Arbeitszeitkonto - Aufbau und Abbau des Zeitguthabens - Freizeitausgleich - Bereitschaftsdienst
Gesetze: § 611 Abs 1 BGB, § 1 Abs 1 TVG, § 7b SGB 4, § 7c Abs 1 Nr 2 Buchst a SGB 4, § 77 Abs 1 S 1 BetrVG, § 77 Abs 3 S 1 BetrVG, § 77 Abs 3 S 2 BetrVG, § 362 Abs 1 BGB, § 87 Abs 1 Nr 2 BetrVG, § 87 Abs 1 Nr 3 BetrVG
Instanzenzug: Az: 9 Ca 189/08 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Az: 13 Sa 102/08 Urteil
Tatbestand
1 Die Parteien streiten über die Abgeltung eines Arbeitszeitkontos.
2 Die Beklagte ist ein Flugsicherungsunternehmen. Der 1952 geborene Kläger war bei ihr bzw. ihrer Rechtsvorgängerin von 1974 bis zum als Fluglotse beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fanden die Firmentarifverträge für die bei der Beklagten beschäftigten Mitarbeiter Anwendung, samt der „Sonderregelungen FS-Dienste“.
3 Nach Erstellung eines arbeitswissenschaftlichen Gutachtens durch Prof. Kastner schlossen die Tarifvertragsparteien am eine „Rahmenvereinbarung Belastung und Beanspruchung in den Flugsicherungsdiensten“, in der sie verabredeten, die Empfehlungen dieses Gutachtens umzusetzen. Das erfolgte im Fünften Änderungstarifvertrag zum Manteltarifvertrag für die bei der D GmbH beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vom selben Tag (im Folgenden: 5. ÄndTV). Die bundesdeutschen Flughäfen wurden sieben (Belastungs-) Kategorien zugeordnet, nach denen sich die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit der Fluglotsen bestimmte. Außerdem erhielten sie innerhalb der Arbeitszeit eine sog. Regenerationspause, deren Dauer sich wiederum nach der Kategorie ihres Einsatzflughafens richtete. Während der Regenerationspausen mussten sich die Fluglotsen im Zugriffsbereich der Beklagten aufhalten und auf Anforderung ihre Arbeit wieder aufnehmen.
Zwischen den Tarifvertragsparteien bestand Einvernehmen, dass eine Umsetzung der neuen Arbeitszeitregelungen wegen Personalmangels nicht sofort durchführbar war und erst zum erfolgen sollte. Deshalb vereinbarten sie in § 1 Nr. 10g 5. ÄndTV folgende „Übergangsregelungen zur Arbeitszeit“:
In einer Betriebsvereinbarung vom verabredeten die Beklagte und ihr Gesamtbetriebsrat zu den Zeitgutschriften für die Übergangsphase ua.:
6 Die in § 7 Abs. 2 der Betriebsvereinbarung erwähnte Ergänzung erfolgte nicht.
Die Sonderregelungen FS-Dienste vom bestimmen ua.:
8 Aufgrund der tariflichen Regelungen ergab sich für den Kläger eine wöchentliche Bruttoarbeitszeit von 33,5 Stunden, bestehend aus einer Nettoarbeitszeit von 26,5 und Regenerationszeiten von sieben Stunden. Im August 2006 betrug sein Guthaben auf dem sog. Kastner-Zeitkonto 190,5 Stunden. Zu dessen Abbau erhielt der Kläger 5,68 Wochen Freizeitausgleich, den die Beklagte auf der Basis der wöchentlichen Bruttoarbeitszeit ermittelte.
