BGH Beschluss v. - XII ZB 128/09

Rechtsbeschwerde: Prüfung der Zulassung der Berufung durch das Rechtsbeschwerdegericht

Leitsatz

Hat das erstinstanzliche Gericht keine Veranlassung gesehen, die Berufung nach § 511 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 ZPO zuzulassen, weil es von einer Beschwer über 600 € ausgegangen ist, und hat das Berufungsgericht diese Entscheidung nicht nachgeholt, obwohl es von einer geringeren Beschwer ausgegangen ist (vgl. , NJW 2008, 218 und Beschluss vom , VIII ZB 101/07, WuM 2008, 614), kann das Rechtsbeschwerdegericht im Rahmen der Erheblichkeit dieses Verfahrensfehlers prüfen, ob eine Zulassung der Berufung geboten gewesen wäre .

Gesetze: § 511 Abs 2 ZPO, § 511 Abs 4 S 1 Nr 1 ZPO

Instanzenzug: Az: 8 UF 22/09 Beschlussvorgehend AG Rendsburg Az: 13 F 208/08 Urteil

Gründe

1Die Parteien streiten über eine Auskunftspflicht des Beklagten zur Vorbereitung des Anspruchs der Klägerin auf Trennungsunterhalt.

2Die Parteien hatten am geheiratet und leben seit Dezember 2006 dauernd getrennt. Mit Urteil vom wurde ihre Ehe geschieden; die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig.

3Der Beklagte ist als Zahnarzt tätig, die Klägerin war in seiner Praxis angestellt. Mit notariellem Vertrag vom haben sich die Parteien u.a. über den Trennungsunterhalt und den nachehelichen Unterhalt verständigt. Der Beklagte hat sich verpflichtet, an die Klägerin Trennungsunterhalt sowie nachehelichen Unterhalt bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres der gemeinsamen Tochter in Höhe von monatlich 1.700 € zu zahlen. Zugleich hatten die Parteien versichert, "sich über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse wechselseitig Auskunft erteilt zu haben". Die Klägerin begehrt über den im notariellen Vertrag vereinbarten Trennungsunterhalt hinaus weiteren Trennungsunterhalt, weil die Vereinbarung einen unzulässigen Verzicht auf künftigen Unterhalt enthalte.

4Der Beklagte ist im Besitz der Einnahme-/Überschussrechnungen für die Kalenderjahre 2005 bis 2007. Die Steuerbescheide für die Jahre 2005 und 2006, in denen die Parteien noch gemeinsam veranlagt wurden, hatte die Klägerin bereits mit der Klageschrift eingereicht.

5Das Amtsgericht hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt,

"der Klägerin für den Zeitraum vom bis zum Auskunft über sein Einkommen durch Vorlage von Einnahme-/ Überschussrechnungen oder ersatzweise Bilanzen zu erteilen."

6Das Berufungsgericht hat den Streitwert für den Berufungsrechtszug auf bis zu 300 € festgesetzt. Mit dem angefochtenen Beschluss hat es die Gegenvorstellung des Beklagten gegen die Streitwertfestsetzung zurückgewiesen und dessen Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten.

7Im Verfahren der Rechtsbeschwerde hat die Klägerin ihren Auskunftsantrag hinsichtlich der Einkünfte während der Zeit vom 1. Mai bis zurückgenommen und den Antrag nur noch für die Jahre 2006 und 2007 aufrechterhalten.

II.

8Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft, aber nicht zulässig, weil die Sache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert (§ 574 Abs. 2 ZPO).

91. Die Rechtsbeschwerde ist weder wegen grundsätzlicher Bedeutung noch zur Fortbildung des Rechts zulässig. Die entscheidungserheblichen Rechtsfragen sind in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geklärt.

10a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist für die Bemessung des Wertes des Beschwerdegegenstandes das Interesse des Rechtsmittelführers maßgebend, die Auskunft nicht erteilen zu müssen. Dabei ist - von dem vorliegend nicht gegebenen Fall eines besonderen Geheimhaltungsinteresses abgesehen (vgl. insoweit Senatsbeschluss BGHZ 164, 63, 66 ff. = FamRZ 2005, 1986 f.) - auf den Aufwand an Zeit und Kosten abzustellen, den die Erteilung der geschuldeten Auskunft erfordert (Senatsbeschluss vom - XII ZB 133/06 - FamRZ 2007, 714; BGHZ - GSZ - 128, 85, 87 f.).

