BAG Urteil v. - 2 AZR 676/08

Leitsatz

Leitsatz:

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: KSchG § 1 Abs. 2; KSchG § 1 Abs. 3; KSchG § 1 Abs. 4; KSchG § 1 Abs. 5; BetrVG § 95; BetrVG § 102; BetrVG § 111; AGG § 2 Abs. 4; AGG § 3 Abs. 1; AGG § 10 S. 1, 2; Richtlinie 2000/78/EG Art. 6 Abs. 1

Instanzenzug: LAG Düsseldorf, 2 Sa 1/08 vom ArbG Wesel, 5 Ca 2891/06 vom Veröffentlichungen: Für die Amtliche Sammlung: Nein

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen, betriebsbedingten Kündigung.

Der im April 1961 geborene, verheiratete und einem Kind zum Unterhalt verpflichtete Kläger war seit dem bei der D GmbH, einem Bergbauspezialunternehmen mit mehr als 1.200 Mitarbeitern (Schuldnerin), als Hauer beschäftigt. Über das Vermögen der Schuldnerin wurde am das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt.

Anlässlich einer Betriebsänderung, die ua. zu einer Personalreduzierung um insgesamt 504 Mitarbeiter führen sollte, vereinbarte die Schuldnerin mit dem Betriebsrat am einen Interessenausgleich. Er enthält ua. folgende Reglungen:

"§ 3 Soziale Auswahl

1. ...

b. Ebenfalls nicht in die soziale Auswahl mit einbezogen werden Mitarbeiter, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen (Schlüsselkräfte), im berechtigten betrieblichen Interesse liegt (§ 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG).

2. Zur sozialen Auswahl der vom Ausscheiden betroffenen Mitarbeiter wird folgender Schlüssel angewandt:

a. Je Beschäftigungsjahr:|1 Punkt

ab dem 11. Dienstjahr je Dienstjahr:|2 Punkte, maximal 70 Punkte

b. Für jedes volle Lebensjahr:|1 Punkt, maximal 55 Punkte

c. Die Jahre der Betriebszugehörigkeit und die Lebensjahre werden ab 5/10 auf die nächst höhere Zahl aufgerundet und unter 5/10 auf die niedrigere Jahreszahl abgerundet.

d. Für Ehegatten und für jedes Kind, für das auf der Lohnsteuerkarte 2006 im Zeitpunkt der Unterzeichnung der Betriebsvereinbarung ein Kinderfreibetrag eingetragen ist, werden zusätzlich 2 Punkte gewährt. Für Kinder, für die ein halber Kinderfreibetrag eingetragen ist, wird jedoch nur jeweils 1 Punkt gewährt.

...

§ 4 Personalliste

1. Zur Durchführung der sozialen Auswahl werden Gruppen der vergleichbaren Mitarbeiter gebildet. Die soziale Auswahl findet in den Vergleichsgruppen statt.

2. Die Betriebsparteien stellen eine Personalliste der Mitarbeiter auf, die in den persönlichen Geltungsbereich dieser Betriebsvereinbarung fallen (§ 1 Nr. 1). Die Liste ist nach Vergleichsgruppen gegliedert. ...

...

6. Diese Liste ist als Anlage 1 Teil der Betriebsvereinbarung und wird von den Betriebsparteien gesondert unterzeichnet. Die Liste enthält die namentliche Bezeichnung der Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll (§ 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG)."

Die Personalliste weist den Kläger als einen zu kündigenden Mitarbeiter aus. Er erhielt 79 Sozialpunkte und befindet sich auf Platz 672. In seiner Vergleichsgruppe werden die im Betrieb verbleibenden Mitarbeiter auf den Plätzen 95 bis 599 geführt. Sie haben mindestens 85 Sozialpunkte. 21 Schlüsselkräfte der Vergleichsgruppe haben weniger als 85 Sozialpunkte.

In § 9 des Interessenausgleichs bestätigte der Betriebsrat, dass ihm sämtliche relevanten Personaldaten des betroffenen Personals bekannt waren.

Nachdem die Schuldnerin gegenüber der Bundesagentur für Arbeit die beabsichtigte Massenentlassung angezeigt hatte, kündigte sie mit Schreiben vom das Arbeitsverhältnis des Klägers zum .

