BFH Urteil v. - VIII R 49/07

Anwendung der Übergangsregelung bei zeitlich gestreckten Veräußerungsvorgängen; Anwendung des Veräußerungsfreibetrags

Leitsatz

Eine Veräußerung ist gemäß § 52 Abs. 34 Satz 3 EStG nach dem erfolgt, wenn das Erfüllungsgeschäft nach diesem Datum vollzogen oder zumindest das wirtschaftliche Eigentum auf den Erwerber übergegangen ist. Bei der Anwendung von § 16 Abs. 4 EStG in der ab 1996 geltenden Fassung bleiben nur solche Veräußerungen unberücksichtigt, die vor dem vollzogen waren. Der Zusammenhang der Anwendungsvorschrift mit der Vorschrift, deren zeitlichen Anwendungsbereich sie regelt, gebietet es, die in beiden Vorschriften vorkommenden Rechtsbegriffe grundsätzlich einheitlich auszulegen.

Gesetze: EStG § 52 Abs. 34, EStG § 16 Abs. 4, EStG § 18 Abs. 3

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

1 I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger), zur Einkommensteuer zusammen veranlagte Eheleute, betrieben eine zahnärztliche Gemeinschaftspraxis, an der sie jeweils zur Hälfte beteiligt waren. Mit Vertrag vom und mit Wirkung zum veräußerten sie einen Teil ihrer Praxisanteile entgeltlich an ihren Sohn. Bei der Besteuerung des daraus erzielten Veräußerungsgewinns wurde zu Gunsten der Klägerin der Freibetrag gemäß § 18 Abs. 3 i.V.m. § 16 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gewährt. Zum veräußerten die Kläger auch noch ihre verbliebenen Gesellschaftsanteile und erzielten daraus einen gesondert festgestellten Veräußerungsgewinn.

2 Die Klägerin beantragte, den Veräußerungsgewinn bei der Einkommensteuer 2001 nur insoweit heranzuziehen, als er 100.000 DM übersteigt. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) lehnte den Antrag ab. Der Freibetrag könne nur einmal gewährt werden und sei im Veranlagungszeitraum 1996 bereits in Anspruch genommen worden. Der Einspruch blieb erfolglos.

3 Das Finanzgericht (FG) hat die dagegen gerichtete Klage als unbegründet abgewiesen. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 117 veröffentlicht. Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts (§ 52 Abs. 34 Satz 3 EStG in der im Streitfall anwendbaren Fassung).

4 Die Kläger beantragen sinngemäß,

das angefochtene Urteil aufzuheben, den Einkommensteuerbescheid für 2001 in Gestalt der Einspruchsentscheidung zu ändern und die Einkommensteuer mit der Maßgabe niedriger festzusetzen, dass bei den Einkünften der Klägerin aus selbständiger Arbeit der Veräußerungsgewinn um 100.000 DM niedriger angesetzt wird.

5 Das FA beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

6 Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

7 II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

8 1. Das FG hat im Wesentlichen ausgeführt, nach § 52 Abs. 34 Satz 3 EStG in der im Streitfall anwendbaren Fassung müsse die erste Teilveräußerung vor dem erfolgt sein, um unberücksichtigt bleiben zu können. Im Sinne der Vorschrift sei eine Veräußerung erst erfolgt, wenn der Erwerber über den Erwerbsgegenstand verfügen könne. Das sei nicht vor dem der Fall gewesen.

9 2. Diese Ausführungen lassen Rechtsfehler nicht erkennen.

10 a) Gemäß § 52 Abs. 34 Satz 3 EStG in der im Streitfall anwendbaren Fassung ist § 16 Abs. 4 EStG (in der Fassung der Bekanntmachung vom , BGBl I 1997, 821) erstmals auf Veräußerungen anzuwenden, die nach dem erfolgen; hat der Steuerpflichtige bereits für Veräußerungen vor dem Veräußerungsfreibeträge in Anspruch genommen, bleiben diese unberücksichtigt.

11 b) Im steuerlichen Schrifttum ist umstritten, ob für die Anwendung der Übergangsregelung bei zeitlich gestreckten Veräußerungsvorgängen auf den verbindlichen Abschluss des Kausalgeschäfts abzustellen ist (so Schmidt/Wacker, EStG, 28. Aufl., § 16 Rz 576; Stahl in Korn, § 16 EStG Rz 411) oder auf den Vollzug des Erfüllungsgeschäfts (so Kanzler, Finanz-Rundschau —FR— 1995, 851; Hörger/Rapp in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 16 Rz 237a) bzw. den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums (so Wendt FR 2000, 1199; Kauffmann in Frotscher, EStG, 6. Aufl., Freiburg 1998 ff., § 16 Rz 253, sowie die Vorentscheidung).

12 c) Der Senat schließt sich der zuletzt genannten Auffassung an. Eine Veräußerung ist gemäß § 52 Abs. 34 Satz 3 EStG in der im Streitfall anwendbaren Fassung nach dem erfolgt, wenn das Erfüllungsgeschäft nach diesem Datum vollzogen oder zumindest das wirtschaftliche Eigentum auf den Erwerber übergegangen ist. Bei der Anwendung von § 16 Abs. 4 EStG in der ab 1996 geltenden Fassung bleiben danach nur solche Veräußerungen unberücksichtigt, die vor dem vollzogen waren. Daran fehlt es im Streitfall.

13 aa) Der Zusammenhang der Anwendungsvorschrift mit der Vorschrift, deren zeitlichen Anwendungsbereich sie regelt, gebietet es, die in beiden Vorschriften vorkommenden Rechtsbegriffe grundsätzlich einheitlich auszulegen. Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber den Begriff der Veräußerung in § 52 Abs. 34 Satz 3 EStG in der im Streitfall anwendbaren Fassung anders verstanden hat als in § 16 EStG, sind nicht ersichtlich. Ein einheitliches Begriffsverständnis erscheint zudem aus Vereinfachungsgründen geboten. Danach kommt es bei zeitlich gestreckten Veräußerungsvorgängen auf den dinglichen Vollzug an (vgl. , BFHE 170, 29, BStBl II 1993, 228; Schmidt/ Wacker, a.a.O., § 16 Rz 24).

14 bb) Die Kläger haben durch schriftliche Vereinbarung vom unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass sie die am begründete Verpflichtung zur Übertragung von Gesellschaftsanteilen erst an diesem Tag vollzogen haben. Da die Kläger für den aus dieser Veräußerung erzielten Gewinn im Veranlagungszeitraum 1996 den Freibetrag gemäß § 16 Abs. 4 EStG in Anspruch genommen haben, können sie für den im Streitjahr erzielten Veräußerungsgewinn den Freibetrag nicht noch einmal beanspruchen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
BFH/NV 2010 S. 870 Nr. 5
HFR 2010 S. 587 Nr. 6
VAAAD-39598