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsurteil vom III R 85/08, BFHE 224, 546, BStBl II 2010, 298, m.w.N.). Hierzu zählen auch berufsspezifische Praktika, z.B. ein Anwaltspraktikum eines Jurastudenten (BFH-Urteil in BFHE 189, 113, BStBl II 1999, 713) oder eine Volontärtätigkeit, die ausbildungswillige Kinder vor Annahme einer vollbezahlten Beschäftigung gegen geringe Entlohnung absolvieren (BFH-Urteil in BFHE 189, 98, BStBl II 1999, 706). Voraussetzung in diesen Fällen ist, dass der Ausbildungscharakter im Vordergrund steht und es sich nicht lediglich um ein gering bezahltes Arbeitsverhältnis handelt (BFH-Urteil in BFHE 189, 98, BStBl II 1999, 706, unter 2. der Gründe).

19 Das FG ist im Rahmen der Gesamtwürdigung unter Einbeziehung der Aussage der als Zeugin vernommenen T zu dem Ergebnis gelangt, dass es sich bei der Tätigkeit der T als Friseurgehilfin nicht um ein Praktikum, sondern um ein gering bezahltes Arbeitsverhältnis als Shampooneuse gehandelt hat. Da die tatsächliche Würdigung des FG verfahrensrechtlich einwandfrei zustande gekommen ist und auch nicht gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstößt, ist sie für den BFH als Revisionsgericht nach § 118 Abs. 2 FGO bindend, selbst wenn die Wertung des FG nicht zwingend, sondern lediglich möglich ist (z.B. Senatsurteil vom III R 105/07, BFHE 223, 365, BFH/NV 2009, 638, unter II.2.).

20 c) Ebenso wenig liegen die Voraussetzungen des § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG vor.

21 Danach besteht ein Anspruch auf Kindergeld für ein volljähriges, aber noch nicht 27 Jahre altes Kind, wenn es eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen oder fortsetzen kann. Hierbei ist ein Kind nicht nur dann zu berücksichtigen, wenn es noch keinen Ausbildungsplatz gefunden hat, sondern auch dann, wenn ihm ein Ausbildungsplatz bereits zugesagt wurde, es diesen aber aus schul-, studien- oder betriebsorganisatorischen Gründen erst zu einem späteren Zeitpunkt antreten kann (BFH-Urteil in BFHE 203, 98, BStBl II 2003, 845).

22 Die Klägerin hat nicht nachgewiesen, dass sich T z.B. durch Bewerbungen ab Februar 2003 ernsthaft um einen Ausbildungsplatz bemüht hat oder sich bei der Ausbildungsvermittlung des Arbeitsamtes (seit Agentur für Arbeit) als Ausbildungsuchende gemeldet hat (vgl. Senatsurteil vom III R 66/05, BFHE 222, 343, BStBl II 2009, 1005). Die Klägerin hat auch nicht nachgewiesen, dass T während ihrer Tätigkeit als Friseurgehilfin eine Zusage auf spätere Übernahme in ein Ausbildungsdienstverhältnis von ihrer Arbeitgeberin erhalten hat. Ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom hat T auf Vorhalt des Gerichts erklärt, dass sie nach Ablauf des Praktikums Mitte Januar 2003 eine ca. sechsmonatige Probezeit habe absolvieren sollen. Ihre Chefin habe dann gewollt, dass sie richtig bei ihr arbeiten solle. Erst anschließend habe sie eine Lehre machen sollen.

23 Eine unverbindliche Aussicht auf einen Ausbildungsplatz genügt jedoch nicht für die Anwendbarkeit des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG. T hätte sich bei dieser unsicheren Situation auch um andere Ausbildungsplätze bemühen müssen.

24 d) Da die Kindergeldfestsetzung für die Monate Februar bis August 2003 gemäß § 70 Abs. 2 EStG aufgehoben wurde, hat die Klägerin das Kindergeld ohne rechtlichen Grund erhalten und es deshalb gemäß § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung zu erstatten. Der Rückforderung des Kindergeldes steht der Grundsatz von Treu und Glauben schon deshalb nicht entgegen, weil die Familienkasse frühestens mit der Vorlage des Zeugnisses von der Arbeitgeberin für T vom Kenntnis davon erlangt hat, dass es sich nicht um ein berufsspezifisches Praktikum gehandelt hat.

25 Im Übrigen hindert der Grundsatz von Treu und Glauben nach ständiger Rechtsprechung des BFH die Rückforderung zuviel gezahlten Kindergeldes nicht schon dann, wenn die Familienkasse trotz Kenntnis von Umständen, die zum Wegfall des Kindergeldanspruchs führen, zunächst weiterhin Leistungen erbracht hat. Erforderlich sind vielmehr besondere Umstände, die die Geltendmachung des Rückforderungsanspruchs als illoyale Rechtsausübung erscheinen lassen (, BFHE 203, 472, BStBl II 2004, 123).

26 2. Zeitraum November 2003 bis Juli 2004

27 a) November 2003

28 Für den Monat November 2003 besteht gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG ein Kindergeldanspruch. Nach ständiger Rechtsprechung wirkt die Meldung eines volljährigen, aber noch nicht 21 Jahre alten arbeitslosen Kindes als arbeitsuchend bei der Arbeitsvermittlung des Arbeitsamtes für drei Monate fort (Senatsurteil vom III R 68/05, BFHE 222, 349, BStBl II 2009, 1008).

29 Nach den Feststellungen des FG hat sich T Anfang September 2003 zuletzt arbeitslos gemeldet. Danach besteht der Kindergeldanspruch bis einschließlich November 2003.

30 b) Dezember 2003 bis Juli 2004

31 Die Voraussetzungen für einen Kindergeldanspruch gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG liegen nicht vor. Entgegen der Auffassung der Klägerin muss sich das Kind nach Ablauf der Drei-Monats-Frist erneut als Arbeitsuchender melden, da sonst der Kindergeldanspruch entfällt. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf das Senatsurteil in BFHE 222, 349, BStBl II 2009, 1008 verwiesen.

32 Es kann offen bleiben, ob T von dem vom Arbeitsamt für den anberaumten Vorsprachetermin Kenntnis erlangt hat, jedenfalls hat die Klägerin nicht behauptet oder gar nachgewiesen, dass sich T im Streitzeitraum erneut als Arbeitsuchende beim Arbeitsamt gemeldet hat. Insoweit geht auch die Verfahrensrüge wegen Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 76 FGO) ins Leere.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2010 S. 1423 Nr. 8
StBW 2010 S. 633 Nr. 14
DAAAD-44389