Der Kläger hat mit seiner Kündigungsschutzklage die Auffassung vertreten, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Der Interessenausgleich sei wegen grob fehlerhafter Sozialauswahl unwirksam. Das ihm zugrunde liegende lineare Punktesystem sei altersdiskriminierend. Im Übrigen habe die Beklagte seine Unterhaltspflicht gegenüber seinem Kind nicht berücksichtigt. Der Betriebsrat sei nicht ordnungsgemäß beteiligt worden.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom zum nicht aufgelöst worden ist.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die Kündigung sei aus betriebsbedingten Gründen sozial gerechtfertigt. Der Interessenausgleich mit Namensliste sei wirksam. Das der Namensliste zugrunde liegende Punktesystem sei nicht zu beanstanden. Im Übrigen habe der Kläger auch dann zur Kündigung angestanden, wenn man das Alter bei der Sozialauswahl unberücksichtigt lasse.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Gründe

Die Revision ist unbegründet. Die Kündigung der Schuldnerin vom hat das Arbeitsverhältnis der Parteien rechtswirksam zum beendet. Die Kündigung ist nicht sozialwidrig iSd. § 1 Abs. 1 KSchG. Andere Unwirksamkeitsgründe liegen nicht vor.

I. Die Kündigung ist sozial gerechtfertigt (§ 1 Abs. 1, Abs. 2 KSchG). Sie ist durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Klägers in dem Betrieb entgegenstehen, bedingt (§ 1 Abs. 2 iVm. § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG) und auch nicht wegen einer fehlerhaften sozialen Auswahl iSv. § 1 Abs. 3 KSchG sozial ungerechtfertigt.

1. Das Landesarbeitsgericht ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass die Betriebsbedingtheit der Kündigung nach § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG zu vermuten ist. Der Kläger hat weder die gesetzliche Vermutung widerlegt noch hat sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs iSv. § 1 Abs. 5 Satz 3 KSchG wesentlich geändert.

a) Das Landesarbeitsgericht hat die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG zu Recht als erfüllt angesehen, ohne dass die Revision hiergegen erhebliche Rügen erhoben hätte. Die Kündigung vom basiert auf einer Betriebsänderung iSd. § 111 BetrVG. Der Kläger ist als zu kündigender Arbeitnehmer in der Namensliste des Interessenausgleichs vom aufgeführt.

b) Soweit der Kläger geltend macht, das dem Interessenausgleich zugrunde liegende Punktesystem sei altersdiskriminierend und die Namensliste deshalb unwirksam, berührt dies die gesetzliche Vermutung des § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG nicht. Ein möglicher Verstoß gegen das Verbot der Altersdiskriminierung kann allenfalls zur groben Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl führen. Er hat nicht die "Unwirksamkeit" der Namensliste und des Interessenausgleichs insgesamt und damit den Wegfall der gesetzlichen Vermutung der Betriebsbedingtheit der Kündigung zur Folge (Senat - 2 AZR 418/07 - Rn. 18, AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 97 = EzA KSchG § 1 Interessenausgleich Nr. 17; - 2 AZR 523/07 - Rn. 21, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 182 = EzA KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 82; Lingemann/Beck NZA 2009, 577, 581; Adomeit/Mohr NJW 2009, 2255, 2256; Schiefer DB 2009, 733, 734). Wenn die in dem Interessenausgleich benannten Arbeitnehmer nach anderen Kriterien auszuwählen sind als von den Betriebsparteien vorgesehen, ändert das nichts daran, dass diese ein gesunkenes Arbeitsvolumen erkannt und für die in dem Interessenausgleich vorgesehene Anzahl von Entlassungen einen betriebsbedingten Grund angenommen haben.

c) Der Kläger hat die gesetzliche Vermutung des § 1 Abs. 5 KSchG nicht widerlegt.