9 Mit seiner Klage hat der Kläger die Abgeltung seiner Ansicht nach noch offener Stunden aus dem Kastner-Zeitkonto geltend gemacht, weil der Abbau seines Arbeitszeitkontos spiegelbildlich zum Aufbau vorzunehmen sei. Bei der Teilung der angesammelten Stunden durch seine wöchentliche Nettoarbeitszeit ergebe sich ein noch offener Freizeitausgleich von 1,51 Wochen, der wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses in Geld abzugelten sei. Dazu müssten die 1,51 Wochen Freizeitausgleich auf der Basis seiner Bruttoarbeitszeit in Stunden umgerechnet werden. Für die sich danach ergebenden 50,95 Stunden hat er die - unstreitige - Stundenvergütung von 49,57 Euro gefordert.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
11 Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
12 Sie hat die Auffassung vertreten, das Kastner-Zeitkonto des Klägers sei vollständig abgebaut worden. Um eine Freistellung von der Dauer einer Woche zu erlangen, habe der Kläger seine wöchentliche Bruttoarbeitszeit von 33,5 Stunden einsetzen müssen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Gründe
14 Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten gegen das der Klage stattgebende Urteil des Arbeitsgerichts zu Unrecht zurückgewiesen. Die Ansprüche des Klägers auf Freizeitausgleich zum Abbau des Kastner-Zeitkontos sind durch Erfüllung erloschen (§ 362 Abs. 1 BGB).
15 I. Der von den Vorinstanzen ohne nähere Begründung angenommene Grundsatz, ein Arbeitszeitkonto sei spiegelbildlich zu seinem Aufbau abzubauen, besteht nicht. Ein Arbeitszeitkonto drückt im Allgemeinen aus, in welchem Umfang der Arbeitnehmer Arbeit geleistet hat und deshalb Vergütung beanspruchen kann bzw. in welchem Umfang er noch Arbeitsleistung für die vereinbarte Vergütung erbringen muss (Senat - 5 AZR 341/08 - Rn. 11, AP TVG § 1 Tarifverträge: Lufthansa Nr. 44 = EzA TVG § 4 Luftfahrt Nr. 17). Dabei können Arbeitsleistungen nach besonderen Regelungen höher (zB Mehrarbeit, Feiertagsarbeit) oder niedriger (zB Bereitschaftsdienst) bewertet werden, als es ihrem zeitlichen Einsatz entspricht (Senat - 5 AZR 328/07 - Rn. 10, AP BGB § 611 Feiertagsvergütung Nr. 1). Die Zeitgutschrift auf einem Arbeitszeitkonto ist lediglich eine abstrakte Recheneinheit, die für sich gesehen keinen Aufschluss darüber gibt, wie sie erarbeitet wurde. Deshalb kommt es für den Abbau eines Arbeitszeitkontos nur noch auf die Höhe des Zeitguthabens in der maßgeblichen Recheneinheit an. Aufbau und Abbau eines Arbeitszeitkontos können jeweils eigenen Regeln folgen.
16 II. Nach § 13 Abs. 3 Sonderregelungen FS-Dienste vom ist - wie schon nach der Übergangsregelung zur Arbeitszeit in § 1 Nr. 10g des 5. ÄndTV vom - das Kastner-Zeitkonto grundsätzlich durch Freizeit abzubauen. Das steht zwischen den Parteien außer Streit.
17 1. Freizeit ist im arbeitsrechtlichen Sinne das Gegenteil von Arbeitszeit. Freizeitausgleich bedeutet, statt Arbeitszeit ableisten zu müssen, bezahlte Freizeit zu erhalten. Der Freizeitausgleich erfolgt durch Reduzierung der Sollarbeitszeit (Senat - 5 AZR 341/08 - Rn. 13, AP TVG § 1 Tarifverträge: Lufthansa Nr. 44 = EzA TVG § 4 Luftfahrt Nr. 17). Der Abbau eines Arbeitszeitkontos durch Freizeitausgleich vollzieht sich deshalb - soweit durch Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag nichts anderes geregelt ist - dergestalt, dass errechnet wird, wie viel „freier Zeit“ die auf dem Arbeitszeitkonto angesammelten Stunden entsprechen. Diese ist aufgrund der vom Arbeitnehmer geschuldeten Arbeitszeit zu ermitteln. Zur Arbeitszeit zählen nicht nur die Zeit tatsächlich geleisteter Arbeit, sondern auch innerhalb der Arbeitszeit liegende Bereitschaftszeiten. Denn Bereitschaftsdienst ist Arbeitszeit (Senat - 5 AZR 157/09 - Rn. 9; - 5 AZR 867/08 - Rn. 12, ZTR 2010, 35).
