BFH Beschluss v. - IV B 6/10

Androhung eines Zwangsgeldes gegen einem vom FG bestellten Gutachter

Gesetze: FGO § 53, FGO § 54, FGO § 82, FGO § 128, ZPO § 189, ZPO § 409, ZPO § 411

Instanzenzug:

Gründe

1 I. Beim Finanzgericht (FG) ist am Klage erhoben worden.

2 Mit Beschluss vom hat das FG die Beweiserhebung über den Wert des Miteigentums an einem Grundstück angeordnet. Nach diesem Beschluss war „der Wert ... für den Tag der Abnahme des bezeichneten Grundbesitzes durch den Kläger gemäß Tz. 5 des Vertrages vom festzustellen”. Das FG bestimmte in diesem Beschluss den Gutachterausschuss des Beschwerdeführers (Landratsamt X) zum Gutachter und setzte eine Frist zur Erstellung des Gutachtens bis . Der Berichterstatter des Verfahrens verlängerte die Frist zur Vorlage des Gutachtens am bis Ende September 2009.

3 Mit Schreiben vom forderte der Beschwerdeführer den Bevollmächtigten des Klägers u.a. dazu auf, für das Gutachten erforderliche Unterlagen vorzulegen und den Stichtag für die Bewertung zu benennen. Ferner bat der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom selben Tag das FG darum, zu überprüfen, ob in Finanzgerichtsverfahren an Stelle des Ausschusses nicht weiterhin andere staatliche Stellen zu Gutachtern zu berufen seien. Der Beschwerdeführer erinnerte den Bevollmächtigten des Klägers am telefonisch und erneut mit Schreiben vom daran, die Unterlagen und Angaben zu vervollständigen. Der Beschwerdeführer teilte dem FG mit, nach Eingang der erforderlichen Unterlagen sei der Vorgang Ende August 2009 an die Gutachter weitergeleitet worden; diese könnten „einen Termin zur Fertigstellung nicht vor Mai 2010 in Aussicht stellen” (Schriftsätze vom und ).

4 Daraufhin verfügte der Berichterstatter ein Schreiben an den Beschwerdeführer, wonach ein Ordnungsgeld gemäß § 82 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 411 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) angedroht werde, falls das Gutachten nicht bis zum vorliege. Das entsprechende Schreiben vom wurde dem Beschwerdeführer formlos übermittelt.

5 Hiergegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner Beschwerde.

6 II. Die zulässige Beschwerde ist begründet.

7 1. Die Beschwerde ist statthaft. Dies ergibt sich aus der in § 82 FGO angeordneten sinngemäßen Anwendung des § 411 Abs. 2 Satz 4 ZPO i.V.m. § 409 Abs. 2 ZPO, wobei sinngemäß in diesem Zusammenhang bedeutet, dass an die Stelle der in § 409 Abs. 2 ZPO vorgesehenen sofortigen Beschwerde die Beschwerde nach § 128 Abs. 1 FGO tritt (vgl. , BFH/NV 2008, 1870, zu § 380 ZPO). Die Beschwerde ist nach diesen Vorschriften der ZPO auch bereits für die Androhung eines Ordnungsgeldes statthaft (, Versicherungsrecht-Rechtsprechung —VersR— 1980, 1078; , OLGR Köln 1996, 182; vom 19 W 17/01, OLGR Köln 2001, 353; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung, 68. Aufl., § 411 Rz 9; Zimmermann, Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung, 3. Aufl., § 411 Rz 9; Huber in Musielak, Kommentar zur Zivilprozessordnung, 7. Aufl., § 411 Rz 5a; Katzenmeier in Prütting/Gehrlein, ZPO, Kommentar, 1. Aufl., § 411 Rz 16; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 22. Aufl., § 411 Rz 12; Thomas/Putzo, Zivilprozessordnung, 30. Aufl., § 411 Rz 4; a.A. Zöller/Greger, ZPO, 28. Aufl., § 411 Rz 8).

8 2. Die Beschwerde ist begründet.