aa) Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG kann der Arbeitnehmer gemäß § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG iVm. § 292 ZPO darlegen, dass in Wahrheit eine Beschäftigungsmöglichkeit für ihn weiterhin besteht. Dazu ist ein substantiierter Tatsachenvortrag erforderlich, der den gesetzlich vermuteten Umstand nicht nur in Zweifel zieht, sondern ausschließt (Senat - 2 AZR 163/07 - Rn. 37, AP KSchG 1969 § 1 Namensliste Nr. 18; - 2 AZR 111/02 - zu C III 7 der Gründe, AP BetrVG 1972 § 112 Namensliste Nr. 1 = EzA KSchG § 1 Interessenausgleich Nr. 11). Aufgrund der gesetzlichen Vermutung braucht der Arbeitgeber die Betriebsbedingtheit einer Kündigung nicht im Einzelnen darzutun. Der Arbeitnehmer muss hingegen substantiiert darlegen, weshalb der Arbeitsplatz trotz der Betriebsänderung noch vorhanden ist oder wo sonst im Betrieb oder Unternehmen er weiterbeschäftigt werden kann. Dabei können ihm Erleichterungen durch eine abgestufte Verteilung der Darlegungs- und Beweislast zugutekommen (vgl. Senat - 2 AZR 418/07 - Rn. 23, AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 97 = EzA KSchG § 1 Interessenausgleich Nr. 17). Die Vermutung der Betriebsbedingtheit der Kündigung ist gleichwohl erst widerlegt, wenn der Arbeitnehmer dartut und ggf. beweist, dass das Beschäftigungsbedürfnis in Wirklichkeit nicht weggefallen ist (vgl. Senat - 2 AZR 418/07 - Rn. 23, 24 mwN, aaO.).

bb) Es ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landesarbeitsgericht zu dem Ergebnis gelangt ist, der Vortrag des Klägers reiche nicht aus, um die Vermutung des Wegfalls des Beschäftigungsbedarfs und des Vorliegens dringender betrieblicher Erfordernisse iSv. § 1 Abs. 2 KSchG zu widerlegen. Der Kläger hat das Vorliegen betriebsbedingter Kündigungsgründe in erster Linie mit Nichtwissen bestritten. Das ist unzureichend. Soweit er sich darauf berufen hat, der Geschäftsführer habe in einem Zeitungsbericht die Rücknahme von 330 Kündigungen angekündigt, wird auch damit der Wegfall des Beschäftigungsbedarfs nicht widerlegt.

d) Die Sachlage hat sich nicht iSv. § 1 Abs. 5 Satz 3 KSchG wesentlich geändert. Das Landesarbeitsgericht hat keine personellen Veränderungen für die Zeit nach Abschluss des Interessenausgleichs festgestellt, die der gesetzlichen Vermutung des § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG entgegenstünden.

2. Die Kündigung ist nicht wegen einer grob fehlerhaften sozialen Auswahl sozial ungerechtfertigt iSd. § 1 Abs. 3 Satz 1 iVm. § 1 Abs. 5 KSchG.

a) Die Sozialauswahl ist grob fehlerhaft, wenn ein evidenter, ins Auge springender schwerer Fehler vorliegt und der Interessenausgleich jede Ausgewogenheit vermissen lässt. § 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG räumt den Betriebsparteien einen weiten Spielraum bei der Sozialauswahl ein (Senat - 2 AZR 418/07 - Rn. 32, AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 97 = EzA KSchG § 1 Interessenausgleich Nr. 17; - 2 AZR 879/06 - AP KSchG 1969 § 1 Namensliste Nr. 17 = EzA KSchG § 1 Interessenausgleich Nr. 15). Dies gilt nicht nur für die sozialen Indikatoren und deren Gewichtung selbst, sondern auch für die Bildung der auswahlrelevanten Gruppen (Senat - 2 AZR 418/07 - Rn. 32, aaO.; - 2 AZR 879/06 - aaO.; - 2 AZR 163/07 - AP KSchG 1969 § 1 Namensliste Nr. 18 = EzA KSchG § 1 Interessenausgleich Nr. 16).

b) Die der Namensliste zugrunde liegende soziale Auswahl ist nicht grob fehlerhaft. Insbesondere sind Diskriminierungsverbote nicht verletzt worden. Das von den Betriebsparteien vereinbarte Punktesystem ist weder in seiner abstrakten Ausgestaltung noch in seiner konkreten Umsetzung zu beanstanden.