11b) Die Klägerin hat ihren Auskunftsantrag hinsichtlich der Einkünfte des Beklagten in der Zeit von Mai bis Dezember 2005 im Rechtsbeschwerdeverfahren wirksam zurückgenommen (vgl. insoweit BGHZ 14, 210, 211 f. und IVa ZR 234/87 – BGHR ZPO § 269 Abs. 1 Einwilligung 1). Die Zustimmung des Beklagten zur teilweisen Klagrücknahme gilt nach § 269 Abs. 2 Satz 4 ZPO als erteilt, weil er dieser trotz Belehrung über die Folgen nicht binnen zwei Wochen widersprochen hat. Die Klägerin verfolgt ihren Antrag somit nur noch hinsichtlich der Einkünfte des Beklagten in den Jahren 2006 und 2007 weiter (vgl. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO).

122. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.

13a) Dieser Zulassungsgrund ist gegeben, wenn einem Gericht bei der Rechtsanwendung Fehler unterlaufen sind, die die Wiederholung durch dasselbe Gericht oder die Nachahmung durch andere Gerichte erwarten lassen, und wenn dadurch so schwer erträgliche Unterschiede in der Rechtsprechung zu entstehen oder fortzubestehen drohen, dass eine höchstrichterliche Leitentscheidung notwendig ist. Dabei muss es sich um einen Rechtsfehler von symptomatischer Bedeutung handeln (BGHZ 152, 182, 187 = NJW 2003, 65). Diese Voraussetzungen sind also nicht schon dann erfüllt, wenn die Entscheidung des Berufungsgerichts, gemessen an der Rechtsprechung des Senats, fehlerhaft ergangen ist (BGHZ 154, 288, 293 = NJW 2003, 1943). Ein schwerer, das Vertrauen der Allgemeinheit in eine funktionierende Rechtsprechung gefährdender Rechtsfehler liegt erst dann vor, wenn das Berufungsgericht bei der Auslegung oder Anwendung von Vorschriften des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts gegen grundlegende, verfassungsrechtlich abgesicherte Gerechtigkeitsanforderungen verstoßen hat und die Entscheidung deswegen von Verfassungs wegen der Korrektur bedarf. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zulässig, wenn die angefochtene Entscheidung auf einer Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes in seiner Ausprägung als Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) oder auf einer Verletzung der Verfahrensgrundrechte des Beschwerdeführers - insbesondere des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) - beruht (BGHZ 154, 288, 296 = NJW 2003, 1943). Auch solches ist hier aber nicht der Fall:

14Der Beklagte wird durch das angefochtene Urteil, soweit das Verfahren nach teilweiser Klagrücknahme noch rechtshängig ist, nicht in einem über 300 € hinausgehenden Umfang beschwert. Danach ist er noch verpflichtet, Auskunft über sein Einkommen für die Zeit vom bis zum durch Vorlage von Einnahme- und Überschussrechnungen oder ersatzweise Bilanzen zu erteilen. Unstreitig liegen dem Beklagten seine Einnahme- und Überschussrechnungen für die Jahre 2006 und 2007 bereits vor. Um seiner noch fortbestehenden Verpflichtung aus dem Urteil des Amtsgerichts nachzukommen, muss er davon lediglich Ablichtungen anfertigen und diese mit einer geordneten Aufstellung über die erzielten Einkünfte in der Zeit von Januar 2006 bis Dezember 2007 an die Klägerin übersenden. Dadurch entstehen allenfalls Kosten, die 300 € nicht erreichen.

15b) Unter dem Gesichtspunkt der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist eine Rechtsbeschwerde ferner dann zulässig, wenn die anzufechtende Entscheidung von der Entscheidung eines höher- oder gleichrangigen Gerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Eine Abweichung in diesem Sinne liegt nur vor, wenn die anzufechtende Entscheidung ein und dieselbe Rechtsfrage anders beantwortet als die Vergleichsentscheidung, mithin einen Rechtssatz aufstellt, der sich mit einem in der Vergleichsentscheidung aufgestellten und diese tragenden Rechtssatz nicht deckt (BGHZ 154, 288, 292 f. = NJW 2003, 1943). Eine solche Divergenz in Form einer Abweichung des Berufungsgerichts von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ergibt sich hier nicht.

16aa) Zwar hat das Berufungsgericht - bevor es die Berufung mangels ausreichender Beschwer verwerfen darf - eine Entscheidung über die Zulassung der Berufung nachzuholen, wenn das erstinstanzliche Gericht davon ausgegangen ist, dass die Beschwerde der unterlegenen Partei 600 € übersteigt und deswegen keine solche Prüfung vorgenommen hat.