9 a) Die Verfügung des Berichterstatters ist bereits deswegen aufzuheben, weil über die Androhung mit Nachfristsetzung (§§ 82 FGO, 411 Abs. 2 Satz 2 ZPO) nicht der Berichterstatter, sondern der Senat durch Beschluss hätte entscheiden müssen (vgl. Urteil des OLG München in VersR 1980, 1078; Urteil des OLG Köln in OLGR Köln 1996, 182; Baumbach/Lauterbach/Albers/ Hartmann, a.a.O., § 411 Rz 6; Zimmermann, a.a.O., 3. Aufl., § 411 Rz 6; Huber in Musielak, a.a.O., 7. Aufl., § 411 Rz 5a; Katzenmeier in Prütting/Gehrlein, a.a.O., § 411 Rz 15; Thomas/Putzo, a.a.O., § 411 Rz 4, § 380 Rz 8; a.A. Zöller/ Greger, a.a.O., § 411 Rz 7). Der Rechtsstreit war weder auf den Einzelrichter (§ 6 FGO) übertragen worden noch durfte der Berichterstatter nach §§ 79, 79a FGO selbst entscheiden.

10 b) Darüber hinaus ist die Verfügung deswegen aufzuheben, weil das Schreiben vom nicht zugestellt worden ist. Nach § 53 FGO müssen Anordnungen und Entscheidungen, durch die eine Frist in Lauf gesetzt wird, jedenfalls dann zugestellt werden, wenn sie —wie im Streitfall— nicht verkündet worden sind. Die Zustellung richtet sich nach den zivilprozessualen Vorschriften (§ 53 Abs. 2 FGO).

11 Voraussetzung jeder Zustellung ist die Zustellungsabsicht (, VersR 2001, 606). Vorliegend hat der Berichterstatter das Schreiben vom durch einfachen Brief übersenden lassen. Aus den Akten ergibt sich nicht, dass eine Zustellung (z.B. gegen Empfangsbekenntnis, § 174 ZPO) beabsichtigt war. Die fehlende Zustellungsabsicht kann nicht nach § 189 ZPO durch den tatsächlichen Zugang geheilt werden (, Neue Juristische Wochenschrift 2003, 1192). Demnach wurde die vom FG gesetzte Nachfrist nicht in Gang gesetzt (vgl. § 155 FGO i.V.m. § 221 ZPO; vgl. auch Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 54 Rz. 9). § 54 FGO gilt bei richterlichen Fristen nicht (, BFH/NV 2005, 1108). Eine Androhung ohne ordnungsgemäße Nachfrist ist aber rechtswidrig (vgl. § 411 Abs. 2 Satz 2 ZPO).

12 c) § 411 Abs. 2 ZPO eröffnet dem Gericht ein Ermessen, ein Ordnungsgeld festzusetzen. Gleiches gilt demnach für die Androhung. Im Streitfall ist die Androhung eines Ordnungsgeldes nicht ermessensgerecht. Der Rechtsstreit ist bereits im Jahr 2005 beim FG eingegangen. Der Beschwerdeführer hat die Erstellung des Gutachtens für Mai 2010 in Aussicht gestellt. Der durch die Androhung mit Nachfristsetzung zum beabsichtigte Zeitgewinn fällt in Anbetracht der bereits langen Verfahrensdauer demnach nicht ins Gewicht. Ferner hat das FG durch die ungenaue Bestimmung des Zeitpunktes der Wertermittlung in seinem Beweisbeschluss vom selbst zur Verzögerung beigetragen (vgl. Nachfragen des Beschwerdeführers vom und ).

13 d) Der Senat braucht daher die Frage, ob ein Ordnungsgeld nach § 411 Abs. 2 ZPO überhaupt gegenüber einer Behörde angedroht und festgesetzt werden kann, nicht zu entscheiden.

14 3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen in sinngemäßer Anwendung des § 46 Abs. 1 des Ordnungswidrigkeitengesetzes i.V.m. § 467 der Strafprozessordnung der Staatskasse zur Last (vgl. , BFH/NV 1994, 640, zu § 380 ZPO).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
BFH/NV 2010 S. 1109 Nr. 6
MAAAD-42497