aa) Im Streitfall sind die Regelungen des AGG zu berücksichtigen. Zwar sind der Interessenausgleich und die Namensliste schon am und damit drei Tage vor Inkrafttreten des AGG vereinbart worden, die mögliche Benachteiligung liegt aber nicht im Abschluss des Interessenausgleichs, sondern im Ausspruch der Kündigung. Diese wurde am erklärt. Sie ist die maßgebliche potentielle Benachteiligung des Klägers, zumindest deren zeitlich letztes Glied. Bei ihrem Ausspruch galt das AGG bereits. Darauf kommt es an ( - Rn. 28, BAGE 123, 358; Bauer/Göpfert/Krieger AGG 2. Aufl. § 33 Rn. 10, 12; Däubler in Däubler/Bertzbach AGG 2. Aufl. § 33 Rn. 4).

bb) Die Diskriminierungsverbote des AGG sind im Rahmen der Prüfung der Sozialwidrigkeit zu beachten. Eine Kündigung kann deshalb sozialwidrig sein, weil sie gegen eines der im AGG näher ausgestalteten Diskriminierungsverbote verstößt (Senat - 2 AZR 523/07 - Rn. 28 ff., AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 182 = EzA KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 82). Die in § 2 Abs. 4 AGG geregelte Bereichsausnahme, nach der für Kündigungen ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz gelten, steht dem nicht entgegen. Die Norm zielt darauf ab, den Diskriminierungsverboten in Übereinstimmung mit dem Gemeinschaftsrecht für das Kündigungsrecht dadurch Geltung zu verschaffen, dass sie bei Anwendung der Regelungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz berücksichtigt werden (Senat - 2 AZR 523/07 - Rn. 40, aaO.). Dementsprechend sind die Diskriminierungsverbote und die gesetzlich vorgesehenen Rechtfertigungen für unterschiedliche Behandlungen nach dem AGG als Konkretisierungen des Begriffs der Sozialwidrigkeit zu beachten (Senat - 2 AZR 523/07 - Rn. 28, aaO.).

cc) Das Lebensalter darf trotz des Verbots der Altersdiskriminierung als Auswahlkriterium bei der Sozialauswahl berücksichtigt werden (Senat - 2 AZR 523/07 - Rn. 40, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 182 = EzA KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 82). Das führt bei der Anwendung eines Punkteschemas zwar zu einer an das Alter anknüpfenden unterschiedlichen Behandlung. Durch sie werden ältere Arbeitnehmer tendenziell bevorzugt und jüngere Arbeitnehmer benachteiligt. Diese Ungleichbehandlung und unmittelbare Benachteiligung jüngerer Arbeitnehmer iSv. § 3 Abs. 1 AGG, ist aber nach § 10 Satz 1 und 2 AGG gerechtfertigt. Sie verfolgt ein legitimes Ziel. Die Mittel zur Erreichung dieses Ziels sind angemessen und erforderlich (Senat - 2 AZR 418/07 - Rn. 39, AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 97 = EzA KSchG § 1 Interessenausgleich Nr. 17; - 2 AZR 523/07 - Rn. 43, aaO.). Durch die Berücksichtigung des Lebensalters werden ältere Arbeitnehmer, die typischerweise schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben, besser geschützt. Darin liegt ein legitimes Ziel (Senat - 2 AZR 418/07 - Rn. 39, aaO.; - 2 AZR 523/07 - Rn. 44, aaO.). Das Lebensalter ist ein geeignetes und erforderliches Kriterium, um auf die individuellen Arbeitsmarktchancen bei der sozialen Auswahl Bedacht zu nehmen. Mildere Mittel sind nicht ersichtlich (vgl. Senat - 2 AZR 418/07 - Rn. 40, aaO.). Dass die Chancen auf dem Arbeitsmarkt auf diese Weise typisierend und nicht individuell berücksichtigt werden, ist - will man sie überhaupt einbeziehen - unvermeidbar. Jede Aussage über sie muss sich an Wahrscheinlichkeiten orientieren, die ihrerseits nicht ohne Berücksichtigung von Erfahrungswerten ermittelt werden können. Nach aller Erfahrung sinken mit steigendem Lebensalter die Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt. Zudem wird älteren Arbeitnehmern ein Arbeitsplatzwechsel mit den damit verbundenen Folgen regelmäßig mehr Schwierigkeiten bereiten als jüngeren. Selbst bei einer individuellen Chancenbewertung könnte dieser Umstand nicht außer Betracht bleiben (Senat - 2 AZR 523/07 - Rn. 46 mwN, aaO.).