18 Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts müssen sich die Fluglotsen während der Regenerationszeiten im Zugriffsbereich des Arbeitgebers aufhalten und auf dessen Anforderung Arbeitsleistung erbringen. Die Regenerationszeiten sind deshalb Bereitschaftsdienst und zählen damit zur Arbeitszeit. Dementsprechend rechnet § 6 der Sonderregelungen FS-Dienste vom die Regenerationszeiten auf die Arbeitszeit der Fluglotsen an.
19 Bei der Ermittlung, wie viel Freizeit die auf dem Arbeitszeitkonto angesammelten Stunden entsprechen, ist die die Bereitschaftsdienstzeiten einschließende Bruttoarbeitszeit zugrunde zu legen. Um zB eine Woche Freizeit zu erhalten, muss der Kläger nicht nur die Nettoarbeitszeit von 26,5 Stunden einbringen, sondern - da er ansonsten in dieser Zeit Bereitschaftsdienst leisten müsste - auch die Regenerationszeiten von wöchentlich sieben Stunden.
20 2. Eine anderweitige Regelung zur Berechnung des Freizeitausgleichs besteht nicht.
21 a) § 13 Abs. 3 Sonderregelungen FS-Dienste vom beschränkt sich - ebenso wie schon zuvor § 1 Nr. 10g 5. ÄndTV - auf die Vorgabe, das Zeitkonto sei grundsätzlich „in Zeitblöcken“ abzubauen, regelt die Modalitäten des danach vorzunehmenden Freizeitausgleichs aber nicht.
22 b) § 5 Abs. 2 der Betriebsvereinbarung vom sieht zwar vor, dass der Abbau der Zeitkonten „auf Basis der Nettoarbeitszeit“ erfolgen soll. Ob damit gemeint ist, der Abbau der Zeitkonten solle durch Freistellung von der Nettoarbeitszeit bei Fortzahlung der Vergütung für die Bruttoarbeitszeit erfolgen, kann ebenso dahingestellt bleiben wie die Frage, ob die Betriebsvereinbarung nach dem überhaupt noch Wirkung entfalten würde. Denn die Betriebsvereinbarung verstößt gegen § 77 Abs. 3 BetrVG und ist deshalb unwirksam.
23 Die Dauer der Arbeitszeit unterliegt nicht der erzwingbaren Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 3 BetrVG ( - Rn. 53, BAGE 117, 27; - 1 ABR 28/02 - zu B II 2 b aa der Gründe, BAGE 107, 78). Sie könnte deshalb nach § 77 Abs. 3 BetrVG nur Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein, wenn sie nicht durch Tarifvertrag geregelt ist oder üblicherweise geregelt wird oder der Tarifvertrag den Abschluss ergänzender Betriebsvereinbarungen ausdrücklich zuließe. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Zeitgutschrift für das Kastner-Zeitkonto und dessen Abbau als Teil der tariflichen Bestimmungen zur Dauer der Arbeitszeit waren zunächst durch § 1 Nr. 10g 5. ÄndTV und später durch § 13 der Sonderregelungen FS-Dienste vom geregelt. Eine Öffnungsklausel iSv. § 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG enthielten die tariflichen Bestimmungen nicht.
III. Der Kläger hat gemäß § 91 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
BB 2010 S. 1735 Nr. 28
DB 2010 S. 1130 Nr. 20
DStR-Aktuell 2010 S. 12 Nr. 22
SAAAD-42790