17Nach § 511 Abs. 2 ZPO ist die Berufung gegen die im ersten Rechtszug erlassenen Endurteile nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 € übersteigt (Nr. 1) oder das Gericht des ersten Rechtszuges die Berufung im Urteil zugelassen hat (Nr. 2). Gemäß § 511 Abs. 4 ZPO lässt das Gericht des ersten Rechtszuges die Berufung zu, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die unterlegene Partei durch das Urteil nicht mit mehr als 600 € beschwert ist.

18Hat das erstinstanzliche Gericht keine Veranlassung gesehen, die Berufung nach § 511 Abs. 4 ZPO zuzulassen, weil es von einer Beschwer der unterlegenen Partei ausgegangen ist, die 600 € übersteigt, muss das Berufungsgericht, wenn es von einer geringeren Beschwer ausgeht (zur fehlenden Bindung vgl. - NJW-RR 2005, 219 m.w.N.), die Entscheidung darüber nachholen, ob die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung nach § 511 Abs. 4 ZPO erfüllt sind ( - NJW 2008, 218, 219 und Beschluss vom - VIII ZB 101/07 - WuM 2008, 614).

19bb) Diese Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stand hier einer Verwerfung der Berufung aber nicht entgegen.

20Zwar hat das Amtsgericht seiner Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit eine Abwendungsbefugnis nach § 711 ZPO hinzugefügt, was im Hinblick auf § 713 ZPO dafür spricht, dass es nicht von einer offensichtlichen Unanfechtbarkeit seines Urteils ausgegangen ist. Das Berufungsgericht, das die Beschwer auf lediglich 300 € festgesetzt hat, hätte deswegen die Entscheidung über eine Zulassung der Berufung nach § 511 Abs. 4 ZPO nachholen müssen ( - NJW 2008, 218, 219). Eine solche Entscheidung hat das Berufungsgericht nicht getroffen.

21Der Senat kann die Erheblichkeit der fehlenden Zulassungsentscheidung durch die Instanzgerichte im Rechtsbeschwerdeverfahren selbst prüfen. Die fehlende Prüfung der Zulassung durch die Instanzgerichte ist hier unerheblich, weil eine Zulassung der Berufung ohnehin nicht in Betracht gekommen wäre. Der Beklagte ist der Klägerin nach § 1361 Abs. 4 Satz 4 i.V.m. § 1605 BGB zur Auskunft über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse verpflichtet. Danach haben sich die Beteiligten auch im Rahmen des Trennungsunterhalts gegenseitig Auskunft über ihre Einkünfte und ihr Vermögen zu erteilen, soweit dies zur Feststellung des Unterhaltsanspruchs oder einer Unterhaltsverpflichtung erforderlich ist. Die Auskunftspflicht besteht nach ständiger Rechtsprechung des Senats nur dann nicht, wenn sie den Unterhaltsanspruch unter keinem Gesichtspunkt beeinflussen kann ( IVb ZR 15/84 - FamRZ 1985, 791, 792 f. und vom - IVb ZR 738/80 - FamRZ 1982, 996, 997; vgl. auch Wendl/Dose Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 7. Aufl. § 1 Rdn. 662).

22Solches ist hier nicht der Fall. Zwar haben die Parteien eine notarielle Vereinbarung zum Trennungsunterhalt und zum nachehelichen Unterhalt geschlossen. Dadurch ist die Klägerin aber nicht gehindert, für die Zukunft - abhängig vom Einkommen des Beklagten - einen weitergehenden Anspruch auf Trennungsunterhalt geltend zu machen. Denn nach § 1361 Abs. 4 Satz 4 i.V.m. §§ 1360 a Abs. 3, 1614 BGB ist ein Verzicht auf künftigen Trennungsunterhalt unwirksam (zum Verwandtenunterhalt vgl. Senatsurteil vom - XII ZR 18/08 - FamRZ 2009, 768, 769 f.). Die Frage, ob der gesetzliche Unterhaltsanspruch der Klägerin über den vereinbarten Trennungsunterhalt hinausgeht und die Vereinbarung deswegen einen unwirksamen teilweisen Unterhaltsverzicht enthält, kann aber nur auf der Grundlage der Einkommensverhältnisse des Beklagten beantwortet werden, sodass deren Höhe nach wie vor von Bedeutung ist.

Hahne                                    Weber-Monecke                                     Dose

                   Schilling                                                     Günter

Fundstelle(n):
NJW 2010 S. 10 Nr. 23
NJW-RR 2010 S. 934 Nr. 13
LAAAD-43332