dd) Die Bestimmungen des § 10 Satz 1 und 2 AGG sind gemeinschaftsrechtskonform. Nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Richtlinie 2000/78/EG können die Mitgliedstaaten ungeachtet des Art. 2 Abs. 2 "vorsehen, dass Ungleichbehandlungen wegen des Alters keine Diskriminierung darstellen, sofern sie objektiv und angemessen und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel, worunter insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung zu verstehen sind, gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind". Von dieser Möglichkeit hat der deutsche Gesetzgeber mit § 10 AGG Gebrauch gemacht, ohne dabei Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung, um deren Erreichung willen eine Ungleichbehandlung gerechtfertigt sein könne, besonders zu erwähnen. Da solche Ziele aber nach der Richtlinie nicht als einzige legitim sind, wie die Hervorhebung durch "insbesondere" zeigt, ist dies schon deshalb unbedenklich ( - [Age Concern England] Rn. 43 ff., EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 9; - Rn. 37, AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 200 = EzA BetrVG 2001 § 112 Nr. 31). Auch muss der Gesetzgeber die wegen eines sozialpolitischen Ziels für geboten erachtete Ungleichbehandlung nicht im Detail selbst regeln, sondern kann den zur Ausgestaltung berufenen Tarifvertrags- und Betriebsparteien Gestaltungs- und Beurteilungsspielräume einräumen. Dies wird sowohl in Art.16b Richtlinie 2000/78/EG selbst als auch an ihrem 36. Erwägungsgrund deutlich (vgl. auch - [Palacios de la Villa] Rn. 68, 74, Slg. 2007, I-8531). Die Frage, ob nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie auch reine Arbeitgeberinteressen als legitime Ziele in Betracht kommen, stellt sich im vorliegenden Fall nicht. Die Berücksichtigung der Höhe des Lebensalters zugunsten der Betroffenen diente nicht etwa allein den Interessen der Schuldnerin.

ee) Die Betriebsparteien konnten das Lebensalter "linear" berücksichtigen. Entgegen der Auffassung des Klägers mussten sie bei der Vergabe von Sozialpunkten nicht nach Altersgruppen differenzieren. Weder die Diskriminierungsvorschriften des AGG noch die Richtlinie 2000/78/EG verlangen zwingend eine Differenzierung nach Altersstufen. Auch die lineare Vergabe von Sozialpunkten orientiert sich in typisierender Weise an den bei steigendem Lebensalter schlechteren Arbeitsmarktchancen und verfolgt ein legitimes Ziel iSv. §10 Satz 1 und 2 AGG. Durch sie werden zudem "Sprünge" vermieden, die ihrerseits zu Ungerechtigkeiten führen können. Im Übrigen bewirkt sie schon wegen der gebotenen Berücksichtigung der weiteren Sozialkriterien iSv. § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG keineswegs zwangsläufig eine Auswahl zuungunsten der jüngeren Arbeitnehmer (Bauer/Göpfert/Krieger AGG 2. Aufl. § 10 Rn. 45 i).

ff) Die Gewichtung der einzelnen Auswahlkriterien im Punktesystem des Interessenausgleichs hält sich in dem von § 1 Abs. 3 Satz 1, Abs. 5 Satz 2 KSchG vorgegebenen Wertungsspielraum der Betriebsparteien.

(1) Wie die in § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG aufgeführten Kriterien untereinander zu gewichten sind, ist gesetzlich nicht vorgegeben. Keinem von ihnen kommt eine Priorität gegenüber den anderen zu (Senat - 2 AZR 480/04 - Rn. 39, BAGE 115, 92; - 2 AZR 549/01 - zu B III 4 der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 59 = EzA KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 49; KR/Etzel 9. Aufl. § 1 KSchG Rn. 678 f.; ErfK/Oetker 10. Aufl. § 1 KSchG Rn. 330). Den Betriebsparteien steht deshalb für die "ausreichende" Berücksichtigung der Kriterien, wenn sie eine Auswahlrichtlinie nach § 95 BetrVG aufstellen, ein großer Spielraum zu. Eine von ihnen festgelegte relative Gewichtung der sozialen Gesichtspunkte des § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG untereinander kann nach § 1 Abs. 4 KSchG nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Eine von ihnen geregelte Punktetabelle ist nur dann nicht anzuwenden, wenn eines der gesetzlichen Auswahlkriterien gar nicht oder so gering bewertet wird, dass es als relevantes Auswahlkriterium nicht ins Gewicht fällt und allenfalls in Ausnahmefällen eine Rolle spielt (Senat - 2 AZR 473/05 - Rn. 22, BAGE 120, 18). Der gleiche Maßstab gilt gemäß § 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG für eine Namensliste im Sinne des Satzes 1 der Bestimmung.

(2) Das Punktesystem des Interessenausgleichs vom hält sich innerhalb dieses Wertungsspielraums. Es berücksichtigt mit dem Lebensalter, der Dauer der Betriebszugehörigkeit, den Unterhaltspflichten und der Schwerbehinderung alle vom Gesetz vorgegebenen sozialen Kriterien. Jedes dieser Kriterien kann hinreichenden Einfluss auf das Ergebnis der Sozialauswahl nehmen. Zwar werden bestehende Unterhaltspflichten relativ gering, aber nicht evident unterbewertet. Ihnen kommt noch ausreichendes Gewicht zu.

gg) Die der Namensliste zugrunde liegende Sozialauswahl ist nicht wegen der Herausnahme zahlreicher Leistungsträger iSv. § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG grob fehlerhaft.

Es kann dahinstehen, ob die Weiterbeschäftigung der als Schlüsselkräfte bezeichneten Arbeitnehmer tatsächlich im berechtigten betrieblichen Interesse lag. Selbst wenn sie alle in die Sozialauswahl einbezogen würden, ist der Kläger nicht zu Unrecht gekündigt worden. Ein Fehler bei der Sozialauswahl führt nur dann zur Unwirksamkeit der Kündigung, wenn er die Auswahl des betreffenden Arbeitnehmers tatsächlich beeinflusst hat. Dies gilt auch im Rahmen von § 1 Abs. 4, Abs. 5 KSchG (zu § 1 Abs. 4 KSchG: Senat - 2 AZR 473/05 - Rn. 28, BAGE 120, 18). Bei Anwendung eines kollektiven Punktesystems reicht es für die Unwirksamkeit der Kündigung eines Arbeitnehmers nicht aus, dass ein anderer Arbeitnehmer unberechtigterweise von einer Kündigung ausgenommen wurde, wenn der gekündigte Arbeitnehmer auch bei rechtlich korrekter Erstellung der Rangliste gekündigt worden wäre (Senat - 2 AZR 812/05 - Rn. 16 ff., BAGE 120, 137).

So verhält es sich hier. Der Kläger hätte angesichts seiner Punktzahl und Rangnummer selbst dann zur Kündigung angestanden, wenn die als solche bezeichneten Schlüsselkräfte nicht aus der Sozialauswahl herausgenommen worden wären.

hh) Die Sozialauswahl ist nicht deshalb grob fehlerhaft, weil die Unterhaltsverpflichtung des Klägers gegenüber seinem Kind bei der Punkteermittlung nicht berücksichtigt wurde. Daher kommt es nicht darauf an, ob die Betriebsparteien die Berücksichtigung von Unterhaltspflichten gegenüber Kindern von deren Eintragung in die Lohnsteuerkarte abhängig machen durften (vgl. dazu Senat - 2 AZR 405/06 - Rn. 23, AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 96). Auch wenn seine Unterhaltspflicht berücksichtigt würde, hätte der Kläger zur Kündigung angestanden. Mit zwei weiteren Punkten hätte er - selbst bei Einbeziehung aller "Schlüsselkräfte" - keinen Listenplatz erreicht, von dem ab keine Kündigungen mehr erfolgten.

II. Die Kündigung ist nicht wegen fehlerhafter Anhörung des Betriebsrats unwirksam (§ 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG).

1. Der Betriebsrat war sowohl über die Person des Klägers und den Zeitpunkt der Kündigung als auch über die für die Schuldnerin maßgeblichen Kündigungsgründe hinreichend informiert.

a) Der Arbeitgeber ist auch bei Vorliegen eines Interessenausgleichs iSd. § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG verpflichtet, den Betriebsrat gemäß § 102 BetrVG zu einer beabsichtigten Kündigung anzuhören. Die Betriebsratsanhörung unterliegt insoweit keinen erleichterten Anforderungen. Allerdings muss er dem Wegfall des Arbeitsplatzes und der Sozialauswahl zugrunde liegende Tatsachen, die dem Betriebsrat bereits aus den Verhandlungen zum Abschluss eines Interessenausgleichs bekannt sind, im Anhörungsverfahren nicht erneut mitteilen. Dies gilt zumindest dann, wenn zwischen den Verhandlungen über den Interessenausgleich und der Anhörung - wie hier - ein überschaubarer Zeitraum liegt (Senat - 2 AZR 111/02 - zu C VII der Gründe mwN, AP BetrVG 1972 § 112 Namensliste Nr. 1 = EzA KSchG § 1 Interessenausgleich Nr. 11).

b) Der Betriebsrat hat in § 9 des Interessenausgleichs vom und in einer gesonderten "Regelungsabrede" vom selben Tag ausdrücklich erklärt, dass ihm die Kündigungsgründe und die relevanten Sozialdaten der betroffenen Arbeitnehmer bekannt gewesen seien. Der Kläger hat nicht vorgetragen, von welchen bedeutsamen Umständen der Betriebsrat gleichwohl keine Kenntnis gehabt haben soll.

2. Die Betriebsratsanhörung ist nicht mangels Unterrichtung über die Unterhaltspflicht des Klägers gegenüber seinem Kind fehlerhaft.

a) Die dem Betriebsrat nach § 102 Abs. 1 BetrVG mitzuteilenden Gründe für die Kündigung sind subjektiv determiniert (vgl. Senat - 2 AZR 163/07 - Rn. 19 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Namensliste Nr. 18 = EzA KSchG § 1 Interessenausgleich Nr. 16). Der Betriebsrat ist ordnungsgemäß angehört worden, wenn ihm der Arbeitgeber die aus seiner Sicht tragenden Gründe mitgeteilt hat. Dabei muss der Arbeitgeber seinen Wissensstand richtig an den Betriebsrat weitergeben. Eine aus Sicht des Arbeitgebers bewusst unrichtige oder unvollständige und damit irreführende Darstellung ist keine ordnungsgemäße Anhörung. Dagegen ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, im Rahmen der Betriebsratsanhörung die Richtigkeit dokumentierter Daten zu überprüfen. Er kann deshalb, solange er anderes nicht weiß, von den Eintragungen in der Lohnsteuerkarte ausgehen und dies dem Betriebsrat mitteilen (Senat - 2 AZR 514/04 - zu B I 1 der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 43 = EzA KSchG § 1 Krankheit Nr. 51).

b) Im Streitfall hatte die Schuldnerin den Betriebsrat darauf hingewiesen, dass sie die Unterhaltspflichten anhand der Angaben auf den Lohnsteuerkarten ermittelt hat. Die Unterrichtung ist iSv. § 102 Abs. 1 BetrVG nicht fehlerhaft.

III. Die Unwirksamkeit der Kündigung ergibt sich nicht aus § 17 KSchG. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat die Schuldnerin gegenüber der Bundesagentur für Arbeit noch vor Ausspruch der Kündigungen die Massenentlassung angezeigt. Anhaltspunkte für inhaltliche Mängel der Anzeige sind nicht ersichtlich.

IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

Fundstelle(n):
BB 2010 S. 955 Nr. 16
NJW 2010 S. 1395 Nr. 19
ZIP 2010 S. 1309 Nr. 27
HAAAD-40267